Politik-Satire

Liebe geht durch das Sagen

Kopfnüsse zum Abbusseln: In Vorwahlzeiten entdeckt die Politik plötzlich ihr Herz für uns. Mehr Klarheit würde uns reichen.

1. Mai-Aufmarsch der SPÖ: Bundesparteichef Andreas Babler küsst seine Ehefrau Karin Blum
1. Mai-Aufmarsch der SPÖ: Bundesparteichef Andreas Babler küsst seine Ehefrau Karin Blum
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Newsflix Kopfnüsse
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Teilhabe ist wichtig. Es bricht jetzt wieder die Zeit an, in der Politiker gern in die Knie gehen, um mit allen auf Augenhöhe zu sein. Nach Wahlniederlagen wird die fehlende Augenhöhe häufig als Grund dafür angegeben, warum einen die Wählerschaft nicht so ins Herz geschlossen hatte, wie das erwartet worden war. Man habe das Signal aber verstanden. Dem Umstand werde umgehend entgegengetreten, wird flugs versichert, der Bürger werde in den kommenden Jahren viel stärker in die politischen Prozesse eingebunden. Er wird so viel Augenhöhe bekommen, dass ihm die Augen herausfallen.

In die nachfolgenden Regierungsprogramme finden Vorhaben zur Stärkung der direkten Demokratie tatsächlich stets Eingang, allerdings immer als Streichresultate, wie beim Skispringen die beste und die schlechteste Haltungsnote. Direkte Demokratie hat nämlich den Nachteil, dass sie sehr direkt sein kann. Wenn man das nicht so gelernt hat wie die Schweizer, drohen bei Volksabstimmungen und Volksbefragungen Ergebnisse, die mehr auf den Geist gehen als zu Herzen. Deshalb fürchten Österreichs Politiker Beteiligungen des Volkes an ihren Entscheidungen wie der Teufel das Granderwasser.

Aber die Lage bessert sich zusehends und es sind schon erste ermunternde Ansätze davon zu sehen. Auf orf.at las ich in der vergangenen Woche eine Überschrift, bei der mir das Herz aufging. "Wölfe: Hirten könnten Herden schützen". Endlich ein Vorschlag aus kundigem Mund, auch wenn der sonst nur Geheul hervorbringt. Hirten sollen das mit dem Schutz übernehmen, finden die Wölfe. Löblich, dass nun auch Betroffenen die Teilhabe an der Debatte ermöglicht wird. Fortan können wir mit den Wölfen auf Augenhöhe über das Thema sprechen, selbst wenn dies das Risiko birgt, dass einem danach ein Auge fehlt. Oder zwei.

Die grüne EU-Spitzenkandidatin Lena Schilling sprayt sich den 1. Mai zurecht
Die grüne EU-Spitzenkandidatin Lena Schilling sprayt sich den 1. Mai zurecht
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Aber sehen wir das mit reinem Herzen. Die Wölfe haben nun einen ersten Vorschlag eingebracht, wie Almen in Zukunft bestückt werden sollten. Sie empfehlen als Schutz vor sich selbst den Einsatz von menschlichem Fachpersonal. Wir sollten die Idee nicht leichtfertig abtun, Wölfe haben schließlich eine gewisse Expertise im Umgang mit Schafen. Es könnte natürlich auch sein, dass sie diesen Ratschlag nur erteilen, weil sie ihr Nahrungs-Portfolio  erweitern wollen, um Hirten nämlich. Vielleicht lagen die Gebrüder Grimm mit ihrem Leumundszeugnis für die Tiere ja gar nicht so weit daneben.

Da uns die Politik schlecht fressen kann, umarmt sie uns derzeit zu Tode. Herz ist Trumpf. Bis 29. September werden wir so viel umgarnt und gebusselt werden, dass uns Hören und Sehen vergeht, was nicht immer ein Nachteil sein muss in diesem Land. Beim Parteirat in Wieselburg hatte Andreas Babler am 27. April sein Wahlprogramm vorgestellt, der SPÖ-Vorsitzende will "mit Herz und Hirn" auf Stimmenfang gehen. Er ist nicht der Einzige, der ein Auge auf unser Zentralorgan geworfen hat.

In der vergangenen Woche präsentierte Lena Schilling, Spitzenkandidatin der Grünen für die Europawahl, ihre Plakate. Das Hirn ließ sie weg, dafür dürfen bei ihr die Herzen pumpern wie frisch aus dem Defibrillator. "Klima braucht Herz", "Europa braucht Herz" und "Herz statt Hetze", lauten die Slogans. Grünen-Bundessprecher Werner Kogler kündigte an, man werde mit "Herzblut" dafür kämpfen, dass Europa nicht von "rechten Hetzern zerfressen" werde. Ich warte jetzt auf die Gegenplakate der FPÖ. "Festung Europa, aber mit Herz" ginge.

Ein Tisch macht ihn zum Größten: FPÖ-Parteichef Herbert Kickl mit EU-Spitzenkandidat Harald Vilimsky und dem oberösterreichische Landeshauptmann-Stellvertreter Manfred Haimbuchner
Ein Tisch macht ihn zum Größten: FPÖ-Parteichef Herbert Kickl mit EU-Spitzenkandidat Harald Vilimsky und dem oberösterreichische Landeshauptmann-Stellvertreter Manfred Haimbuchner
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Der neue Herzbube der SPÖ erlebte am 1. Mai seinen ersten richtigen 1. Mai, also von der Tribüne aus. Andreas Babler war mit den Genossen aus Penzing auf dem Rathausplatz einmarschiert, aus dem Bezirk stammt der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten für die Europawahl, er heißt Andreas Schieder, falls Sie sich den Namen notieren möchten. EU-Abgeordnete werden nach Wahlen zwar selten vom Wolf gefressen, auch nicht, wenn sie wie Schieder ein Rotkäppchen sind, aber weg sind sie trotzdem, so viele Hirten kann es gar nicht geben.

Die Penzinger haben am 1. Mai immer einen weiten Hatscher vor sich, bis zum Rathausplatz sind es fast fünf Kilometer. Babler  beherzigte den Spruch von Bruno Kreisky und ging ein Stück des Weges gemeinsam mit der Bezirksgruppe, legte die Betonung dabei allerdings auf "Stück" und weniger auf "Weg". Er spritzte also den Großteil der Strecke und stieß erst am Fuß der Mariahilfer Straße zur Truppe. Eine Wandernadel bekam er dafür nicht, aber er schaute erholt und frisch aus und darauf kam es ja an.

Der Rathausplatz war gut gefüllt an diesem Mittwoch, es war auch sonst einiges anders. Lange Jahre ließ sich beobachten, dass sich der Platz stets recht schnell leerte, die Reden trieben die ersten Gruppen früh in die Seitengassen hinter dem Burgtheater und dort hinein in die Lokale, Sozialdemokrat kann man schließlich überall sein. Diesmal allerdings blieben die Menschen, sie wollten Babler hören und sehen, ihn offenbar auch verstehen lernen. Die zerraufte und zerfurchte SPÖ erweckte an diesem Tag den Eindruck, zu einer Einigkeit und Einheit zurückgefunden zu haben. Das Burgenland schien ganz weit weg, ein Bergvolk ohne Berg, nun aber immerhin mit eigenen Skiern.

Was immer man dem neuen SPÖ-Vorsitzenden vorwerfen mag, die Herzen der Kernzielgruppe erreicht er recht allumfassend. Die Sozialdemokratie hat wieder ein Profil, das muss man nicht mögen, nicht unterstützenswert finden und auch nicht wählen, aber es ist erkennbar und das war lange Zeit nicht so. Ob Babler außerhalb der roten Blase ausreichend viele Fans gewinnen kann, um bei der Nationalratswahl gut abzuschneiden, lässt sich derzeit nicht sagen. Aber genau das führt zu eigentlichen Problem, mit dem Österreich in den nächsten Wochen konfrontiert sein wird: Die Wahl am 29. September ist eine Blackbox.

Gut gefüllt, wie gut wollte die Polizei nicht schätzen – um nicht in eine politische Debatte verwickelt zu werden
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Helmut Graf

Wer seine Stimme am Wahlsonntag abgibt, wird nämlich keine Ahnung haben, was danach damit passiert. Das gab es in dieser Form meiner Erinnerung nach noch nie. Geht die Stimme verloren, weil es die KPÖ und "Schnappatmung"-Pogo doch nicht ins Parlament schaffen? Oder sitzen plötzlich sieben Parteien im Nationalrat? Und wer führt die an? Es könnte sein, dass vier der derzeit fünf Parlamentsparteien zeitnah nach der Wahl der Chef oder die Chefin abhanden kommt und wieder wird nicht der Wolf schuld daran sein.

Kanzler Karl Nehammer hat ausgeschlossen, mit Herbert Kickl in eine Koalition zu gehen. Okay, glauben wir das einmal. Aber was ist, wenn Nehammer so grottig abschneidet, dass er am Wahlabend Geschichte ist? Gibt es dann Schwarz-Blau trotzdem? Mit Kickl und jemand anderen aus der Volkspartei? Mit Edtstadler ohne Kickl? Haben das die ÖVP-Wähler so gewollt? Oder hatten sie eher die Wiederbelebung der alten Großen Koalition im Hinterkopf?

Bei der SPÖ ist das noch komplizierter, denn da muss erst die Frage beantwortet werden: Was ist überhaupt ein gutes Wahlergebnis? 2019 nahmen die Sozialdemokraten 21,2 Prozent recht gelassen hin, die 26,9 Prozent aus 2017 werden aber heute noch als Weltuntergang gesehen. Ist Babler also erfolgreich, wenn er sich auf 23 Prozent steigert? Oder muss er Erster werden? Davon hängt alles ab. Für ihn und für uns.

Mit einem Erfolg, von dem man nicht weiß, was das sein soll, kann Babler selbst in Regierungsverhandlungen eintreten. Derselbe Erfolg, von dem man immer noch nicht weiß, was das sein soll, kann ihn aber auch den Job kosten, zumindest halb. Wer SPÖ wählt, kann also einen Kanzler Babler bekommen. Oder einen Vizekanzler Babler. Oder einen Oppositionschef Babler. Oder einen Parteichef Babler mit einem anderen SPÖ-Politiker in Regierungsverantwortung, etwa Wiens Stadtrat Peter Hanke. Oder aber einen Babler, der wieder hauptberuflich Bürgermeister von Traiskirchen ist.

Wenn dich deine Eltern fragen, was du am 1. Mai getan hast, und du antworten musst: "Ich war eine Null"
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Was ist bei den Grünen? Gibt Werner Kogler nach der Wahl sein Amt ab? Gleich, gar nicht, oder erst später? Wenn Beate Meinl-Reisinger nicht mehr schafft als die üblichen acht Prozent für die Neos, was ist dann? Rücktritt? Oder geht sie in eine Dreierkoalition? Kommt Strolz wieder? Als Parteichef? Oder als Bildungsminister? Übernimmt Sepp Schellhorn? Dann gibt es zumindest immer ein warmes Mittagessen.

Parteien beantworten vor einer Wahl ungern, mit wem sie eine Koalition eingehen würden und mit wem nicht. Es kommen dann meist so Schwurbelsätze wie "zunächst sind die Wähler am Wort". Das wird diesmal nicht reichen. Ich denke, die Bevölkerung hat ein Anrecht darauf, zu wissen, was mit ihren Stimmen passiert. Mit oder ohne Herz. Und Hirn.

Noch ein kleiner Nachtrag zu den Feierlichkeiten der SPÖ am 1. Mai am Rathausplatz. Ich finde es richtig, Kindern auch eine politische Erziehung angedeihen zu lassen, ihnen Augen und Ohren zu öffnen, sie zu lehren, genau hinzuschauen und wenn sie Lust dazu haben, dann verfolgen wir meinetwegen wohlmeinend, wenn sie sich ab dem Teeanageralter politisch engagieren. Kleinen Mädchen und Buben allerdings Fähnchen und Plakate in die Hand zu drücken und sie damit Richtung Kameras zu schicken, damit das herzige Bilder ergibt für die älteren Herrschaften dahinter, ist gestrig, irgendwie auch abstoßend. Und hoffentlich bald ein Fall für den Marketing-Reißwolf.

Wie heißt dieser Handgruß? Andreas Babler, Michael Ludwig
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Helmut Graf

Ich wünsche einen wunderbaren Sonntag. Weil ich gerade über Kinder geschrieben habe: Dieser Tage wurde eine Studie präsentiert, die Ernährungsarmut zum Thema hatte, die Berichterstattung darüber war breit. Es handelt sich ohne Zweifel um ein wichtigstes Thema und natürlich wurde, wenn die Zahlen stimmen, einem der immer noch reichsten Länder der Welt damit ein Armutszeugnis ausgestellt. Der mediale Umgang mit der Untersuchung war trotzdem reichlich ärmlich.

Es ist ja so: Die Studie, die eigentlich "Ernährungsarmut in Österreich als Barriere für eine gesunde und klimafreundliche Ernährung" heißt, fiel nicht vom Himmel. Sie wurde vielmehr vom Sozialministerium beauftragt und die Rechnung dafür vom Steuerzahler beglichen, für dieses Detail war in der Berichterstattung wohl der Platz zu knapp. Johannes Rauch bekam durch die von ihm beauftragte Studie Daten in die Hand, die sich gut für eine politische Botschaft nutzen ließen – oder eher, es war eine politische Botschaft da und die ließ er sich durch eine Studie untermauern – jedenfalls lässt sich ein Politiker so etwas nicht zweimal sagen.

Rauch trat also in der ZiB 1 mit "seiner" Studie auf, was unerwähnt blieb, und fand Ernährungsarmut nachvollziehbar "inakzeptabel". Die Geschicke des Sozialministeriums liegen allerdings seit fünf Jahren in Hand der Grünen. Rauch hätte sich also selbst geißeln müssen, er hätte etwa sagen können: "Tut mir leid, das hätten wir besser hinkriegen müssen. Die letzten paar Monate im Amt haue ich mich aber da so richtig rein." Tat er aber nicht. Er gab der schwarz-blauen Koalition und dem Regierungspartner ÖVP die Schuld an dem Debakel. Das kann schon seine Richtigkeit haben. Aber wenn mir etwas wirklich eine Herzensangelegenheit ist und ich als Partei fünf Jahre Zeit habe, dann kämpfe ich wie ein Wolf dafür – und nicht wie ein Papiertiger.

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