aufarbeitung

Rushdie über Attentat: "Warum habe ich mich nicht gewehrt?"

In seinem neuen Buch "Knife" arbeitet der Autor Salman Rushdie die Messerattacke auf ihn durch einen 24-Jährigen Islamisten auf. "Ich weiß nicht, an wem ich mich rächen soll."

Seit dem Attentat am 12. August 2022 in Chautauqua im US-Bundesstaat New York ist Salman Rushdie auf dem rechten Auge blind
Seit dem Attentat am 12. August 2022 in Chautauqua im US-Bundesstaat New York ist Salman Rushdie auf dem rechten Auge blind
Picturedesk
Newsflix Redaktion
Uhr
Anhören
Teilen

Am 12. August 2022 wollte der britisch-amerikanische Autor Salman Rushdie in dem kleinen Städtchen Chautauqua, im Südwesten des Bundestaates New York, einen Vortrag halten. Unmittelbar nach Beginn der Veranstaltung stürzte ein junger Mann auf die Bühne und attackierte den damals 75-Jährigen mit einem Messer. Der Attentäter, 24 Jahre alte Sohn libanesischer Einwanderer, der in sozialen Netzwerken mit islamistischem Extremismus sympathisiert hatte, stach 12 Mal auf Salman Rushdie ein und verletzte diesen lebensgefährlich, ehe er weggezerrt werden konnte. 27 Sekunden dauerte das Attentat.

Für immer Autor der "Satanischen Verse" Salman Rushdie, am 19. Juni 1947 in Bombay geboren, das damals noch zu Britisch-Indien gehörte, war bereits ein geachteter und hoch dekorierter Autor (u.a. Booker-Preis für "Mitternachtskinder"), als er mit seinem vierten Roman "Die satanischen Verse" über den Propheten Mohammed weltbekannt wurde. Denn der iranische Ayatollah Chomeini erließ Anfang 1989 eine Fatwa gegen Rushdie, ein religiöses Urteil, weil dessen Buch "gegen den Islam, den Propheten und den Koran" sei, und verurteilte Rushdie damit zum Tode. Und obwohl so gut wie alle anderen islamischen Staaten diesem Urteil widersprachen, musste Rushdie in der Folge viele Jahre unter strengem Polizeischutz an geheimen und immer wieder wechselnden Orten leben.

Produktiv und geachtet Seither hat der Autor elf weitere Romane, eine Autobiographie sowie zahlreiche Schriften verfasst und verlagerte im Jahr 2000 seinen Wohnsitz nach New York City, wo er seither kaum mehr bewacht wird. in seinem jüngsten Buch, "Knife", das dieser Tage erscheint, arbeitet Salman Rushdie das Attentat vom August 2022 und dessen Folgen und seine Rekonvaleszenz minutiös auf, gewährt bislang unbekannte Einblicke in sein Privatleben und widmet sich auch dem Attentäter, den er kurz "A." nennt – allerdings als Abkürzung für "Arschloch", wie der Autor selbst sagt.

Sekunden nach dem Attentat am 12. August 2022: Der Angreifer Hadi Matar, 24, wird von mehreren Personen von der Bühne geführt, Autor Salman Rushdie liegt am rechten Bühnenrand und ringt um sein Leben
Sekunden nach dem Attentat am 12. August 2022: Der Angreifer Hadi Matar, 24, wird von mehreren Personen von der Bühne geführt, Autor Salman Rushdie liegt am rechten Bühnenrand und ringt um sein Leben
AP / picturedesk.com

Das schreibt Rushdie in "Knife" über das Attentat

"Am 12. August 2022, einem sonnigen Freitagmorgen um Viertel vor elf, wurde ich von einem jungen Mann mit einem Messer angegriffen und beinahe getötet, nachdem ich gerade die Bühne des Amphitheaters in Chautauqua betreten hatte, um darüber zu reden, wie wichtig es ist, sich für die Sicherheit von Schriftstellerinnen und Schriftstellern einzusetzen." (…) Zu unserem Gespräch ist es nie gekommen. Wie ich schon bald herausfinden sollte, war das Amphitheater an diesem Tag kein sicherer Ort für mich.

Dieser Moment läuft noch immer wie in Zeitlupe vor mir ab. Mein Blick folgt dem Mann, der im Publikum aufspringt, losrennt und rasch näher kommt. Ich beobachte jeden einzelnen Schritt seines ungestümen Laufs, und ich sehe, wie ich mich aufrichte und zu ihm umdrehe. (Ich bleibe ihm zugewandt. Ich habe ihm nie den Rücken zugekehrt. Mein Rücken weist keine Verletzungen auf.) Um mich zu schützen, hebe ich die linke Hand. Er stößt das Messer hinein. Danach folgen noch viele Stiche – in meinen Nacken, meine Brust, in mein Auge, überallhin. Ich spüre, wie meine Beine nachgeben, und ich falle.

Salman Rushdie im "Stern"-Interview über:

Mit dem deutschen Magazin "Stern" sprach der Autor anlässlich des Erscheinens seines neuen Buchs exklusiv über sein neues Werk, wie es zustande gekommen ist, wie er überlebt hat und was er über seinen Attentäter denkt (das gesamte Interview finden Sie hier). Salman Rushdie über …

Den Optimismus in seinem neuen Buch "Knife"
"Wer würde schon ein Buch lesen wollen, in dem es nur um Dunkelheit geht? (…) Also musste ich mir überlegen, worüber schreibe ich eigentlich? Und so wurde es zu einer Geschichte über eine Art Kampf zwischen Liebe und Tod. Ich bin nicht gestorben, also hat die Liebe gewonnen."

Die Schwierigkeit, über seinen Beinahe-Tod zu schreiben
"Die ersten zwei, drei Monate waren sehr hart. (…) Interessant war: Es gab einen ersten Entwurf, dann habe ich mit meinem Lektor weitere drei Monate an einer endgültigen Version gearbeitet. (…) Er sagte mir: Nur sehr wenige Menschen haben die Möglichkeit, vom Beinahe-Sterben zurückzukommen und zu sagen, wie es war. Du solltest uns mehr darüber erzählen. Also habe ich auch darüber geschrieben."

Nur sehr wenige Menschen haben die Möglichkeit, vom Beinahe-Sterben zurückzukommen und zu sagen, wie es war
Salman Rushdie über sein neues Buch "Knife"

Den Attentäter nennt er im Buch nur "A."

In diesem Bericht will ich seinen Namen nicht nennen. Mein Angreifer, mein Attentäter, der Affenblöde, der Annahmen über mich machte, mit dem ich ein beinahe tödliches Aufeinandertreffen hatte ... Ich ertappe mich dabei, dass ich ihn in Gedanken, man möge es mir nachsehen, nur "Arschloch" nenne. Im Rahmen dieses Textes aber soll er schicklicherweise "A." heißen. Welche Namen ich ihm gebe, wenn ich allein zu Hause bin, geht nur mich etwas an.

Dieser "A." scheute die Mühe, sich über den Mann zu informieren, den er töten wollte. Seinen eigenen Worten zufolge hatte er kaum zwei Seiten aus meinen Büchern gelesen, sich aber einige Filme auf YouTube über mich angesehen – mehr war nicht nötig. Was die Schlussfolgerung zulässt: Worum auch immer es bei diesem Attentat ging, es ging nicht um "Die satanischen Verse". Worum es tatsächlich ging, das versuche ich in diesem Buch herauszufinden.

Rushdie im "Stern"-Interview über:

Die Fatwa und die "Satanischen Verse"
"Ich hasse das, ja. Denn ich hatte sehr hart gekämpft, um das hinter mir zu lassen. Die "Satanischen Verse" waren mein vierter veröffentlichter Roman. Mittlerweile habe ich 22 Bücher geschrieben. Und ich hatte immer gedacht, dass ich einfach immer weiterarbeiten und weiterschreiben muss, damit die Menschen mich wieder als Autor von Büchern sehen und nicht nur als Opfer einer Fatwa. Ich hatte das fast geschafft. Und jetzt bin ich wieder zurück auf Anfang."

Das Attentat
"Das klingt vielleicht verrückt, aber mir kam dieses Messer, diese Attacke in dem Moment der Tat seltsam anachronistisch vor. Weil ich das Gefühl hatte, dass sich die Welt weiterentwickelt hatte. Ich wusste immer, dass die Gefahr nicht weg ist, aber ich habe jahrelang das ganz gewöhnliche Leben eines Schriftstellers geführt. (…) Also fühlte sich dieses Attentat wirklich an wie etwas, das aus der fernen Vergangenheit stammte. Der Attentäter wirkte auf mich wie ein Zeitreisender, der in einer Zeitmaschine aus dem Jahr 1989 angekommen ist. Und der versucht, mich in dieses Jahr zurückzuziehen."

Den Attentäter
"Ich merkte, dass es mir half, mich mit ihm auseinanderzusetzen. Nicht so sehr als Schriftsteller, sondern als Mensch. Ich weiß wenig über ihn. Er hatte keine Vorstrafen. Er stand nicht auf irgendeiner Terroristen-Beobachtungsliste. Er ist ein Junge aus New Jersey. Von null auf Mord zu kommen ist ein ziemlich großer Sprung. Was er über mich in einem Interview sagte, deutet darauf hin, dass er fast nichts über mich wusste. Er sagte selbst, er habe etwa zwei Seiten von dem gelesen, was ich geschrieben habe."

Donald Trump
"Eine der Eigenschaften aller Fanatiker ist, dass sie keinen Sinn für Humor haben. Das ist bei Donald Trump oder Wladimir Putin übrigens nicht anders. (…) Es gibt hier in den USA Satire-Journalisten, die bewusst mit Trump-Leuten sprechen und sie in unglaubliche Widersprüche verwickeln. Wenn sie die darauf hinweisen, dass sie sich selbst widersprechen, macht das aber überhaupt keinen Eindruck. Es ist den Trump-Fans völlig egal."

Eine der Eigenschaften aller Fanatiker ist, dass sie keinen Sinn für Humor haben
Salman Rushdie über die Anhänger von Donald Trump

Aus dem Buch: "Der Tod kam auf mich zu"

Das Amphitheater hat viertausend Plätze. Es war nicht ausverkauft, aber doch ziemlich voll. (…) Ich saß auf der rechten Bühnenseite. Das Publikum spendete wohlwollenden Beifall. Ich weiß noch, dass ich eine Hand hob, um mich für den Applaus zu bedanken. Dann sah ich aus dem rechten Augenwinkel – das Letzte, was mein rechtes Auge je sehen würde – aus der rechten Seite des Sitzbereichs einen Mann in Schwarz auf mich zurennen. Schwarze Kleidung, schwarze Maske. Er kam so schnell und geduckt auf mich zu wie ein gedrungenes Geschoss. Ich erhob mich und sah ihn näher kommen. Ich habe nicht versucht fortzulaufen. Ich war wie erstarrt.

Dreiunddreißigeinhalb Jahre waren vergangen seit Ajatollah Ruhollah Chomeinis berüchtigter Todesdrohung gegen mich und all jene, die zur Veröffentlichung der "Satanischen Verse" beitrugen; und ich gestehe, während dieser Jahre habe ich mir manches Mal vorgestellt, wie mein Attentäter sich aus diesem oder jenem Publikum löst und auf ebendiese Weise mir entgegeneilt. Als ich nun die mordlüsterne Gestalt auf mich zustürzen sah, war mein erster Gedanke daher: Da bist du ja. Du bist es also. Der Tod kam auch auf mich zu, aber ich fand nichts Besonderes daran. Ich fand ihn nur anachronistisch.

Das war mein zweiter Gedanke: Warum heute? Echt jetzt? Es ist so lang her. Warum heute? Warum nach all den Jahren? Die Welt hatte sich doch gewiss weitergedreht, dieses Kapitel war längst abgeschlossen. Was da kam und sich so rasch näherte, war jedoch eine Art Zeitreisender, ein mörderischer Geist aus der Vergangenheit.

An diesem Morgen gab es im Amphitheater keine Security – warum nicht? Keine Ahnung –, er hatte also freie Bahn. Ich stand einfach nur da und starrte ihn an, stand da wie angewurzelt, ein Kaninchendepp im Scheinwerferlicht.

Das Messer habe ich nie gesehen, zumindest kann ich mich nicht daran erinnern. Ich weiß nicht, ob es lang war oder kurz, ein Messer mit breiter Bowieklinge oder schmal wie ein Stilett, gezackt wie ein Brotmesser, ein Krummdolch, das Klappmesser eines Straßenkids oder gar ein ganz gewöhnliches Tranchiermesser aus der Küche seiner Mutter. Es interessiert mich auch nicht. Sie war jedenfalls brauchbar, diese unsichtbare Waffe, und sie tat, was sie tun sollte.

Solidaritätskundgebung für Salman Rushdie in New York City, wenige Tage nach dem Messerattentat
Solidaritätskundgebung für Salman Rushdie in New York City, wenige Tage nach dem Messerattentat
Michael M. Santiago / AFP Getty / picturedesk.com

Rushdie im "Stern"-Interview über:

Religiöse Fanatiker
"Das ist der Punkt, an dem wir angelangt sind, und ich hätte das niemals für möglich gehalten, als ich ein junger Mensch in den 1960er-Jahren war. Damals stritten wir über Vietnam, aber doch nicht über Religion. Fast jedes westliche Land hat seine Blasphemie-Gesetze zum Glück abgeschafft. Vor ziemlich langer Zeit. Und jetzt ist das Thema auf einmal wieder da. (…) Einer meiner Erklärungsansätze ist, dass wir in einer Zeit leben, in der sich die Welt sehr schnell verändert, technologisch, sozial, wirtschaftlich. Viele Menschen macht das sehr nervös. Und so wird Religion zu einer konstanten, unveränderlichen, festen Sache, an die man sich klammern kann."

Cancel-Culture
"Um frei zu sein, muss man die Erwartung von Freiheit haben. Wenn du dir beim Schreiben Gedanken machst, ob du etwas sagen darfst oder nicht, dann bist du nicht frei. Ich mache mir große Sorgen um junge Autoren, die gerade erst mit dem Schreiben anfangen. Es gibt keine andere Möglichkeit, Schriftsteller zu sein, als über Menschen zu schreiben, die nicht so sind wie man selbst. Tun junge Autoren das heute aber, müssen sie immer den Vorwurf der 'kulturellen Aneignung' fürchten. Wenn du nur über Menschen schreiben darfst, die so sind wie du, ist die Kunst des Romans tot."

Meinungsfreiheit …
"Ich sage, was ich denke, weil ich zu alt bin, um mich noch zurückzuhalten. Wenn ich 50 Jahre jünger wäre, dann wäre es schwieriger. Ich kann zum Glück sagen: Fuck off. (…) Und wenn das jemandem nicht passt, dann ist das halt so. (…) Der Sinn der freien Meinungsäußerung ist, dass Menschen, die nicht mit dir übereinstimmen, genauso laut sprechen können wie du. Es ist einfach, die Meinungsfreiheit von Menschen zu verteidigen, mit denen man übereinstimmt oder denen man gleichgültig gegenübersteht. Aber du kannst nicht Menschen den Mund verbieten, die nicht so fühlen wie du."

… und Befindlichkeiten
"Leute werden die ganze Zeit durch alle möglichen Dinge beleidigt. Wenn Beleidigung ein Grund für Zensur wäre, könnte gar nichts mehr geschrieben werden. Wissen Sie, mich beleidigen auch schlechte Bücher. Mich beleidigt etwa, dass überall die Bücher von Dan Brown massenhaft ausliegen. Aber ich käme niemals auf die Idee, dass seine Bücher weggeräumt werden sollten. Der Vorteil von Buchhandlungen mit vielen Büchern ist doch, dass die Leute Bücher auswählen können, die sie lesen wollen."

Wenn Beleidigung ein Grund für Zensur wäre, könnte gar nichts mehr geschrieben werden
Salman Rushdie über die aktuelle Cancel Culture

Aus dem Buch: "Lebe, lebe".

Zuerst dachte Rushdie, er sei nur geschlagen worden. Doch dann begann Blut aus seinem Hals zu fließen. Der 27-sekündige Angriff hatte dem Autor eine tiefe Messerwunde an der linken Hand, Wunden in der Brust, eine Wunde auf der linken Seite seines Mundes, eine verletzte Leber und ein gequetschtes Herz zugefügt. Das Messer seines Angreifers schnitt auch bis zum Sehnerv eines Auges durch und machte es blind. Das Auge quoll aus der Augenhöhle und hing wie ein großes weichgekochtes Ei an meinem Gesicht herab. (…) Es war noch Tage später enorm aufgebläht. Die Schwellung war so stark, dass die Ärzte in diesen ersten Tagen nicht einmal wussten, ob ich noch ein Augenlid hatte.

Ich erinnere mich, wie ich auf dem Boden lag und die Blutlache sah, die sich von meinem Körper ausbreitete. Das ist eine Menge Blut, dachte ich. Später sagte ihm ein Arzt, er habe Glück gehabt, dass der Mann, der Sie angegriffen hat, keine Ahnung hatte, wie man einen Menschen mit einem Messer tötet. (…) Es stellte sich der Überlebensinstinkt ein, ein Teil von mir flüsterte: Lebe. Lebe. Rushdie ist Atheist und ich glaubt nicht an Wunder, aber meine Bücher tun es. (…) Und die Magie war Wirklichkeit geworden. Vielleicht haben meine Bücher mein Leben gerettet.

Unmittelbar nach dem Anschlag dachte man, dass Rushdie nicht überleben würde. Seine Frau, die Schriftstellerin Rachel Eliza Griffiths, und sein Agent Andrew Wylie kamen zu dem Schluss, dass sie keine sieben Stunden mehr Zeit hatten, um per Auto zu Rushdie zu gelangen, und mieteten um 20.000 Dollar ein Flugzeug, u zu ihm zu fliegen. IIm Krankenhaus wurde Rushdies Angehörigen gesagt, sie sollten sich auf das Schlimmste vorbereiten. Rushdies ältester Sohn Zafar, der die Nachricht in London erfuhr, weinte die ganze Nacht. Doch wie durch ein Wunder wachte Rushdie am nächsten Tag wieder auf. So begann der Genesungsprozess, der sich als ebenso schmerzhaft erweisen sollte wie der Angriff selbst.

Der Schriftsteller wurde eine Zeit lang künstlich beatmet. Als es dann entfernt wurde und ich wieder sprechen konnte, sagte ich, es sei, als hätte man den Schwanz eines Gürteltiers in den Hals geschoben bekommen.Und als es entfernt wurde, war es, als hätte man den Schwanz eines Gürteltiers aus dem Hals gezogen. Eine der Messerwunden in seinem Gesicht hatte den Speichelkanal in seinem Mund beschädigt, so dass Speichel aus seiner Wange sickerte – ein junger Arzt kam, um sich darum zu kümmern.Er drückte mir einen Streifen saugfähigen Stoffs ins Gesicht und kam zweimal am Tag vorbei ... langsam versiegte das Leck. Sein erblindetes Auge wurde zugenäht – lassen Sie mich Ihnen einen Rat geben, lieber Leser: Wenn Sie es vermeiden können, Ihr Augenlid zunähen zu lassen ... vermeiden Sie es. Es tut sehr, sehr weh.

Rushdie fragte sich auch, weshalb er sich nicht gegen den Angreifer gewehrt hat: Warum bin ich nicht weggelaufen? Ich stand einfach da wie eine Piñata und ließ zu, dass er auf mich einschlug. Bin ich so schwach, dass ich nicht den geringsten Versuch machen konnte, mich zu verteidigen? War ich so fatalistisch, dass ich bereit war, mich meinem Mörder einfach zu ergeben? Warum habe ich nicht gehandelt?

Salman Rushdie und seine Ehefrau, die Autorin Rachel Eliza Griffiths, bei der Verleihung der "Library Lions" in Manhattan am 6. November 2023
Salman Rushdie und seine Ehefrau, die Autorin Rachel Eliza Griffiths, bei der Verleihung der "Library Lions" in Manhattan am 6. November 2023
BFA / Action Press / picturedesk.com

Rushdie im "Stern"-Interview über:

Seine halbseitige Blindheit
"Das ist das Schlimmste für mich. Ich hatte und habe ziemlich viel Physiotherapie, damit ich besser damit umgehen kann, nur ein Auge zu haben. Aber es behindert mich immer noch. Auf dem Bürgersteig in New York laufen etwa alle sehr schnell und schauen dabei auf ihre Handys. Wenn du wie ich aber nicht sehen kannst, was hinter deiner rechten Schulter passiert, kannst du leicht mit Menschen kollidieren. Also verrenke ich mich jetzt immer, um irgendwie zu erahnen, was auf meiner rechten Seite passiert. (…) Es ist viel schwieriger für mich geworden zu lesen. Ich habe nie gern digital gelesen, ich habe immer gedruckte Bücher bevorzugt. Jetzt lese ich viel mehr auf dem iPad, weil es beleuchtet ist und ich die Größe der Schrift anpassen kann."

Seinen Ruhestand
"Als die Verletzungen zu heilen begannen und ich das Krankenhaus verlassen konnte, war ich lange noch sehr schwach. Oft war ich wirklich am Ende, ich musste mich erst mal ausruhen. In dieser Situation war es schwierig, sich das Schreiben überhaupt vorzustellen. Aber jetzt bin ich wieder dabei. Vielleicht bin ich doch süchtig danach? (…) Es gibt aber auch einen Teil von mir, der einfach am Fluss sitzen und ein Buch lesen möchte, ein Buch mit Gedichten. Der einfach nur ein friedliches Leben will."

Rachegedanken
"Ich weiß nicht, an wem ich mich rächen soll. Ich möchte, dass der Attentäter für eine wirklich lange Zeit ins Gefängnis geht. Aber ich weiß nicht einmal, wann sein Prozess ist. Wohl irgendwann im Herbst."

Salman Rushdies neues Buch "Knife", in dem er ein Messerattentat auf ihn aufarbeitet, erscheint diese Woche zeitgleich in verschiedenen Sprachen
Salman Rushdies neues Buch "Knife", in dem er ein Messerattentat auf ihn aufarbeitet, erscheint diese Woche zeitgleich in verschiedenen Sprachen
GILLES CLARENNE / AFP / picturedesk.com

Salman Rushdie "Knife – Gedanken nach einem Mordversuch", Penguin Books, 255 Seiten, € 25,70

Uhr
#Auszeit
Newsletter
Werden Sie ein BesserWisser!
Wissen, was ist: Der Newsletter von Newsflix mit allen relevanten Themen des Tages und den Hintergründen dazu.