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"Chef's Table" zeigt jetzt, wie Jamie Oliver alle einkochte
Die neue, bereits 11. Staffel der Kult-Kochshow "Chef's Table" auf Netflix porträtiert 4 Legenden der Hohen Küche und lässt sie mit eigenen Worten ihren Weg an die Spitze der Kulinarik-Welt erzählen. Ab sofort im Stream zu sehen.

"Essen müssen die Menschen immer." Der Klassiker unter den Stehsätzen stimmt natürlich – und doch ist Essen längst so viel mehr als ein reines Grundbedürfnis zur Lebenserhaltung. Kochen und Essen sind heute Pop, also integrale Bestandteile unserer Alltagskultur. Und Köche sind die Popstars der Gegenwart, mit Millionen Followern in den sozialen Medien und leidenschaftlichen Fans, die sich Kochbücher signieren lassen und Besuche in besonders begehrten Lokalen wie Hochämter zelebrieren.

Popstars am Herd Diesem Star-Status trägt die Netflix-Serie "Chef's Table" seit 2015 Rechnung. In bislang 10 Staffeln und 58 Episoden wurden Chefköche rund um den Globus porträtiert, von Guide-Michelin-Stars wie dem Italiener Massimo Bottura oder Grant Achatz bis zu Meistern in speziellen Bereichen der Gastronomie. Also etwa begnadete Pizzabäcker, herausragende Pasta-Chefs oder BBQ-Heros.
Legenden unter sich Die neueste Staffel von "Chef's Table" mit dem Untertitel "Legends" widmet sich 4 bekannten Persönlichkeiten der internationalen Kulinarik, die ihre Kunst stets auch mit sozialen Anliegen verbanden. In 4 jeweils etwa 45-minütigen Episoden werden sie ausführlich vorgestellt, nämlich der Brite Jamie Oliver, der aus Spanien stammende und seit 30 Jahren in den USA tätige José Andrés sowie die Amerikaner Thomas Keller und Alice Waters.
Kochen ist cool Niemand steht derzeit vermutlich stärker für die Popularisierung des Kochens als gemeinschaftliches Erlebnis als Jamie Oliver. Seit seinem Durchbruch mit der Serie "The Naked Chef" im Jahr 1999 galt Kochen plötzlich als cool (sogar für junge Männer) und als "Lifestyle", fernab von elitären Fine Dining-Codes oder langweiliger Hausmannskost. Umso bemerkenswerter ist, dass ausgerechnet ein Brite diese globale Revolution anfachte, gilt doch das Essen auf der Insel seit jeher als das Gegenteil von gut.
Vom Pub zu Weltruhm Oliver ging es bei seinen Unternehmungen aber nicht nur um gutes Essen, er verband seine Leidenschaft immer mit sozialen Botschaften. Dabei war sein Auftieg zum Superstar purer Zufall, wie Episode 1 von "Chef's Table: Legends" illustriert: Das Kochen lernte Jamie Oliver im Pub seiner Eltern, entdeckt wurde er durch Zufall bei einer BBC-Doku über das Restaurant, in dem er mit Mitte 20 jobbte. Nach der Ausstrahlung läutete das Telefon Sturm, TV-Sender rissen sich um den charismatischen jungen Mann.

Durchbruch über Nacht In seiner ersten Serie "The Naked Chef" präsentierte Jamie Oliver erstmals seinen lockeren, unkomplizierten Zugang zum Kochen. Die Idee dahinter: Die Gerichte sollten für jeden einfach, ohne Vorwissen und ohne lange Einkaufsliste umsetzbar sein. Die Serie war ein Hit, das dazugehörige Kochbuch ebenso. Oliver wurde über Nacht zum Weltstar – mit allen Begleiterscheinungen.
Sozialer Wandel durch Kochen Nach den ersten, hektischen Jahren im Rampenlicht entschloss sich Jamie Oliver, seinen Einfluss und seine Bekanntheit für soziale Projekte einzusetzen. Er eröffnete das Restaurant "15" in London, dessen Belegschaft aus Jugendlichen mit Schulproblemen bestand (der an Dyslexie leidende Koch fühlte sich ihnen besonders verbunden).
Millionen vom Staat Danach nahm er sich das britische Schulessen vor, das einen miserablen Ruf hatte. Am Ende verpflichtete sich der damalige Premier Tony Blair zur Investition dreistelliger Millionensummen, um drittklassigen "Kantinenfraß" aus Schulen zu verbannen.

Aufs und Abs Doch Oliver erzählt auch, dass der Weg nicht nur steil nach oben ging: Der schnelle Ruhme wurde zur Belastung für ihn und seiner Familie. Nach wirtschaftlichen Problemen verlor er alle seiner Lokale und musste den Großteil der Belegschaft entlassen. Die genauen Umstände von Jamie Olivers Pleite spart "Chef's Table: Legends" allerdings größtenteils aus.
Spanischer Botschafter Ihr soziales Engagement verbindet Jamie Oliver und José Andrés, dem Protagonisten der 2. Episode. Der Nordspanier wurde nach seinen Lehrjahren in Barcelona so etwas wie der "offizielle Botschafter" der spanischen Küche in den USA, erst in New York, dann in Washington DC, am Ende im ganzen Land. Inzwischen hat Andres ein ganzes Imperium mit über 40 Restaurants aufgebaut, die alles – von traditioneller spanischer Küche bis zur Molekularküche – kredenzen.

Essen für Krisenopfer Globale Bedeutung erlangte Andreés aber als Gründer von World Central Kitchen, einer karitativen Organisation, die Betroffene in Kriegs- und Katastrophengebieten mit gutem Essen versorgt. Andrés selbst steht dabei oft an vorderster Front, sei es bei Einsätzen in der Ukraine, im Gaza-Streifen oder nach Hurricanes und anderen Naturkatastrophen. 2019 wurde er dafür sogar für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen.
Harter Weg zur Spitze Episode 3 widmet "Chef's Table: Legends" Thomas Keller, dem einzigen US-Chef mit zwei 3-Michelin-Sterne-Restaurants ("The French Laundry" und "Per Se"). Keller gilt heute als bedeutendster US-Koch überhaupt, der der Hohen Küche in den Staaten den Weg bereitete und bis heute vielen aufstrebenden US-Köchen als Vorbild gilt. Dabei war Kellers Weg zur Spitze weder vorgezeichnet noch einfach, wie er selbst erzählt.

Cuisine française für die USA Aufgewachsen in einfachen Verhältnissen, war sein erster Kontakt zum Kochen als Aushilfe seiner Mutter bei ihrem Restaurant-Job. Anfangs war Keller wenig begeistert von seiner Nebenbeschäftigung, doch mit der Zeit wuchs das Interesse. Nach Reisen nach Frankreich, traditionell das Mekka guten Essens, wollte Keller die französische Küche in die USA holen.
Staying on top Doch seine ersten Unternehmungen scheiterten, er überwarf sich mit Restaurantbesitzern, Kollegen und Mitstreitern, wurde mehrfach gefeuert, verbrachte oft nur kurze Zeit in den Lokalen. Erst der Erwerb der "French Laundry" ebnete Kellers Weg zum dauerhaften Erfolg und etablierte ihn als einen der wichtigsten Köche der Gegenwart. Später kam das "Per Se" in New York hinzu, seit vielen Jahren gehören beide Lokale zu den besten der Welt.

Farm to table Die letzte Episode befasst sich mit Alice Waters. Sie gilt als Erfinderin des "Farm to table"-Prinzips, das heute als Nonplusultra nachhaltiger Kulinarik gilt. Das war nicht immer so: Bei ihren Anfängen mit ihrem Lokal "Chez Panisse" in Kalifornien galt Waters' Zugang einerseits als revolutionär, wurde von vielen aber auch kritisch beäugt. Waters baute auf ein Netzwerk lokaler Produzenten, wollte wissen, woher ihre Zutaten kamen und wie sie entstanden sind. Ihr idealistisches Ziel: Gesundes Essen für alle.
California Cuisine Waters' Restaurant wurde zum zentralen Treffpunkt der Gegenkultur der 1970er-Jahre, doch ihr unkonventioneller Zugang ohne hierarchisches Machtgefüge in der Küche führte zu Problemen. Waters' Vision überlebte trotzdem – und heute gilt sie als Vorreiterin für nachhaltiges, gesundes Essen und Erfinderin der "California Cuisine" mit Wirkung weit über ihre Heimat hinaus.

Selbstbeweihräucherung? "Chef's Table" lässt in der neuen Staffel vor allem die "Legenden" selbst zu Wort kommen. Sie dürfen ihre Geschichten so erzählen, wie sie wollen. Gerade im Fall der Oliver-Episode fehlt dann allerdings auch die kritische Einordnung. Die befragenden Journalisten werden zu Stichwortgebern degradiert, eine gewisse Einseitigkeit der Darstellung kann man nicht verleugnen.
Warum gerade sie? Manche Zuseher könnten auch die Frage stellen, wie die Auswahl an Porträtierten zustande kam und weshalb genau diese 4 Persönlichkeiten als "Legenden" ausgewählt wurden und andere nicht. Andererseits, bei der Dichte an Spitzenköchen ist diese Frage ohnedies immer relevant – oder auch obsolet, je nach Blickwinkel.

Zu viel gewollt Mit dem Fokus auf dem gesellschaftlichen Einfluss der Porträtierten geht es diesmal auch weniger um die Kochkunst an sich. Die 4 Episoden versuchen, persönliche Lebensgeschichte, Kochstil und soziales Engagement zu vereinen, aber nicht immer geht die Rechnung auf. Am besten bleibt die Serie dann, wenn sie sich auf die kulinarischen Künste ihrer Protagonisten konzentriert.
Fazit So kann "Chef's Table: Legends" qualitativ auch nicht an die bisherigen Staffeln anschließen, was auch daran liegt, dass die Serie ihren Zenit vielleicht schon überschritten hat. Man wird sehen, was sich Schöpfer David Geld als nächstes einfallen lässt. Als Dokumentation der Schnittstellen zwischen Essen, Kochen und sozialem Wandel sind die neuen Folgen nichts desto trotz wertvoll.
"Chef's Table: Legends", Koch-Dokumentation. USA 2025, 4 Episoden à ca. 45 Minuten, Netflix