In Österreich ist Yoga schon so beliebt wie Skifahren. Ein neues Buch aus Deutschland schreckt nun auf. Zwei Reporterinnen trafen die Opfer einer Yogasekte, die Frauen kontrolliert, manipuliert und zu Tantra-Sex gezwungen haben soll. Das steckt dahinter.

73 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher betreiben zumindest einmal pro Woche Sport, ergab eine Befragung im Auftrag von Ö3. Yoga wird dabei immer beliebter, stellte sich in der Studie heraus. Schon 19 Prozent gaben an, die Übungen zur Entspannung regelmäßig zu betreiben, Yoga ist damit beliebt wie Skifahren, immerhin seit Generationen Volkssport.
Aber der Trend hat auch seine dunklen Seiten und denen wird nun im frisch erschienen Buch "Toxic Tantra" (Econ Verlag, 20,60 Euro) nachgegangen. Die Journalistinnen Christiane Hawranek und Katja Paysen-Petersen dokumentieren erschütternde Fälle spirituellen Machtmissbrauchs in der internationalen Yogasekte Atman.
Was als Yogakurs begann, endete für Frauen in Abhängigkeit und Missbrauch. Sie suchten Entspannung, Sinn und Gemeinschaft - und fanden sich in einem System aus Kontrolle, Isolation und Fremdsteuerung wieder.
Nach außen wirkt Atman wie eine ganz normale Yogaschule. Sanfte Musik, Gruppenkurse und Meditation - doch laut Recherchen der Autorinnen soll sich hinter der Fassade ganz etwas anderes verbergen: Betroffene erzählen, dass sie überredet wurden, Bikini-Bilder zu machen, sie haben auch sogenanntes "Love Bombing" erfahren.

Was man aus dem "Dating"-Leben vielleicht kennt, wurde bei Atman mutmaßlich zur Masche: Mit Wärme und Aufmerksamkeit wurde eine Art Recruiting-System erschaffen. Eine der zentralen Stimmen im Buch - Lilly* - wurde nach den Aufnahmen nach Paris eingeladen. Dort sollte auf die ein "exklusiver Tantra-Workshop" auf sie warten.
Lilly schildert das so: Am Weg seien ihr das Handy sowie die Geldbörse weggenommen wurden. Vor Ort erwarteten sie statt Meditation stundenlange sexualisierte Rituale. Wer sich weigerte, wurde bedroht. Wer blieb, war bereit für die "Erleuchtung". Lilly teilt das Schicksal mit zahlreichen anderen Opfern.
Die Recherche begann mit einer einzigen Betroffenen, sie kontaktierte die beiden deutschen Journalistinnen. Die junge Frau erzählte voller Scham ihre ganzen Erlebnisse mit der Yogasekte. Was zu Beginn als erfüllender, heilender Workshop geplant war, soll bei einem Guru geendet haben - eingesperrt wochenlang in einer Art Jugendherberge in Paris.
Über Jahre lang sammelten Hawranek und Paysen-Petersen Beweise, interviewten 45 Aussteiger und Aussteigerinnen, sichteten Unterlagen und Fotos - das Ergebnis: "Toxic Tantra". Das Buch behandelt neben den persönlichen Geschichten auch die Thematik der psychologischen Kontrolle.

Die Frage, die sich viele stellen: Wie kann man so etwas überhaupt zulassen? Wie geraten gebildete, selbstbewusste Frauen in solche Strukturen und wie verfangen sie sich darin?
"Weil es am Anfang nie als Sekte beginnt. Mit Heilversprechen und einem Gefühl der Gemeinschaft passiert es schleichend", sagt Hawranek. Viele der Frauen suchen vor allem bei Einsamkeit, Arbeitsstress, Liebeskummer oder auch Burn-out nach Heilung. Die Sehnsucht wird so zur Mausefalle.
Das Buch lässt vor allem drei Frauen ausführlich zu Wort kommen. Neben Lily sind das Azrael und Miranda. Sie wird zu einem Yogafest eingeladen. "Ein bisschen wie Woodstock, aber eben nur für Yogis", wird ihr vorgeschwärmt.
Vor der Abfahrt erledigt sie alles, was ihr aufgetragen wurde. Sie macht einen HIV- und einen Syphilis-Test, gibt ein Nacktfoto von sich ab. In ihre Tasche packt sie nur das Nötigste, auch erotische Dessous.
In Contineşti, Rumänien, landet sie in einem Haus mit blickdichtem Blechzaun. Sie bekommt einen "Camp-Pass", das Handy muss sie abgeben, dann mit der Hand auf die Bibel einen Eid ablegen: "Hiermit schwöre ich feierlich, dass ich niemandem erzählen werde, was in der Villa passiert. Wenn ich meinen Schwur breche, werde ich die spirituellen und gesundheitlichen Konsequenzen meiner dämonischen Taten tragen."

Die Stimmung im Haus ist sexuell aufgeladen, Miranda bleibt zwei Wochen. Sie erlebt, wie der spirituelle Lehrer Gregorian Bivolaru, fast gottähnlich angebetet wird. Bevor die die Villa betreten darf, wird sie gefilmt. Nackt. Damit der Guru, also Bivolaru, ihre Aura lesen kann, wird ihr gesagt.
In der Villa befinden sich nur Frau, um die 150 schätzt Miranda. Sie hat den Eindruck, "viele wurden dort gezielt auf ein Treffen mit Gregorian Bivolaru vorbereitet."
Nach dem Sommercamp in Contineşti ist bei Miranda das Brainwashing vollzogen. Sie hat Gregorian Bivolaru als ihren Guru akzeptiert. Dann erhält sie eine Einladung zu einem Treffen mit ihm.
Sie wird in ein Haus nach Paris gebracht, ihr Gepäck untersucht, Handy, Kreditkarte und Pass muss sie abgeben. "Wir wollen ja nicht, dass diese Objekte das Energiefeld hier im Haus stören, wird ihr gesagt.
Miranda bekommt genaue Verhaltensregeln vorgeschrieben. "Sie lässt Fotos von sich machen, nackt, mit ihrem Geburtsdatum darauf. Sie lässt ein Video von sich machen, nackt, für das sie von allen Seiten gefilmt wird. Für Greg", heißt es im Buch. Ihren eigenen Willen hat sie da schon abgegeben.
Dann trifft sie den mittlerweile über 70-Jährigen Bivolaru, "You are next", sagt er zu ihr. Sie fühlt sich ihm abgestoßen. "Aber dann hatte ich eine Stimme in meinem Kopf, die mir gesagt hat: Sei nicht so oberflächlich. Das hier ist Teil deiner Erleuchtung."
Sie hat Sex mit dem Guru, nach genauen Regeln. "Ehrlich gesagt, es hat mir keinen Spaß gemacht", erzählte sie den Autorinnen. "Es war … ich habe mich gefühlt, als wäre ich außerhalb meines Körpers."
Am Ende muss sie eine lange Erklärung unterschreiben. "Ich erkläre hiermit uneingeschränkt und aus freiem Willen, dass ,,ich weder von Grieg noch von einer anderen Person vergewaltigt wurde."
Der Erfolg solcher Gruppen ist kein Zufall. Sie bedienen gesellschaftliche Muster - zum Teil auch Schönheitsideale und weibliche Selbstaufopferung. Das sogenannte "People Pleasing", wie es Hawranek erklärt, ist besonders bei Frauen stärker verankert. "Frauen lernen sich früh, anzupassen, zu gefallen und zu funktionieren. Und das wird in spirituellen Praktiken als Hingabe verkauft".
Das Resultat ist, dass sich die Betroffenen nicht trauen, auszusteigen - aus Angst aber auch Scham. Sie glauben, versagt zu haben. Nicht sinnlich oder stark genug gewesen zu sein. Das jedenfalls geht aus den Geschichten der Atman-Aussteigerinnen hervor. Und die Täter nutzen genau diese Scham für sich aus.

Damit kein Missverständniss entsteht: die Rede ist hier von schwarzen Schafen. Natürlich ist nicht jede Yogaschule oder Spiri-Gruppe gefährlich, viele machen gute Arbeit. Es gibt klare Anzeichen, um seriöse Standorte zu erkennen. Diese sogenannten "Green Flags" werden in "Toxic Tantra" ebenfalls beschrieben.
Dazu gehört Transparenz - Regeln und Abläufe sollen offen kommuniziert werden. Jede Übung sollte mit Zustimmung passieren - für das sogenannte "Hands-on" muss also vor einer Praxis von dem Lehrer oder der Lehrerin eine Einverständnis eingeholt werden.
Die Praktizierenden sollten auch hellhörig werden, wenn Geheimhaltung gefordert wird. In einem sicheren Rahmen gibt es auch keine "Auserwählten" oder strenge Hierachien, sondern es wird Gleichberechtigung großgeschrieben. Und: Respekt vor Grenzen.

Atman ist ein Extrembeispiel - aber kein Einzelfall. Weltweit gibt es ähnliche Gruppen, die besonders durch Social Media ihr "Publikum" schneller finden, als je zuvor.
"Toxic Tantra" ist kein Angriff auf Yoga, sondern ein Weckruf. Einer der zeigt, dass man trotz Wunsch nach Selbstfindung kritisch denken sollte. Die Geschichten der Betroffenen erinnern daran, dass echte Heilung nichts fordert, sondern stärken soll.
* Name geändert
"Toxic Tantra, Machtmissbrauch und Manipulation im Yoga", 336 Seiten, Econ Verlag, erschienen am 30. Oktober 2025, 20,60 Euro