POLIT-EXPERTE PETER HAJEK

"Die KPÖ ist plötzlich eine Alternative geworden"

Die neue Umfrage, 190 Tage vor der Wahl: Sieben Parteien im Parlament, die FPÖ vorn, die ÖVP ein Rätsel. Polit-Experte Peter Hajek analysiert.

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Das scheint in Stein gemeißelt: Am 29. September wählt Österreich einen neuen Nationalrat und es wird immer unübersichtlicher. Nach der jüngsten Umfrage könnten es diesmal nämlich gleich sieben Parteien ins Parlament schaffen. Die Regierungsbildung wird zur Herausforderung, vielleicht ist sogar eine Koalition aus vier Parteien nötig. Das Institut "Unique Research" hat die Umfrage im Auftrag von "Heute" erstellt (hier geht es zu den Rohdaten). 800 Österreicherinnen und Österreicher wurden zwischen 18. und 21. März im Mix Online und Telefon befragt, die maximale Schwankungsbreite beträgt +/- 3,5 %. Die Hochschätzung der einzelnen Parteien im Vergleich zu Nationalratswahl 2019:

So würde Österreich im Moment wählen

  • FPÖ: 30 Prozent (+ 13,8 %)
  • SPÖ: 21 Prozent (- 0,2 %)
  • ÖVP: 21 Prozent (- 16,5 %)
  • Grüne: 8 Prozent (- 5,9 %)
  • Neos: 8 Prozent (- 0,1 %)
  • Bierpartei: 7 Prozent (+ 6,9 %)
  • KPÖ: 5 Prozent (+ 4,3 %)
Peter Hajek, Meinungsforscher, Politologe, Uni-Lektor und Politik-Experte
Peter Hajek, Meinungsforscher, Politologe, Uni-Lektor und Politik-Experte
Helmut Graf

Für Newsflix analysiert Peter Hajek die Umfrage: Ob die FPÖ schon fix Erster ist, warum er glaubt, dass die ÖVP besser liegt als vermutet, welche Auswirkungen das Aufleben der Kleinparteien für alle hat. Peter Hajek über:

Was an der neuen Umfrage auffällt
Die KPÖ. Sie liegt schon in den Rohdaten bei starken vier Prozent.

Was die Gründe dafür sind
Es gibt sicher einen medialen Effekt. Durch die Berichterstattung über die KPÖ und die Beschäftigung mit Kay-Michael Dankl hat die Partei eine unglaubliche Breite bekommen.

Was das für den Wahlkampf heißt
Das ist unklar, vor allem, ob Spitzenkandidat Tobias Schweiger das verfestigen kann. Dankl ist inzwischen eine bekannte Größe, Schweiger aber vielen unbekannt. Man darf aber nicht unterschätzen, welche Auswirkungen die viele Berichterstattung auf die relevante Zielgruppe hatte. Die KPÖ ist plötzlich für sehr bewegliche Wählergruppen eine Alternative geworden.

Wo die fünf Prozent für die KPÖ herkommen
Wenn wir das mit den Wahlen 2019 vergleichen, dann natürlich von der SPÖ, aber auch sehr stark von Grün-Wählern. Es sind sogar ein paar FPÖ-Wähler dabei, die KPÖ holt also Protestpotenzial ab.

Ob die KPÖ nun auch im Bund auf Dankl setzen müsste
Abgefragt haben wir die KPÖ mit Tobias Schweiger. Aber ich denke, dass Dankl auch im Bund nach der Salzburg-Wahl stark eingebunden wird. Er hat das ja im Interview mit Armin Wolf schon anklingen lassen. Er wird eine Art Solidaritäts-Kandidatur machen, sich also auf einen hinteren Platz der Liste für die Nationalratswahl setzen lassen und es wird gemeinsame Veranstaltungen geben.

Bürgermeisterkandidat Kay-Michael Dankl (KPÖ Plus) wird auch bundespolitische eine Rolle spielen
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Was die KPÖ-Zuwächse für die anderen Parteien bedeuten
Die KPÖ legt deshalb zu, weil der Kommunismus für viele in Österreich seinen Schrecken verloren hat und deshalb wählbar geworden sind. Aber ein Grund ist auch, dass die Wähler mittlerweile sehr mobil geworden sind, und es auf der anderen Seite weder den Sozialdemokraten, noch die Grünen gelingt, ausreichend Wählersegmente nachhaltig an sich binden.

Wie viele Wählerinnen und Wähler sich schon entschieden haben
Dafür muss man sich die sogenannte Second-Choice-Frage anschauen. Also die Menschen nennen uns die Partei, die sie wählen wollen, und wir haken nach, welche andere Partei noch für sie in Frage käme. In der aktuellen Umfrage sagen 36 Prozent, dass für sie keine andere Partei wählbar erscheint.

Wie viele fixe Wähler die Parteien haben
Das ist sehr unterschiedlich. Während die Sozialdemokraten, die Grünen und die Neos eine hohe Mobilität haben, ist das bei den Freiheitlichen ganz anders. Bei der Second-Choice-Frage haben uns 58 Prozent der FPÖ-Wähler geantwortet, dass für sie keine andere Partei in Frage kommt. Bei den Sozialdemokraten waren das nur 28 Prozent, bei Neos nur 19 Prozent, bei den Grünen überhaupt nur acht Prozent. Die ÖVP liegt da mit 39 Prozent richtig gut.

Was die neue Umfrage für die Bierpartei bedeutet
Sie kommt unter Druck. Im Vergleich zur letzten Befragung haben sie leicht verloren, liegt aber immer noch bei soliden sechs bis sieben Prozent.

Was die Gründe dafür sind
Mehr Konkurrenz, etwa durch die KPÖ, auch im Segment Protestwähler. Die Kommunisten haben durch Dankl auch ein klareres Profil bekommen, das fehlt bei der Bierpartei.

Was an der Umfrage grundsätzlich auffällt
Wir reden im Moment von sieben Parteien im Parlament.

Was die 30 Prozent für die FPÖ bedeuten
Sie hat im Vergleich zur letzten Umfrage zwei Prozentpunkte verloren. Das sind aber arithmetische Veränderungen, weil andere Parteien wie BIER oder KPÖ hinzugekommen sind. Was uns mit Unsicherheit erfüllt: Die FPÖ war bei den letzten vier Landtagswahlen überall ein bisschen überdeklariert, es haben sich also mehr Menschen zu ihr bekannt, als sie dann gewählt haben. Wir wissen nun nicht, ob das auf Bundeseben auch so ist.

Ob die Nationalratswahl schon entschieden ist
Nein, aber die Freiheitliche Partei hat die allerbesten Karten.

Wird Österreichs Kanzler Karl Nehammer (hier mit Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni) in Umfragen unterschätzt?
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Warum die ÖVP nicht zulegen kann
Bei ihr ist unklar, ob sie nicht unterdeklariert ist. Bei den letzten Landtagswahlen war das überall so. Wenn sich das fortsetzt, dann müssten die ÖVP eigentlich bei 23 oder 24 Prozent liegen. Das würde das Bild schon gewaltig ändern, weil dann die FPÖ niedriger liegen müsste.

Wie sich die Parteichefs in der Kanzlerfrage schlagen
Karl Nehammer liegt in der Kanzlerfrage mit hochgerechneten 25 Prozent über seiner Partei, aber er kann den Kanzlerbonus nicht voll ausspielen, weil Herbert Kickl vor ihm liegt. Das ist doch sehr erstaunlich. Aber natürlich ist es problematisch, wenn dauernd irgendwo eine Gerichtsverhandlung ist. Das sage ich auch zu jedem, der über ein Comeback von Sebastian Kurz fabuliert: Viel Spaß!

Ob die SPÖ ebenfalls undeklariert ist
Ich denke nicht. Das Problem für die Sozialdemokraten ist, dass sie eine ganz, ganz klassisch linke, sozialdemokratische Wirtschafts- und Sozialpolitik machen, damit aber zu den Menschen nicht durchstoßen. Das war diese Woche gut zu sehen. Sie werfen einfach so 20 Milliarden Euro für einen "Transformationsfond" in den Ring. Wem dieses Wording eingefallen ist, würde ich gern wissen.

Warum die Neos nicht mehr von der Situation profitieren
Acht Prozent sind für eine liberale Partei respektabel, vor allem wenn man sich in Europa umschaut. Und: Es gibt einfach mehr Parteien, der Kuchen wird kleiner.

Ob den Neos nicht auch ein klares Profil fehlt
Es wurde zumindest in den letzten Jahren nicht geschärft. Ich glaube, wenn ich in 20 Jahren darüber Umfragen mache, was den Leuten an den Neos gefällt, dann bekomme ich auch noch am häufigsten  "frischer Wind" genannt.

FPÖ-Parteichef Herbert Kickl bleibt auch in der neuesten Umfrage über der 30-Prozent-Grenze
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Was die acht Prozent über die Grünen aussagen
Sie werden unter Wert geschlagen, weil wir wissen, dass das Thema Umweltschutz in vielen, vielen Bereichen der Bevölkerung ein wichtiges ist. Aber sie bekommen von links halt immer mehr Konkurrenz.

Was die Umfrage-Resultate für mögliche Koalitionen bedeuten
Für eine Zweierkoalition kann es mehr als eng werden. FPÖ-SPÖ ist sowieso auszuschließen beim Stand der Dinge, aber auch für FPÖ-ÖVP wird es knapp. Dann wird es wirklich spannend, aber ich halte in diesem Bereich von Spannung gar nichts.

Ob es also auf eine Dreierkoalition hinausläuft
Ziel muss eine stabile Regierung sein. Ich habe die Sorge, dass wir auf israelische Verhältnisse zusteuern, also alle zwei Jahre, wenn nicht sogar häufiger, gewählt wird. Wenn ich mir die Umfrage anschaue, dann ist ja nicht einmal eine Dreierkoalition gesichert.

Peter Hajek ist Geschäftsführer und Eigentümer von "Unique Research", promovierter Politikwissenschafter und akademisch geprüfter Markt- und Meinungsforscher. Er beschäftigt sich seit 25 Jahren mit empirischer Sozialforschung. Lehraufträge an Universitäten, Fachhochschulen.

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