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"Drohnen, Roboter, KI werden Kriege bestimmen"

TV-Experte Markus Reisner, Oberst beim Bundesheer, über den Ukrainekrieg, sorglose Österreicher und warum Tom Cruise gegen den Terminator chancenlos ist.

"Ukraine-Erklärer": Markus Reisner ist Oberst beim Bundesheer und häufiger Interview-Partner im TV und in anderen Medien
"Ukraine-Erklärer": Markus Reisner ist Oberst beim Bundesheer und häufiger Interview-Partner im TV und in anderen Medien
Picturedesk, ZDF (Montage)
Christian Nusser
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Markus Reisner ist promovierter Historiker und Rechtswissenschafter. Der Oberst des Österreichischen Bundesheeres leitet seit 1. März 2024 das Institut für Offiziersausbildung an der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt. Er hat Auslandseinsätze in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo, in Afghanistan, im Tschad, im Irak und in der Zentralafrikanischen Republik absolviert, war aus Studiengründen mehrmals in Moskau, hat zahlreiche Fachbücher geschrieben. Die meisten kennen ihn von den vielen TV-Auftritten im Fernsehen in Österreich und Deutschland sowie aus Interviews in anderen Medien. Oberst Markus Reisner über:

Wie sein Terminplan momentan ausschaut
Ja, der hat tatsächlich eine interessante Entwicklung genommen über die letzten zwei Jahre. Das ist natürlich den Ereignissen geschuldet. Ich bin im Moment recht viel unterwegs.

Wie ein Historiker zum Bundesheer kommt
Geschichte war immer schon meine Profession und mein Hobby. Darum habe ich mir beim Studium nicht schwer getan, ich habe wirklich alles aufgesogen. Gleichzeitig wollte ich auch immer zum Bundesheer.

Wo seine Wurzeln liegen
Ich komme aus der Buckligen Welt, bin 1978 geboren und als Bub aufgewachsen mit den Übungen des Bundesheeres, das hat mich immer sehr positiv beeindruckt. In Wiener Neustadt sind meine Eltern mit meinem Bruder und mir immer zur jährlich stattfindenden Ausmusterung hingegangen. So hat sich das ergeben.

Wie sein Umfeld die Entscheidung aufgenommen hat
Ich habe die HTL besucht und als ich mitgeteilt habe, ich will Offizier werden, haben alle gesagt, ich bin verrückt. Aber ich bereue meine Berufswahl überhaupt nicht, das Bundesheer hat mir die Welt gezeigt.

Wie er für Medien zum Experten wurde
Als im Raum stand, dass die Russen tatsächlich in der Ukraine einmarschieren werden, wurde im Verteidigungsministerium eine kleine Gruppe von Experten gebildet und ich durfte dabei sein, vor allem aufgrund des Wissens, das ich über die letzten Jahre angehäuft habe. Es war eine strategische Entscheidung: Wenn es jetzt wirklich zu dieser Eskalation kommt, dann ist es unsere Pflicht, die Bevölkerung rasch und umfänglich zu informieren.

Wie Lagebilder erarbeitet werden
Ich habe aufgrund meiner militärischen Ausbildung einen ganz anderen Blick auf Vorgänge. Das heißt, ich kann etwa aus der Analyse von Videos schon viele Ableitungen treffen. Seit Krieg ist, sitze ich also fast jeden Tag bis spät in der Nacht da, schaue mir in den sozialen Netzwerken unterschiedliche Videos an, sehe Berichte durch. Ich spreche so gut Russisch, dass ich auch auf die andere Seite des Hügels blicken kann. Daraus ergibt sich ein vollumfängliches Bild.

Diese Kampfdrohne wurde bei einem Test vor Olympia 2024 von der französischen Abwehr abgeschossen
Diese Kampfdrohne wurde bei einem Test vor Olympia 2024 von der französischen Abwehr abgeschossen
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Was dieses Bild aussagt
Es lässt eine Vorausschau für zwei Tage zu und das ist wahrscheinlich auch der Erfolg meiner Analyse. Ich versuche, stets objektiv, neutral und wertfrei zu sein und weise immer wieder auf die Dinge hin, die wir sonst aus meiner Sicht immer schöngeredet haben.

Aus welchen Quellen Informationen stammen
Ich konzentriere mich darauf, was Open Source zur Verfügung stellt, und das ist eine Menge. Das 21. Jahrhundert hat einen entscheidenden Unterschied zum 20. Jahrhundert. Wenn sie Zeit investieren, können sie jetzt bis tief in jeden Frontabschnitt eintauchen. Jeder Mensch ist mit seinem Telefon faktisch ein Sensor, er möchte sich mitteilen und filmt und damit bekommen sie natürlich über die Zeitachse ein gutes Lagebild.

Warum er Russisch spricht
Das habe ich mir aus eigenem Interesse angeeignet, und zwar im Zusammenhang mit meinen ersten Einsätzen an der Grenze im Rahmen des Assistenzeinsatzes. Zu meiner Zeit sind viele Staatsbürger aus osteuropäischen Ländern gekommen. Um die Situation in der Kommunikation zu entschärfen, habe ich begonnen, mir Russisch beizubringen.

Was Krieg heute bedeutet
Wir sehen eine zunehmende Autonomisierung in der Kriegsführung, in der Drohnen, Roboter, künstliche Intelligenz Kriege bestimmen werden. Es ist schon bestürzend: Viele Sachen, die ich 2018 in einem Buch beschrieben habe, bei denen ich in der Einleitung gehofft habe, sie mögen nie wahr werden, finden mittlerweile tatsächlich statt. Wenn sie jetzt in die Ukraine schauen, da haben in den letzten Wochen Roboter gegeneinander gekämpft, Drohnen sich gegenseitig vom Himmel heruntergeholt. Das ist natürlich ein Fingerzeichen in eine Zukunft, die möglicherweise von den Maschinen betrieben wird.

Runder Tisch? Am 7. Februar 2022 traf sich Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron mit Russland Präsident Wladimir Putin in Moskau
Runder Tisch? Am 7. Februar 2022 traf sich Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron mit Russland Präsident Wladimir Putin in Moskau
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Wie ein Kampf Roboter gegen Roboter abläuft
Nehmen wir zum Beispiel Drohnen. Sie haben eine Brille aufgesetzt, die verknüpft ist mit einer Kamera, und sie haben einen Up- und Downlink zur Drohne, sie können also sehr zielgerichtet fliegen. Wenn die Drohnen mit Sprengstoff beladen sind, macht sie das zu perfekten Waffen, denn sie können bis zum Einschlag den Zielpunkt genau mitbestimmen. Das heißt aber, sie können mit dieser Drohne auch eine andere Drohne verfolgen und sie zum Absturz bringen. Das Gleiche spielt sich auch mit Landsystemen ab, also Systemen, die auf Rädern oder Ketten unterwegs sind.

Wie er den Drohnenangriff des Iran auf Israel erlebt hat
Militärisch und historisch gesehen war das natürlich spektakulär. Der erste in dieser Massivität vorgetragene Angriff. Zum Einsatz kamen 185 Drohnen unterschiedlicher Bauart, 110 ballistische Raketen und 36 Marschflugkörper. Die israelischen Streitkräfte haben mit Unterstützung geschafft, etwa 99 Prozent all dieser einfliegenden Objekte abzuschießen. Es zeigt aber auch das Dilemma auf, nämlich dass die eigene Fliegerabwehr an ihre Grenzen kommt, wenn der Gegner versucht, in einer Welle nach der anderen eine Art Übersättigung herbeizuführen.

Ob das auch in der Ukraine passiert
Russland versucht fast täglich, mit iranischen Drohnen die ukrainische Fliegerabwehr zu übersättigen, um dann alle zwei, drei Wochen mit Marschflugkörpern Ziele zu treffen. Weil es in der Ukraine im Gegensatz zu Israel an Fliegerabwehr mangelt, kommt es zu einer stetigen Abnützung der kritischen Infrastruktur, die von einfliegenden russischen Marschflugkörpern, Raketen und Drohnen getroffen wird.

Admiral Daniel Hagari, Sprecher der israelischen Armee, zeigt eine ballistische Rakete aus dem Iran, die in Israel zu Boden ging
Admiral Daniel Hagari, Sprecher der israelischen Armee, zeigt eine ballistische Rakete aus dem Iran, die in Israel zu Boden ging
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Ob ein Land zuvor jemals von einer Drohnenarmee angegriffen wurde
Dieses Ereignis gab es noch nicht. In der Kriegsführung spricht man von einer Revolution.

Was das für die Zukunft bedeutet
Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Ein Think Tank in den USA hat einen Roboter gegen einen Menschen im Luftkampf antreten lassen. Also quasi Terminator gegen Tom Cruise, den besten Navypiloten. Es wurden sieben Szenarien im Luftkampf virtuell durchgespielt und es hat jedes Mal die Maschine gewonnen.

Warum?
Weil der Mensch mit seinen physischen Unzulänglichkeiten manche Flugmanöver der Maschine gar nicht fliegen konnte. Die Maschine war von der Software her rein auf Aggression programmiert, nicht auf vernünftiges Denken. Der Mensch agierte sehr vorsichtig und wollte verstehen, wie der andere agiert.

Was das Dilemma dabei ist
Der Erste, der einen derartigen Roboter für den Luftkampf besitzt, hat eine absolute Überlegenheit. Es entsteht eine Asymetrie und damit ein Wettrüsten, wie immer in der Vergangenheit, wenn es zu entscheidenden Entwicklungen bei Waffensystemen gekommen ist.

Ob das auch für Militärs beängstigend ist
Auf jeden Fall.

Im Scranton Army Ammunition Plant (SCAAP) in Scranton, Pennsylvania, werden Waffen hergestellt, vorrangig momentan für die Ukraine
Im Scranton Army Ammunition Plant (SCAAP) in Scranton, Pennsylvania, werden Waffen hergestellt, vorrangig momentan für die Ukraine
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Besteht die Gefahr eines Dritten Weltkrieges?
Das ist jetzt eine sehr apokalyptische Sichtweise. Ich bin als vernünftiger Mensch davon überzeugt, der Mensch wird, wie in der Vergangenheit oft, erkennen, dass ihn die Situation jetzt zum Handeln auffordert.

Ob wir in einer Vorkriegszeit leben
Der Papst hat vor kurzem von einem "Weltkrieg auf Raten" gesprochen. Da stimme ich schon zu. Wir sehen eine Auseinandersetzung zwischen dem sogenannten globalen Süden und dem globalen Norden. Die Zweite und Dritte Welt treten aufgrund neuer technologischer und ökonomischer Möglichkeiten plötzlich sehr, sehr selbstbewusst auf. Wir haben also einen globalen Gabentisch, an dem wir immer sehr prominent platziert waren. Wenn ich sage wir, dann meine ich den Westen, wir Österreicher waren immer nur mehr oder weniger auch dabei und haben davon profitiert, ohne selbst viel beizutragen. So muss man das klar ansprechen.

Was auf dem "Gabentisch" nun passiert
Es kommt zu einer Neuverteilung, wo die Zweite, die Dritte Welt, die bis jetzt uns bedient oder mit Rohstoffen versorgt hat, für sich einen Platz an diesem Tisch einfordert, und damit werden die Plätze neu verteilt. Die Frage ist, wie geht das aus, wenn diese Welt neu geordnet ist? Über diese Zeit, in der wir leben, werden später tausende Bücher geschrieben werden.

Ob Österreich an diesem Gabentisch sehr naiv und blauäugig sitzt
Ja, das tun wir. Österreich ist wie so eine kleine Insel am Donaustrand. Wenn das Hochwasser kommt, dann hebt und senkt sie sich automatisch und das geht uns alles nix an. Mit Krieg und Konflikt wollen wir nichts mehr zu tun haben, wir wollen einfach unsere Ruhe. Die Frage ist, ob dieses Konzept in Zukunft noch ausreichend ist.

Demo in München: "Wir sehen in den nächsten Monaten, ob es wirklich die Bereitschaft des Westens gibt, mit der Ukraine weiter diesen Krieg zu führen, oder ob es sie nicht gibt"
Demo in München: "Wir sehen in den nächsten Monaten, ob es wirklich die Bereitschaft des Westens gibt, mit der Ukraine weiter diesen Krieg zu führen, oder ob es sie nicht gibt"
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Wer im Ukrainekrieg die Oberhand behalten wird
Das kann man aus der jetzigen Sicht nicht sagen. Es handelt sich um einen Abnützungskrieg, der wird nicht bestimmt von Manövern und schnellen Entscheidungen, sondern von der teuflischen Logik, dass er so lange geht, bis die Ressourcen verbraucht sind.

In welchem  Zustand die Ukraine ist
Russland hat der Ukraine in den letzten mehr als zwei Jahren massiven Schaden zugefügt hat, der militärisch-industrielle Komplex ist angegriffen und schwer zerstört, die kritische Infrastruktur ist schwer zerstört. Die Ukraine ist vor allem abhängig von der Unterstützung des Westens.

Ob der Westen ausreichend hilft
Er gibt der Ukraine aus meiner Sicht die Mittel, um zu kämpfen, aber oft nicht die Mittel, um tatsächlich zu siegen.

Welche Fehler der Westen gemacht hat
Zu verkennen, dass Russland nicht allein ist. Die Sanktionen haben nicht den gewünschten Erfolg erzielt. Es wurden Entscheidungen, die man treffen hätte müssen, nicht getroffen. Bei den Waffen hat man immer ein bisschen geliefert und sich gedacht, okay, das wird schon werden. Und jetzt muss man erkennen, es hat eben nicht gereicht.

Ob wir im Moment entscheidende Tage erleben
Eine entscheidende Phase. Das heißt, wir sehen in den nächsten Monaten, ob es wirklich die Bereitschaft des Westens gibt, mit der Ukraine weiter diesen Krieg zu führen, oder ob es sie nicht gibt.

Was dabei entscheidend ist
Aus meiner Sicht gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder man gibt der Ukraine das, was sie braucht, um diesen Krieg zu gewinnen. Das wäre eine Möglichkeit und niemand kann ihnen sagen, ob diese Entscheidung richtig oder falsch ist. Oder man gesteht sich ein, dass man das nicht tun kann. Da muss man das aber realistisch und klar auch der Ukraine mitteilen und muss auch wirklich versuchen, alles daran zu setzen, Friedensverhandlungen oder zumindest einen Waffenstillstand zu erzielen.

"Wir müssen uns ein bisschen lösen von unserer Bequemlichkeit": Soldaten der Ehrengarde des Österreichischen Bundesheeres
"Wir müssen uns ein bisschen lösen von unserer Bequemlichkeit": Soldaten der Ehrengarde des Österreichischen Bundesheeres
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Was ist, wenn Russland den Krieg gewinnt
Das wäre für den Westen fatal. Weil das, was wir uns als Werteordnung nach Ende des Zweiten Weltkrieges gegeben haben, das internationale Recht, das sich in der UN-Charta findet, das Völkerrecht, dass das Recht zum Krieg, aber auch im Krieg definiert, völlig außer Rand und Band geriete.

Ob Europa in der Lage wäre, sich gegen Russland zu verteidigen
Das versucht Europa gerade umzusetzen. Nachdem man die Friedensdividende nach dem Fall des Eisernen Vorhangs leichtfertig aufgegeben hat, wird jetzt versucht, die Streitkräfte wieder aufzubauen. Wobei man dazu sagen muss, dass die Kapazitäten, die in Europa aufgebaut werden, vor allem einen defensiven Charakter haben. Man möchte zeigen, dass man mit uns nicht tun und lassen kann, was man möchte.

Was die größten Hindernisse sind
Das kostet natürlich viel Geld. Jetzt haben wir gerade verstanden, dass der Klimawandel ein Thema ist. Und dann kommt jemand vom Militär und sagt, Windräder wären super und PV-Anlagen auch, aber jetzt brauchen wir auch Artilleriegranaten, das ist natürlich schwer zu verdauen. Und die Frage, die sich jeder stellt: Sind das Wettrüsten und der Krieg die Antwort, oder haben wir da quasi alles vergessen, was in der Vergangenheit passiert ist?

Welche Rolle Europa zukommt
Europa ist in der Welt mittlerweile Provinz. In Shanghai zum Beispiel, wenn Sie das gesehen haben, was sich hier getan hat, und sich dann überlegen, was für Dinge wir hier diskutieren, auch in Österreich, dann erscheint das sehr rückwärtsgewandt. Wir haben nicht verstanden, wie die Welt sich weiterentwickelt hat. Und dann kommen wir und wollen dem Rest der Welt erklären, was wir tun sollen. Das sagt der Rest der Welt: "Danke! Also auf eure Meinung haben wir jetzt noch gewartet."

Bundesheer-Oberst Markus Reisner im Podcast-Interview mit Christian Nusser (Newsflix)
Bundesheer-Oberst Markus Reisner im Podcast-Interview mit Christian Nusser (Newsflix)
Zvg

Welche Gefahren er für Österreich sieht
Die erste große Gefahr ist, dass die Bevölkerung nicht versteht, dass sie von diesen Dingen sehr wohl auch betroffen ist. Wir dürfen nicht glauben, dass wir mehr oder weniger unbeschadet davonkommen, wenn sich wirtschaftlich etwas zum Negativen entwickelt. Das gute Leben, auf das wir so stolz sind, das Kipferl und der Kaffee im Wiener Kaffeehaus. Es ist uns sehr angeraten, realistisch zu überlegen, wo wir stehen und was Solidarität für uns bedeutet.

Sein Appell
Wir dürfen den Glauben an diesen Staat nicht verlieren, an dieses Österreich. Aber wir müssen uns ein bisschen lösen von unserer Bequemlichkeit. Wir haben es selber in den Händen, aber wenn wir es nicht tun – es wird niemand anderer für uns tun.

Akt. Uhr
#Menschenwelt
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