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Femizide in österreich

Gewalt: "Der Frau wird indirekt die Schuld gegeben"

Fünf Femizide an einem Tag: Maja Markanović-Riedl vom Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser über Ursachen, klassisches Männerverhalten und wo Gewalt beginnt.

Aktion "Schreitag gegen Femizide" am 1. März 2024 am Minoritenplatz in der Wiener City
Aktion "Schreitag gegen Femizide" am 1. März 2024 am Minoritenplatz in der Wiener CityPicturedesk
Newsflix Redaktion
Akt. 02.03.2024 23:28 Uhr

Freitag, 23. Februar 2024: An einem einzigen Tage werden in Wien vier Frauen und ein Mädchen getötet. In einem Bordell in Wien-Brigittenau werden drei Frauen erstochen. In Wien-Landstraße werden eine Mutter (51) und ihre Tochter (13) tot in ihrer Wohnung gefunden. Maja Markanović-Riedl, Co-Geschäftsführung des AÖF - Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser, im Newsflix-Interview.

Newsflix: Frau Markanović-Riedl, fünf Femizide an einem Tag in Österreich. Was waren ihre ersten Gedanken?
Maja Markanović-Riedl: Ein neuer entsetzlicher Superlativ. So viele Femizide innerhalb von 24 Stunden, so viel wie im gesamten letzten Jahr in Wien.

Newsflix: Ganz grundsätzlich – wo beginnt Gewalt gegen Frauen?
Markanović-Riedl: Gewalt an Frauen beginnt dort, wo sie abgewertet werden: sexistische Kommentare, frauenfeindliche Witze, schlechtere Bezahlung, die Liste ist unendlich lang.

Newsflix: Warum nimmt die Zahl der Femizide in Österreich zu? Welche gesellschaftlichen Gründe sehen sie dafür?
Markanović-Riedl: In Österreich spielen patriarchale Vorstellungen von Geschlecht nach wie vor eine große Rolle. Gewalt von Männern gegenüber Frauen wird immer noch viel zu oft im Sinne eines patriarchalen Männlichkeitsbildes mit "Männer sind halt so" abgetan und verharmlost, und diese Männer werden auf diese Weise nicht zur Verantwortung für ihr eigenes Verhalten gezogen. Darüber hinaus besteht für Männer und Frauen ein unterschiedliches Risiko, Opfer eines Gewaltdelikts zu werden. Die Umstände bei Morden an Männern sind sehr heterogen, während Morde an Frauen hauptsächlich von Männern begangen werden, mit denen die Frauen in einer engen Beziehung standen.

Newsflix: Abseits von Gewalt beklagen viele Frauen im Alltag Seximus oder Herabwürdigungen, Männer schneiden ihnen also etwa das Wort ab. Ist das Teil des Problems?
Markanović-Riedl: Ja, natürlich. Frauen werden in unserer Gesellschaft immer noch diskriminiert, nicht ernstgenommen, unterbezahlt, belächelt. Frauen werden immer noch viel zu häufig als Objekte wahrgenommen – das führt zu Übergriffen, Gewalt, Vergewaltigung und in der schlimmsten Form zu Femiziden.

Maja Markanović-Riedl, Co-Geschäftsführung des AÖF - Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser
Maja Markanović-Riedl, Co-Geschäftsführung des AÖF - Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser
Joanna Pianka

Newsflix: Welche Arten der Herabwürdigung, die Männern meist gar nicht bewusst sind, kennen sie?
Markanović-Riedl: Eine wichtige Frage! Wir beobachten häufig, dass sich Männer als Feministen bezeichnen, ohne die dahinterstehende Bewusstseinsarbeit zu leisten. Wenn sie für grenzüberschreitendes Verhalten oder unhinterfragte Rollenbilder kritisiert werden, treten sie in eine Abwehrhaltung und suchen nach Bestätigung, anstatt sich mit der Kritik auseinanderzusetzen. Das äußert sich mitunter in Bevormundung und Nicht-Ernstnehmen von Frauen, einer unbewusst abwertenden Einstellung gegenüber sexuell freizügigen Frauen und einer stereotypen und ungerechten Verteilung von unbezahlter Care-Arbeit.

Newsflix: Was heißt das konkret?
Markanović-Riedl: Viele Männer verhalten sich nur gegenüber Frauen höflich, wenn sie diese attraktiv finden und für sexuell verfügbar halten. Frauen, die dem gängigen Schönheitsideal nicht entsprechen, verpartnert sind, Kinder haben oder schlichtweg nicht an ihnen interessiert sind, werden ignoriert, missachtet oder abgewertet.
Oft werden Männer Zeugen von sexistischem Verhalten durch andere Männer, doch beziehen dazu keine Stellung. Es ist wichtig, dass feministische Männer andere Männer auf ihr frauenfeindliches Verhalten aufmerksam machen. Deshalb möchten wir allen Männern die StoP-Männertische ans Herz legen, wo sie sich in einem geschützten Rahmen mit Feminismus und kritischer Männlichkeit auseinandersetzen können. Nur mit der aktiven Hilfe von feministischen Männern, können patriarchale Verhältnisse aufgebrochen und nachhaltig beseitigt werden.

Newsflix: Kommt Gewalt in allen gesellschaftlichen Schichten gleich vor?
Markanović-Riedl: Gewalt kommt in allen Gesellschaftsschichten vor. Statistische Erhebungen zeigen keinen direkten Zusammenhang zwischen Gewalt an Frauen und Herkunft, Bildung oder der ökonomischen Lage von Betroffenen und Tätern; diese Dimensionen können jedoch den Zugang zu Gewaltschutzangeboten für Betroffene erschweren und das Risiko für schwere Gewalt erhöhen. Die Ursache für geschlechtsspezifische Gewalt sind patriarchale Besitzansprüche von Männern gegenüber Frauen. Frauenverachtende Einstellungen und Verhaltensweisen durchziehen alle Bevölkerungsschichten und sind dort tief verankert. Diese gilt es zu bekämpfen, um das Problem an der Wurzel zu packen.

Newsflix: Was sollte die Zivilgesellschaft gegen Gewalt an Frauen unternehmen?
Markanović-Riedl: Um Gewalt an Frauen zu verhindern, ist ein Einschreiten der Zivilgesellschaft unbedingt notwendig. Wer Gewalt in seinem Umfeld wahrnimmt, sollte sich einmischen, anstatt wegzusehen. Dabei sollte jedoch immer auf den Selbstschutz geachtet werden. Bei Unsicherheit oder Angst, kann ein Anruf bei der Frauenhelpline unter 0800 222 555 helfen. Wer sich aktiv engagieren möchte, kann sich bei einem der Frauen-, Männer- oder Nachbarschaftstische von StoP - Stadtteile ohne Partnergewalt mit anderen vernetzen, an feministischen Aktionen beteiligen und sichere Methoden der Zivilcourage erlernen.

Aktion "Schreitag gegen Femizide" am 1. März 2024 am Minoritenplatz in der Wiener City
Aktion "Schreitag gegen Femizide" am 1. März 2024 am Minoritenplatz in der Wiener City
Picturedesk

Newsflix: Rund die Hälfte der Femizide werden von Männern mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft begangen. Was entgegnen sie Menschen, die das als Ursache für die steigenden Zahl an Femiziden sehen?
Markanović-Riedl: Jede Frau, die sich in Österreich befindet, muss vor Gewalt geschützt werden. Aber auch jeder Täter muss gleichermaßen zur Verantwortung gezogen werden, unabhängig von Herkunftsland oder Hautfarbe.

Newsflix: Was läuft in der medialen Berichterstattung über Gewalt an Frauen und Femizide falsch?
Markanović-Riedl: Noch immer kommt es viel zu oft zu einer Täter-Opfer-Umkehr: Der Frau wird indirekt die Schuld an einem Gewaltausbruch gegeben, weil sie "falsch" angezogen war, weil sie sich trennen wollte, usw. – Es gibt nie einen Grund oder eine Rechtfertigung für Gewalt an Frauen und/oder Kindern. Gewalt an Frauen ist kein Familiendrama und kein Privatproblem. Hier sind auch die Medien in die Pflicht zu nehmen.

Newsflix: Sollen Männer sich in der Diskussion etwa über Femizide zu Wort melden oder lieber einmal die Klappe halten?
Markanović-Riedl: Männer sollten sich klar und deutlich gegen Gewalt an Frauen und Sexismus positionieren. Ohne ein aktives Mitwirken von Männern kann der Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt nicht gelingen. Jedoch sollten Männer darauf achten, Frauenstimmen nicht zu übertönen. Wir brauchen eine breite feministische Männerbewegung, die Frauen unterstützt, ihnen zuhört und ihre Bedürfnisse und Grenzen respektiert. Der wichtigste Beitrag, den Männer für den Schutz von Frauen leisten können ist, andere Männer auf Sexismus und Gewalt an Frauen aufmerksam zu machen und toxische Männlichkeitsnormen kritisch zu hinterfragen. Um dabei zu helfen, hat StoP die Bewusstseinskampagne "Männ[sch]lichkeit" gestartet.

Maja Markanović-Riedl, Co-Geschäftsführung des AÖF - Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser, https://www.aoef.at

Newsflix Redaktion
Akt. 02.03.2024 23:28 Uhr