Interview

Glawischnig über Schilling: "Mein Gott, ist sie halt ein bisschen lustiger"

Ex-Grünen-Chefin Eva Glawischnig im Podcast. Warum sie die "Standard"-Geschichte für eine "Grenzüberschreitung" hält, wieso sie Koglers Wortwahl "inferior" findet, welche Hassmail sie gerade bekommen hat.

"Ist die Politik ein Macho-Geschäft, Frau Glawischnig?" "Definitiv ja!"
"Ist die Politik ein Macho-Geschäft, Frau Glawischnig?" "Definitiv ja!"
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Christian Nusser
Akt. Uhr
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Sie kennt das Geschäft aus erster Hand, auch die Schattenseiten. Eva Glawischnig war 20 Jahre in der Politik, davon neun Jahre lang Parteichefin der Grünen. Sie ist gelernte Juristin, heute Consulterin, gibt Kurse, coacht weibliche Führungskräfte. Und sie zieht Tomatensträucher. Im Podcast erzählt Glawischnig, wie sie die Affäre um Lena Schilling erlebt hat, ob die Politik ein Macho-Betrieb ist und warum sie heute ihr Basilikum glücklich macht. Die wichtigsten Passagen zum Nachlesen:

Ob die Politik ein Macho-Geschäft ist
Ja, definitiv. Ich habe mir immer Gedanken gemacht: Habe ich jetzt irgendwas falsch gemacht? War ich falsch angezogen? Waren die Stöckelschuhe zu hoch? War das Kleid zu eng? Du hast schon immer das Gefühl, du stehst besonders in der Auslage.

Ob sich Männer weniger hinterfragen
Ich glaube, es ist trotzdem noch was anderes. Wir erinnern uns an die Tasche von Gusenbauer. Auf einmal wurden auch Accessoires von Männern bewertet. Aber bei Frauen passiert das grundsätzlich immer und überall. Du bist zu schön, zu schiach, zu dick, zu dünn. Es ist immer Thema, das Inhaltliche steht im Hintergrund.

Ob Frauen von Frauen kritischer beurteilt werden
Ja, natürlich. Das ist auch meine sehr bittere Erkenntnis, dass gerade Frauen etwa auf die Frisur schauen. Ich habe mir dann gedacht: Leute, habt Ihr erkannt, dass ich mich jetzt 15 Jahre lang für die Gleichberechtigung eingesetzt habe? Nein! Das ist schon immer noch schräg.

Ob es so etwas wie Frauen-Solidarität gibt
Das würde ich jedenfalls bestreiten. Ich habe immer sehr darauf gepocht, dass wir zusammenhalten müssen und so weiter. Aber in Wirklichkeit musst du dich immer noch in einer männlichen Karrieresituation beweisen. Da bietest du dich den Führenden an, und das sind halt die Männer. Da wird auch auf andere Frauen hingetreten.

Lena Schilling (hier im Nationalpark Donau-Auen) wurde durch den Protest gegen den Bau des Lobautunnels bekannt
Lena Schilling (hier im Nationalpark Donau-Auen) wurde durch den Protest gegen den Bau des Lobautunnels bekannt
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Mit welchen Erwartungen sie in die Politik gegangen ist
Also ich habe jetzt extreme Wiederholungsgefühle, weil ich mich Lena Schilling wahnsinnig verbunden fühle. Ich kenne sie nicht gut, wir sind uns zwei-, dreimal im Leben begegnet. Aber ich war auch Aktivistin, ich war auch auf der Baustelle und habe mit meinem Körper polizeiliche Entscheidungen blockiert. Deswegen habe ich auch sehr respektiert, was sie gemacht hat, egal ob man das Anliegen zu 100 Prozent teilt, aber sie hat sich für etwas eingesetzt.

Warum sie das an ihren eigenen Berufseinstieg erinnert
Ich war ein bisschen älter, 29, als ich in die Politik gegangen bin. Aber es ist nicht so weit davon entfernt. Sie ist bildhübsch, ich habe damals auch mit diesem Etikett leben müssen: "Mei liab!" Aber ich war eine ernstzunehmende Juristin, Politikerin, ich habe versucht, das dann anders aufzurollen.

Wie schnell man als Politikerin in der Realität ankommt
Ich habe schon ein bisschen länger gebraucht. Wenn du in die Politik gehst, bist du sowieso erstens sehr mutig und zweitens risikobereit, weil du nicht weißt, was mit deinem Privatleben, mit deinem Leben überhaupt passiert.

Ob man auch ein bisschen verrückt ist
Ja! Also ich hätte mir nicht vorstellen können, dass mein Brautkleid, meine Beziehung, dass das alles so ausgerollt wird. Ich habe jetzt am Sonntag mit Herrn Rauscher (Hans Raucher, Kolumnist im "Standard", Anm.) diskutiert. Er hat damals ein Einserkastl geschrieben, "Glawischnig heiratet bauchfrei". Das ist jetzt 20 Jahre her, ich erinnere mich gut, aber ich denke mir immer noch, was geht den das an, wie ich heirate? Das war auf der Titelseite von ganz vielen Medien. Er hat gesagt, er würde das heute nicht mehr machen.

Bauchfrei: Eva Glawischnig heiratet am 4. Juni 2005 in Seeboden am Millstättersee (Kärnten) den TV-Moderator Volker Piesczek
Bauchfrei: Eva Glawischnig heiratet am 4. Juni 2005 in Seeboden am Millstättersee (Kärnten) den TV-Moderator Volker Piesczek
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Warum Nebensachen oft zur Hauptsache werden
Das ist eine Erfahrung, die man relativ schnell macht. Ich habe damals geschrieben: "Babybauch schlägt Feinstaub". Ob du schwanger bist, ob du ein Kind kriegst, ob du heiratest, das ist alles viel interessanter und relevanter als deine politische Arbeit. Das ist schon ein bisschen frustrierend, weil ich habe mich in der Politik wirklich angestrengt.

Ob ihr geholfen hat, dass sie ein Wirtshauskind ist
Ja, man weiß, wie die Leute ticken. Wir hatten nur zwei Sorten Wein, rot oder weiß. Wenn sich ein deutscher Gast beschwert hat, bin ich zur Schank gegangen und habe das Glas noch einmal mit demselben Wein aufgefüllt. Er hat dann gesagt: "Warum nicht gleich so, junge Frau?"

Ob sie im politischen Leben Übergriffe erlebt hat
Ja, das ist dann mit der Flüchtlingskrise 2015 intensiv geworden. Ich habe dann die Entscheidung getroffen, gegen diese ganzen Hasspostings auf Facebook konsequent vorzugehen. Die Maria Windhager, eine großartige Anwältin, hat das übernommen. Wir haben alles geklagt. Ich habe einfach gesagt, ich möchte nicht mehr Opfer sein.

Ob sie auch physische Gewalt erlebt hat
Also meine Mitarbeiterin ist angespuckt worden und solche Sachen. Persönlich bin ich nie attackiert worden, aber ich habe die Gewalt und die Gewaltbereitschaft rundherum schon gespürt.

Rücktritt am 18. Mai 2017: Eva Glawischnig verlässt mit ihrem Mann Volker Piesczek das Parlament
Rücktritt am 18. Mai 2017: Eva Glawischnig verlässt mit ihrem Mann Volker Piesczek das Parlament
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Ob sie Frauen abraten würde, in die Politik zu gehen
Nein. Ich glaube, jede Frau, die sich das antut, weiß genau, worauf sie sich einlässt, das gilt für Lena Schilling genauso wie für Sigi Maurer. Die haben ihren Panzer angezogen und ihren Schutzschirm.

Was sie sich gedacht hat, als sie die Geschichte von Schilling erfahren hat
Ich habe versucht zu ergründen, wer die Drahtzieher sind. Es muss hier ja jemanden geben, der das orchestriert, das geschieht nicht zufällig. Da gibt es Menschen, die ein Interesse daran haben, dass sie fällt. Und ich glaube zu wissen, wer diese Menschen sind. Das finde ich übel. Das ist Absicht, das ist nicht irgendwie passiert.

Ob ihr die Vorgänge auch persönlich nahegehen
Ja, extrem. Eine junge, engagierte Frau, mich hat sie immer beeindruckt. Ich lebe jetzt ein bisschen mit ihr mit, ich muss da vielleicht wieder ein bisschen runter schalten. Mir war drei Tage lang schlecht.

Wie sie die Berichterstattung erlebt hat
Also: Das, was der "Standard" gemacht hat, finde ich ganz klar eine Grenzüberschreitung. Das hätte aus meiner Sicht nie erscheinen dürfen. Wir haben natürlich Presse- und Meinungsfreiheit, aber es gibt auch Persönlichkeitsrechte. Und die hat der "Standard" aus meiner Sicht ganz klar überschritten.

Wo die Grenze zwischen Politik und Privatleben liegt
Da ist eine schwierige Frage. Aber alles, was unter der Bettdecke stattfindet, ist ein No-Go. Mit wem man Affären hat und so weiter. Ich finde, gerade junge Frauen sollen sich ausleben dürfen. Ihr das dann vorzuwerfen, finde ich letztklassig.

Anti-Rassismus-Fussballspiel mit Eva Glawischnig 2017 in der Säulenhalle des Wiener Parlaments
Anti-Rassismus-Fussballspiel mit Eva Glawischnig 2017 in der Säulenhalle des Wiener Parlaments
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Ob eine 23-Jährige anders behandelt werden sollte als ältere Politiker
Das ist ein guter Punkt. Aber wer hat denn beim Herrn Vilimsky oder beim Herrn Schieder 50 Personen im privaten Umfeld befragt? Über charakterliche Schwächen. Ich finde schon interessant, warum der "Standard" gerade bei dieser jungen Person so einen Aufwand betrieben hat, um ihren Charakter zu durchleuchten. Mein Gott, ist sie halt ein bisschen ein junger, lustiger, vielleicht auch oberflächlicher Mensch …

Ob sie Schilling auch aufgestellt hätte
Ja, ich habe das als großartigen Move gesehen, dass Werner Kogler es geschafft hat sie zu überzeugen. Ich hatte mit Lena Schilling im Dezember noch ein kurzes Gespräch, da war sie sich noch nicht sicher. Ich habe ihr weder zu- noch abgeraten. Sie wollte einfach wissen, wie es so ist in der Politik.

Was sie ihr geantwortet hat
Du wirst dich schon auf was gefasst machen müssen.

Ob Schilling zu jung ist
Ich finde, sie ist ein super Zeichen. Warum soll ein junger Mensch nicht seine Erfahrungen im Europaparlament einbringen dürfen?

Was sie in der Kommunikation anders gemacht hätte
Man hätte ehrlich darauf eingehen müssen, was wirklich die Vorwürfe sind und in zwei, drei Sätzen erklären, was passiert ist. Also, du kannst sagen, in meinem privaten Bereich ist das und das geschehen, ich möchte es nicht näher kommentieren, aber ich versuche es jetzt einmal zu erklären. Also eine gewisse Einlassung auf die Affäre selbst, das haben die Grünen gar nicht gemacht. Und die Wortwahl von Werner Kogler war aus meiner Sicht inferior. Du kannst nicht eine Journalistin auf offener Bühne … mit Gefurze und Gemurkse, das war wirklich letztklassig. Da ist er fehlgeleitet gewesen, da wäre eine für einen Vizekanzler angemessenere Erklärung angestanden.

Grünen-Bundessprecher Alexander Van der Bellen und Grünen-Klubobfrau Eva Glawischnig während der konstituierenden Sitzung des Nationalrats  am 28. Oktober 2008
Grünen-Bundessprecher Alexander Van der Bellen und Grünen-Klubobfrau Eva Glawischnig während der konstituierenden Sitzung des Nationalrats am 28. Oktober 2008
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Ob sie Hass in der Politik heute noch erlebt
Ich war am Sonntag auf Servus TV. Heute hat mir ein Mann ein Mail geschrieben. Sigi Maurer hat damals den Bierwirt verklagt und er hat dann seine Frau erschossen, eine unfassbar tragische Geschichte. Und jetzt schreibt mir der Mann tatsächlich: "Warum hat er die Kugel nicht der Sigi Maurer verpasst, sondern seiner Frau?" Und das kriege ich heute per Mail.

Ob so etwas früher öfter passiert ist
Dauernd.

Wie sie die Politik aus ihrer heutigen Sicht wahrnimmt
Ich bin da versöhnlicher geworden.

Eva Glawischnig beim Podcast mit Christian Nusser (Newsflix)
Eva Glawischnig beim Podcast mit Christian Nusser (Newsflix)
Konstantin Kaltenegger

Ob ihr Ausstieg aus der Politik brutal war
Ja, also ein offenes Wort: Die Entscheidung, zur "Novomatic" zu gehen, war auch eine Entscheidung zu prüfen, wer wirklich meine Freunde sind. Ich war ein Jahr arbeitslos, ich habe echt nicht gewusst, was ich tun soll.

Was von den Freunden übrig blieb
Es war ein Jahr wirklich ganz schwer. Vier bis sechs sind geblieben, die mir immer noch SMS schicken. Vorher waren es zu Weihnachten 400 oder so. Da habe ich gewusst, diese Menschen schätzen mich einfach als Mensch, egal, was ich mache.

Tut das weh?
Ja, schon ein bisschen.

Ob sie in ihr neues Leben reingefunden hat
Ja, ich liebe es und meine Tomatenpflanzen wachsen super. Und mein Basilikum performt.

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