Kopfnüsse

Kopfnüsse: Ein Spion, Paternion, der Kanzler auf Paris-Mission

Kopfnüsse zum Kopfschütteln: Wie ein James Bond aus einer Kärntner Marktgemeinde Österreich aus den Angeln hebt.

Innenminister Gerhard Karner: In der Spionageaffäre beschuldigen sich die Parteien nun gegenseitig
Innenminister Gerhard Karner: In der Spionageaffäre beschuldigen sich die Parteien nun gegenseitig
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Österreich ist ein Tourismusland, diese Form der Gastfreundschaft hat Spione bei uns immer schon miteingeschlossen. Diesbezüglich sind wir eine sehr inklusive Gesellschaft, man denke nur an "Der Dritte Mann". Wenn man davon absieht, dass es Österreich jetzt in Farbe gibt und nicht mehr nur in schwarz-weiß, hat sich in den letzten 75 Jahren am Grundaufbau nicht radikal viel im Land geändert. Es geht jetzt vielleicht etwas komfortabler zu, man muss für Spionagetätigkeiten nicht mehr in die Kanalisation steigen, sondern fährt zur "Garten Tulln" und klaubt dort drei versenkte Handys im Wasser auf. Aber sonst?

In der vergangenen Woche haben wir erneut etwas für unseren Fremdenverkehr getan. Österreich hat sich als Spionageland wieder eindrucksvoll auf die Weltkarte zurückgebracht. Zu uns kommt man in Hinkunft nicht mehr nur zum Baden oder im Winter zum Skifahren, sondern auch zum Agentenschauen. Ich bin sicher, in ein paar Monaten gibt es geführte Touren zu den wichtigsten Spionagestätten des Landes, man kann sie auf Donau-Kreuzfahrtschiffen buchen oder bei den Mozart-Verkäufern vorm Stephansdom.

Die Eleganz der Briten in diesem Metier schaffen wir nicht ganz. Bei uns heißen Agenten nicht James, sondern Egisto, und sie haben auch nicht so tiefblaue Augen wie Daniel Craig. Sie wohnen nicht in London, sondern in der Marktgemeinde Paternion, von der nicht einmal alle Kärntner wissen, wie man sie richtig ausspricht, weil von der Betonung her mindestens drei Versionen im Umlauf sind, alle gleichzeitig richtig und falsch. Wenn Österreichs Spione was erfahren wollen, dann gehen sie auch nicht zu Miss Moneypenny und werfen ihren Hut auf den Kleiderständer, sondern sie fahren zur Polizeiinspektion Spittal an der Drau und zeigen ihren falschen Dienstausweis vor.

Orson Welles in "Der Dritte Mann" aus 1949, gefilmt auch in der Wiener Kanalisation
Orson Welles in "Der Dritte Mann" aus 1949, gefilmt auch in der Wiener Kanalisation
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Als Filmland wären wir eine kostengünstige Alternative zu Hollywood. Netflix könnte an bestimmten Orten dauerhaft Kameras aufstellen und sie 24 Stunden mitlaufen lassen, um zu sehen, was so passiert. Oder Autos durch die Gegend schicken wie Google. Alle paar Tage lässt sich was Neues einfangen, wir haben mittlerweile eine größere Dichte an Skandalen als ein durchschnittliches Königshaus. Was Affären betrifft, machen wir jede Mission Possible.

Noch ist nicht ganz klar, was in der aktuellen Spionagesache eigentlich genau passiert ist. Ich muss auch eingestehen, dass ich mich in der Umschulung auf Agenten-Experte noch auf Vorschulniveau befinde, aber es wird mit jedem Tag besser.

Vor vielen Monaten habe ich mich einmal in einer Kolumne über das vermeintliche Hoppala auf der "Garten Tulln" lustig gemacht. 2017 war ein Boot auf der Messe gekentert, weil es die Ehefrau des derzeitigen Kanzlers – wohl nicht allein unter der Einwirkung von Frucade – in zu starke Schaukelbewegungen versetzt hatte. Das Unglück endete nicht ähnlich tragisch wie die Schiffskatastrophe der Titanic, alle erreichten das rettende Ufer verletzungsfrei und ohne Kollision mit einem Eisberg, drei Handys aber nicht. Die plumpsten ins Wasser, darunter das Smartphone von Michael Kloibmüller, ehemals Kabinettschef im Innenministerium.

Die drei Telefone wurden nicht einfach so trockengerubbelt, also schon, aber bei der Gelegenheit saugte man die Daten ab und schickte sie nach Russland weiter, ein bisschen verteilte man sie auch im Land. Aus dieser Wasserwelt katapultiert sich nun ein Spionageskandal heraus, so groß und rund und fett wie in Wal, er wird mutmaßlich die Republik noch heftiger nass machen, wenn er sich einmal richtig in den Ozean fallen lassen hat. An diesem Punkt stehen wir jetzt, wir warten auf den Aufprall, und es tun sich viele Fragen auf.

Tut beim Zusehen weh: Bundeskanzler Karl Nehammer beim Händedruck mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron
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Ich, als Agentenexperte auf Vorschulniveau, stelle mir eine simple Frage: Kann es wirklich sein, dass es jahrzehntelang ein Spionagenetzwerk vor aller Augen gab, aber keiner konnte es sehen? Oder wollte nur niemand?

Nicht die Nachrichtendienste, die Verfassungsschützer, die Terrorismusbekämpfer, die Abwehrämter, die Polizeibehörden? Nicht die Kanzler, Vizekanzler, Minister, keiner der übrigen Politiker in Regierung oder Opposition, nicht die Innenministerinnen und Innenminister, gewesen oder aktuell? Keiner hat was gesehen, gemerkt, gemeldet, keinem aufgefallen, dass da was schlummert?

Sonst wissen wir über jeden Grashalm Bescheid, der sich in drei Wochen in irgendeine Richtung neigen wird. Nachrichtendienste behaupten, Monate davor gewusst zu haben, dass die Russen die Ukraine überfallen werden. Aber was im Nebenbüro passiert, das hat niemand mitgekriegt? Wenn man Glaubwürdigkeit als eine Art Würde sieht, die verliehen werden kann, dann stellen sich im Moment nicht viele in der Schlange dafür an.

Nun gibt die ÖVP der SPÖ und der FPÖ und irgendwie auch den Neos die Schuld an der Spioniererei, die SPÖ glaubt, dass die FPÖ schuld ist, die Neos glauben das auch. Die FPÖ sagt, dass die ÖVP schuld ist, Innenminister Gerhard Karner sagt Herbert Kickl. Wären nicht bald Wahlen, müsste jetzt ein U-Ausschuss starten, er würde sich dieses Mal wirklich lohnen.

Vielleicht sollten wir aus diesen U-Ausschüssen langsam ein Geschäft machen, sie ausgliedern aus dem Parlament, privatisieren, in der Stadthalle abhalten und Eintritt verlangen. Die Fernsehrechte verkaufen. Dafür müsste freilich endlich die Übertragung erlaubt werden, für die angeblich mittlerweile alle Parteien Feuer und Flamme sind. Bisher herrscht eher Brand aus. Jetzt dürfen nicht einmal mehr ehemalige Finanzminister in Ausschusslokal fotografiert werden, weil sie zu gschamig dafür sind.

So gut wie Wange an Wange: Katharina Nehammer hat mit Brigitte Macron "im Bereich Wohltätigkeit vieles vor"
So gut wie Wange an Wange: Katharina Nehammer hat mit Brigitte Macron "im Bereich Wohltätigkeit vieles vor"
Présidence de la République France

Der Kanzler flog am Donnerstag nach Paris, um etwas Sparring mit Emmanuel Macron zu betreiben, die beiden boxen ja gerne. Buben halt! Es war eine Reise, deren Zweck sich nicht auf den ersten Blick erschloss, auf den zweiten vielleicht schon, vermutlich wollte Karl Nehammer ein paar Front-Row-Tickets für die Olympischen Sommerspiele abstauben. Dem Kanzler gefiel es offenbar in der französischen Hauptstadt, gegen Abend hin ließ er seine Frau nachkommen.

Das Paar blieb über Nacht, die Journalisten und die Mitarbeiter wurden heimgeschickt. Jedem die Seine.

Nehammer war in aller Herrgottsfrüh nach Frankreich geflogen, um 6.30 Uhr ging es los, Holzklasse, Air France, die Verlässlichkeit der AUA lässt sich heuzutage nicht mehr gut ausspionieren. In Paris ging es im Konvoi in den Élysée-Palast, am Weg ging leider der Bus mit den Journalisten verloren, das machte nichts, ein bisschen Schwund ist immer.

Die französische Polizei muss auch sparen und deswegen gab es an der Spitze des Konvois ein paar Motorrad-Polizisten, die den Weg freiräumten, hinten hatte man aber auf die Motorradeln vergessen, absichtlich vielleicht. Wer französische Autofahrer kennt, der weiß, dass sie jede vorhandene Lücke nutzen, selbst wenn diese Lücke gar nicht vorhanden ist. Also zwickten sich immer mehr Autos in den Konvoi hinein und der Journalisten-Tross landete für eine Stunde im Pariser Stau.

Hübsche Gartensessel: Bundeskanzler Karl Nehammer bei Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vorm Elysée-Palast in der Pariser Innenstadt
Hübsche Gartensessel: Bundeskanzler Karl Nehammer bei Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vorm Elysée-Palast in der Pariser Innenstadt
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Das spielte aber weiter keine Rolle, denn die Reporter kamen noch rechtzeitig, um die Begrüßung zwischen Karl Nehammer und Emmanuel Macron live mitzuerleben, obwohl Begrüßung den Vorgang nur unzureichend beschreibt. Die beiden fielen übereinander her wie zwei Leitwölfe im Kampf um die Rudelführung. Sie versuchten, sich gegenseitig die Brustbeine zu brechen, weil Macron in der Größe nicht über Gust Wöginger hinausgekommen ist, schaute es für einen Moment aus, als würde Nehammer ihn unter sich begraben. Die Szene löste sich mit ein paar Tätscheleien und Schulterklopfern auf und ging in einen Handschlag über, bei dem die Gefahr bestand, dass einer der beiden ins Pariser Lorenz Böhler-Krankenhaus gebracht werden müsste, sollte zumindest das noch stehen. Buben halt!

Aber es wurden keine sichtbaren Schäden angerichtet. Kurze Zeit später hatte sich der Ausflug für Nehammer schon ausgezahlt, denn er bekam ein warmes Mittagessen auf Sterneniveau, serviert in einem prunkvollen Raum im Élysée-Palast mit Blick auf den Park, als Höhepunkt Tournedos Rossini. In Fragen der Weltpolitik sind Nehammer und Macron über vielerlei anderer Ansicht, das trat beim Pressestatement zutage, aber das machte nichts, denn zumindest auf Französisch klangen die Meinungsverschiedenheiten zauberhaft. Da fiel auch nicht ins Gewicht, dass der österreichische Kanzler und der französischen Präsident sich nicht ganz klar darüber waren, ob sie nun per Du oder per Sie sind.

Katharina Nehammer wird das Eis gebrochen haben. Sie befreundete sich am Donnerstag zeitnah nach ihrer Ankunft mit Präsidenten-Gattin Brigitte Macron, wie Bilder unterstellen, die via Facebook verbreitet wurden. Eines zeigt Österreichs Second First Lady fast Wange an Wange mit der First First Lady Frankreichs. Im "einzigartigen Élysée Palast" konnte sie sich "in einem 4 Augen Gespräch vor allem über die Rolle der Frauen in der Gesellschaft austauschen und welchen großartigen Beitrag die Frauen leisten", schreibt Nehammer, "im Bereich Wohltätigkeit haben wir vieles vor", Details dazu fehlen. Das Posting schließt mit dem Hashtag #lovemylife. Schön zu erfahren, dass die gekenterte Dschunke auf der "Garten Tulln" zu keiner Traumatisierung geführt hat.

Vizekanzler Werner Kogler teilt unsere Begeisterung für Masken
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Helmut Graf

Ich wünsche einen wunderbaren Sonntag. Ich darf die Kolumne am Schluss für etwas Eigenreklame nutzen. Am kommenden Samstag, 13. April, findet im Wiener Rabenhof die "Lange Nacht der Kolumnist:innen" statt. Also nicht die Lange Nacht der Kommunist:innen, das darf man nicht verwechseln, obwohl vielleicht ein paar der Kolumnisten auch Kommunisten sind, aber das geht mich nichts an. Jedenfalls lese ich dort einige Minuten aus den Kopfnüssen vor, aus den kolumnistischen Manifesten also. Der Erlös der Veranstaltung geht an die Gruft. Wenn Sie noch keine Karten haben, wäre jetzt eine gute Gelegenheit, sich welche zu kaufen.

Ich darf Sie auch ermuntern, sich für den Newsflix-Newsletter anzumelden, den ich demnächst zum Leben erwecken will. Er ist anfangs gratis, später kostet er dann nichts. Sie können also jede Menge Geld sparen, wenn Sie gleich zuschlagen. Später sparen sie weniger wegen der Inflation.

Im Newsletter erfahren Sie dann aus erster Hand, wann mein nächstes Projekt startet. Ich habe die erste Staffel der Corona-Kopfnüsse fertiggestellt, sie umfassen fast das gesamte Jahr 2020. Es ist das erste von insgesamt drei geplanten Erinnerungsalben über die Pandemie mit Ausschnitten aus den Kopfnuss-Kolumnen von damals, eingekürzt natürlich. Die Texte sind trotzdem noch elendslang, aber immerhin in neun elendslange Kapitel portioniert, das macht die Zumutung zumutbarer.

Wer lieber hört als liest: Es gibt alle neun Kapitel auch als Podcast, ich habe mir den Mund fusslig geredet deswegen. Irgendwann demnächst schalte ich das frei, wenn mich der Saharastaub nicht komplett zuschüttet oder ich eingeschmolzen werde von den aktuellen Temperaturen. Wann genau, kann ich noch nicht sagen, aber sie können mir ja nachspionieren.

Akt. Uhr
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