Deutschland

Todesfahrt in Weihnachtsmarkt: Behörden waren gewarnt

Freitagabend raste ein Fahrer in den Weihnachtsmarkt in Magdeburg. Fünf Menschen starben, darunter ein 9-jähriges Kind. Der mutmaßliche Täter ist ein Psychiater aus Saudi-Arabien. Sein Heimatland will Deutschland vor ihm gewarnt haben.

Blumen und ein Weihnachtsmann: Magdeburg gedenkt der Opfer
Blumen und ein Weihnachtsmann: Magdeburg gedenkt der Opfer
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Newsflix Redaktion
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Es ist fast auf den Tag genau acht Jahre her. Am 19. Dezember 2016 steuerte der islamistische Attentäter Anis Amri einen Sattelschlepper in die Menge auf dem Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz. 13 Menschen starben, 54 wurden zum Teil schwer verletzt.

Am Donnerstag fand in der Berliner Gedächtniskirche eine Gedenkandacht statt. Der islamistische Terroranschlag stehe auch für "die entsetzliche Verkehrung und Pervertierung von Religion und Gott", sagte Christian Stäblein, Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg – schlesische Oberlausitz. Dies schaffe "eine besondere Verletzung, eine tiefe Angst, eine Finsternis, die anders ist".

Einen Tag später wiederholte sich die Geschichte, diesmal war die Stadt Magdeburg betroffen. Wieder ein Weihnachtsmarkt, wieder mähte ein Lenker mit einem Fahrzeug Menschen nieder. Was man bisher über die Tat weiß:

Was hat sich nach aktuellem Kenntnisstand ereignet?
Am Freitagabend um 19 Uhr raste ein offenbar gemieteter schwarzer BMW X3 wie aus dem Nichts über den Magdeburger Weihnachtsmarkt. Er nutzte dafür jene Bereiche des Marktes, die als "Flucht- und Rettungswege" für Einsatzkräfte vorgesehen und deshalb auch nicht mit Pollern oder sonstigen Betonsperren gesichert sind.

Der erste Notruf bei der Polizei ging um 19.02 Uhr ein, zunächst dachte man an einen Unfall. Ein Video zeigt, wie der Fahrer einfach über Menschen fährt. Der Weihnachtsmarkt ist an diesem Abend sehr gut besucht. Der Lenker des BMW bog bei seiner Fahrt insgesamt dreimal ab, ehe er von der Polizei gestoppt werden konnte.

Blumen und Kerzen vor der St.-Johannis-Kirche in der Nähe des Magdeburger Weihnachtsmarktes
Blumen und Kerzen vor der St.-Johannis-Kirche in der Nähe des Magdeburger Weihnachtsmarktes
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Wer hat das Video aufgenommen?
Auf Social Media kursiert ein Video, es soll die Fahrt durch die Menge zeigen. Es dürfte allen Anschein nach authentisch sein. Eine Überwachungskamera des Marktes soll die Aufnahmen gemacht haben. Die Sequenzen sind nur ein paar Sekunden lang, sie wurden von einem Bildschirm abgefilmt und ins Netz gestellt, von wem ist unklar.

Gibt es noch weitere Videos?
Ja, die zeigen Szenen nach dem Attentat. Es gibt auch ein Video über die Festnahme des Verdächtigen. Er liegt mit dem Bauch am Boden neben seinem zerbeultem Auto.

Hielt man das Geschehen sofort für einen Anschlag?
Die Polizei ging davon aus. Der Verdächtige ging zielgerichtet vor, er beschleunigte den Wagen, als er in den Marktbereich einfuhr und  stoppte auch nicht, als es die ersten Opfer gab. Seine Fahrt ging insgesamt etwa 400 Meter über den Weihnachtsmarkt, dann fuhr er um einen Häuserblock und eine Ampel stoppte ihn. Als er wenden wollte, konnte ihn die Polizei stellen. Der gesamte Vorgang dauerte rund drei Minuten.

Was weiß man über das verdächtige "Paket" am Beifahrersitz?
Offenbar bestand der Verdacht, dass es sich dabei um Sprengstoff handelt. Der Wagen wurde am Tatort von Spezialkräften untersucht, auch ein Miniroboter kam dabei zum Einsatz. Es wurde nichts Brisantes gefunden.

Wie viele Opfer gab es?
Zunächst war von bis zu 11 Toten die Rede. Laut aktuellstem Stand sind bisher 5 Tote zu beklagen, darunter ein 9-jähriges Kind. Es gibt außerdem mehr als 200 Verletzte, 41 davon wurden schwer oder schwerst verletzt. Die Verletzten werden in insgesamt 15 Kliniken im gesamten Umkreis von Magdeburg behandelt.

Was muss man über den Tatort wissen?
Magdeburg ist die Hauptstadt von Sachsen-Anhalt und hat rund 240.000 Einwohner. Der Weihnachtsmarkt hat seit 22. November geöffnet und sollte bis 29. Dezember laufen. Er ist vor allem für Kinder attraktiv, es gibt Bastelhaus, Märchengasse und Weihnachtsmannwohnung. Erwachsene locken die 50 verschiedenen Glühweinsorten an. Der Weihnachtsmarkt wird aus Respekt vor den Opfern dieser Tat heuer nicht mehr aufsperren.

Was weiß man über den mutmaßlichen Täter?
Es soll sich um Taleb Al A. handeln, einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Er arbeitete demnach bis Ende Oktober 2024  in einem Klinikum in Bernburg (Saale) in Sachsen Anhalt, einer Einrichtung zur Besserung und Sicherung von suchtkranken Straftätern, berichtet Bild. Seit Ende Oktober war er urlaubs- und krankheitsbedingt nicht mehr im Dienst.

Taleb B. stammt aus Saudi-Arabien, er wurde 1974 in einer kleinen Oase im Osten des Landes geboren und gehört zur schiitischen Minderheit. Der mutmaßliche Täter ist seit 2006 in Deutschland. Er hat laut  Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) einen unbefristeten Aufenthaltstitel und wurde 2016 als Flüchtling anerkannt.

Galt der Verdächtige als Gefährder?
Offiziell nicht, aber laut Polizei sei vor einem Jahr "versucht worden, eine Gefährderansprache durchzuführen", sagte der Direktor der Polizei Magdeburg auf einer Pressekonferenz am Samstag. Nähere Details dazu fehlen. Es gibt auch Auffälligkeiten auf seinem Social Media-Profil.

Haben die Behörden Fehler gemacht?
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge findet nicht, aber die Behörde postete auf X, man habe "im Spätsommer letzten Jahres einen Hinweis" über die Social-Media-Kanäle erhalten. Dieser Hinweis sei "ernst genommen" worden. Dann die Groteske: Statt den Fall den zuständigen Behörden zu übergeben, wurde der Hinweisgeber aufgefordert, sich selbst darum zu kümmern. Kurz: Man putzte sich ab.

Das Auto, mit dem der Psychiater Menschen am Weihnachtsmarkt tot fuhr
Das Auto, mit dem der Psychiater Menschen am Weihnachtsmarkt tot fuhr
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Was postete der mutmaßliche Täter?
Der Spiegel sah seinen X-Account ein, den Taleb B. sehr intensiv nutzte. Er beriet offenbar über Jahre vor allem Frauen aus Saudi-Arabien über Fluchtmöglichkeit aus ihrem Land und stellte Informationen über das deutsche Asylsystem online. Die Tweets klangen zuletzt immer wütender.

Er stellte sich gegen illegale Migration?
Schaut so aus. Er schrieb: "Deutschland muss seine Grenzen gegen illegale Migration schützen". Und an einer anderen Stelle: "Es hat sich gezeigt, dass die offene Grenzpolitik ein Plan von Merkel war, Europa zu islamisieren." In einem Video-Interview, das er laut Spiegel einem Islam-feindlichen US-Blog gegeben hat, wirft er Deutschland vor, eine "verdeckte Geheimoperation" zu betreiben, "um weltweit saudische Ex-Muslime "zu jagen und ihr Leben zu zerstören", im Gegenzug aber syrische Dschihadisten in Deutschland Asyl zu geben.

Es soll auch ein Interview in einer deutschen Zeitung mit ihm geben?
Das ist richtig. Die FAZ sprach 2019 mit Taleb Al A., das Interview ist nach wie vor auf der Seite der Zeitung nachzulesen. Darin berichtet er von seiner Abkehr vom Islam bereits in jungen Jahren, von der schlimmen Situation der Frauen in Saudi-Arabien und seiner Tätigkeit als "Fluchthelfer" für diese Frauen. "Ich bin der aggressivste Kritiker des Islams in der Geschichte", sagte er damals.

Der Mann soll auch AfD-Fan gewesen sein, stimmt das?
Sein X-Profil legt das nahe. Er retweetete Parteichefin Alice Weidel, schrieb Martin Sellner, Kopf der "Identitären" an. Als er gefragt wurde, warum er die rechtsextreme AfD unterstütze, antwortete er: "Wer sonst bekämpft den Islam in Deutschland?"

Weiß man etwas über das unmittelbare Motiv des Verdächtigen?
Es könnte "Unzufriedenheit mit dem Umgang mit Flüchtlingen aus Saudi-Arabien in Deutschland" ein Motiv für die Tat gewesen sein, sagte der Leiter der Staatsanwaltschaft Magdeburg, Horst Walter Nopens, am Samstag bei einer Pressekonferenz. Der Chef des deutschen Bundeskriminalamtes BKA, Holger Münch, ergänzte am Samstagabend im ZDF, dass der Tathergang zwar anderen derartigen Anschlägen ähnele, es allerdings "eine völlig andere Motivationslage" gebe. Taleb Al A. sei ein "untypischer Täter".

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Kanzler Olaf Scholz bei der Trauerfeier in der Kathedrale
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Kanzler Olaf Scholz bei der Trauerfeier in der Kathedrale
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Handelt es sich um einen Einzeltäter?
Nach derzeitigem Kenntnisstand ja, es deutet nichts darauf hin, dass es Mittäter gegeben haben könnte.

Hat sein Arbeitgeber schon reagiert?
Ja, die Klinik veröffentlichte am Samstag ein Schreiben: "Bei dem mutmaßlichen Täter handelt es sich um einen im Maßregelvollzug Bernburg angestellten Facharzt für Psychiatrie, der hier seit März 2020 tätig war. Seit Ende Oktober 2024 war er urlaubs- und krankheitsbedingt jedoch nicht mehr im Dienst."

Stimmt es, dass es Warnungen aus Saudi-Arabien vor Taleb Al A. gegeben hat?
Das verlautete aus saudischen Sicherheitskreisen, berichtet u.a. Die Zeit. Demnach hätte das Land auch einen Auslieferungsantrag für Taleb Al A. gestellt, diesen hätte Deutschland aber ignoriert. Und nachdem die Magdeburger Polizei zunächst erklärt hatte, dass keine Warnung bekannt gewesen sei, korrigierte BKA-Chef Holger Münch diese Darstellung am Samstagabend im ZDF. Demnach hätte es im November 2023 sehr wohl einen Hinweis aus Saudi-Arabien auf Taleb Al A. gegeben.

Hat die Polizei hier Hinweise übersehen?
Das kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden. In Folge des Hinweises aus Saudi-Arabien seien auch ein Verfahren eingeleitet und Ermittlungsmaßnahmen seitens der Polizei in Sachsen-Anhalt vorgenommen worden, so BKA-Chef Münch. Die angezeigten Äußerungen seien aber "unspezifisch" gewesen. Es habe auch Behördenkontakte, Beleidigungen und einmal Drohungen gegeben, so der BKA-Chef, aber: "Er war aber nicht bekannt, was Gewalthandlungen angeht." Und Münch weiter, es müsse geprüft werden, ob den Sicherheitsbehörden "etwas durchgegangen sei". Und Innenministerin Nancy Faser sagte in der Bild am Sonntag, man müsse jetzt herausfinden, welche Behörden zuvor Hinweise auf den Täter hatten.

Wie reagierte die Politik?
Selbstredend erschüttert. Es gab auch viele internationale Reaktionen, etwa von US-Präsident Joe Biden, der die Tat "verabscheuungswürdig" nannte. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron schrieb auf X: "Frankreich teilt den Schmerz des deutschen Volkes." "Die Vorfreude auf ein friedliches Weihnachtsfest wurde durch die Meldungen aus Magdeburg jäh unterbrochen", so Deutschlands Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, ebenfalls auf X. Steinmeier und der deutsche Kanzler Olaf Scholz reisten am Samstag nach Magdeburg und nahmen da an einer Trauerandacht im Magedburger Dom teil.

Helfer bergen Verletzte vom Weihnachtsmarkt in Magdeburg
Helfer bergen Verletzte vom Weihnachtsmarkt in Magdeburg
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Warum ging Elon Musk auf Olaf Scholz los?
Der deutsche Kanzler schrieb auf X: "Die Meldungen aus Magdeburg lassen Schlimmes erahnen". Elon Musk, Eigentümer der Plattform, nannte Scholz daraufhin einen „incompetent fool“, einen unfähigen Idioten. Er solle sofort zurücktreten.

Was hat Musk mit Deutschland am Hut?
Der reichste Mensch der Welt hatte sich schon Freitagfrüh in die deutsche Politik eingemischt. Er empfahl den Tweet der rechten Influencerin Naomi Seibt und schrieb dazu: "Nur die AfD kann Deutschland retten". Musk spricht Deutsch, er hat ein Semester an einer deutschen Uni studiert.

Wie reagierten die Fußballer, die am Freitag zeitgleich mit dem Anschlag spielten?
Magdeburg bestritt auswärts ein Match in der zweiten deutschen Bundesliga gegen Fortuna Düsseldorf. In der zweiten Halbzeit sprach sich das Attentat herum. Zehn Minuten vor Schluss wurde auf den Stadion-Bildschirmen in Düsseldorf folgender Text eingeblendet: "Auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg ist ein Auto in eine Menschengruppe gefahren. Die Kurven haben daher den Support eingestellt".

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