unbekannte gefahr

Warum "Schweinfurter Grün" Gift für die Bibliotheken ist

In Büchern aus dem 19. Jahrhundert könnte sich Arsen verbergen. In Deutschland schließen erste Bibliotheken, die Nationalbibliothek in Wien überprüfte 60 Werke.

Bücher mit grünem Buchschnitt, die in der Uni-Bibliothek Bielefeld (Deutschland) auf ihre Arsenbelastung getestet werden
Bücher mit grünem Buchschnitt, die in der Uni-Bibliothek Bielefeld (Deutschland) auf ihre Arsenbelastung getestet werden
Universität Bielefeld / Julia Börner
Newsflix Redaktion
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Alles begann im Internet, aber was heutzutage nicht? Am 27. Juni 2018 veröffentlichten Jakob Povl Holck und Kaare Lund Rasmussen von der Syddansk Universitet in Odense, Dänemark, einen auf den ersten Blick harmlosen Online-Artikel. Titel: "How we discovered three poisonous books in our university library". Er beschäftigte sich mit einer Entdeckung, welche die beiden Forscher gemacht hatten, sie berichteten eher launig darüber. "Wir haben festgestellt, dass drei seltene Bücher zu verschiedenen historischen Themen in der Bibliothekssammlung der Universität von Süddänemark große Konzentrationen von Arsen auf ihren Einbänden enthalten", schrieben sie. "Die Bücher stammen aus dem 16. und 17. Jahrhundert."

Knapp sechs Jahre später führt diese Erkenntnis bei vielen Bibliotheken auf der ganzen Welt zu einer regen Geschäftstätigkeit. Sie überprüfen ihre Bestände, ziehen manches aus dem Verkehr, schließen die Türen. Gefahr im Verzug.

Wie in "Der Namen der Rose" Holck und Rasmussen hatten das so nicht geplant, sie gönnten sich zunächst einen kleinen Ausflug in die Welt der Kunst. Nicht so sehr zu dem Hollywood-Klassiker "Arsen und Spitzenhäubchen", mehr zu "Der Name der Rose", dem Bestseller von Umberto Eco aus dem Jahr 1980. Darin kommt ein Benediktinermönch vor, der die Seiten eines Buches vergiftet. Es tötet alle Leser, die sich die Finger lecken. Die Forscher stellten sich die Frage: Könnte so etwas in der Realität passieren? Vergiftung durch Bücher?

Strahlen-Bombardement Sie führten eine Reihe von Röntgenfluoreszenz-Analysen (Mikro-XRF) durch. Dabei wird Material mit Röntgenstrahlen "bombardiert", das gesamte chemische Spektrum eines Objekts zeigt sich dann. Die Methode wird in der Archäologie und Kunst häufig eingesetzt, etwa bei der Untersuchung von Gemälden. Das lässt Rückschlüsse in der Altersbestimmung zu.

Blick in den Bauch der Nationalbibliothek: Hier werden die Tausenden Bücher und Medien gelagert
Blick in den Bauch der Nationalbibliothek: Hier werden die Tausenden Bücher und Medien gelagert
Sabine Hertel

Mit Arsen ist nicht zu spaßen Die toxische Substanz kam früher als Pigment namens "Pariser Grün" in Glasuren und auf Bildern zum Einsatz, später in der Landwirtschaft als Pflanzenschutz- und Düngemittel. Auf Bücher wurde das Gift großflächiger aber erst im 19. Jahrhundert aufgetragen, es sollte Parasiten abhalten. Arsen ist giftig und krebserregend. Eine akute Arsenvergiftung führt zu Krämpfen, Übelkeit, Erbrechen, Durchfällen, inneren Blutungen. Oder man stirbt gleich.

Latein war schuld Holck und Rasmussen gelang ihr Fund aus einem Zufall heraus. Sie versuchten, lateinischen Texte zu entziffern, die waren aber in den Einbänden von einer grünen Farbschicht überzogen. Also gingen sie damit ins Labor. Nach der Messung steckte die Bibliothek die drei giftigen Bände in separate Kartons, versah sie mit Sicherheitsetiketten und deponierte sie in einem belüfteten Schrank. 

Neue Anleitung schreckte auf Es war jetzt nicht so, dass seit Holck und Rasmussen jahrelang nichts passierte. Hier und dort wurde vor der Arsenbelastung von Büchern gewarnt, aber erst Ende Februar 2024 veröffentlichte die "Kommission Bestandserhaltung im Deutschen Bibliotheksverband" eine Anleitung "zum Umgang mit potentiell gesundheitsschädlichen Pigmentanteilen an historischen Bibliotheksbeständen". Ab da wurden neue Saiten aufgezogen, da konnte Arsen Gift drauf nehmen.

Johanna Rachinger, Generaldirektorin der Nationalbibliothek, mit einer Restauratorin
Johanna Rachinger, Generaldirektorin der Nationalbibliothek, mit einer Restauratorin
Denise Auer

Die Ruhruniversität Bochum sortierte aus ihrem Bestand von 48.000 Büchern 500 potentiell betroffene Bücher aus, Bielefeld (60.000 Werke) folgte, dann Siegen (12.000 Werke), Duisburg-Essen (18.000 Bände). Die Düsseldorfer Uni-Bibliothek schließt vom 18. bis 22. März die Zentralbibliothek und einige Fachbibliotheken. Sie verfügt über 15.000 Bände aus dem 19. Jahrhundert, die nun gesichtet werden. Weltweit folgen nach und nach weitere Bibliotheken.

60 Werke in Nationalbibliothek überprüft Auch die Österreichische Nationalbibliothek reagierte. "Es wurden entsprechende Sicherheitsmaßnahmen gesetzt", sagt Generaldirektorin Johanna Rachinger. Bücher mit grünem Buchschnitt aus dem 19. Jahrhundert wurden nicht mehr ausgegeben, sondern zuvor im hauseigenen Institut für Restaurierung auf Arsen geprüft. Das betraf 60 Werke aus dem Gesamtbestand. "Diese wurden noch am 1. März entsprechenden Arsentests unterzogen", sagt Rachinger. "Dabei wurde festgestellt, dass alle Bücher frei von arsenhaltigen Buchschnitten sind."

Schweinfurt brachte Tapeten zum Leuchten Sorge bereitet vor allem ein Pigment das unter dem Namen "Schweinfurter Grün" bekannt ist, entdeckt vom Österreicher Ignaz Edler von Mitis 1805. Es brachte Farben und Tapeten zum Leuchten und fand deshalb im 19. Jahrhundert auf vielerlei Weise Verwendung. In Salons, in Ballkleidern, auf Konditorware, auch Impressionisten wie Paul Gauguin oder Vincent van Gogh bedienten sich.

Und es zeigte sich, dass ein bestimmter Pilz (Penicillium brevicaule), später Arsenpilz genannt, aus dem "Schweinfurter Grün" Arsenverbindungen freisetzen kann, die über die Atemluft zu Vergiftungen führen. Nicht nur spannender Stoff kann einem bei Büchern also den Atem rauben.

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