neues buch

10 Monate in Putins Gulag: Nun tritt Superstar bei Olympia an

Cannabisöl im Gepäck: Brittney Griner, US-Basketball-Weltstar, zweifache Goldmedaillen-Gewinnerin bei Olympia, wurde bei der Einreise nach Russland verhaftet. Über die Zeit im Gefängnis hat sie nun ein Buch geschrieben.

Zurück in ihrem Sport: Brittney Griner, Nummer 42 der Phoenix Mercury, in einem Match gegen Chicago Sky am 21. Mai 2023
Zurück in ihrem Sport: Brittney Griner, Nummer 42 der Phoenix Mercury, in einem Match gegen Chicago Sky am 21. Mai 2023
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Newsflix Redaktion
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"Ich habe bis jetzt nicht das Gefühl, dass ich meinen Körper wirklich zurückbekommen habe", sagt Brittney Griner. Seit einem Jahr ist die 33-Jährige wieder in Freiheit, fast zehn Monate saß sie davor in in Russland in Haft, zuletzt in einem der gefürchteten Gefängnislager. Sie spielt jetzt wieder Basketball, aber in ihrem Leben ist nichts mehr so, wie es früher war. Über ihre Zeit im Gulag hat sie nun ein Buch geschrieben: "Coming Home" (320 Seiten, Verlag Knopf, 23,65 Euro) erscheint am 7. Mai.

Brittney Griner ist in ihrer Sportart ein Weltstar. 2,03 Meter groß, Center bei den Phoenix Mercury in der nordamerikanischen Profiliga "Women's National Basketball Association" (WNBA). 2021 wurde sie unter die 25 besten Spielerinnen aller Zeiten in der WNBA-Geschichte gewählt. Mit dem US-Nationalteam holte sie zwei Weltmeistertitel (2014 und 2018) und zwei Goldmedaillen bei den Olympischen Spielen (2016 und 2020).

Seit Juni 2019 ist Griner mit ihrer Lebenspartnerin Cherelle Griner verheiratet. Mitte April gaben die beiden auf einem gemeinsamen Instagram-Post bekannt, dass sie ihr erstes Kind erwarten. Zu sehen sind Ultraschallbilder und die ineinandergelegte Hände der beiden mit Partnertattoos. Dazu schreiben sie: "Baby Griner kommt bald" und "Juli 2024".

Vor Erscheinen ihrer Memoiren gab Griner nun mehrere Interviews, etwa der "New York Times" oder dem TV-Sender ABC. Darin spricht sie über ihr Buch, die Haft, was sie davor, danach und mittendrin erlebte. Die wesentlichsten Passagen:

Warum sie das Buch geschrieben hat
Das entscheidende Wort heißt wohl Aufarbeitung. Griner schreibt sich Kummer seit ihrer Kindheit von der Seele. In der Schule sei sie wegen ihres Aussehens und ihrer Größe immer wieder gemobbt worden, erzählt sie. Das Schreiben habe ihr geholfen, "die geistige Gesundheit" zu erhalten. In Russland machte sie sich am Rand ihrer Bibel und in einem Sudoku-Buch Notizen, aber das war nicht nötig. Alle Details haben sich in ihr Gedächtnis eingebrannt. "Ich werde nichts davon je vergessen", sagt sie.

Brittney Griner bei Verlassen des Gerichtssaals, schuldig gesprochen wegen Drogenschmuggels
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Wie alles begann
15. Februar 2022: Griner nimmt den Flieger von Phoenix, Arizona, nach Moskau. Während die "Women's National Basketball Association" Pause macht, spielt sie in Russland. In den USA verdient sie in der Saison 150.000 Dollar, in Russland über eine Million. Griner packt hastig die Koffer, sie ist spät dran, schiebt Nintendo Switch, Unterwäsche und Jogginghosen sowie ihren Laptop ins Gepäck, erreicht gerade noch den Flieger. Eine Reise ins Verderben beginnt.

Die Festnahme in Moskau
Moskau ist nur ein Zwischenstopp, Griner soll nach Jekaterinburg. Sie schupft ihr Handgepäck  auf das Förderband. Routine, es ist ihre achte (und geplant letzte) Saison in Russland, sie zahlt Steuern hier, kennt Land, Leute und Gesetze. Dann aber entdeckt der Zollbeamte in einer Innentasche ihres Rucksacks eine Kartusche Cannabisöl. Ein Arzt in Arizona hatte ihr zur Behandlung ihrer chronischen Schmerzen medizinisches Marihuana verschrieben, in Russland ist das jedoch illegal. Ein dramatischer Fehler. "Verdammt, das wird jetzt übel", denkt sie sich. In einer Rolltasche findet sich eine weitere Kartusche.

Was unmittelbar danach passierte
Griner spricht kein Russisch, daheim ist niemand erreichbar, in Phoenix ist es mitten in der Nacht. Sie wird mit dem Auto zu einem roten Backsteingebäude gebracht. Die Untersuchungen ergeben: In zwei E-Zigaretten-Pens befanden sich insgesamt 0,7 Gramm Cannabisöl. Griner wird wegen illegalen Drogenbesitzes und des Schmuggels einer "erheblichen Menge" Betäubungsmittel ins Land verhaftet, später angeklagt. Strafandrohung: bis zu zehn Jahre Haft.

Verhöre, die erste Haft
Inzwischen ist Phoenix wach, ein Anwalt in Moskau wird organisiert, aber das hilft nicht viel. Griner wird in Handschellen gelegt, stundenlang verhört, dann in ein Gefängnis gefahren. Die erste Zelle: Ein Bett mit einer dreckigen Matratze, es stinkt, im Boden befindet sich ein mit Fäkalien verschmutztes Loch – die Toilette. "Manchmal fühlte ich mich weniger als ein Mensch", sagt sie.

Basketball-Star Brittney Griner mit ihrer Frau Cherelle 2023 auf der Met Gala in New York
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Die erste Zeit im Gefängnis
Zu essen gibt es Brei mit verdorbenem Fisch. Es gibt keine Handtücher, keine Seife, Zahnpasta, Shampoo oder Deo. Sie reißt ihre T-Shirts in Stücke, säubert sich damit, putzt damit ihre Zähne, nutzt die Fetzen als Klopapier. Vor der Zellentür hört sie die Wärter kichern. "Da dachte ich das erste Mal an Selbstmord."

Der Ukraine-Krieg bricht endgültig aus
Vier Tage nach ihrer Ankunft gibt es die erste Haftprüfung. Das Ergebnis ist niederschmetternd: Keine Kaution, kein Hausarrest. Aber es kommt nicht schlimmer. Am 24. Februar marschieren die Russen in der Ukraine ein. Griner ist plötzlich ein Spielball in der Weltpolitik.

Sie kommt in eine Frauenstrafanstalt
Das neue Gefängnis liegt zwei Stunden Autofahrt von Moskau entfernt. Sie wird bedroht, gedrängt, ihre Schuld zuzugeben, wird psychiatrisch untersucht. In Russland wird Homosexualität auch als Geisteskrankheit gesehen, Betroffene landen in speziellen Anstalten. Sie bekommt eine Augenentzündung, wird von einem Tierarzt behandelt. Aber, ein Lichtblick: Griner findet eine Freundin, eine ehemalige Volleyballspielerin, die Austauschschülerin in London war und perfekt Englisch spricht.

25. Oktober 2022: Brittney Griner wird zu neun Jahren Haft in einer Strafkolonie verurteilt
25. Oktober 2022: Brittney Griner wird zu neun Jahren Haft in einer Strafkolonie verurteilt
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Wie ihr die Haft zusetzt
Die gefeierte Sportlerin wird zur Kettenraucherin, baut Muskelmasse ab, schafft in der Zelle nur mehr ein paar Sit-Ups, dann ist sie erschöpft. Als sie eines Tages aus der Dusche kommt, schiebt ein Wärter mit einem Schlagstock ihr Handtuch weg und begafft ihre Brust.

Prozess endet fast mit der Höchststrafe
Nach fünf Monaten wird Griner ab 1. Juli 2022 der Prozess gemacht. Wenn sie heute auf die Fotos schaut, erkennt sie sich fast nicht wieder. Es ist ein Medienzirkus, 100 Reporter sind da. Griner hatte sich mehr Hilfe von den USA erwartet, aber das Außenministerium verschlampte ihren Fall, mit Präsident Biden konnte noch kein direkter Kontakt hergestellt werden. Auf Anraten ihres Anwalts bekennt sie sich schuldig. Das Urteil: neun Jahre Haft, Entlassungstermin 20. Oktober 2031. Es ist ein Schock.

Das prägendste Erlebnis beim Prozess
Jedes Mal, wenn sie irgendwo in Russland transportiert wurde, kam sie in einen Stahlkäfig, der so klein war, dass sie die Knie an die Brust quetschen musste und ihr Kopf die Oberseite berührte. Einmal, bei einem Gerichtsauftritt, verkettete ein Wärter ihre Handgelenke und verband das Schloss dann mit seinem eigenen Handgelenk. "Ich habe mich gefühlt wie ein Hund an der Leine."

Sie kommt in die Strafkolonie
Anfang November 2022 wird sie mit anderen Häftlingen in einen Zug verladen, sieben oder acht Tage bei Dunkelheit hin und her transportiert. Im Gulag empfangen sie Wachen mit automatischen Waffen und bellenden Deutschen Schäferhunden. Die Anstalt liegt in Mordwinien, 320 Kilometer östlich von Moskau, Häftlinge bezeichneten die Region als "den Arsch Russlands". Mehrere Tage lang weiß ihre Familie nicht, wo sie ist.

Das Leben im Gulag
Sie erhält eine viel zu kleine Uniform aus dickem grünem Cord, dazu ein Kopftuch, der einem Hijab ähnelt. Griner lebt nun in einem Raum mit Kojen für 20 Frauen, das Badezimmer teilten sich 50 Frauen. Die Arbeitsschichten dauern bis zu 15 Stunden, Griner muss mit rostigen Messern Stoffstücke ausschneiden, aus denen Militäruniformen genäht werden.

9. Dezember 2022: Griner ist zurück in der Heimat, in San Antonio betritt sie US-Boden
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Bilder, die immer im Kopf bleiben
Misshandlungen von Mithäftlingen, Kranke, denen Medikamente verweigert wurden. Eine junge Frau, die an Krebs starb. Brittney Griner wurde von Ärzten gezwungen sich auszuziehen und wurde nackt fotografiert.

Warum sie sich im Gefängnis die Locken abschnitt
Das sei "ein seltener Moment der Entscheidungsfreiheit" gewesen, sagt sie. Ihre Haare waren immer feucht. Es gab keinen Fön und ihr Haar trocknete nach dem Duschen nie vollständig. Alle Frauen waren gezwungen, draußen Sport zu treiben, trotz eisiger Temperaturen und Schnee. Das Gefängnis war kaum beheizt und sie hatte Angst, sich eine Lungenentzündung zu holen. Also beschloss sie, sich von ihren Locken zu trennen.

Das Licht am Ende des Tunnels
Inzwischen ist Amerika aufgewacht, Griners Ehefrau setzt Himmel und Hölle in Bewegung. Die US-Botschaft lässt ihr die Nachricht zukommen, dass an einem Gefangenenaustausch gearbeitet werde. Eines Nachts schiebt ihr ein Wärter einen Zettel durch die Tür: "Du gehst heute Abend."

Die letzte Demütigung
Sie muss sich ausziehen, auch die Boxershorts. Sieben Männer stehen im Raum. "Eine letzte Demonstration völliger Macht und Kontrolle über meinen Körper", sagt Griner. Dann wird sie zum Flughafen gefahren. Ziel: Abu Dhabi.

Im Sommer wird sie an den Olympischen Spielen in Paris teilnehmen.

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