"Früher Fan von Hitler"

Als Österreich in den USA wieder zu einem Nazi-Land wurde

Am 4. Februar 2000 wurde in Wien die schwarz-blaue Koalition angelobt. Der Pakt zwischen Schüssel und Haider ließ auch die USA erbeben. 25 Jahre danach erinnert sich Eugen Freund in einem Video an diese Zeit. Er hat sie in Washington live miterlebt.

Regierungspakt: Bundespräsident Thomas Klestil gratuliert mit versteinerter Miene Jörg Haider
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Eugen Freund
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"Ein früherer Fan Hitlers kommt in Österreich an die Macht". Das sagte nicht irgendjemand auf der Straße, sondern Dan Rather und das zu besten Sendezeit. Der legendäre Moderator der "CBS Evening News" hatte 24 Jahre lang in den USA jeden Abend Millionen Zuschauer, sie bekamen Österreich sonst eher selten serviert.

Im Februar 2000 schon. Da ging Wolfgang Schüssel mit der FPÖ ein Regierungsbündnis ein. Eugen Freund war damals Korrespondent für den ORF in Washington und bekam hautnah mit, wie die neue Koalition den Amerikanern unter die Haut ging. Wie er sich an die Zeit erinnert, wie US-Medien berichteten und warum ihnen Österreich heute wurscht ist, sehen Sie in diesem Video.

Eugen Freund im Video: So war das damals in den USA

Warum ist der Rückblick relevant?
Weil sich die Geschichte zu wiederholen scheint, zumindest ein paar Versatzstücke davon. Das Bündnis von Wolfgang Schüssel (ÖVP) mit dem FPÖ-Rechtspopulisten Jörg Haider markierte einen politischen Wendepunkt, vielleicht wendet sich Österreich sehr bald erneut. Wieder steht ein Pakt zwischen ÖVP und FPÖ bevor, diesmal soll der Regierung erstmals ein freiheitlichen Kanzler vorstehen.

Was ist diesmal anders?
In den USA gibt es so gut wie keine Berichterstattung. Keine Abendnachrichten, keine Einstiege von Korrespondenten, keine Leitartikel in den Printausgaben oder online. Das neue Österreich kommt nicht vor.

Wie war das damals?
Das schildert Eugen Freund in dem knapp siebeneinhalb Minuten langen Video. Er hat die Mitschnitte der News-Sendungen archiviert und die Zeitungen aufgehoben. Aus heutiger Sicht erscheint die Wucht der US-Reaktion erstaunlich, vor allem im Vergleich zu jetzt.

In fast allen Zeitungen in den USA war Österreich das bestimmende Thema
In fast allen Zeitungen in den USA war Österreich das bestimmende Thema
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Wie kam es zum Pakt mit den Blauen?
Vom Ablauf her lief es ähnlich wie in den vergangenen Monaten. Erst verhandelte die ÖVP mit der SPÖ, dann schwenkte sie Richtung Blau um. Bei der Nationalratswahl am 3. Oktober 1999 war die SPÖ mit 33,2 Prozent stimmenstärkste Partei geworden. Die FPÖ erreichte 26,9 Prozent, die ÖVP landete mit ebenfalls 26,9 Prozent auf dem dritten Platz. Ihr fehlten auf die Freiheitlichen nur 450 Stimmen.

Was passierte dann?
SPÖ-Kanzler Viktor Klima führte mit ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel erst Sondierungs-, dann Regierungsgespräche. Sie dauerten quälende 86 Tage. Am Ende gab es ein paktiertes Regierungs-Progamm, aber keine Einigung über die Ministerliste. In der Nacht auf den 21. Jänner wurde das Scheitern der Gespräche bekanntgegeben.

Was geschah danach?
Die ÖVP, die im Wahlkampf beteuert hatte, als Dritte jedenfalls in Opposition zu gehen, nahm mit Jörg Haiders FPÖ Verhandlungen auf. Viele vermuten bis heute, dass es im Vorfeld schon länger im Geheimen Gespräche zwischen den beiden Parteien gegeben haben muss. Sichtbares Indiz: Innerhalb von 15 Tagen stand die neue Regierung, sie wurde am 4. Februar 2000 angelobt.

So berichteten die CBS News in den USA über Jörg Haider
So berichteten die CBS News in den USA über Jörg Haider
CBS

Was erinnert an heute?
Die mühsame erste Runde der Regierungs-Verhandlungen, die Verständigung auf Geheimhaltung, das Umschwenken der ÖVP, der Bruch des Wahlversprechens. Und die Ankündigung des neuen Finanzministers Karl-Heinz Grasser, erst FPÖ, später ÖVP: Wir brauchen ein Sparpaket. Die Rede war von 200 Milliarden Schilling, umgerechnet 14,5 Milliarden Euro.

Was waren die Reaktionen?
Nicht nur in Österreich heftig. Die "Donnerstag-Demos" in Wien entstanden. Am 19. Februar nahmen über 100.000 an der Kundgebung in der Innenstadt teil. Aber auch das Ausland reagierte schockiert, vor allem die USA.

Wie erlebte Eugen Freund das?
Die Zeitungen vor der Tür, im Büro, überall war Österreich eines der Hauptthemen. "Es hat riesige Spuren hinterlassen", sagt er im Video. "New York Times, Washington Post, die anderen Tageszeitungen, alle hatten es auf Seite 1." Es hieß: "Dieser Schritt könnte Österreich auf Kolissionskurs mit der EU bringen."

Dan Rather moderierte 24 Jahre lang die "CBS Evening News"
Dan Rather moderierte 24 Jahre lang die "CBS Evening News"
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Gab es auch außerhalb der Medien mahnende Stimmen?
Ja, etwa von Salman Rushdie ("Satanische Verse"). "Austria's Uglier Voice", Österreichs hässlichere Stimmen, betitelt er seinen Artikel. Er gab aber auch der Großen Koalition die Schuld. "Vetternwirtschaft und Korruption" hätten die Wähler in die Hände von Jörg Haider getrieben

Was passierte im Fernsehen?
"Dann kamen die Abendnachrichten", erinnert sich Eugen Freund, vor allem CBS: Ein "Echo antisemitischer Vergangenheit" löse "Zorn und Furcht in Europa aus". Ein "früherer Fan Hitlers kommt in Österreich an die Macht", sagte Moderator Dan Rather. Er erinnerte an Aussagen von Haider wie "Hitlers ordentlicher Beschäftigungspolitik" oder, dass bei der Waffen-SS "anständige und ehrenwerte Männer" gedient hätten. Dazu sah man historische Bilder von Nazi-Soldaten im Stechschritt in Wien.

Warum entfaltete das große Wirkung?
Es war die Phase der "Big Three" in den USA. Drei Anchors moderierten und dominierten die Nachrichten-Shows: Dan Rather in den CBS Evening News, Peter Jennings in den ABC News und Tom Brokaw in den NBC News. Sie holten jeden Abend Millionenquoten, auch wenn Rather später etwas kokett sagte: "Ratings don't last. Good journalism does", also Zuschauerzahlen sind nicht nachhaltig, guter Journalismus schon.

Demos, hier von Schülern und Studenten, gehörten zum Straßenbild
Demos, hier von Schülern und Studenten, gehörten zum Straßenbild

Berichteten alle Sender in dieser Härte?
"Nein", sagt Freund. "Peter Jennings relativierte". Haider sei in demokratischen Wahlen gewählt worden. Auf ABC wird Korrespondent Richard Gizbert vom Kohlmarkt zugeschaltet. "Haider wurde nicht nur von Nazi-Nostalgikern unterstützt", sagte er. Mit denen allen wäre die FPÖ nicht in der Regierung.

Wie reagierte das offizielle Amerika?
'Außenministerin Madeleine Albright am deutlichsten. "Es gibt in der Euro-Atlantischen Gemeinschaft keinen Platz für Mitglieder, die sich nicht eindeutig von den Verbrechen der Nazis distanzieren", sagte sie.

"Wer von einem autokratischen Donald Trump regiert wird, hat kein Interesse mehr am kleinen Österreich"
"Wer von einem autokratischen Donald Trump regiert wird, hat kein Interesse mehr am kleinen Österreich"
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Haben uns die Amerikaner durchschaut?
Ein bisschen vielleicht. Was die Österreicher am meisten an der neuen Regierung störe?, wird in einem Bericht gefragt. Sarkastische Antwort: "Die Ruhe ist weg".

Aber was ist nun der Grund für den Unterschied zu jetzt?
Es gibt diesmal kaum einen Mucks Berichterstattung ."Diese Koalition wird jetzt in den USA kaum wahrgenommen," sagt Freund. "Zu weit sind in der Zwischenzeit viele Länder schon nach rechts außen gerückt und das gilt ganz besonders für die USA. Wer von einem autokratischen Donald Trump regiert wird, hat kein Interesse mehr am kleinen Österreich".

Und in Österreich?
Da findet heute eine Demo statt. Sie zieht um etwa 18.30 Uhr vom Wiener Ballhausplatz zur ÖVP-Zentrale in der Lichtenfelsgasse. Es wird mit 5.000 Personen gerechnet.

Eugen Freund war Moderator der ZiB 1, lebte von 1979 bis 1984 in New York und war von 1995 bis 2001 in Washington als ORF-Korrespondent tätig. Er war Teil der SPÖ-Delegation im Europa-Parlament und ebendort Mitglied der USA-Delegation (2014-2019)

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