2003 stahl eine Bande in Antwerpen Diamanten im Wert von mindestens 100 Millionen Dollar. Der Anführer wurde zwar festgenommen, die Beute blieb allerdings bis heute verschwunden. Netflix rekonstruiert den Coup – und lässt den Kopf der Bande zu Wort kommen.
Was braucht eine gute Kriminal-Geschichte? Eine Gruppe von Gangstern, die einen grandiosen Plan verfolgen und die Polizei auf Trab halten. Ein durchtriebenes "Mastermind", das den Plan entworfen hat. Und Ermittler, die den Ganoven trotz allem auf die Spur kommen und sie – vielleicht – dingfest machen können. Besonders interessant wird es dann, wenn von den Verbrechern charmante Anziehungskraft ausgeht, man irgendwie Sympathie für sie empfindet. Und wenn bis zum Ende Fragen offen bleiben.
Filmreifer Einbruch … Diese Zusammenfassung steht beispielhaft für jedes gute sogenannte "Heist-Movie", also Filme, in denen es um smarte Raubzüge geht. Am erfolgreichsten war in diesem Genre zuletzt die "Ocean's"-Filmreihe von Regisseur Steven Soderbergh und mit Hollywood-Stars wie George Clooney, Brad Pitt und Julia Roberts.
… im richtigen Leben Doch in der jüngsten Netflix-Doku geht es um keine fiktive Geschichte, sondern um das echte Leben. Und zwar um nicht weniger als den größten Diamantenraub aller Zeiten, der 2003 in Belgien vonstatten ging. "Stolen: Der große Diamantenraub in Antwerpen" rekonstruiert den Fall unterhaltsam und kurzweilig - und lässt das (vermeintliche?) Mastermind dahinter seinen Coup in eigenen Worten erklären.
Was ist passiert? Die belgische Stadt Antwerpen gilt als weltweit wichtigster Umschlagplatz für Diamanten, tausende Händler haben dort ihren Sitz. Doch am Morgen des 16. Februar 2003 herrschte im sogenannten Diamantenviertel helle Aufregung. Ein als "unknackbar" geltender Tresorraum des Diamantenzentrums war geplündert worden. Über 100 Schließfächer wurden aufgebrochen und ausgeräumt, von den Tätern fehlte jede Spur.
Rekord-Raub Sie entwendeten Gold, Juwelen, Diamanten, Aktienpapiere und Bargeld. Geschätzter Wert der ergaunerten Beute: Über 100 Millionen Dollar – jedenfalls laut Polizei. Fachleute setzen die Schadensumme eher bei 400 Millionen Dollar an – noch heute steht der Einbruch als größter Diamantenraub aller Zeiten im Guinness Buch der Rekorde.
Glück im Unglück Die belgischen Ermittler tappten zunächst völlig im Dunkeln. Bei der zuständigen Sicherheitsfirma war kein Alarm eingegangen, man konnte sich nicht erklären, wie ein Einbruch dieser Größenordnung unentdeckt bleiben konnte. Erst ein Zufall – oder ein Fehler der Einbrecher – brachte die Beamten auf die richtige Spur. Auf einem Feldweg neben der Autobahn zwischen Antwerpen und Brüssel entdeckte ein Anrainer einen Haufen, den er zunächst für Müll hielt. Doch bei genauerer Betrachtung entdeckte der Mann in dem vermeintlichen Unrat zerrissene Dokumente, Geldscheine – und Diamanten. Also verständigte er die Polizei.
Eine erste Spur Die Ermittler untersuchten die Spuren und schnell war der Konnex zum Diamantenraub hergestellt. Besser noch: Eines der Dokumente enthielt den Namen eines italienischen Händlers, der im Diamantenzentrum ein Büro hatte: Leonardo Notarbartolo.
Die Turiner Schule Mit Hilfe der italienischen Behörden fanden die Ermittler in Antwerpen heraus, dass der aus Palermo stammende Notarbartolo dort ein verurteilter Dieb war, der der "Turiner Schule" zugezählt wurde: Diese aus zehn bis 20 Personen bestehende Gruppe war seit Jahren aktiv und hatte sich auf Einbrüche spezialisiert, wobei sie ihr Handwerk besonders gut beherrschten.
27 Monate Planung Der Sizilianer hatte sich zwei Jahre zuvor im Diamantenzentrum eingemietet, um unbehelligt die Tresorräume des Gebäudes auszukundschaften. Die Planung für den Coup dauerte 27 Monate. Mit hoher technischer Finesse konnten er und seine vier Komplizen alle Sicherheitsmaßnahmen umgehen, den Tresorraum öffnen und die Schließfächer aufbrechen, und das völlig unbemerkt. Doch mit dem achtlosen Wegwerfen der "Überbleibsel" des Einbruchs unterlief der Gang ein folgenschwerer Fehler.
Coup des Jahrhunderts "Stolen: Der große Diamantenraub in Antwerpen" gehört zweifellos zu den besseren True Crime-Formaten auf Netflix: Die Geschichte wird clever und strukturiert aufgearbeitet und unterhaltsam erzählt. Zu Wort kommen Ermittler – aber vor allem Leonardo Notarbartolo selbst, der detailreich beschreibt, wie ihm und seinen Kumpanen der "Coup des Jahrhunderts" gelungen ist.
Wer war das Mastermind? In einem wichtigen Detail unterscheidet sich seine Erzählung aber von jener der Polizei: Notarbartolo behauptet bis heute, im Auftrag eines gewissen "Alessandro" gehandelt zu haben, der das eigentliche Mastermind hinter der Operation gewesen sei. Dieser hätte ihn angeheuert, mit Mikrokameras Aufnahmen aus dem Tresorraum zu machen, eine weitere Kamera wurde über dem Tresorschloss angebracht, um die jeweiligen Codes abzulesen. Er selbst wäre beim Einbruch nicht im Gebäude gewesen, sondern, sei draußen im Fluchtauto "Schmiere gestanden".
Der heimliche Gewinner Die Behörden gehen hingegen davon aus, dass es diesen "Alessandro" niemals gegeben hat und er vielmehr eine Erfindung Leonardo Notarbartolos sei, um das Ausmaß seiner Verantwortung zu verschleiern. Der Sizilianer wurde übrigens gefasst und verurteilt, saß sechs Jahre im Gefängnis und ist längst wieder ein freier Mann. Und: Auf gewisse Weise gingen Notarbartolo und seine Komplizen vermutlich dennoch als Gewinner aus der Sache hervor: Denn die ergatterte Beute wurde nie gefunden.
Fazit Die 90-minütige Doku "Stolen: Der große Diamantenraub in Antwerpen" bietet eine spannende, informative und kurzweilige Darstellung des größten Diamantenraubs der Geschichte. Gerade die detaillierte Aufschlüsselung, wie den Einbrechern der Raub gelang, ist faszinierend und eine wahre Freude für Krimi-Fans. Wer Filme wie "Ocean's 11" mag, wird auch an dieser Doku seine Freude haben.
"Stolen: Der große Diamantenraub in Antwerpen", True Crime-Dokumentation. USA 2025, 95 Minuten, Netflix