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Enthüllungsbuch

Bidens Erbsünde: "Das hat sich vor unserer Nase abgespielt"

Es wurde vertuscht, geleugnet, heruntergespielt. In einem Buch zeichnen zwei US-Journalisten nun nach, wie ein amtsunfähiger US-Präsident Joe Biden in Richtung zweite Amtszeit stolperte. Und wie Umfeld, Politik und Medien versagten.

US-Präsident Joe Biden: Sein Verfall zeichnete sich über Jahre ab, beschreibt ein neues Buch
US-Präsident Joe Biden: Sein Verfall zeichnete sich über Jahre ab, beschreibt ein neues BuchReuters
Christian Nusser
Akt. 21.05.2025 00:43 Uhr

"Hybris", nennt sich das Buch, im Untertitel "Verfall, Vertuschung und Joe Bidens verhängnisvolle Entscheidung". Es ist am Dienstag gleichzeitig mit den USA auch auf Deutsch erschienen. Der US-Titel bringt die Umstände noch deutlicher zum Ausdruck: "Original Sin: President Biden's Decline, Its Cover-Up, and His Disastrous Choice to Run Again".

"Original Sin", Erbsünde, das ist, was von diesem verhängnisvollen Jahr wohl übrig bleiben wird. Es brachte Donald Trump eine zweite Amtszeit im Weißen Haus ein, beschädigte das Bild seines Vorgängers, der in den USA lange Zeit ein angesehener Mann war, wirft kein gutes Licht auf das Umfeld von Joe Biden, auch nicht auf die Politik. Und, nicht zuletzt, stellt es den Medien ein miserables Zeugnis aus.

Denn viele haben gewusst, wie es um Biden steht, dass er nie und nimmer eine zweite Periode überstehen würde, weil er schon durch einen Teil der ersten Amtszeit getragen werden musste. Es war ein Absturz sehenden Auges. "Hier ist das, was sich direkt vor unserer Nase abgespielt hat", schreiben die Autoren. Es klingt wie ein Vorwurf auch an sich selbst. Was es über die "Erbsünde" zu wissen gibt:

Was sind die Eckdaten des Buches?
"Hybris" hat 400 Seiten und ist am Dienstag auf Deutsch im Verlag dtv erschienen. Das Buch kostet 20,60 Euro. Geschrieben wurde es von Jake Tapper und Alex Thompson.

Das Enthüllungsbuch über Joe Biden ist diese Woche erschienen
Das Enthüllungsbuch über Joe Biden ist diese Woche erschienen
dtv

Was muss man über die Autoren wissen?
Jake Tapper ist 56, Chief Washington Correspondent bei CNN, Anchor einer News-Show auf dem Sender. Er war früher Senior White House Correspondent für ABC News und hat mehrere Bücher geschrieben: "The Outpost", ein Sachbuch über den Krieg in Afghanistan, aber auch "The Hellfire Club" und "All the Demons Are Here", beides Polit-Thriller.

Und Alex Thompson?
Er ist 35 Jahre alt, war früher bei Politico und ist derzeit National Political Correspondent bei Axios, einer aufstrebenden News-Webseite. Thompson hat in Harvard Geschichte studiert, "Hybris" ist sein erstes Buch.

Was macht die Zusammenarbeit der beiden interessant?
Der Unterschied im Alter und der dadurch andere Blickwinkel. Dann die Kombination aus Tappers TV- und Investigativ-Perspektive und Thompsons gutem Zugang zu demokratischen Insidern. Beide Autoren nutzen Interviews mit mehr als 200 anonymen und namentlich genannten Quellen, um ein detailliertes und oft kritisches Bild von Bidens innerem Zirkel zu zeichnen.

Worum geht es in dem Buch?
Es ist eine Analyse von Joe Bidens Entscheidung, 2024 erneut für das Präsidentenamt zu kandidieren – obwohl es klare Anzeichen eines geistigen und gesundheitlichen Verfalls gab. Die Autoren nennen diese Entscheidung "Erbsünde". Sie habe maßgeblich zur Niederlage der Demokraten gegen Donald Trump beigetragen.

Wie beschreiben sie ihre Motivation?
Sie wollen zeigen, wie "verstörend" die Vorgänge 2023 und 2024 im Weißen Haus waren, schreiben Tapper und Thompson im Vorwort. "Das ist unsere einzige Agenda."

Kommt die Erkenntnis nicht ein bisschen spät?
Es ist zumindest ein ziemlicher Spagat. Allen, die Biden aus der Nähe beobachten konnten, musste klar sein, dass es zu keiner zweiten Amtszeit kommen kann. Die Autoren sprechen von "Scheuklappen", die "Demokraten innerhalb und außerhalb des Weißen Hauses" angelegt hatten. Das führte dazu, dass sie sich "an einer Farce beteiligten, die Trump den Wahlsieg auf dem Silbertablett servierte".

Und niemand wollte das stoppen?
"Die meisten der in diesem Buch präsentierten Informationen wurden nach den Wahlen mit uns geteilt, als sich Funktionsträger und Helfer wesentlich freier fühlten, offen zu sprechen", schreiben Thompson und Tapper. "Einige äußerten uns gegenüber ihr Bedauern, nicht mehr unternommen zu haben, oder so lange gewartet zu haben."

Wie beginnt das Buch?
Mit dem Tag nach der Wahlniederlage am 5. November 2024. Mit Joe Biden, der in der Früh aufsteht und immer noch überzeugt ist: "Wäre er der Kandidat geblieben, dann hätte er Donald Trump besiegt." Mit Kamala Harris, die an die alte Weisheit von John F. Kennedy erinnert wird: "Der Sieg hat hundert Väter, die Niederlage ist ein Waisenkind." Und der steigenden Wut der Demokraten auf ihren Noch-Präsidenten. "Er hat uns total in die Scheiße geritten", sagt ein Berater.

Was machte das Offensichtliche offensichtlich?
Das TV-Duell am 27. Juni 2024. "Das war nicht einfach bloß ein schlechter Abend, wie Biden und sein Team hinterher behaupteten. Millionen Menschen waren entsetzt angesichts von Bidens Aufritt bei der Debatte, seinem hängenden Unterkiefer, seinem unverständlichen Gebrabbel."

In seinem Umfeld konnte niemand überrascht sein, oder?
Nein, alles wussten Bescheid, aber niemand gestand sich (und den anderen) die Dramatik ein. "Über das ganze Jahr 2023 und bis 2024 hinein wurde Bidens Gang immer steifer, seine Stimme brüchiger", schreiben die Autoren. Biden brauchte bei kleinen Veranstaltungen einen Teleprompter, ging früher, die Spender wurden unruhig. Er begann, immer mehr Namen zu vergessen.

Joe Biden mit Ehefrau Jill Biden auf einem Selfie: Der frühere US-Präsident machte in der vergangenen Woche seine Prostata-Krebserkrankung öffentlich
Joe Biden mit Ehefrau Jill Biden auf einem Selfie: Der frühere US-Präsident machte in der vergangenen Woche seine Prostata-Krebserkrankung öffentlich
Reuters

Gab es Vorzeichen?
Ja, schon 2019 im Wahlkampf. Biden wollte der Name seines Beraters Mike Donilon nicht einfallen. "Ihr wisst schon, der …", stockte er. Die Anwesenden warfen sich verstohlene Blicke zu. Donilon arbeitete seit 1981 für Biden. Sein Team sagt heute, die Veränderungen hätten bereits 2015 eingesetzt. Da starb sein Sohn Beau mit 46 an einem Glioblastom.

Warum war Corona für Biden eine Hilfe?
So hart es klingt, aber er konnte sich zurückziehen, versteckt werden. Die wenigen Termine wurden auf den Nachmittag gelegt, seiner besten Zeit. Aber seine Aussetzer fielen auch politisch immer häufiger auf. "Es war, als würde man sich mit seinem Großvater unterhalten", sagte ein ehemaliger europäischer Staatschef nach einem Treffen 2021.

Lässt sich dieses "Verstecken" zahlenmäßig belegen?
Ja, in den ersten 16 Monaten seiner Präsidentschaft habe Biden "nur 38 Interviews gegeben, verglichen mit den 116 von Trump, 198 von Obama ... Bis Juli hatte Präsident Biden nur 16 Pressekonferenzen abgehalten – nur knapp die Hälfte der Anzahl, die Bush, Obama und Trump jeweils an diesem Punkt ihrer Präsidentschaften gegeben hatten", heißt es im Buch.

Warum fiel den Ärzten nichts auf?
US-Präsidenten unterziehen sich jährlichen medizinischen Checks, das Ergebnis wird großteils öffentlich gemacht. 2021 ließ sich Biden von Dr. Kevin O'Connor untersuchen, seit 13 Jahren sein Arzt, es bestand ein Vertrauensverhältnis. O'Connor "verbot" dem Präsidenten sogar einmal eine Auslandsreise mit den Worten: "Und ich kann nichts daran ändern, dass Sie beschissen aussehen."

Aber der Gesundheitscheck ergab nichts?
Doch, O'Connor bemerkte einen Verfall, beschrieb ihn auch, aber ohne Dramatik. Entscheidender fanden die Autoren: "Auffällig an dieser Untersuchung war vielleicht nicht das, was untersucht wurde, sondern das, was nicht untersucht wurde: Es gab keinen Hinweis auf eine Untersuchung von Bidens kognitiven Fähigkeiten." Man ließ es einfach unter den Tisch fallen.

Das sind die beiden Buchautoren

Joe Biden spricht mit Jake Tapper, der Buchautor moderierte die TV-Debatte der Präsidentschaftskandidaten auf CNN
Joe Biden spricht mit Jake Tapper, der Buchautor moderierte die TV-Debatte der Präsidentschaftskandidaten auf CNN
Reuters

Welche Rolle spielte Jill Biden?
"Dr. Jill Biden" oder abgekürzt "Dr. B.", wie sie sich im Weißen Haus nennen ließ, war vehement gegen die erste Kandidatur, nun war alles anders. "Dr. B. war im Weißen Haus eine starke, beschützende Kraft", schreiben die Autoren. "Sie gehörte außerdem zweifellos zu den größten Unterstützern der Entscheidung des Präsidenten, zur Wiederwahl anzutreten. Und sie war die überzeugteste Leugnerin seines Verfalls."

Wann begann der Weg ins Unglück?
Am 23. April 2023, da gab Biden seine Kandidatur für die Wiederwahl bekannt. Aber: "Seine körperliche Verfassung wurde zusehends schlechter. Alles ging langsamer: wie er sich bewegte, redete, Besprechungen leitete. Termine sollten nur mehr an Wochentagen zwischen 10 und 16 Uhr stattfinden. Tatsächlich: Vom 1. Januar 2023 bis zum 27. April hatte Biden nur vier öffentliche Auftritte vor 10 Uhr vormittags ... und nur zwölf öffentliche Events nach 18 Uhr, die meisten ohne Kamera."

Und der Presse fiel nichts auf?
Doch, Alex Thompson, einer der beiden Autoren des Buches, schrieb einen Artikel. Tenor: "Das Weiße Haus versteckt Biden". Reaktion: Das seien Fake News.

Aber die Zwischenfälle häuften sich, oder?
Ja, Biden stürzte mit dem Rad, stolperte über einen Sandsack, war nicht mehr in der Lage, ein fünf Minuten langes Video fehlerfrei aufzunehmen, bezeichnete Chinas Staatschef Xi bei einem Bankett als "Diktator", bei der Weihnachtsfeier im Weißen Haus 2023 musste Jill die Rede halten, der Präsident wirkte konfus. Und er "trug immer öfter Tennisschuhe, unter anderem ein Paar schwarze HOKAs".

Wann wurde der Öffentlichkeit das klar?
Spätestens am 6. Juni 2024, während der Feierlichkeiten zum Jahrestag des D-Day in der Normandie. "Biden wirkte zerbrechlicher und ging schlurfender als viele der Veteranen des Zweiten Weltkriegs", heißt es im Buch. Er musste die 80 Meter zur Bühne gefahren werden, erkannte viele vertraute Gesichter nicht mehr.

George Clooney organisierte eine Spendengala für Biden, später hielt er ihn nicht mehr tauglich für das Amt
George Clooney organisierte eine Spendengala für Biden, später hielt er ihn nicht mehr tauglich für das Amt
Reuters

Welche Rolle spielte George Clooney?
Er war eigentlich ein glühender Biden-Fan. 2024 bat ihn Jeff Katzenberg, Mitbegründer von DreamWorks, eine Spendengala im Juni für den Präsidenten zu organisieren. Es wurde eine Mammutaufgabe. Clooney drehte in der Toskana, flog nur für den Abend nach L.A., musste noch während der Gala weg. Dasselbe bei Julia Roberts, auch sie stand auf glühenden Kohlen.

Und dann endete der Abend in einem Desaster, oder?
Am 15. Juni waren Clooney und Roberts da, posierten für Spendenschecks zwischen 250 und 500.000 Dollar, sammelten die Rekordsumme von über 30 Millionen Dollar ein. Obama, Jimmy Kimmel, es war ein Promi-Auflauf. Dann kam Biden, Clooney wirkte entsetzt. "Es war, als würde man jemanden sehen, der schon gar nicht mehr lebt", sagte ein Besucher.

Was war das Schlimmste?
Dass Biden Clooney nicht mehr erkannte. Ein Mitarbeiter musste ihm den Namen vorsagen. "Oh, yeah", sagte Biden. "Hi, George." Es war der Anfang vom Ende.

Bei der Totenmesse für Papst Franziskus musste Joe Biden gestützt werden
Bei der Totenmesse für Papst Franziskus musste Joe Biden gestützt werden
REUTERS

Wann nahte das Ende?
Bei der TV-Debatte am 27. Juni 2024. Jake Tapper, Autor des Buches, war einer der Moderatoren. Biden versprach sich häufig, brachte Zahlen, Namen durcheinander, in manchen Momenten erstarrte sein Gesicht. Es war eine Katastrophe. Die beiden Autoren schließen das Kapitel so: "Einflussreiche Demokraten, die 2024 für Biden gearbeitet hatten, erzählten uns später, dass sie die Debatte verfolgt und sich gefragt hatten: Wer zum Teufel regiert eigentlich gerade unser Land?"

Das fragten sich viele, oder?
Ja, vor allem auch George Clooney, der Spenden-Organisator. Er setzte sich "im Büro seines Hauses in Südfrankreich an seinen Laptop", so Tapper und Thompson. "Ich schätze Joe Biden", schrieb Clooney. Ich betrachte ihn als Freund, ... In den vergangenen vier Jahren hat er viele der Schlachten gewonnen, die er zu schlagen hatte. Die einzige Schlacht aber, die er nicht gewinnen kann, ist die gegen die Zeit."

Die Zeilen erschienen am 10. Juli in der New York Times. Am 21. Juli 2024 gab Joe Biden die Kandidatur auf.

Christian Nusser
Akt. 21.05.2025 00:43 Uhr