Feministin behauptet:

Buben haben es heute oft schwerer als Mädchen

Sie ist Feministin, dann bekommt sie zwei Söhne und ihre Welt stellt sich auf den Kopf. Wie Shila Behjat ihre Buben erzieht und welches ihr größter Wunsch ist: "Sie dürfen keine A****löcher werden."

"Es ist inzwischen wenig cool, ein Mann zu sein – einen Mann zu gebären, ist es ehrlich gesagt inzwischen auch nicht mehr“, sagt Feministin und Buchautorin Shila Behjat
"Es ist inzwischen wenig cool, ein Mann zu sein – einen Mann zu gebären, ist es ehrlich gesagt inzwischen auch nicht mehr“, sagt Feministin und Buchautorin Shila Behjat
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Christian Nusser
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"Ich hatte nicht den Wunsch gehabt, eine Tochter zu bekommen. Über die Möglichkeit eines Sohnes jedoch hatte ich auch nicht nachgedacht, und diese Möglichkeit entpuppte sich nun: als eine Aufgabe".

Diese Sätze finden sich gleich auf Seite drei des Buches, und damit wäre eigentlich klar umrissen, worum es in "Söhne großziehen als Feministin" geht: Um eine Aufgabe, vielleicht präziser gesagt um zwei. Oder gleich drei?

"Einen Sohn zu haben ist problematisch" Denn Autorin Shila Behjat hat nicht nur einen Sohn, sondern zwei. Und das, was sie als "Aufgabe" beschreibt, wird dadurch, dass sie sich als Feministin definiert, nicht kleiner. Eher erst so richtig groß. Aber alles entwickelt sich in eine andere Richtung als es anfangs zu vermuten wäre – nicht zuletzt das macht das Buch lesenswert. Es erzählt nicht die klassische Geschichte einer Working Mum voller Klischees, sondern gipfelt in dem Satz: "Einen Sohn zu haben ist irgendwie problematisch in der heutigen Zeit." Das sagte Behjat der "Welt". Und: "Ich würde wirklich sagen, Jungs sind mittlerweile benachteiligt."

Shila Behjat: „Ich habe sie alle erlebt, die Brusttrommler, die Paviane, die Strippenzieher“
Shila Behjat: „Ich habe sie alle erlebt, die Brusttrommler, die Paviane, die Strippenzieher“
Neda Rajabi

Einmal Welt und zurück Die 41-Jährige, Papa Iraner, Mama aus dem deutschen Allgäu, geboren in Karlsruhe, ist ein bisschen herumgekommen in der Welt. Jura-Studium in Hamburg und Paris, freie Journalistin in Indien, für das französische Frauenportal aufeminin.com schrieb sie über Gleichberechtigung in der EU, nun verantwortet sie beim Sender "Arte" Dokumentationen, moderiert im TV und auf Veranstaltungen, lebt mit ihrer Familie in Berlin. Und da beginnt auch die ganze Geschichte.

Frauenärztin sah etwas Die dreht sich anfangs um das klassische Mamasein, abseits jedes "Mutterkults", dem sich die Autorin energisch entgegenstellt. Alles dabei, von der ersten Fahrt mit dem Baby in der S-Bahn bis zum Anschubsen der Teenager, damit sie eine 500 Meter lang Zipline hinunterrasen können, "mein Herz dabei in die Tiefe sackend". Oder lange davor, bei der Frauenärztin, die "etwas sah", nämlich dass es ein Bub werden würde. "Und ich, gleich mehrere gendersensible Stufen überspringend, dachte: Er darf bloß kein Arschloch werden", so Nadia Behjat.

Zu erfahren, dass sie ein männliches Baby erwarten, ist für viele Frauen ein Schock
Feministin Nadia Behjat

"Moment des Schocks" Was früher in Familien große Glückseligkeit auslöste, scheint zum Standortnachteil mutiert. "Viele Frauen, die über ihre Söhne schreiben, fixieren in ihren Texten irgendwann den Zeitpunkt, zu dem sie erfuhren, dass sie ein männliches Baby erwarten. Oft beschreiben sie diesen als einen Moment des Schocks", schildert Behjat. Es sei "inzwischen wenig cool, ein Mann zu sein – einen Mann zu gebären, ist es ehrlich gesagt inzwischen auch nicht mehr".

Buben sind nicht dran In "progressiven" Kreisen in Berlin, erzählte sie der "Welt", sei nichts weniger sexy, als ein weißer Mann zu sein. "Ich beobachte, dass wir gesellschaftlich keine Antwort gefunden haben, was die Zukunft der Geschlechterrollen betrifft. Und aus dieser Leerstelle entsteht ein Wirrwarr für meine männlichen weißen Kinder. Sie sollen nur nicht. Nicht dominieren. Nicht das Wort ergreifen. Nicht die Ersten sein. Sie sind einfach nicht dran."

"Vermutlich ist gerade nichts weniger angesagt, als sich eine Geschichte auszudenken, in der ein weißer Junge mit blauen Augen, groß, ohne Behinderung und aus einem Heterohaushalt, also jemand wie mein Sohn Jonah, die Hauptrolle spielt."

"Söhne großziehen als Feministin" von Shila Behjat, erschienen bei Hanser
"Söhne großziehen als Feministin" von Shila Behjat, erschienen bei Hanser
Hanser Verlag

Kampf ums Überleben Jonah heißt der Ältere ihrer Buben, der Sanfte, geboren 2012, Bo, sein Bruder, ist zwei Jahre jünger. Er kommt per Notkaiserschnitt acht Wochen zu früh auf die Welt, Schläuche an den Nieren sollen das in seiner Lunge angesammelte Fruchtwasser ablassen. Die Chance aufs Überleben liegt bei 50 Prozent, aber das Häufchen Mensch boxt sich durch. Jonah und Bo heißen nicht wirklich so. Ihre Mutter will sie später einmal selbst darüber entscheiden lassen, ob sie in der Öffentlichkeit stehen wollen oder nicht.

Papa als Feminist Behjat sieht "das Ende der patriarchalen Unterdrückung" bereits eingeläutet und unterfüttert die These mit ihrer Biografie. Einerseits ihr Vater, der "Baba", Angehöriger der Religionsgemeinschaft der Bahá’í, eine im islamischen Iran verbotene Minderheit, die Mädchen bevorzugt. Teure Schulen, Erlernen von Instrumenten, Studium im Ausland – aber nicht für die Buben. "In seiner Familie war es seine Schwester, das einzige Mädchen unter vier Geschwistern, die in allem bevorzugt wurde." Andererseits ihre Schilderung, wie sie sich als Mädchen mit einem viel größeren Buben prügelte, Selbstvertrauen daraus schöpfte.

Welche Gesellschaft schwebt uns Feministinnen eigentlich vor, nach dem Ende der menschlichen Paviane?
Shila Behjat im Streitgespräch mit sich selbst

Männer sind Paviane Der erste Chef ein Patriarch, der sie jeden Morgen demütigte. "Ich habe sie alle erlebt, die Brusttrommler, die Paviane, die Strippenzieher", schreibt sie. Das prägte – und lässt sie nun die offene Frage stellen: "Welche Gesellschaft schwebt uns Feministinnen eigentlich vor, nach dem Ende der menschlichen Paviane?" Eine richtige Antwort darauf findet sich im Buch nicht. "Die Feministin, die Kämpferin in mir blickt strafend, wenn ich das Essen auf den Tisch bringe, immer wieder", schreibt Behjat. "In meiner Welt herrscht ein erstaunlicher Widerspruch."

"Ablehnung gegen das Männliche" Diese Widersprüchlichkeiten ziehen sich durch die Kapitel, Behjat ist das bewusst, die 200 Seiten sind auch eine Sinnsuche. Als Feministin habe sie das "Feindbild Mann" in sich getragen, schreibt sie. Aufgewühlt als Teenager durch die Massenvergewaltigungen bosnischer Frauen, erzählt sie der "Welt". Später durch das Thema Genitalverstümmelung, niedergeschrieben im Bestseller "Wüstenblume" von Waris Dirie. "Das prasselte alles auf mich ein – und ich kam heraus mit dem Fazit, dass mein Leben unsicherer, problematischer und weniger selbstbestimmt ist, weil es Männer gibt. Das war tief in mir drin: ein ganz großes Misstrauen, eine große Ablehnung gegen das Männliche."

Nichts trifft das schlimmer, als wenn das eigene Kind eines Nachmittags von Finn erzählt, der immer selbst gemachtes Sushi dabeihat
Shila Behjat über den Kampf ums beste Pausenbrot

"Wahnsinnig ungerecht" Dann kamen die Söhne, und Behjat erlebte den Alltag plötzlich aus einem anderen Blickwinkel. Sie startete ihr "Projekt Mann", dachte aber bald um. "Es ist wahnsinnig ungerecht, so pauschal zu denken und zu verurteilen", sagte sie der "Welt". Es sei sogar genau das, was sie als Feministin immer versucht habe, zu bekämpfen: "Dass ich, weil ich eine Frau bin, so und so behandelt werde, dass mir bestimmte Verhaltensweisen aufgrund meines Geschlechts unterstellt werden. Genau das wird jetzt mit meinen Söhnen gemacht."

Sushi als Pausenbrot "In der öffentlichen Debatte haben wir Mutterschaft, Frausein und erst den Feminismus fein säuberlich voneinander getrennt und abgekoppelt", schreibt sie und erläutert das am Beispiel Pausenbrot, den Wettlauf der Super-Moms mit den Youtuberinnen, "die die perfekte Pausenbox inszenieren. Nichts trifft das schlimmer, als wenn das eigene Kind eines Nachmittags von Finn erzählt, der immer selbst gemachtes Sushi dabeihat – 'kann ich das auch mal haben?' Und als Nächstes ist es das, was uns nach einer ohnehin kurzen Nacht eine weitere halbe Stunde früher aus dem Bett treibt."

Und irgendwo zwischendrin findet sich der vielleicht schönste Satz des Buches: "Draußen lässt sich die Welt verändern, drinnen wir man von ihr vergessen."

Shila Behjat, "Söhne großziehen als Feministin: Ein Streitgespräch mit mir selbst", Hanser 2024, 200 Seiten, 23,70 Euro

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