Extra-Kopfnüsse
Der Papst und ich: Notizen einer flüchtigen Begegnung
Als Franziskus freundlich "Buongiorno" zu mir sagte. Vor 11 Jahren durfte ich dem Papst die Hand schütteln. Wie es dazu kam, wie eine Privataudienz im Vatikan tatsächlich abläuft und welche geheimen Rituale es dabei gibt. Eine Erinnerung.

Sich im Vatikan orientieren zu wollen, ist wie "Blinde Kuh" zu spielen. Man muss sich dafür nicht einmal die Augen verbinden lassen. Die Größe und die Unübersichtlichkeit des Gebäudekomplexes sind mir in Erinnerung geblieben. Die Sterblichkeit der Päpste hat mich noch nie verwundert, aber dass noch keiner in den Gängen verloren gegangen ist, sehr wohl.
Das Zweite, was sich bei mir im Gedächtnis festgesetzt hat, war das Auto. Päpste fahren Papamobil, das ist ein Naturgesetz. Der weiße Geländewagen von Mercedes ohne Dach, aus dem sie der Menge zuwinken können, begleitet den jeweils obersten Kirchenfürsten seit Jahrzehnten auf Reisen in die ganze Welt. Wie "The Beast" den jeweiligen US-Präsidenten.
Mit KI-Stimme: Der Papst und ich
Als ich aber am nämlichen Donnerstag auf einem Flur im Vatikan unterwegs war, sah ich aus einem kleinen Fenster. Am Hof stand ein blauer Fiat, der seine beste Zeit schon hinter sich hatte, wenn es denn eine solche je gegeben hatte, und darin saß der Papst. Leibhaftig. Ich machte ein schnelles Foto, das war den Leuten im Vatikan gar nicht wirklich recht.
Die "Vermarktung" von Franziskus als bescheidenen Menschengesellen begann erst später. Dann sah man den Pontifex immer wieder etwa in einem Fiat 500. Ich wunderte mich, wie der alte Mann in das kleine Gefährt gekommen sein konnte, vielleicht gibt es im Vatikan aber spezielle Schuhlöffel dafür.

Ich bin in Glaubensfrage nicht besonders firm, die katholische Kirche kenne ich eher aus der Praxis, aus dem Maschinenraum also. Meine Mutter war Lehrerin bei den Ursulinen, die Hälfte des Lehrkörpers – sie hat den Begriff gehasst – bestand aus geistlichen Schwestern. Ein Jahr lang ging ich obendrein in den Kindergarten des Ordens, fürs Leben war die Lehre recht lehrreich.
Aus dem Erlebten und aus dem Erzählten formte sich nach und nach ein Gesamtbild, es liegt abgespeichert in meinem Kopf auf, der Dateiname nennt sich Lebenserfahrung. Vermeintlich gute Menschen, das hat sich mir eingeprägt, sind nicht immer bessere Menschen. Sie können, aber sie müssen nicht.

Daran erinnerte ich mich, als der neue Papst ins Amt kam. Es dauerte nur einen Tag, bis er gewählt war. Am 13. März 2013 stieg um 19.06 Uhr weißer Rauch auf, mit Jorge Maria Bergoglio hatte niemand gerechnet. Päpste hatten aus Europa zu sein, nicht aus Südamerika. Auch so ein Naturgesetz.
Dann trat der Neue um 20.22 Uhr auf den Balkon des Petersdomes. Oje, schon wieder ein grimmiger, alter Mann, dachte ich mir. Hornbrille, ernstes Gesicht. Aber dann begannen die Hornbrille und das ernste Gesicht zu sprechen, mit sanfter Stimme, untermalt hin und wieder von einem fast spitzbübischen Grinsen. An den könnte ich mich gewöhnen, dachte ich mir.
Manches, was er in den darauffolgenden Jahren tat oder sagte, fand ich gut, manches weniger, anderes nahm ich kaum zur Kenntnis. Um ehrlich zu sein, es rauschte viel ungehört und ungesehen an mir vorbei, ich denke, es geht einigen so. Aus meiner Sicht konnte der Papst der Kirche in seinen Amtsjahren ein freundlicheres Antlitz verleihen, in den Grundfesten hat er sie nicht erschüttert.

Eineinhalb Jahre später saß ich an Bord von OS 501. Die AUA-Maschine machte sich an diesem 12. November 2014 um 12.30 Uhr auf den Weg nach Rom-Fiumicino. Der damalige Bundespräsident Heinz Fischer war zum Staatsbesuch in den Vatikan eingeladen, ich rutschte mit. Delegationen hatten es mir schon früh angetan.
Ich habe Politiker schon ein paar Mal in die nahe Ferne oder die ferne Nähe begleitet, aber Rom war besonders. Die Choreografie, mit der die Autos vom Flughafen zum Hotel eskortiert wurden, hätte es in Cinecittà zur Filmreife bringen können.
Wir waren Teil einer längeren Kolonne von Fahrzeugen, der Bundespräsident ganz vorne. Wir hatten die Fenster offen, um alles live mitverfolgen zu können, was da vor sich ging. Vorne und hinten Polizeiwagen, dazwischen Carabinieri auf Motorrädern, die sich nach hinten fallen ließen, an uns vorbei zischten, dann wieder an den Flanken Autos von Seitenstraßen an der Einfahrt hinderten.
Das alles wurde über Trillerpfeifen gesteuert. Es wurde nicht gehupt, sondern bei Gefahr, drohender Gefahr oder einfach so pfiffen die Carabinieri, was das Zeug hielt, und die italienischen Autofahrer beeindruckte dieses stimmungsvolle Ballett. Ein paar Takte Eros Ramazzotti oder meinetwegen auch Paolo Conte für die Schwermüter hätten das Gemälde vollkommen gemacht.

Das Hotel "Hassler" liegt am Ende der Spanischen Treppe. Dort vollzog unser Ballett schließlich die letzten Tanzschritte. Die Autos nahmen ihre Plätze ein, sie wurden mit dem Rücken zur Hausmauer abgestellt, bereit, bei Gefahr jederzeit loszugaloppieren wie Pferde vor einem Saloon. Mit dem Unterschied, dass dieser Saloon fünf Sterne hatte.
Das Losgaloppieren passierte erst am nächsten Morgen und ohne Gefahr im Verzug. Die Delegation wurde in den Vatikan chauffiert, wieder war etwas Ballett dabei. Für die Reporter ging es an der Seite vom Petersdom vorbei in das Innere des Kirchenstaates und dann zu Fuß weiter bis zu einer Tür, zur Pforte der Entscheidung.
Es ist nämlich so: Delegationen melden im Vatikan an, wer zur Audienz vorgelassen werden soll. Eine Garantie dafür besteht nicht, es handelt sich eher um ein Glücksspiel, dessen Bedingungen mit farbloser Tinte festgeschrieben wurden.

Und so öffnete sich die Pforte der Entscheidung und Angelo Scelzo trat heraus. Ein stiller Mann, gegen ihn wirkt selbst Christian Stocker fahrig. Scelzo war damals stellvertretender Leiter des Pressebüros im Vatikan, später wurde er dessen Direktor. Vielleicht ist Langeweile doch ein Erfolgsgarant.
Scelzo hielt eine Liste in der Hand, auf der Namen standen. Aber eben nicht alle. Neben mir wartete die Reporterin eines TV-Senders, die schon seit mehreren Jahren in Rom als Korrespondentin tätig war, aber es noch zu keiner Papstaudienz geschafft hatte. Auch diesmal nicht, sie wurde nicht vorgelassen.
Ihr Name stand nicht auf der Liste. Warum nicht, wurde nicht mitgeteilt. Es gab keine Begründung für nichts, es hätte auch keinen Sinn gemacht zu fragen. Es war einfach so. Die anderen durften rein.

Von seinen gesamten 88 Jahren hat Jorge Maria Bergoglio einen einzigen Tag in Österreich verbracht. In den Achzigerjahren saß er im Publikum der Wiener Staatsoper und hörte Gundula Janowitz zu, wie sie die Fiordiligi in Mozarts "Così fan tutte" gab.
Ein paar Jahrzehnte später passierte die österreichische Delegation um 10.25 Uhr den Sala Clementia, weltbekannt, weil hier die Päpste aufgebahrt werden. Die Schweizergardisten nahmen Aufstellung und Franziskus trat aus einer Minitür der Apostolischen Bibliothek.
Er war zwar nur einen Tag in seinem Leben in Wien, konnte aber trotzdem recht passabel Deutsch. Franziskus hat drei Monate in Frankfurt studiert. Und weil er in Deutschland studiert hatte, ging er lächelnd auf Heinz Fischer zu und sagte: "Herzlich willkommen."

Wer im Vatikan zu Gast ist, lernt es, Geduld zu haben. 35 Minuten lang widmeten sich der österreichische Bundespräsident und der Papst einem Vieraugengespräch. Am Holztisch mit Standuhr, Tintenfass und Tabernakel ging es um Flüchtlinge, Russland, Fischer lud den Papst nach Österreich ein. Als Termin wurde 2016 angepeilt. Es sollte nie dazu kommen.
Alles hat seine Zeit, aber auch die läuft irgendwann ab. Beim Papst ging das an diesem Tag so: er drückte eine Klingel und beinahe zeitgleich erlebte Rom die zweite Aufführung eines Ballettstücks. Einer exakten Einstudierung folgend, ergoss sich ein Hofstaat in die Apostolische Bibliothek im zweiten Stock und bezog Posten.
Der Rest der Delegation durfte nun den Raum betreten, First Lady Margit Fischer, der damalige Finanzminister Hans-Jörg Schelling, Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl. Fotos wurden geschossen, Geschenke übergeben, es sah wie ein routiniert wirkender Vorgang aus.
Fischer überreichte dem Papst einen Stich von Stephansdom und eine CD. Mit einer Aufnahme von Gundula Janowitz in "Così fan tutte".

Dann winkte Angelo Scelzo kurz mit der rechten Hand. Er ist ein Mann der wenigen Worte und der kleinen Gesten. Ich durfte vortreten, fünf Schritte auf den Papst zu. Er streckte mir seine rechte Hand hin. "Buongiorno", sagte er und lächelte. Er hatte immer noch die sanfte Stimme vom Balkon nach der Papstwahl, im Händedruck war er kein Nehammer oder Klitschko.
Der ganze Vorgang dauerte keine zehn Sekunden. Ich weiß gar nicht mehr, was ich dem "Buongiorno" entgegensetzte. Ein offizieller Fotograf des "L'Osservatore Romano" hielt den Moment der persönlichen Zeitgeschichte fest. Die eigene Kamera und das Handy mussten vorab alle auf einem Tisch ablegen.
Als ich dem Papst die Hand schüttelte und er mir, hatte Angelo Scelzo längst seine Hand ein weiteres Mal in aller nötigen Sparsamkeit bewegt. Der Nächste kam dran.
Ein Kommen und gehen. So wie in allen Phasen des Lebens.