Im Wohnungsbau, bei der Energie, im Alltag: Kreislaufwirtschaft kann das Herz von Österreichs Wirtschaft neu beleben. Dafür ist die Politik gefordert. Sie kann sich ihre Strategie von einem ganz naheliegenden Vorbild abschauen: Lego-spielende Kindern.

Wir sind als Gesellschaft sensibel geworden, was unseren Energieverbrauch angeht. Wir drehen das Licht ab, wenn wir den Raum verlassen. Wir schrauben LED-Leuchten ein, um ein paar Kilowattstunden zu sparen. Selbst bei den Emissionen, die wir durch unseren Konsum verursachen, werden wir langsam bewusster. Wir wollen keine Energie verschwenden und möglichst wenige Abgase produzieren.
Beim Materialverbrauch dagegen fehlt uns diese Achtsamkeit noch. Die Gebäude, die wir mit unseren LED-Lampen erhellen, reißen wir ab, sobald sie uns nicht mehr passen – und entsorgen tonnenweise wertvolle Baustoffe auf Deponien.
Dabei stecken in den Wänden, Böden und Decken viel mehr Energie, Geld und Abgase, als wir jemals mit LED-Leuchten einsparen könnten. Trotzdem wirtschaften wir weiter nach dem Muster: bauen, abreißen, wegwerfen. So, als würden wir ein Lego-Haus, das uns nicht mehr gefällt, einfach in den Müll werfen. Das ist verschwenderisch, schmutzig und teuer. Und es erstickt unsere Wirtschaft.
Österreichs Industrie, das Herz unserer Wirtschaft, schwächelt. Keine Woche vergeht ohne eine Meldung über eine Werksschließung und Entlassungen. Die gute Nachricht: Wir können unseren Wirtschaftskreislauf wieder in Schwung bringen – und zwar mit Kreislaufwirtschaft. Kinder würden das Lego-Haus zerlegen und aus denselben Steinen ein neues bauen. Genau das sollten wir mit Materialien tun: nutzen, wiederverwenden, weitergeben.

Kreislaufwirtschaft ist aber mehr als nur Recycling. Sie ist auch ein Service-Modell. Den Kärcher, den man einmal im Jahr braucht? Die Bohrmaschine, die einmal für den Umbau verwendet wurde? Kann man heute mieten. Benutzen statt besitzen.
Auch mit Wänden geht das mittlerweile, auch wenn es unvorstellbar klingt. Wenn man sie nicht mehr braucht, werden sie abgeholt und zum nächsten Haus, zur nächsten Nutzung gebracht.
Die Bauwirtschaft ist nur ein Beispiel. Auch andere Branchen haben enormes Potenzial: Aluminium etwa ist nahezu vollständig wiederverwertbar. Und die Produktion von neuem Alu benötigt rund 20-mal mehr Energie als das Aufbereiten von gebrauchtem.
Gerade in materialintensiven Industrien liegt ein gewaltiges Potenzial. Eine Modellierung, die das KONTEXT Institut beim Umweltbundesamt (UBA) und dem Center of Economic Analysis and Research (CESAR) in Auftrag gegeben hat, zeigt am Beispiel des Bau- und Metallsektors, wie stark Kreislaufwirtschaft zur Modernisierung beitragen kann.

Durch die richtigen Maßnahmen können bis 2040 Rohstoffe (minus 29 % Materialeinsatz um Wohnbau), Energie (minus 14 TWh) und Emissionen (minus 20 %) gegenüber dem "Weiter-wie-bisher" gespart und gleichzeitig Arbeitsplätze und Wohlstand gesichert werden.
Die Ergebnisse zeigen klar, dass Kreislaufwirtschaft nicht nur Klima und Umwelt schont, sondern auch günstigere heimische Produktion ermöglicht (minus 11 % Energiepreise in der Metallindustrie, niedrigere Outputpreise im Hochbau und Metallsektor). Das würde die Resilienz der Industrie stärkent und sie so zukunftsfit machen.
Die Potenziale sind enorm. Doch damit das alles auch passiert, braucht es die richtigen politischen Rahmenbedingungen.
Im Bausektor heißt das weniger Neubau, mehr Sanierung, Nachverdichtung und Nutzung von Leerstand. Zudem braucht es Mindestquoten für Recyclingbaustoffe. Wiederverwendbare Bauteile und Materialien (“Sekundärrohstoffe”) müssen mit Primärrohstoffen rechtlich gleichgestellt werden. Das klingt nach einer Formalie, wäre in einzelnen Nischen aber eine kleine Revolution.
Im Metallsektor muss – neben dem beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien und der Planungssicherheit durch den Emissionshandel – die Verfügbarkeit von hochwertigen Schrott entlang der gesamten Wertschöpfungskette erhöht werden. So kann etwa das Angebot an recyceltem Stahl deutlich steigen. Über Leitmärkte kann die öffentliche Hand diese Nachfrage gezielt ankurbeln.

Wenn Österreich bei der Kreislaufwirtschaft eine Vorreiterrolle einnehmen will, wie die Regierung im Regierungsprogramm verspricht, müssen diese Maßnahmen rasch umgesetzt werden. Das beginnt mit einer grundlegenden Reform des Abfallwirtschaftsgesetzes. Auch auf EU-Ebene, wo in den kommenden Jahren wichtige Maßnahmen anstehen, kann Österreich mit einer aktiven Rolle dazu beitragen, dass der heimische Wirtschaftsstandort gestärkt wird.
Damit Kreislaufwirtschaft ihren vollen Mehrwert entfalten und die heimische Produktion stärken kann, muss sie auch eine zentrale Säule der kommenden Industriestrategie sein. Hier liegen echte Innovationschancen – für neue Technologien, Patente und Geschäftsmodelle. Österreich könnte zum Exporteur von neuartigem Know-how und Produkten werden.
Die Wiederverwertung von Rohstoffen macht uns zudem unabhängiger von Importen. Für ein kleines Binnenland bedeuten neue Rohstoffe fast immer: Abhängigkeit. Im schlimmsten Fall von autokratischen Regimen.
Die Studie zeigt, wie Bau- und Metallsektor modernisiert und krisenfest werden können – und beide stehen stellvertretend für weite Teile der Industrie. Die Kreislaufwirtschaft kann das industrielle Herz Österreichs neu anregen und so den gesamten Wirtschaftskreislauf stärken.
Dafür braucht es ein Umdenken – in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Nur wenn wir künftig nicht nur auf Energie und Abgase achten, sondern auch auf unseren Materialverbrauch, wird dieser Wandel gelingen und der Mehrwert für Menschen und Wirtschaft spürbar.
Katharina Rogenhofer studierte Zoologie in Wien und "Biodiversity, Conservation and Management" an der Universität Oxford. Sie ist Initiatorin von FridaysForFuture Österreich, Autorin, war Sprecherin des Klimavolksbegehrens. Aktuell ist sie Vorständin des KONTEXT Institut für Klimafragen