Lokale Kritik

Es ist, wie es isst: Auf ein Wildschwein am Bobo-Berg

Die Cuisinière & Der Connaisseur gehen ab jetzt für Newsflix essen. Diesmal ins noch recht neue "Collina am Berg" am Wiener Spittelberg. Es war verwirrend.

"Der Connaisseur" Wolfgang Fischer und "Die Cuisinière" (3-Hauben-Köchin Jacqueline Pfeiffer) testen für <em>Newsflix</em> Lokalitäten
"Der Connaisseur" Wolfgang Fischer und "Die Cuisinière" (3-Hauben-Köchin Jacqueline Pfeiffer) testen für Newsflix Lokalitäten
Helmut Graf
Jacqueline Pfeiffer  und Wolfgang Fischer
Akt. Uhr
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"Zum Harry Brunner sollten wir endlich einmal gehen", sagte Der Connaisseur – und hatte noch den Spittelberg im Kopf. Weswegen beim vereinbarten Termin Die Cuisinière im Servitenviertel aufschlug, wo Brunner seit einem halben Jahr aufkocht. Der Connaisseur dagegen war am Bobo-Spittelberg. Vor der Türe stehend, ist es ihm dann ein- und dann aufgefallen: Das ehemalige "Kussmaul" heißt nicht mehr "Das Spittelberg" (Brunner ist schon seit fast zwei Jahren weg und seit kurzem schon wieder da – allerdings im Wiener Alsergrund - dazu ein andermal). Also: Der Connaisseur hat das alles tatsächlich erst beim Anblick des Schildes "Collina am Berg"  beim Eingang ums Eck der Spittelberggasse kapiert …

Aber da muss man dann durch, dachte Der Connaisseur, zu seinen Fehlern stehend, und hinein ins um 18.00 Uhr noch leere Restaurant. Reserviert war ja auch!

Sofort auffällig beim Eintritt, die lange offene Küche, ein großer Griller, wo sich - wie der spätere Blick in die kleine, originelle Karte bestätigt – tatsächlich ein großes Wildschwein dreht. Begrenzt sind die Arbeitsplätze der mehrköpfigen Brigade durch eine beeindruckende Niro-BudelDie Cuisinière hält die fachgerechte Bezeichnung Küchenpass für angebrachter, die von der Dimension jedem Frühstücksbuffet im Fünfsterne-All In-Hotel zur Ehre gereichen würde.

Beim Gehen werden wir später sehen, dass der Pass (wir sind ja gelehrig) tatsächlich als Buffet Verwendung findet. Einsam warten dort die Reste des Wildschweines unter der Wärmelampe (so heißt diese Höhensonne, wie Die Cuisinière erläutert) auf den vegetarischen Flexitarier (Wild verscheidet ja bekanntlich glücklicher …).

Vis-a-vis der Budel Hochtische in Nischen. Besonders geeignet für Verliebte, die nicht voneinander lassen können. Und gesehen werden wollen!! Weil da muss jeder vorbei. Auf die Auslage folgt der eigentliche Gastraum und dahinter noch ein Extrazimmer, quasi hinten hinaus auf die Gutenberggasse. Alles sehr stylisch und chic, wie es sich für das ehemalige Hurenviertel nach seiner Gentrifizierung mit den gottlob gut erhaltenen Biedermeier-Häusern als Szene-Quartier geziemt, nicht mehr nur für die Bobos.

Apropos Bobo, was auch positiv auffällt: keine Beschallung durch Lounge-Musik oder sonstige Spotify-Playlists, dem gelegentlich höchst zweifelhaften Geschmack des Koberers (in der freundlichsten Übersetzung des Altwiener Ausdrucks) folgend.

Wobei meist jenseits des Genres des Klangteppichs vielmehr noch die Lautstärke des Dargebotenen das Problem ist; wenn sich mehr als zwei Menschen am Tisch kaum mehr sinnerfassend unterhalten können. Was wiederum, wenn alle ihre Finger HipHop am iPhone tanzen lassen, eh völlig wurscht ist; soll aber auch ohne Musik vorkommen!

Also positiv hervorgehoben: keine Beschallung im "Collina", Konversation möglich!

Aja, Essen kann – ja, soll man auch im "Collina". Die Karte ist klein aber nicht unoriginell. Neben Chef’s Choice, was wohl eine Mischung der Vorlieben des Patrons Tono Soravia (ja aus der der nämlichen Bau- und Immobilienfamilie stammend und wohl seit Jugend mit Jagd und Fischerei aufgewachsen – wie man in der Karte erkennen soll) und des Küchenchefs Martin Feichtinger, der hier schon bei Harald Brunner (also doch) als Sous-Chef wirkte, darstellt. Die fünf Gänge des Überraschungs-Menüs um 65 Euro speisen sich, wie eine Rückfrage ergab, als eine Art Mengenrabatt aus der vorhandenen Karte. Und diese ist, wie bereits erwähnt, nicht ausufernd. Was, so der eigene Geschmack getroffen wird, eh besser ist. Man will sich gar nicht vorstellen, wie die Zutaten für die Gerichte einer achtseitigen Speisekarte am übernächsten Tag aussehen …

Brotzeit nennt sich die Eröffnung vor Kalt und Warm, die den ersten Hunger (oder mehr) mit originellen Langos mit Porchetta oder Focaccia vegetarisch bzw. mit Blunzn und Wasabi um jeweils 8 Euro stillen soll. Die dunkle und geschmackvolle Grießknöderl-Suppe heißt Wild Dashi (11 Euro), der Catch of the Day sind etwas voluminösere Lachsforellen-Sashimi mit derzeit ach so angesagten – und übersäuerten – fermentierten Gemüsen. Der Shot of the Day ist gerade nicht erinnerlich, aber da es um die Jagd (siehe oben) geht, wird es auch ein Wildschwein (bitte Schonzeit beachten!) gewesen sein.

Neben dem eingangs erwähnten Wildschwein (heißt Char Siu – "eine BBQ-Art aus der kantonesischen Küche", erklärt Die Cuisinière) mit Rollgerste und Winterrüben und einem Karpfen Curry (bedarf keiner Erläuterung) findet Der Connaisseur bei den Hauptspeisen einmal mehr Porchetta (vulgo Tullner Schweinebauch) mit Ofenkraut und Erdäpfeln neben veganen Melanzani (alles zwischen 22 und 27 Euro).

Nicht jedermanns Sache, diese Deftigkeit. Aber die Portionsgröße macht wenigstens keinen anschließenden Gang zum Würstelstand notwendig. Dafür aber viel Flüssigkeit: das Seidel helles Tegernseer oder Obertrumer Zwickel um 4 Euro oder das Achterl Sauvignon Blanc vom Gerngross um 6 Euro sind okay, denn wer trinkt schon Wasser (0,75 Lt. Vöslauer 8 Euro)? Und wenn, dann Leitungswasser! Bekommt man! Die Weinkarte ist klein, fein sortiert und im Wesentlichen im preislichen Rahmen.

Das Service? Sehr aufmerksam, fast übermotiviert!

Und um 20 Uhr war das Lokal gesteckt voll!

Wünsche, Beschwerden, Anregungen bitte an [email protected]

Das sind Die Cuisinière & Der Connaisseur

  • Die Cuisinière und Der Connaisseur haben sich gefunden, um über das Essen zu reden. Und auch andere daran teilhaben zu lassen. Es ist, wie es isst!
  • Die Cuisinière ist Jacqueline Pfeiffer, Grand Master Chef – kurz Chef – genannt. War Kochlöffel in diversen Hauben- und Sternehütten in Mitteleuropa (Adlon, Gstaad, Marc Veyrat usw.), irgendwann "Köchin des Jahres" und hatte in den 10er-Jahren im Wiener "Le Ciel" drei Hauben (nach alter Gault Millau-Zeitrechnung) erkocht. Nunmehr ist sie als Enjoyment-Cunsultant mit ihrem PfeiffersGiG meist im diskreteren gastronomischen Spitzenbereich unterwegs.
  • Der Connaisseur heißt Wolfgang Fischer, war Journalist und Medienmanager, zehn Jahre CEO der Wiener Stadthalle, nunmehr Geschäftsführer der DDSG Blue Danube, bester Freund von Admiral Duck – und Gourmet wie Gourmand seit Jahrzehnten. Also ein klassisch übergewichtiger weißer alter Mann.
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