Neue EU-Regeln

EU-Asylpakt fix: Warum Österreich (teils) dagegen stimmte

Der Rat der EU-Mitgliedsstaaten winkte nun die Reform endgültig durch. Ob sie wirklich kommt, ist unklar. Was im Asylpakt steht, die Folgen, was Österreich störte.

Die Zahl der Asylanträge ist in der EU 2023 angestiegen, in Österreich dagegen gesunken.
Die Zahl der Asylanträge ist in der EU 2023 angestiegen, in Österreich dagegen gesunken.
FETHI BELAID / AFP / picturedesk.com
Christian Nusser
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Am Ende war es nur noch ein Formalakt. Und weil sich am Dienstag die Finanzminister ohnehin in Brüssel trafen, stimmten nicht die Regierungschefs und nicht die Innenminister und nicht die Außenminister der Vereinbarung zu (oder eben auch nicht), sondern Magnus Brunner und seine Kollegen aus den anderen 26 EU-Staaten. Eine Diskussion über die einzelnen geplanten Änderungen konnte entfallen, es war alles gesagt. Die Reform der Migrations- und Asylpolitik in der EU kam nicht über Nacht, es handelte sich um keinen Schnellschuss, sondern eher um Bildhauerei, und der Stein wurde über ein Jahrzehnt in Form gebracht.

Was nun dastand, behagte nicht allen. Einige Länder (wie Österreich) stimmten einigen Punkten nicht zu, andere lehnten den Pakt komplett ab. Die meisten NGOs stemmten sich dagegen. Amnesty International sprach von einer Verschlechterung der Situation, die zu "größerem Leid" führen werde, andere sahen einen "Hoffnungsschimmer". Was man über den neuen Migrations- und Asylplan der EU wissen muss:

Was sind die wesentlichsten Änderungen?
Asylverfahren an den Außengrenzen sollen beschleunigt werden, es wird verpflichtende Screenings geben. Wer aus einem sicheren Land kommt, wird schneller abgeschoben. Bis zur Entscheidung dürfen Menschen in haftähnlichen Lagern untergebracht werden.

Was ist der neue Solidaritätsmechanismus?
Die EU-Länder können sich in Zukunft entscheiden: Sie nehmen eine bestimmte Anzahl von Flüchtlingen auf oder sie leisten stattdessen Geldzahlungen. Die Rede ist von 20 000 Euro für jeden vabgelehnten Asylbewerber. Geplant ist, dass pro Jahr mindestens 30.000 Geflüchtete aus stark belasteten Ländern in andere EU-Staaten umverteilt werden.

Wie viele Asylwerber gibt es derzeit?
Im Vorjahr wurden in der gesamten EU 1,1 Millionen Anträge verzeichnet, das ist der höchste Stand seit 2016. In Österreich ist der Trend gegenläufig. Insgesamt wurden im Vorjahr 59.232 Asylanträge  registriert – das ist ein Rückgang um 47 Prozent im Vergleich zu 2022.

Wie stimmten die Länder ab?
Polen und Ungarn haben den Asylpakt komplett abgelehnt, Tschechien und die Slowakei enthielten sich teilweise. Bemerkenswert: Donald Tusk, bis 2019 Präsident des Europäischen Rates und damit in die Verhandlungen des Migrationspakts involviert, blieb als neuer polnischer Regierungschef bei der Linie seines Vorgängers und bezeichnete die neue Regelung als "inakzeptabel" für sein Land.

Wie stimmte Österreich ab?
Federführend in den Verhandlungen war das Innenministerium. Es bewertet die Reform "als Schritt in die richtige Richtung". Zur finalen Abstimmung gelangten am Dienstag zehn Maßnahmenpakete. Österreich stimmte sechs Paketen zu, lehnte zwei ab und enthielt sich bei zweien der Stimme.

Finanzminister Magnus Brunner stimmte für Österreich am Dienstag in Brüssel ab
Finanzminister Magnus Brunner stimmte für Österreich am Dienstag in Brüssel ab
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Welche Rechtsakte Österreich ablehnte
Die Aufnahme-Richtlinie (siehe Punkt 5) und die Krisen-Verordnung (siehe Punkt 2). Die Krisen-Verordnung enthalte keine effektiven Maßnahmen zur Lösung einer Krise enthält (etwa bei hybriden Bedrohungen und Instrumentalisierung durch Migration), begründet das Innenministerium. Einige Punkte in der Aufnahme-Richtlinie, etwa einer Bevorzugung von Personen, die durch NGOs im Mittelmeer aufgegriffen werden, trage man ebenfalls nicht mit.

Bei welchen Rechtsakten sich Österreich enthielt?
Beim Asyl- und Migrationsmanagement (siehe Punkt 1) sowie bei der Status-Verordnung (siehe Punkt 8).

Warum das Veto keine Rolle spielte?
Weil die EU in diesem Fall keine Einstimmigkeit erzielen, sondern nur eine "qualifizierte Mehrheit" erreichen musste. Eine qualifizierte Mehrheit kommt dann zustande, wenn die beiden folgenden Bedingungen gleichzeitig erfüllt sind:
- 55 Prozent der Mitgliedstaaten stimmen für den Vorschlag (also 15 von 27).
- Der Vorschlag wird von Mitgliedstaaten unterstützt, die zusammen mindestens 65 % der Gesamtbevölkerung der EU ausmachen.

Ein polnischer Soldat am Grenzzaun an der EU-Außengrenze zu Russland
Ein polnischer Soldat am Grenzzaun an der EU-Außengrenze zu Russland
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Wie wird das nun umgesetzt?
Die Rechtspakete müssen nun noch im EU-Amtsblatt kundgemacht werden, dann erlangen sie 20 Tage später Gültigkeit. Die Länder haben dann zwei Jahre Zeit für die Umsetzung.

Ändert die EU-Wahl etwas an den Plänen?
Das wäre denkbar. Wenn sich die Mehrheitsverhältnisse in Europa nach rechts verschieben, dann ist ein aufschnüren des Migrationspakts möglich. Die FPÖ nannte die Einigung am Dienstag einen "hilflosen Versuch".

Wie stimmten die Parteien im EU-Parlament ab?
Die zehn Maßnahmenpakete waren am 11. April zur Abstimmung gekommen. Österreich stellt 19 Abgeordnete im EU-Parlament. Die ÖVP ist mit sieben Mandataren am stärksten vertreten, die SPÖ hat fünf Delegierte, die FPÖ drei, die Grünen ebenfalls drei, die Neos stellen eine Abgeordnete. SPÖ, ÖVP und Claudia Gamon (Neos) stimmten allen Punkten zu. Die Grünen stimmten nur bei zwei Dossiers mit "Ja", die FPÖ-Delegierten ebenfalls (allerdings für andere Dossiers als die Grünen), bei einem Dossier enthielten sie sich.

Das Innenministerium von Gerhard Karner (ÖVP) war bei den Verhandlungen federführend
Das Innenministerium von Gerhard Karner (ÖVP) war bei den Verhandlungen federführend
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Das sind die 10 Maßnahmenpakete des Migrationspakts

1. Neues Asyl- und Migrationsmanagement
EU-Mitgliedsstaaten müssen anderen EU-Mitgliedsstaaten, die einem hohen Migrationsdruck ausgesetzt sind, helfen. Diese Hilfe kann dadurch erfolgen, dass sie Asylwerber aufnehmen, Finanzhilfe leisten oder operative und technische Unterstützung leisten. Mitgliedsstaaten, die die Aufnahme der Geflüchteten aus stark belasteten EU-Ländern verweigern, müssen Strafzahlungen leisten.

2. Bewältigung von Krisensituationen
Diese Regelung soll greifen, wenn es in einzelnen Mitgliedsstaaten zu einem außergewöhnlich starken Zustrom von Menschen aus Drittstaaten kommt. Betroffene Länder müssen einen Antrag an die Kommission stellen, diese muss die Situation innerhalb von zwei Wochen bewerten und gegebenenfalls Hilfsmaßnahmen einleiten. Die Regelung kommt auch zur Anwendung, wenn feindselige Drittstaaten Migranten in Massen schicken, um die EU zu destabilisieren. Russland wäre so ein Kandidat.

3. Überprüfung an EU-Grenzen
Personen, die die Kriterien für eine Einreise in die EU nicht erfüllen, werden an der EU-Außengrenze einem strengen Kontrollverfahren unterzogen. Dabei werden sie identifiziert, ihre biometrischen Daten werden erfasst und sie werden Gesundheits- und Sicherheitskontrollen unterzogen. Diese Überprüfungen dürfen bis zu sieben Tage dauern. Die Mitgliedsstaaten müssen unabhängige Kontrollgremien einrichten, um sicherzustellen, dass die Grundrechte geachtet werden.

4. Strafregisterauskunft
ECRIS-TCN ist ein europäisches Strafregister-Informationssystem für Drittstaatsangehörige (Nicht-EU) und Staatenlose. Überprüfungsbehörden bekommen das Recht, auf die ECRIS-TCN-Daten zuzugreifen. Sie können sie gezielt durchsuchen, um über die Vorstrafen von Personen zu erfahren.

Fingerabdrücke und Gesichtsbilder, selbst von Kindern ab einem Alter von sechs Jahren, werden in Zukunft zentral gespeichert
Fingerabdrücke und Gesichtsbilder, selbst von Kindern ab einem Alter von sechs Jahren, werden in Zukunft zentral gespeichert
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5. Neues Asylverfahren
Für die Zu- oder Aberkennung des internationalen Schutzes wird EU-weit ein neues, gemeinsames Verfahren eingeführt. Die Bearbeitung von Asylanträgen an den Grenzen der EU soll in Zukunft schneller erfolgen. Auch Abschiebungen direkt an der EU-Außengrenze sollen beschleunigt möglich werden. Ausnahme: unbegleitete flüchtende Minderjährige.

6. Rückführung an der Grenze
Drittstaatsangehörige und Staatenlose, deren Asylantrag an der Grenze abgelehnt wurde, dürfen nicht in das Gebiet des betreffenden Mitgliedsstaates einreisen. Diese Personen dürfen für maximal zwölf Wochen an Orten nahe der Außengrenze oder in Transitbereichen festgehalten werden. Wenn keine Unterbringung an diesen Orten möglich ist, können andere Orte im Hoheitsgebiet genutzt werden. Die Verpflichtung, an einem bestimmten Ort zu bleiben, bedeutet keine Erlaubnis zur Einreise oder zum Aufenthalt.

7. Fingerabdruck-Regulierung
Die Daten von Personen, die illegal in die EU einreisen, werden in der reformierten Eurodac-Datenbank gespeichert. Erfasst werden auch Fingerabdrücke und Gesichtsbilder, selbst von Kindern ab einem Alter von sechs Jahren. Die Behörden sollen in die Lage versetzt werden, zu erkennen, ob jemand ein Sicherheitsrisiko darstellen könnte oder gewalttätig bzw. bewaffnet war.

Donald Tusk, bis 2019 Präsident des Europäischen Rates, stimmte als polnischer Premierminister nun gegen den Pakt
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8. Einheitliche Qualitäts-Standards
Das "Dublin-Verfahren" wird neu geregelt. Es kommen einheitliche Standards für alle Mitgliedstaaten für die Anerkennung des Flüchtlingsstatus oder des subsidiären Schutzstatus. Das gilt auch hinsichtlich der Rechte, die den Schutzberechtigten gewährt werden. Die Mitgliedsstaaten sollten die Situation im Herkunftsland auf der Grundlage von Informationen der EU-Asylagentur bewerten. Der Flüchtlingsstatus wird regelmäßig überprüft. Antragsteller auf Schutz dürfen das Gebiet des Mitgliedsstaates, der für ihren Antrag verantwortlich ist, nicht verlassen.

9. Einheitliche Normen für Antragsteller
Die Mitgliedsstaaten müssen in Zukunft sicherstellen, dass für die Aufnahme von Asylsuchenden gleichwertige Normen gelten. Das betrifft unter anderem Unterkunft, Schulbildung und Gesundheitsversorgung. Registrierte Asylbewerberinnen und Asylbewerber können künftig spätestens sechs Monate nach Antragstellung eine Arbeit aufnehmen. Asylbewerber werden durch Beschränkungen der Bewegungsfreiheit davon abgehalten, sich in der EU zu bewegen.

10. Sicherer und legaler Weg nach Europa
Mitgliedsstaaten können vom UNHCR anerkannte Flüchtlinge aus Drittländern freiwillig aufnehmen und ihnen damit die legale, organisierte und sichere Einreise in die EU ermöglichen.

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