neu im Kino

Hugh Grant in "Heretic": Horror-Opa statt Frauenschwarm

"Notting Hill" war gestern: In seinem jüngsten Film "Heretic" entführt ein diabolischer Hugh Grant zwei junge Missionarinnen in die Abgründe seines Geistes – und seines Verlies-artigen Hauses. Ab sofort im Kino.

Nach außen harmlos, nach innen zum Fürchten: Ex-Frauenliebling Hugh Grant spielt den diabolischen Mr. Reed mit sichtlichem Vergnügen
Nach außen harmlos, nach innen zum Fürchten: Ex-Frauenliebling Hugh Grant spielt den diabolischen Mr. Reed mit sichtlichem Vergnügen
Kimberley French
Christian Klosz
Uhr
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Religionen gäbe es inzwischen wie Sand am Meer, von über 10.000 spricht der eigenbrötlerische Mr. Reed (dargestellt von Ex-RomCom-Schnucki Hugh Grant) in "Heretic". Doch, so seine These, im Kern seien die alle gleich, "Iterationen" uralter Ideen, Geschichten und Märchen, Kopien von Kopien, die am Ende nur den Glauben an Wunder verkaufen und das Prinzip von Angebot und Nachfrage bedienen.

Und damit ist man auch schon mittendrin im neuesten Schauer-Streich des US-Regie-Duos Brian Woods und Scott Beck, die sich in den letzten Jahren als Drehbuchautoren von Horror-Hits wie "A Quiet Place" einen Namen gemacht haben.

Gutgläubige Glaubens-Verkäuferinnen Solch eine numinose Idee wollen auch die beiden jungen Mormoninnen Sister Barnes (Sophie Thatcher) und Sister Paxton (Chloe East) verkaufen: Ihr Missions-Trip, der für sie zum Alltag gehört und fixer Bestanteil ihres Lebens in ihrer Glaubensgemeinschaft ist, führt sich von Haustür zu Haustür, zu potenziellen neuen Gläubigen, die sie vom "einzigen, wahren Glauben", dem Ihren nämlich, überzeugen wollen.

Die Höhle des Löwen Das Schicksal, göttliche Fügung oder schlicht der Tagesplan ihres Oberen führt sie an die Haustür eben jenes Mr. Reed – und damit in die Höhle des Löwen. Der kauzige ältere Herr zeigt erst scheinbar großes Interesse an der göttlichen Kunde der beiden jungen Frauen, gibt sich überraschend belesen und bibelfest. Für die Schwestern ein wohltuender Unterschied zu dem Desinteresse, der Ignoranz oder dem Spott, die ihnen sonst oft entgegenschlagen.

Die beiden Missionarinnen Schwester Paxton und Schwester Barnes vor dem Haus von Mr. Reed
Die beiden Missionarinnen Schwester Paxton und Schwester Barnes vor dem Haus von Mr. Reed
Kimberley French

Wo bleibt der Blaubeerkuchen? So lassen sie sich von dem charmanten Herren entgegen der Usance in seine alte Villa bitten, als es draußen zu schütten beginnt. Eine Frau müsse jederzeit anwesend sein, sonst dürften sie sich nicht in seiner Gegenwart aufhalten, teilen sie Mr. Reed mit, der lässt die regeltreuen Mormoninnen wissen, dass seine Frau ohnedies zuhause sei, gerade in der Küche an einem Blaubeerenkuchen backe und bald zu den Dreien stoßen würde.

Frage von Leben und Tod Beruhigt lassen sich die beiden nieder, nicht ahnend, dass die Geschichte von seiner Frau lediglich die erste vieler manipulativen Lügen ihres Gastgebers ist, mit denen er sie in die Untiefen seines labyrinthischen Anwesens ebenso wie die seines diabolischen Geistes führen wird. Denn Mr. Reed hat in keiner Weise den Wunsch, bekehrt zu werden: Vielmehr spielt er ein durchtriebenes Spiel mit seinen naiven und (gut)gläubigen Besucherinnen, die den Blaubeerkuchen zu spät riechen und für die der Hausbesuch nicht nur zum existenziellen Exkurs über die Natur des Glaubens wird, sondern zur Frage von Leben und Tod.

"Meine Frau ist in der Küche und bäckt Blaubeerkuchen": Am Beginn hegen die beiden Mormoninnen noch keinerlei Verdacht, …
"Meine Frau ist in der Küche und bäckt Blaubeerkuchen": Am Beginn hegen die beiden Mormoninnen noch keinerlei Verdacht, …
Filmladen

Subtiler Psycho-Horror Wer mit dem Œuvre der Regisseure Brian Woods und Scott Beck vertraut ist, weiß, dass ihr Name für psychologischen, subtilen Horror steht und nicht für billige Schockeffekte. So ist es auch in "Heretic": Der knapp zweistündige Film hat über weite Strecken den Charakter eines Kammerspiels mit im Grunde nur 3 Spielern, von denen der von Hugh Grant dargestellte Gastgeber Mr. Reed zumindest in der ersten Stunde fast die komplette Spielzeit einnimmt.

Naive Frauenfiguren Seine jungen Besucherinnen werden vom Drehbuch zu Stichwortgeberinnen degradiert, die wenig zu sagen haben und dementsprechend etwas untergehen. Man hätte sich hier vielleicht etwas "stärkere" Charaktere als Gegenspielerinnen gewünscht, denn so erfüllen sie in vielem leider das Klischee der schüchternen, keuschen Glaubensschwestern, die aus Naivität oder Weltfremdheit selbst auf die offensichtlichsten Manipulationen hereinfallen.

… aber schon bald zeigt der Hausherr sein wahres Gesicht …
… aber schon bald zeigt der Hausherr sein wahres Gesicht …
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Hugh Grant als häretischer Horror-Onkel Hugh Grant, hier völlig entgegen seines eigentlichen Typus besetzt, nimmt die Herausforderung dankbar an und hat sichtlich Spaß, einmal den Bösewicht spielen zu dürfen. Was diese Darstellung in die Kategorie "Bester Comedy-/Musical-Darsteller" bei den kommenden Golden Globes gespült hat, wird ein ewiges Rätsel bleiben, denn weder hat der Film irgendetwas mit "Komödie" zu tun, noch ist die Figur sonderlich witzig ("Heretic" ist ein typischer Psycho-Horror-Streifen). Aber welches Label man auch verwendet: Überzeugend spielt Hugh Grant seine Rolle in jedem Fall.

Ungenaue Auflösung Nachdem das Werk also etwa eine Stunde lang mehr oder weniger als Ein-Personen-Stück funktioniert – und das ziemlich gut und betörend –, geht "Heretic" in der zweiten Hälfte und gerade im Finale etwas die Luft aus. Die Spannung, was dieser undurchschaubare Mr. Reed denn nun mit den beiden jungen Damen vor hat, wird durch Drehbuchentscheidungen aufgelöst, die nicht immer glücklich sind. Die Erklärungen am Ende wirken ungenau, wenig ausgefeilt und zeitweise sogar wirr.

… und für die beiden Schwestern wird der Aufenthalt im Verlies-artigen Haus des Manipulators richtig übel
… und für die beiden Schwestern wird der Aufenthalt im Verlies-artigen Haus des Manipulators richtig übel
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Vorhersehbarer letzter Akt Der letzte Akt ist dann auch so vorhersehbar wie generisch und wird dem Potential des Films nur bedingt gerecht. Mit geringerer Präsenz von Grants Figur verliert "Heretic" auch an Qualität, die Autoren waren sich am Ende wohl nicht ganz klar, in welche Richtung es gehen soll. Angesichts der zuvor aufgebauten Erwartung ist das doch eine kleine Enttäuschung am Ende eines alles in allem sehenswerten Filmes.

Fazit Psycho-Horror für Fans von subtiler Suspense: Hugh Grant überzeugt in "Heretic" in ungewohnter Rolle als Bösewicht, der den Film über weite Strecken allein auf seinen Schultern trägt. Die Geschichte über das Wesen des Glaubens kann allerdings nur bedingt überzeugen und endet nicht ganz zufriedenstellend. Trotzdem einer der besseren Horrorstreifen des Jahres 2024 und für Genre-Freunde jedenfalls die Zeit wert.

"Heretic", USA 2024, 111 Minuten, aktuell im Kino

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