Austro-Syrer Fadi Merza
Ich vergesse nicht, woher ich komme, aber ich gehöre zu Österreich"
Kampfsportler Fadi Merza war 12, als er nach Österreich kam, sein Vater starb auf der Reise. Wie er den Sturz von Assad einschätzt, was er von der Syrer-Demo in Wien hält und warum er seit 30 Jahren nicht mehr in der alten Heimat war: das Podcast-Interview.
Syriens Diktator Assad ist gestürzt, eine Rebellen-Koalition hat die Macht im Land übernommen. Während in Österreich 100.000 Flüchtlinge gebannt auf die Ereignisse in ihrer alten Heimat schauen, würden ihnen Teile der heimischen Politik am liebsten bereits beim Kofferpacken helfen.
Fadi Merza kam mit zwölf Jahren aus dem Norden Syriens nach Österreich und wuchs in Wien-Ottakring auf. Er machte sich einen Namen als Kampfsportler (Kickboxen, Thaiboxen) und leitet heute eine Kampfsportschule. Er war bei "Dancing Stars" und ist mit einer Österreicherin verheiratet. Das Paar hat einen neunjährigen Sohn.
Das Podcast-Interview mit Fadi Merza
Wie sieht er die Situation in seiner alten Heimat? Was sagen die Verwandten vor Ort? Zieht es ihn wieder hin? Die wichtigsten Passagen aus dem Podcast-Interview. Fadi Merza über:
Wie er seinem Sohn die Lage in seinem Mutterland erklärt hat
Mein Sohn ist noch zu jung, um ihm das zu erklären. Aber dass wir diesen Tag erleben dürfen, haben viele für unmöglich gehalten. Die Gefühle der Menschen sind allerdings gemischt – einerseits ist es eine Erleichterung, andererseits herrscht Angst vor dem Ungewissen.
Wie er sich über die Ereignisse während des Umsturzes informiert hat
Ich war in der Vorbereitung für meinen Boxkampf und habe alles um mich herum ausgeblendet. Irgendwann nach dem Kampf habe ich dann mitbekommen, dass das Assad-Regime gestürzt wurde und war überrascht. Aber mein Bruder hat das mitverfolgt und hat mir dann erzählt, was passiert ist. Aber erst, als Assad geflüchtet ist, wurde uns bewusst, dass auf Syrien ein neues Zeitalter zukommt.
Ob er auch mit Menschen in Syrien über die Ereignisse spricht
Wir haben noch Verwandte unten, sowohl mütterlicher- als auch väterlicherseits, und sind in ständigem Kontakt mit ihnen. Im Moment sind alle überglücklich und die Euphorie ist groß. Aber wir gehören der christlichen Minderheit an. Und gerade unsere Leute sind ein bisschen unsicher. Weil man nicht weiß, was jetzt kommt, ob die Lage besser wird für uns Christen oder ob sie sich verschlimmert.
Wie die Lage für Christen unter Assad war
Man muss sagen, dass wir Christen damals in Sicherheit gelebt haben und es gab keine Konflikte zwischen Christen und Muslimen.
Wie sich die Situation für Christen im Bürgerkrieg entwickelt hat
Als der IS gekommen ist, wurden Christen verschleppt und eine Zeit lang war die Lage schon sehr dramatisch und gefährlich. Aber als der IS dann wieder verschwunden war, hat es sich stabilisiert und ab da war es wieder sicherer für uns Christen.
Aber jetzt haben Islamisten das Land vom Assad-Regime befreit. Es wird viel gesprochen, dass alles demokratisch ablaufen wird und dass der neue Machthaber allen Frieden versprochen hat. Noch sind das nur Worte, wie sich das in Taten umsetzen lässt, ist ungewiss. Vor allem für die Minderheiten, die Christen oder auch andere Glaubensrichtungen.
Seit wann er selbst in Österreich ist
Ich bin seit Ende 1991, Anfang 1992 da und sehe mich auch eher als Österreicher denn als Syrer.
Warum er nach Österreich gekommen ist
Wir haben damals in großer Armut gelebt, meine Eltern wollten uns eine bessere Zukunft bieten und deswegen sind wir ausgewandert. Unsere ganze Familie ist da. Nur mein Vater ist am Weg nach Österreich einem Herzinfarkt erlegen.
Wie seine Familie die Ereignisse in Syrien beurteilt
Einerseits ist die Freude groß, andererseits machen wir uns schon Gedanken über unsere Verwandten, die noch in Syrien leben, da wir noch nicht wissen, was jetzt kommt. Aber etwas anderes als Abwarten können wir im Moment nicht tun.
Wie viel Kontakt er zur syrischen Community in Österreich hat
Mittlerweile kaum mehr, aber als 2015 zehntausende Syrer ins Land kamen, hat mich das schon sehr bewegt. Deswegen habe ich dann eine Spendenaktion ins Leben gerufen. Als sich die Lage stabilisiert hat, habe ich damit aufgehört und seitdem habe ich auch keinen Kontakt mehr mit den Leuten. Die meisten haben ihre Zukunft selbst in die Hand genommen und ich glaube, den meisten geht es gut.
Wie schlimm es für ihn war, aus Syrien wegzugehen
Die Anfangszeit in Österreich war wirklich sehr schlimm für mich. Ich war ein Zwölfjähriger, der alles hinter sich lassen musste, den Freundeskreis, die Schule, die gewohnte Umgebung, das war schon schwierig. Aber diese Entscheidung trafen meine Eltern damals. In der Anfangszeit habe ich das nicht verstanden, aber im Laufe der Jahre schon und bin meinen Eltern dankbar, dass sie für uns damals diese Entscheidung getroffen haben.
Wofür sein Herz schlägt
Ich weiß, woher ich komme, aber ich weiß auch, wo ich hingehöre. Ich fühle mich als Österreicher, ich habe mein Leben hier aufgebaut. Aber ich erinnere mich gerne an meine Kindheit. Ich vergesse nicht, woher ich komme, aber ich weiß, dass ich zu Österreich gehöre.
Wie seine Frau die Situation in Syrien wahrnimmt
Sie ist Österreicherin und fragt immer wieder nach, wie die Lage ist, weil sie weiß, dass ich dort noch Verwandte habe.
Ob er mit ihr schon einmal gemeinsam in Syrien war
Nein, noch nie. Seitdem ich in Österreich bin, war ich noch kein einziges Mal unten. Als ich Syrien verlassen musste, hatte ich den Militärdienst noch nicht absolviert. Und deswegen hatte ich die Angst, dass man mich vielleicht dort behalten könnte, wenn ich hinreise. Und irgendwann war die Interesse auch nicht mehr da.
Ob er hinreisen würde, wenn sich die politische Situation beruhigt hat
Auf jeden Fall, ich habe meine Verwandte seit über 30 Jahren nicht gesehen. Und vor allem habe ich mir vorgenommen, das Grab meines Vaters zu besuchen.
Ob er bei der Kundgebung der Syrer auf der Ringstraße gewesen ist
Nein, war ich nicht, weil ich finde, das bringt nichts, wenn man als Syrer hier demonstriert, ich finde das irgendwie absurd. Die Syrer, die hier demonstrieren, sollten lieber zurückreisen und dort etwas bewegen. Hier kann man durch Demonstrationen nicht wirklich was bewegen. Ich finde das irgendwie heuchlerisch.
Denkt er, dass jetzt viele Syrer heimreisen werden?
Das bezweifle ich, weil sich viele ihre Zukunft hier aufgebaut haben. Viele Kinder sind hier zur Welt gekommen und ich bezweifle, dass viele Syrer bereit sind, wieder zurückzukehren und sich dort erneut was aufzubauen. Außerdem ist die Zukunft in Syrien noch ungewiss. Es wird abzuwarten sein, wie sich die Lage entwickelt.
Was er zu den Abschiebe-Rufen für Syrer aus der heimischen Politik sagt
Naja, ich glaube das war erwartbar, weil all die Syrier, die hierher geflüchtet sind, sind vor der Unterdrückung durch das Assad-Regime geflüchtet. Jetzt, wo er gestürzt wurde, gibt es für die meisten keinen Asylgrund mehr.
Welche Erwartungen die Menschen in Syrien haben
Die Ungewissheit macht die Menschen stutzig, weil man noch nicht weiß, wohin sich Syrien jetzt bewegen und wie stabil das Land sein wird. Ein Beispiel: Damals im Irak, als das Saddam-Regime gestürzt wurde, waren auch alle voll Euphorie. Aber dann ist das Land erst recht in Bürgerkrieg und Chaos versunken. Ich hoffe nicht, dass das auch in Syrien der Fall sein wird. Aber die Angst ist natürlich da.
Ob er nachvollziehen kann, dass manche Österreicher jetzt sagen, die Syrer sollten wieder heimfahren?
Ich kann mir vorstellen, dass die Österreicher irgendwie die Nase voll haben, weil sie haben auch ihre eigenen Probleme und wollen, dass die Regierung sich endlich einmal um das eigene Volk kümmert, anstatt sich um die Asylwerber zu kümmern. Jetzt, wo viele Syrer keinen Asylgrund mehr haben, ist für mich schon nachvollziehbar, dass viele Österreicher denken, jetzt können die Syrer zurück nach Syrien.
Fragt ihn sein Sohn, woher er kommt?
Er fragt nicht, aber für mich ist es wichtig, dass ich ihm erkläre, woher sein Vater kommt. Das versuche ich ihm langsam beizubringen. Noch ist er, glaube ich, ein bisschen zu jung dafür, aber mal schauen, wie er sich dafür interessiert, wenn er ein bisschen älter ist.
Ob er seinen Sohn zweisprachig erzieht
Der Zug ist leider längst abgefahren. Da habe ich verpasst, weil es für mich etwas zu mühsam war. Arabisch spricht er leider nur ein paar Worte. Aber ich spreche auch nur mit meiner Mutter arabisch, mit meinen Geschwistern und Neffen spreche ich deutsch.