Neue Ausstellung

Keller-Akten: Polizei stellt sich ihren dunklen Nazi-Flecken

Das Innenministerium hat seine Vergangenheit aufarbeiten lassen. Wie die Exekutive von Nazis unterwandert wurde, Mitläufern und ein einsamer Held.

Die neue Ausstellung "Hitlers Exekutive" widmet sich im Innenministerium der Rolle der Polizei in der Nazizeit
Die neue Ausstellung "Hitlers Exekutive" widmet sich im Innenministerium der Rolle der Polizei in der Nazizeit
Helmut Graf
Christian Nusser
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Irritierend, irgendwie beschämend auch, dass ihm die Republik nie ein Denkmal gesetzt hat, in welcher Form auch immer. "Zivilcourage" müsste als Wort auf der Inschrift vorkommen, denn unter all den Mittuern und Mitläufern zeigte er erstaunlichen Mut. Und das in einer Zeit, in der Mut noch mit Lebensgefahr gleichgesetzt werden musste.

Über 100 sterben auf Todesmarsch Johann Lutschinger ist Gendarm, als die Nazis die Exekutive des Landes übernehmen – und er ist mit einer Jüdin verheiratet. Die Nazis stellen ihn vor die Wahl: Scheidung oder Suspendierung. Die Liebe siegt. Nach Kriegsende wird Lutschinger als einer der ersten Gendarmen wieder in Dienst gestellt und erhält einen brisanten Auftrag. Er soll die Hintergründe des "Todesmarsches von Engerau" untersuchen. 2.000 Menschen, meist Juden, wurden von Nazis vor sich hergetrieben, über 100 starben am Weg, erschossen, erschlagen, an Erschöpfung.

Aufdecken wird gefeuert Lutschinger ermittelt ohne Rücksicht auf Verluste und er bringt die Täter, Fleischhauer, Köche, Satter, vor Gericht. Der "1. Engerau-Prozess", dem mehrere folgen sollten, ist im August 1945 das erste Verfahren gegen österreichische Kriegsverbrecher im Straflandesgericht in Wien – international eine Sensation. Lutschinger gräbt sich fünf Jahre in die Akten ein, er wird behindert, attackiert, geschnitten, von seinem Auto werden die Radmuttern entfernt. 1950 folgt völlig überraschend seine Suspendierung. Österreich verliert das Interesse an seiner eigenen Vergangenheit. Zwei Jahre später ist der gefeuerte Gendarm tot. Herzinfarkt mit 56 Jahren.

Johann Lutschinger ist der Großvater von Walter Lutschinger, früher Mentor von Tennisstar Horst Skoff, nun Manager von "Wüstenblume" Waris Dirie.

Stiller Held: Gendarm Johann Lutschinger arbeitete Nazi-Verbrechen auf – und wurde suspendiert
Stiller Held: Gendarm Johann Lutschinger arbeitete Nazi-Verbrechen auf – und wurde suspendiert
Helmut Graf

"Unternehmen Otto" Die Geschichte des aufrechten Gendarmen wird ein bisschen auch in der neuen Ausstellung "Hitlers Exekutive" erzählt. Am Ende, um ein dunkles Kapitel der österreichischen Geschichte doch noch etwas aufzuhellen. Am 11. März 1938 erteilte Adolf Hitler die militärische Weisung für den Einmarsch in Österreich, Deckname "Unternehmen Otto". Auf den Tag genau 86 Jahre danach wurde am Montag die Ausstellung "Hitlers Exekutive" vorgestellt, sie ist in der "Sala terrena" im Innenministerium aufgebaut, wurde am Tag danach von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und Innenminister Gerhard Karner eröffnet.

Es ist keine Abrechnung mit der Zeit und den Leuten Die Wanderschau wird später im Jahr auf Reisen geschickt, erst ins Burgenland, dann nach Graz, St. Pölten, bis 2027 soll sie in jedem Bundesland zu sehen gewesen sein, dazu im Parlament. Bis Anfang Mai soll es einen Sammelband geben, 820 Seiten dick. Eine ORF-Doku ist in Fertigstellung. Zwei Jahre lang arbeitete ein Forscherteam daran und ist doch erst am Anfang. 79 Jahre nach Kriegsende sind die Lücken noch immer erstaunlich groß.

Die weggesperrten Akten aus dem Keller Das liegt auch daran, dass sich die Wissenschaft bisher die Zähne an den öffentlichen Stellen ausbiss. Die Akten der Exekutive aus der Nazizeit lagerten und verstaubten im Keller des Innenministeriums und in den Kellern der Polizeidirektionen, aber seltsamerweise hatte niemand einen Schlüssel zu den Räumlichkeiten, wenn es darauf ankam. Wer anfragte, bekam eine Absage, auch wenn es Akten zu konkreten Personen betraf: "Hamma net, wiss man net, geb ma net her."

Ein Drittel der Exekutive waren Nazis Das ist nun anders und das macht die Ausstellung so sehenswert. Beklemmend auch. Sie zeigt, wie die Nazis die Exekutive kaperten, vor allem die Führung braun einfärbten und auf Linie brachten. Sie zeigt die Täter und die Mitläufer. Die Denunzianten. Die Karrieristen. Als der Krieg sein Ende gefunden hatte, war ein Drittel der Exekutive von Nazis durchsetzt. Sehr konservativ geschätzt. 

    Drei Objekte werden in der Schau gezeigt: Das Innenministerium hat die Rolle der Exekutive im Nationalsozialismus aufarbeiten lassen
    Drei Objekte werden in der Schau gezeigt: Das Innenministerium hat die Rolle der Exekutive im Nationalsozialismus aufarbeiten lassen
    Helmut Graf
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    Erst verurteilt, dann befördert Anfangs loderte das Feuer der Entnazifizierung, vor allem in Wien, getrieben von den Sowjets. Andernorts schaute man gleich nicht so genau hin, und als die politischen Parteien merkten, hallo, unter den Leuten, die wir hier verfolgen, finden sich ja auch viele potentielle Wähler, da war es schnell vorbei mit der Aufklärerei. Johann Lutschinger war nur eines der Opfer der neuen Denkweise. Die gerichtliche Aufarbeitung stockte, Nazi-Polizisten kamen wieder in Dienst, selbst in Führungsjobs, wurden von "schwer belastet" auf "minderbelastet" rückgestuft, erhielten Arbeit, Pension, Ehre zurück.

    Der Gendarm, der Anne Frank in Haft nahm Karl Silberbauer ist so ein Beispiel. SS, Gestapo, er hatte in Amsterdam Anne Frank verhaftet. Nach dem Krieg wurde er wegen Misshandlung von Gefangenen zu einem Jahr Kerker verurteilt. Später Freispruch, Einstufung als "unbelastet", zurück im Polizeidienst. Auch das gab es: Nazi-Beamte, nach dem Krieg verurteilt, begnadigt, im Nachhinein für ihre Dienste in der Nazizeit befördert, damit die Pension höher ausfällt.

    Arnies Vater leugnete Nazi-Mitgliedschaft Auch Gustav Schwarzenegger, der Vater von Arnie, wird in der Ausstellung hergezeigt. Er kam als Musiker zum Bundesheer, ihm wurden keine konkreten Verbrechen nachgewiesen. Aber nach dem Krieg leugnete er seine NSDAP-Mitgliedschaft, wurde als "unbelastet" eingestuft, blieb Gendarm.

    Einmal im Jahr fährt ein Bus auf Gedenkfahrt nach Engerau
    Erinnerung an Todesmarsch

    Es geht aber auch um die Opfer in der Schau. Karl Halaunbrenner etwa, Landgendarm und Jude. Er wurde drangsaliert, in die Nazi-Hochburg Oberschützen im Burgenland versetzt, misshandelt, starb später im KZ Dachau.

    "Dein Freund, dein Helfer" Die Bruchlinien sind oft schwer zu erkennen, vielleicht sind sie auch gar nicht da. "Die Polizei, dein Freund und Helfer" ist da so ein Beispiel. Der Slogan wurde von den Nazis erdacht, aber er fand nach dem Krieg in Österreich und in Deutschland lange Zeit weiter Verwendung für die Bewerbung der Polizei. So als wäre nichts gewesen.

    Seit 2002 fährt einmal im Jahr ein Bus nach Engerau, genau genommen nach Bratislava, Slowakei. Der "Club Österreich" und das "Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes" organisieren die Gedenkfahrt. Sechs "Engerau-Prozesse" gab es, neun Täter wurden zum Tode verurteilt, aber um die Opfer des Massakers wenige Tage vor Kriegsende ist es still geworden, ohne dass es um sie jemals laut war. Den Teilnehmern der Gedenkfahrt ist auch das wichtig: "Niemals vergessen" gilt auch hier.

    Die Ausstellung ist mittwochs von 15 bis 18 Uhr und an ausgewählten Samstagen nach vorheriger Anmeldung zu besichtigen. Anmeldung unter [email protected]. Ort: Bundesministerium für Inneres, Herrengasse 7, 1010 Wien

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