Erste Versuche

Können Salzwasser-Schneekanonen die Erde kühlen?

Fünf vor Zwölf? Oder schon danach? Jetzt probieren Wissenschafter neue Methoden aus, um den Planeten zu kühlen. Kritiker warnen vor den Folgen.

Zwei Generatoren (Modell V22) sprühten von einem Schiff aus über Hochdruckdüsen Salzwasser in die Luft
Zwei Generatoren (Modell V22) sprühten von einem Schiff aus über Hochdruckdüsen Salzwasser in die Luft
Southern Cross University
Christian Nusser
Akt. Uhr
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Wer in den letzten Wochen auf Skiurlaub war, konnte es am eigenen Leib erleben: Der vergangene Monat war mit großem Abstand der wärmste Februar der Messgeschichte. Der Februar war eigentlich ein warmer März, sagen die Meteorologen der Wiener Hohen Warte. "In der ersten Auswertung der Messdaten liegt der Winter 2023/24 nahezu gleichauf mit dem Winter 2006/07, dem bisher wärmsten der 257-jährigen Messgeschichte", sagt Klimatologe Alexander Orlik von der "GeoSphere Austria". Sichtbare Zeichen: Schneebänder in den Skigebieten, spätestens ab Mittag Matsch auf den Hängen, dafür konnte man im kurzen Leiberl vor der Hütte sitzen. Die Auswirkungen waren überall zu sehen und zu spüren.

Österreich stark betroffen Der Klimawandel wird von kaum jemand Ernsthaftem bestritten, aber es herrschen immer mehr Zweifel, ob mit den bisher angedachten Methoden allein eine Trendumkehr erreichbar ist. Die Erderwärmung beschleunigt sich in einem derart rasanten Tempo, dass es nicht reichen dürfte, weniger zu fliegen, mit dem Auto zu fahren, in der Industrie und in der Landwirtschaft die Treibhaus-Emissionen zu senken, das Leben nachhaltiger zu gestalten. Österreich ist als Binnenland vom Klimawandel besonders betroffen, der abkühlende Effekt der Meere fehlt.

Geoengineering als Lösung? Angesichts dieser fortschreitenden Entwicklung gewinnen jetzt Gegenmaßnahmen an Bedeutung, die früher als großes Tabu betrachtet wurden. Mit einem Mal steht das so genannte Geoengineering wieder hoch im Kurs, Forscher erhalten Steuergeld, private Investoren zahlen Millionen für Tests. Beim Geoengineering greifen Menschen aktiv ins Klimasystem ein. Die Wissenschaft sieht es nicht als Ersatz für die Reduzierung von Emissionen. Vielmehr ist es eine Möglichkeit, die Klimaerwärmung in den nächsten Jahren zu verlangsamen und gleichzeitig Zeit zu gewinnen, um längerfristig auf eine CO2-freie Wirtschaft umzusteigen.

Eine Grüne Wasserschildkröte schwimmt durch eine Lagune von Lady Elliot Island im Great Barrier Reef
Eine Grüne Wasserschildkröte schwimmt durch eine Lagune von Lady Elliot Island im Great Barrier Reef
iStock

Test am Great Barrier Reef Weltweit beginnen Forschergruppen damit, die Möglichkeiten sogenannter Meereswolken auszutesten. Die vielleicht spektakulärsten Versuche finden derzeit rund um das Great Barrier Reef statt. Das größte Korallenriff der Erde vor Australien gilt als heikles Ökosystem, erstreckt sich über 2.300 Kilometer, gehört zum UNESCO-Weltnaturerbe, landete aber bisher seltsamerweise nicht auf der "Liste des gefährdeten Welterbes". Zunehmende Umweltverschmutzung, aber vor allem der Klimawandel in Form steigender Wassertemperaturen setzen dem Naturjuwel stark zu. Seit 1981 ging die Hälfte des Korallenbestandes verloren, in 50 Jahren könnte das Riff laut Experten völlig verschwunden sein. Es geht auch um viel Geld, die direkten und indirekten jährlichen Einnahmen aus dem Tourismus werden auf sechs Milliarden Dollar geschätzt.

Salzwolken halten Sonne ab Um das Riff vor den Auswirkungen des Klimawandels zu schützen, wird ein Toolkit mit Lösungen entwickelt, die diesem helfen sollen. Eine der Maschinen, die aussehen wie Schneekanonen, sprüht von einem Schiff aus über Hochdruckdüsen Salzwasser in die Luft. So sollen Wolken, die sich in geringer Höhe über dem Ozean bilden, aufgehellt werden. Wissenschafter versuchen nun herauszufinden, wie sehr größere, hellere Wolken das Sonnenlicht reflektieren, die Meeresoberfläche beschatten und gezielte Bereiche des Great Barrier Reef abkühlen können.

Millionenprojekt Das Projekt läuft unter dem Titel "Marine Cloud Brightening" und wird von der Southern Cross University betrieben. Es ist Teil des "Reef Restoration and Adaptation"-Programms, in das 64,5 Millionen US-Dollar gepumpt werden. Das Vorhaben wird durch die australische Regierung und die "Great Barrier Reef Foundation" finanziert, an Bord des Schiffes sind auch Mitglieder von Naturschutzorganisationen und Angehörige akademischer Einrichtungen vertreten.

Blick von einer Drohne aus auf das Schiff, von dem das Salzwasser in die Luft geblasen wird
Blick von einer Drohne aus auf das Schiff, von dem das Salzwasser in die Luft geblasen wird
Southern Cross University

Geheime Wolken-Partikel In Israel geht ein Startup namens "Stardust Solutions" einen ähnlichen Weg. Hier werden aber nicht bodennahe Wolken ins Visier genommen. Vielmehr sollen in einer Höhe von rund 18 Kilometern winzige reflektierende Partikel ausgebracht werden, die Sonnenlicht zurückstrahlen und so die Atmosphäre kühlen. Die Zusammensetzung der Partikel ist geheim.

Vulkan als Vorbild "Stardust Solutions" hat von Investoren bisher bescheiden wirkende 15 Millionen Dollar eingesammelt. Die Tests in Innenräumen sind abgeschlossen, in den nächsten Monaten soll die Wirksamkeit der Partikel-Wolken im Freien ausprobiert werden. Vorbild ist die Natur. Die Experimente ahmen nach, was passiert, wenn ein Vulkan ausbricht. 1991 explodierte der Pinatubo auf den Philippinen. Schwefel und Asche wurden in die obere Atmosphäre geschleudert, die Erdtemperatur sank ein ganzes Jahr lang um 0,5 Grad Celsius ab.

Laugen-Tablette fürs Meer In Massachusetts wiederum wollen Forscher der "Woods Hole Oceanographic Institution" (WHOI) in diesem Sommer einen anderen Weg gehen. Sie planen, zehn Meilen südlich von Martha's Vineyard 6.000 Gallonen (rund 23.000 Liter) Natriumhydroxid, ein Bestandteil von Lauge, in den Ozean zu pumpen. Sie hoffen, damit den Säuregehalt an der Wasseroberfläche zu senken, um 20 Tonnen Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu absorbieren und im Ozean zu speichern.

In Nairobi, Kenia, trafen sich diese Woche die Umweltminister der Welt zur "United Nations Environment Assembly". Der Tagungsort ist bekannt für Smog
In Nairobi, Kenia, trafen sich diese Woche die Umweltminister der Welt zur "United Nations Environment Assembly". Der Tagungsort ist bekannt für Smog
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Umweltfreundlich? "Es ist wie wenn sie Sodbrennen haben", sagte Adam Subhas, Wissenschafter bei WHOI, dem "Wall Street Journal". "Dann nehmen sie eine Tablette, um die Magensäure zu binden. Wir fügen dem Meerwasser alkalisches Material hinzu und es lässt den Ozean mehr CO2 aufnehmen, ohne das Wasser saurer zu machen. Alles, was wir bisher sehen, ist, dass es umweltfreundlich ist." Das Projekt kostet zehn Millionen Dollar und wird von der "National Oceanic and Atmospheric Administration" sowie mehreren privaten Spendern finanziert. Noch fehlt die Genehmigung der US-Umweltschutzbehörde, sie soll im August erteilt werden.

Forscher haben Bauchweh Alle drei Experimente sind heikel, bis vor ein paar Jahren wagten sich viele Wissenschaftler nicht an menschliche Interventionen ins Klimasystem heran. Befürchtet wurde auch, dass den neuen Technologien Wunderkräfte beigemessen werden könnten und dadurch jede Anstrengung zur Reduzierung der Treibhausgase unterlaufen würde. Die Dynamik des Klimawandels hat nun offenbar ein Umdenken provoziert.

"Wir müssen vorsichtig sein" Dan Jørgensen, dänischer Minister für globale Klimapolitik, gilt als vorsichtiger Befürworter von Geoengineering.  "Wenn wir anfangen, uns in die Natur einzumischen, riskieren wir, dass das auch viele sehr negative Folgen hat, die wir weder absehen noch kontrollieren können", sagte er dem "Wall Street Journal. "Interventionen sind notwendig, aber wir müssen extrem vorsichtig sein, wie wir es tun."

Das Salzwasser soll sich mit den Wolken verbinden und die Sonneneinstrahlung verringern
Das Salzwasser soll sich mit den Wolken verbinden und die Sonneneinstrahlung verringern
Southern Cross University

UNO-Gipfel In der vergangenen Woche fand in Nairobi, Kenia, das sechste Treffen der "United Nations Environment Assembly" (UNEA) statt. 7.000 Delegierte aus 182 UNO-Mitgliedsstaaten debattierten auf der Umweltversammlung der Vereinten Nationen über Klimakrise, Plastik in den Meeren, das drohende Aussterben von Tausenden Tierarten – und über eine Resolution, die sich mit Risiken und Vorteilen des Managements der Sonneneinstrahlung beschäftigte.

Wer zahlt? Noch sind viele Fragen offen. Wie lange verbleibt Sprühnebel, wo auch immer er ausgebracht wird? Welchen Effekt hat die Maßnahme, welche Auswirkungen auf die Umwelt, was bringt sie weltweit? Und nicht zuletzt: Woher kommen die Milliarden, die mutmaßlich für die Umsetzung nötig sein werden?

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