Weltpremiere in cannes

"Megalopolis" – für diesen Film verkaufte "Pate"-Regisseur seine Weingüter

Über 100 Millionen Dollar kostete der neue Film von Francis Ford Coppola. Um ihn realisieren zu können, trennte sich der Star-Regisseur von seinen Weinbaubetrieben. War es das wert?

Regie-Legende Francis Fords Coppola (u.a. "Der Pate" 1-3, "Apokalypse Now") am Roten Teppich bei den Filmfestspielen in Cannes bei der Weltpremiere seines neuen Films "Megalopolis" am 16. Mai 2024
Regie-Legende Francis Fords Coppola (u.a. "Der Pate" 1-3, "Apokalypse Now") am Roten Teppich bei den Filmfestspielen in Cannes bei der Weltpremiere seines neuen Films "Megalopolis" am 16. Mai 2024
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Newsflix Redaktion
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Im Filmgeschäft ist Francis Ford Coppola eine Legende. Der Regisseur, der bereits im Alter von 33 Jahren mit "Der Pate" einen der großartigsten Filme aller Zeiten geschaffen hat, gilt als Mitbegründer des "Neuen Hollywood". Die "Pate"-Trilogie ist Kult, sein Vietnam-Film "Apokalypse Now" hat das Genre des Kriegsfilms neu definiert. Coppola muss längst niemandem mehr etwas beweisen. Dennoch setzt der große Filmemacher jetzt, mit 85, noch einmal alles auf eine Karte. Für seinen neuesten Film "Megalopolis" riskiert Coppola nicht nur seine Reputation als Künstler, sondern auch sein zweites berufliches Standbein als Weinmacher von Weltrang. Nun feierte "Megalopolis" bei den Filmfestspielen von Cannes Weltpremiere.

"Herzensprojekt "Megalopolis" Mit der Idee zu dem Film geht Francis Fords Coppola seit mehr als 40 Jahren schwanger. Bereits in den frühen 1980er-Jahren begann er, erste Drehbuchentwürfe für "Megalopolis" zu erarbeiten. Die Story: In einem New York der Zukunft, das mittlerweile "New Rome" heißt und durch verschiedene Katastrophen vom Untergang bedroht ist, wetteifern zwei Männer darum, die Stadt nach ihren Ideen und mit ihren Mitteln wieder neu aufzubauen.

Duell zweier Fanatiker Der eine, Caesar Catilina (dargestellt von Adam Driver, dem Kylo Ren aus "Star Wars") ist ein genialer Architekt und Erfinder eines neuartigen, "lebenden" und "denkenden" Baustoffs, der den Wiederaufbau der Metropole dafür nutzen möchte, diese fit für die Herausforderungen der Zukunft zu machen. Der andere, Franklin Cicero (Giancarlo Esposito, vor allem bekannt als Drogenbaron Gustavo Fring aus "Braking Bad") ist der Bürgermeister der Stadt und möchte diese wieder mit herkömmlichen Methoden und Baustoffen errichten – und damit auch das alte System aus Korruption und Elitendenken einzementieren. Das Ringen dieser beiden Männer um die Zukunft "ihrer" Stadt ist das Hauptthema des Films, das noch einmal mehr Brisanz gewinnt, als sich die Tochter des Bürgermeisters, Julia (Nathalie Emmanuel), in Caesar verliebt.

Mehr als 40 Jahre Arbeit an "Megalopolis" Gleich mehrfach hat Francis Ford Coppola im Laufe seiner Karriere damit begonnen, sein Lieblingsprojekt umzusetzen, aber immer ist etwas dazwischen gekommen. Es gab kreative Differenzen mit seinen Mitstreitern, er fand keine Finanzierung für das Projekt, er änderte unzählige Male das Drehbuch, er musste Privatinsolvenz anmelden. Als er schließlich 2001 mit den Dreharbeiten in New York City startete, passierte wenige Wochen später der 11. September und Coppola musste das Projekt erneut aufs Abstellgleis schieben.

Weingüter verkauft, gesünder gelebt Doch der Regisseur gab nicht auf. Er drehte immer wieder "kommerzielle" Filme, also solche, in die er nur wenig künstlerische Ambition hineinlegte und die nur dazu diesen sollten, ihm seine Kasse zu füllen für sein Lieblingsprojekt. Zuletzt, als sich immer deutlicher abzeichnete, dass er tatsächlich kein Studio für die Co-Finanzierung des Streifens finden würde, verkaufte Coppola sogar drei seiner insgesamt fünf Weingüter in Kalifornien, um das Projekt letztlich ganz alleine zu stemmen. Und er erkannte, dass er möglichst lange leben muss, um dieses Ziel zu erreichen. Also speckte der Zeit seines Lebens übergewichtige Regisseur zuletzt mehr als 30 Kilogramm ab, um seine Chancen, "Megalopolis" doch noch fertigstellen zu können, zu erhöhen.

Der Name Coppola klingt in Napa Valley ebenso gut wie in Hollywood: Die Weinbaubetriebe des Regisseurs gehören mit zu den erfolgreichsten des Bundesstaates. Doch um sein Herzensprojekt finanzieren zu können, trennte sich der Regisseur von dreien seiner insgesamt fünf Weingüter
Der Name Coppola klingt in Napa Valley ebenso gut wie in Hollywood: Die Weinbaubetriebe des Regisseurs gehören mit zu den erfolgreichsten des Bundesstaates. Doch um sein Herzensprojekt finanzieren zu können, trennte sich der Regisseur von dreien seiner insgesamt fünf Weingüter
JEAN-PIERRE MULLER / AFP / picturedesk.com

Weltpremiere in Cannes Mit all diesem Einsatz und eisernem Willen – nur wenige Wochen vor der Weltpremiere von "Megalopolis" starb Coppolas Ehefrau Eleanor, mit der er seit 1963 verheiratet gewesen ist – brachte der Regisseur, dem seit jeher manische Züge nachgesagt werden, den Streifen auf die Leinwand. 120 Millionen Dollar, mehr als 100 Millionen Euro, soll "Megalopolis" letztlich gekostet haben, alles finanziert von Coppola selbst. Am Donnerstag, dem 16. Mai, feierte das 132 Minuten lange Epos bei den Filmfestspielen in Cannes seine Weltpremiere und rittert damit um die begehrte Trophäe, die "Goldene Palme", die Coppola bereits zwei Mal gewonnen hat – 1974 für seinen Paranoia-Thriller "Der Dialog" mit Gene Hackman und 1979 für sein Vietnam-Drama "Apokalypse Now".

Francis Ford Coppola (l.) mit Schauspieler Martin Sheen bei den Dreharbeiten für "Apokalypse Now" auf den Philippinen. Der Vietnam-Kriegsfilm nach dem Buch "Herz der Finsternis" von Joseph Conrad gehört zu den bedeutendsten Kriegsfilmen aller Zeiten und wurde u.a. mit der Goldenen Palme bei den Filmfestspielen von Cannes und mit zwei Oscars ausgezeichnet
Francis Ford Coppola (l.) mit Schauspieler Martin Sheen bei den Dreharbeiten für "Apokalypse Now" auf den Philippinen. Der Vietnam-Kriegsfilm nach dem Buch "Herz der Finsternis" von Joseph Conrad gehört zu den bedeutendsten Kriegsfilmen aller Zeiten und wurde u.a. mit der Goldenen Palme bei den Filmfestspielen von Cannes und mit zwei Oscars ausgezeichnet
mptv / picturedesk.com

So ist "Megalopolis" Die ersten Reaktionen auf den Film, der eine Mischung aus antikem Drama, Dystopie und Science-Fiction darstellt, pendeln zwischen Verwirrung, heftiger Ablehnung und absoluter Begeisterung. So bekam der Regisseur nach der Aufführung minutenlang stehende Ovationen des Publikums und sein Auftritt an der Côte d'Azur ist heuer das künstlerische Ereignis der Festspiele, das alle anderen in den Schatten stellt. Gleichzeitig schlägt dem 85-Jährigen jedoch auch massive Ablehnung entgegen, wofür vor allem ein Bericht der britischen Tageszeitung "Guardian" verantwortlich ist. Darin berichten mehrere weibliche Darsteller, dass sich Coppola am Set teils ungebührlich verhalten hätte und einige Frauen ohne deren Einverständnis zu küssen versucht haben soll.

Belästigungsvorwürfe Wie viel an den Vorwürfen dran ist, wird sich wahrscheinlich nachträglich nicht mehr klären lassen. Es gibt auch zahlreiche Stimmen von Set, die den Regisseur in Schutz nehmen, strafrechtlich wurde, soweit bekannt, nichts gegen ihn unternommen. Und so arbeitet sich die internationale Presse vor allem an Coppolas Opus Magnum ab, dessen künstlerische Einordnung, im Vergleich zu anderen Filmen des Meisters, extrem ambivalent ausfällt, wie ein Querschnitt durch diverse Medien zeigt.

Caesar (Adam Driver) und Julia (Nathalie Emmanuel) sind das Liebespaar in "Megalopolis", das vor dem Hintergrund einer dystopischen Vision von New York City – das im Film "New Rome" heißt – zueinander zu finden versucht
Caesar (Adam Driver) und Julia (Nathalie Emmanuel) sind das Liebespaar in "Megalopolis", das vor dem Hintergrund einer dystopischen Vision von New York City – das im Film "New Rome" heißt – zueinander zu finden versucht
Constantin Film / American Zoetrope

Das sagt die internationale Presse zu "Megalopolis"

  • Süddeutsche Zeitung
    "Der Ton des Films schwankt zwischen durchaus ernst gemeintem Pathos mit Zitaten von Marc Aurel über Shakespeare bis Goethe; und Slapstik-Szenen, in denen Pfeile in Hauptdarsteller-Popos geschossen werden. Kurz zusammengefasst: Der Film ist ein einziges Chaos aus Ideen und Anspielungen. Ein Flickenteppich, gewebt von einem Regisseur, der nichts so sehr sehr liebt wie ebendieses Chaos – und bei dem man deshalb davon ausgehen darf, dass das Endergebnis kein Unglück, sondern Absicht war. (…) Weshalb man an dieser  Stelle ausnahmsweise auf die lästig-langweiligen Kategorien von gut oder schlecht verzichten und nur eines sagen möchte: "Es ist spannender, Francis Ford Coppola beim Scheitern zuzusehen als anderen Regisseuren beim Triumphieren."
  • ZDF
    "Der Film ist alles, nur nicht subtil. Die Optik ist stark digital bearbeitet und voller glitzernder visueller Effekte. Die teils cartoonhaft überzeichneten Figuren sprechen meist in philosophischen Zitaten."
  • ORF.at
    "Das zweieinhalbstündige Werk ist alles andere als fad, vielmehr eine Wundertüte voller Bezüge zum alten Rom, zu Shakrespeare, ein Sandalenfilm und Science-Fiction."
  • Die Zeit
    "Der Film ist ein Paradox: Die Optik schlägt über weite Strecken in den Bann, doch die Handlung kann nicht mithalten. So gerne man dem spielfreudigen Ensemble und den perfiden Machenschaften der Figuren zuschaut, so selten dürfen sie aus ihrer schablonenhaften Zeichnung heraustreten. Szenen kommen wuchtig daher, bleiben aber im luftleeren Raum. (…) Und doch wirkt Megalopolis so, als sei dies genau der Film, den Francis Ford Coppola machen wollte. Man spürt die Seelen- und Geistesverwandtschaft mit seinem Helden Caesar."
  • Der Spiegel:
    Aber Megalopolis ist eben ein Blockbusterprojekt, das von einer Einzelperson vorangetrieben worden ist. Jedes Bild und jeden Satz kann man hier Coppola persönlich zuschreiben, er hat ohne Studio und ohne Verleih und damit ohne KOmpromisse gedreht. Das Ergebnis ist ein Film von grandioser Unwucht: Megalopolis schlingert wie ein überladenes Frachtschiff, auf dem die bis in den Himmel gestapelten Container immer wieder über Bord zu fallen drohen. Es geht um Populismus und die zerstörerischen Kräfte von 'old money', um die Einsamkeit des kreativen Geistes und die Erlösung, die familiärer Zusammenhalt bietet. Vieles davon erzählt Coppola in grob schlächtigen Dialogen und absurden Schlenkern."

Coppola 1, Hollywood 0 Das weltweite Interesse an "Megalopolis" sowie die überaus starken Reaktionen in Cannes haben mittlerweile dazu geführt, dass der Film für zahlreiche Länder einen Verleih gefunden hat – eine Tatsache, die vor Beginn des Festivals noch keineswegs sicher erschienen ist. Nicht von ungefähr haben alle großen US-Studios ihre Finger von Coppolas Werk gelassen, weil sie nicht an dessen Erfolg geglaubt haben. Jetzt sieht es so aus, als könnte der große alte Mann Hollywoods, der vor mehr als 50 Jahren maßgeblich dazu beigetragen hat, das alte, feudale Studiosystem der Traumfabrik zu zerstören und den Kreativen mehr Macht über ihre Werke zu geben, dank seiner Kreativität und seines Gestaltungswillens noch einmal einen Sieg über die "erbsenzählenden Buchhalter in den Chefetagen" (so eine gerne gebrauchte Schmähung in Hollywood für Studiobosse, die nicht mehr sind als Geldverwalter für Shareholder) davontragen.

Francis Ford Coppola mit seinen "Megalopolis"-Darstellern Adam Driver und Laurence Fishburne (v.r.) bei der Weltpremiere des Films bei den Filmfestspielen von Cannes am 16. Mai 2024
Francis Ford Coppola mit seinen "Megalopolis"-Darstellern Adam Driver und Laurence Fishburne (v.r.) bei der Weltpremiere des Films bei den Filmfestspielen von Cannes am 16. Mai 2024
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"Megalopolis" kommt auch nach Österreich Für den deutschsprachigen Raum hat der Filmverleih Constantin die Rechte an "Megalopolis" erworben und wird, nach jetzigem Stand, Coppolas letztes Werk wohl im Laufe des Sommers auch in die österreichischen Kinos bringen. Dann kann sich jeder Filmfreund selbst ein Bild davon machen, wieviel vom "Magic Touch" Coppolas noch vorhanden ist.

Coppola bereut nichts Der Regisseur selbst nimmt den Rummel um seine Person und um die ungewöhnlichen Umstände rund um seinen Film gelassen. Wie orf.at den 85-jährigen zitiert, sei ihm das finanzielle Risiko, das er eingegangen ist, vollkommen gleichgültig gewesen: "Viele Leute bereuen am Totenbett, was sie alles nicht getan haben. Mir wird dann einfallen, dass ich diesen Film gemacht habe, dass ich meine Tochter einen Oscar habe gewinnen sehen (Sophia Coppola für "Lost In Translation", Anm.) und dass ich Wein gemacht habe. Ich werde gar keine Zeit für Reue haben."

"Megalopolis", USA 2024, 132 Minuten, voraussichtlich ab Sommer 2024 im Kino

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