Segel-Rekord

Mit "Pretty Woman" solo um die ganze Welt

Haferflocken, Netflix und eine gebrochene Rippe. Als erste US-Amerikanerin umrundete Cole Brauer (29) allein im Segelboot die Erde. Donnerstag ereichte sie das Ziel.

"Good Morning Everyone": So begrüßt Cole Brauer jeden Morgen ihre Follower in den sozialen Medien
"Good Morning Everyone": So begrüßt Cole Brauer jeden Morgen ihre Follower in den sozialen Medien
Richard Mardens
Christian Nusser
Akt. Uhr
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So wirklich allein ist man in Zeiten wie diesen nirgendwo, aber Cole Brauer war das ganz recht so. Jeden Morgen telefonierte sie mit ihrer Mutter via FaceTime, die Mama saß daheim in Maine, die Tochter raste mit ihrer Rennyacht "First Light" Tausende Kilometer entfernt über die Weltmeere. Zwölf Meter lang und vier Meter breit ist ihr Schiffernakel, über vier Monaten für die 29-jährige Seglerin Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche und Planetarium in einem. Via Instagram sah die Welt zu, wie sie damit Kurs auf einen neuen Rekord nimmt.

130 Tage allein am Meer Am 29. Oktober 2023 setzte Cole Brauer in A Coruña in Spanien die Segel. 16 Boote nahmen im Rahmen der "Global Solo Challenge" den Kampf mit den Meereswellen auf, sie wurden, je nach Kategorie, über Monate verteilt abgelassen, nur noch acht sind im Rennen. Brauer war die einzige Frau im Starterfeld. Am 26. Jänner umrundete sie Kap Horn vor Chile, am 7. März erreichte sie in der Früh A Coruña. Nach 130 Tagen auf hoher See. Sie ist nun die erste US-Amerikanerin, die solo um die Welt gesegelt ist.

"Es ist deprimierend" Neben hohen Wellen können bei so einer langen Zeit auch Haferflocken ein Thema werden. Brauer breitete jeden Abend einen Schlafsack auf vier Fleecepölstern aus. Von diesem Bett hatte sie einen guten Blick auf das Navigationssystem und einen Computerbildschirm, eine der Kameras ist nach außen gerichtet, so "kann ich jederzeit sehen, was draußen los ist", schilderte sie dem US-Magazin "People". Der Tagesablauf an Bord war von geringem Abwechslungsreichtum geprägt. Aufstehen bei Sonnenaufgang, Tee, dazu Haferflocken, aber die wurden zuletzt knapp, beklagte sie: "Es ist deprimierend."

Netflix und laute Musik Zur Morgenroutine gehörte auch der Sonnenschutz, sie trug ihn doppelt auf, neben dem normalen Gel kam noch eine Zinkpaste zum Einsatz. Der Tag sonst gehörte dem Zeitvertreib. "Ich lese viele Bücher, höre Podcasts", erzählte sie. An Bord waren oft die Lautsprecher an und dies in maßgeblicher Lautstärke. Die Möwen haben sich darüber nicht mokiert. Auch der Netflix-Account glühte. "Ich habe wahrscheinlich mehr Filme gesehen, als in meinem ganzen bisherigen Leben", sagte Cole Brauer. "Im Moment schaue ich mir Rom-Coms aus den 2000er Jahren noch einmal an." Als "People" anrief, stand gerade "Pretty Woman" auf ihrem Kino-Tagesprogramm.

Essen aus dem Beutel Auch der Rest des Tages gehorchte meist einem recht monotonen Ablauf. Immer wieder das Wetter kontrollieren, Social Media betreuen, mit dem Team daheim chatten. Auch ein Arzt gehörte zur Crew. An Bord machte Brauer etwas Gymnastik, dazwischen kochte sie Wasser auf und vermengte es mit gefriergetrockneter Fertignahrung, am liebsten Schweinefleisch süß-sauer.

Das letzte Stück Schoko Zuletzt hatte sie eine "Dinner Party" mit ein paar Freundinnen via Starlink. "Eine aus unserer Clique hatte Geburtstag", erzählte Bauer dem "People"-Magazin. "Alle haben sich schön angezogen, ich habe mir eine Pasta aufgewärmt. Sie haben Dessert gegessen, ich das letzte Stück meines Schokoriegels." Es sei seltsam, sagt sie, "dass man immer noch dasselbe Leben lebt, nur eben aus der Ferne." Auf dem Marktplatz von Facebook entdeckte Cole Brauer vor Kurzem von Bord aus einen Mini Cooper, der sie interessierte. Sie bat ihren Vater via Skylink, das Auto Probe zu fahren.

Tränen um anderen Segler Das alles soll nicht über eines hinwegtäuschen: Segeln ist kein Ponyhof, es kann immer etwas passieren, das Wetter schnell umschlagen. Am 12. Februar brach am Boot von Regatta-Teilnehmer Ronnie Simpson nach zwei Tagen in schweren Stürmen der Mast. Die "Shipyard Brewing" geriet 1.200 Kilometer vor der Küste von Buenos Aires in Turbulenzen, eine Rettungsaktion lief an. Cole Brauer verfolgte alles live mit, es ging gut aus. Aber statt mit "Good Morning Everyone", wie sonst üblich, begrüßte sie ihre 350.000 Follower an diesem Tag auf Instagram mit Tränen.

"Aufgeben ist keine Option" Im Dezember fiel auf ihrer "First Light" 650 Kilometer vor den Falklandinseln der Autopilot aus, im schweren Sturm brach sich Brauer, nur knapp 1,60 Meter groß und 50 Kilo leicht, eine Rippe oder knackste sie zumindest an. Die Schmerzen waren erheblich, sie musste das Boot trotzdem händisch steuern, die Segel einziehen und alles vertäuen. "Ich habe Arme und Beine benutzt wie eine Mrs. Oktopus", sagt sie. Zwei Tage benötigte Brauer danach, um das Problem zu lösen und den Autopiloten wieder flottzukriegen. Ihr Team war via Starlink-Satellitensystem zugeschaltet, "aber du bist trotzdem auf dich allein gestellt. Aufgeben ist keine Option, du bist mitten auf dem Ozean".

"Du bist auf dich allein gestellt": Cole Brauer umsegelt als erste US-Amerikanerin solo die Welt
"Du bist auf dich allein gestellt": Cole Brauer umsegelt als erste US-Amerikanerin solo die Welt
James Tomlinson

Aloha Hawaii Die 29-jährige kam eher per Zufall zum Segeln, ihre Eltern sind keineswegs nah am Wasser gebaut. Ihr Vater, ein Unternehmer, war früher Bodybuilder und Triathlet, die Mutter fuhr Kajak und radelte. Erst als Cole zum Studium nach Hawaii ging, entwickelte sie eine Leidenschaft fürs Segeln. Nach ihrem Abschluss zog sie nach Maine, jobbte für eine Firma, die Boote zustellte, arbeitete bei deren Instandhaltung mit, lernte so alles von der Pike auf.

Kampf gegen Belästigung Dann kamen die ersten Regatten, sie war oft die einzige Frau an Bord, wurde belächelt, gewann, im Juli etwas die Regatta Bermuda One-Two – als erste Frau. Ihre Weltumsegelung sieht sie deshalb auch als eine Art Mission. "Ich kämpfe schon seit Jahren für gleiche Bezahlung und gegen Belästigungen im Sport", sagt sie. "Ich habe erlebt, wie Frauen ausgebremst wurden. Ich mache diese Rennen für sie."

Milky Way Manches macht sie aber auch nur für sich. An manchen Abenden breitet sie eine kleine, schwarze Matte an Deck aus, legt sich ihren Schlafsack und die Pölster kuschelig zurecht und starrt einfach in den Nachthimmel. "In den Tropen", sagt sie, "ist das besonders nett. Du siehst die Milchstraße wie einen Wasserfall und kannst nicht unterscheiden, wo der Ozean beginnt, und der Himmel endet." Manchmal ist das Leben eben doch ein Traum.

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