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Seit 27 Jahren vermisst: Eltern suchen weiter nach ihrer Tochter

Im März 1998 verschwand die damals 24-jährige Amy Bradley auf einer Karibik-Kreuzfahrt spurlos. Ein Gericht hat die Frau mittlerweile für tot erklärt, doch ihre Familie sucht unablässig nach ihr. Jetzt hat sogar Netflix diesem tragischen Fall eine Dokumentation gewidmet.

Wird seit einer Karibik-Kreuzfahrt im März 1998 vermisst: Amy Bradley, damals 24 Jahre alt. Jetzt beleuchtet eine dreiteilige Netfilx-Doku ihr Verschwinden
Wird seit einer Karibik-Kreuzfahrt im März 1998 vermisst: Amy Bradley, damals 24 Jahre alt. Jetzt beleuchtet eine dreiteilige Netfilx-Doku ihr VerschwindenCourtesy of Netflix
Christian Klosz
Akt. 22.07.2025 02:26 Uhr

Die meisten Verbrechen enden klar und mit einem unumstößlichen Resultat: Jemand ist entweder verletzt - oder noch schlimmer: tot – oder wird, in den glücklicheren Fällen, gerettet. Aber so oder so: Für die Familien, Freunde, Partner der Opfer gibt es am Ende eine Gewissheit, selbst wenn sie oft schmerzhaft ist.

Zwischen Hoffen und Bangen Doch was, wenn Unklarheit herrscht? Wie muss es für das Umfeld sein, wenn es selbst 27 Jahre später weiter im Dunkeln tappt, zwischen Hoffen und Bangen zerrissen wird? Die dreiteilige Doku-Serie "Amy Bradley ist spurlos verschwunden" auf Netflix befasst sich mit genau so einem Fall. Und nimmt dabei insbesondere das Schicksal der Familie des – vermeintlichen? – Opfers in den Fokus.

Was ist geschehen? Wir schreiben das Jahr 1998. Amy Lynn Bradley stammt aus der Kleinstadt Petersburg in Virginia, ist Mitte 20, hat gerade das College abgeschlossen, ihre erste eigene Wohnung und einen neuen Job in Aussicht. In der Schule war sie erfolgreiche Basketballspielerin, überall beliebt, eine starke, selbstbewusste junge Frau am Beginn ihres Erwachsenenlebens.

Familienurlaub auf hoher See Gemeinsam mit ihren Eltern Ron und Iva und ihrem jüngeren Bruder Brad macht sie sich im März 1998 auf zu einer fünftägigen Kreuzfahrt in die Karibik, ihre Eltern hatten die Reise bei einer Firmen-Tombola gewonnen. An Bord der "Rhapsody of the Sea", so heißt das riesige Schiff, ist die Stimmung ausgezeichnet, eine Band sorgt für die musikalische Unterhaltung der 2.000 Passagiere. Auch Amy und ihr Bruder Brad amüsieren sich, trinken. Sie tanzt mit dem Bassisten der Bord-Band, wie Fotos und Videos festhalten. Es ist die Nacht auf den 24. März.

Die "Rhapsody of the Sea" Ende der 1990er-Jahre: "1.000 Menschen aus der Mannschaft suchten nach Amy
Die "Rhapsody of the Sea" Ende der 1990er-Jahre: "1.000 Menschen aus der Mannschaft suchten nach Amy
Courtesy of Netflix

Plötzlich spurlos verschwunden Gegen 3.30 Uhr früh gehen die beiden in ihre Kabine, machen es sich noch auf dem kleinen Balkon gemütlich, der direkt an der Reling liegt. Amys Vater sagt später, er habe seine Tochter – allein – noch zwei Stunden später dort gesehen. Doch kurz darauf, am nächsten Morgen, fehlt jede Spur von Amy Bradley. Sie ist weg, mitsamt ihren Zigaretten und ihrem Feuerzeug, spurlos verschwunden.

Wo ist Amy Bradley? Ihre Familie beginnt sich Sorgen zu machen, durchsucht das Schiff, fragt andere Passagiere, bittet die Mannschaft um Hilfe. Doch dort heißt es, man wolle keine Panik verbreiten, immerhin gebe es noch 2.000 andere Passagiere, die ihren Urlaub genießen wollen. Als das Schiff im Hafen der kleinen Insel Curaçao anlegt, ist Amy weiter verschwunden. Nachdem die meisten Passagiere das Schiff verlassen haben, durchsucht die fast 1.000-köpfige Crew die "Rhapsody of the Sea". Doch sie findet nichts.

Gestürzt, gesprungen, entführt? Inzwischen werden die Behörden informiert und beginnen zu ermitteln, auch das FBI schaltet sich ein. Passagiere berichten, sie hätte Amy in der Nacht mit dem Bassisten gesehen, Gerüchte machen die Runde. Manche vermuten einen Unfall - sie könnte über Bord gestürzt sein -, andere Suizid. Wieder andere gehen von einem Verbrechen aus: Jemand könnte sie ins Wasser geworfen haben – doch am Ufer wird keine Leiche gefunden. Oder wurde sie entführt, von Bord geschafft, gegen ihren Willen?

Gesichtet, aber nicht gefunden Familie Bradley kehr schließlich ohne Amy zurück in die Heimat. Die junge Frau ist verschwunden – und bleibt es auch. Doch ihre Familie hat die Hoffnung nicht aufgegeben, dass ihre Tochter noch am Leben ist. Immer wieder tauchten in der Vergangenheit Berichte auf, Zeugen meldeten sich, die Amy in der Karibik gesehen haben wollen. Und im Internet findet sich 2005 auf der Website eines Escort Service das Bild einer Frau, die exakt wie die Verschwundene aussieht … Doch auch diese Spur führt ins Leere.

True Crime-Puzzle "Amy Bradley ist spurlos verschwunden" schildert den Fall in solider Netflix-Manier. Filmtechnisch gibt die Doku-Serie nicht viel her, aber es ist die rätselhafte, ergreifende Geschichte, die das Format dennoch sehenswert macht: Zigtausende True Crime- und Mystery-Fans befassen sich täglich mit dem Fall, spinnen ihre Theorien, versuchen, Amy Lynn Bradley zu finden. Inzwischen gibt es sogar eine eigene Website: amybradleyismissing.com – dort können auch Tipps und Hinweise geteilt werden.

Glauben und Hoffen Im Fokus der Serie steht aber das Schicksal der zurückgebliebenen Familie, die auch nach 27 Jahren keine Gewissheit hat: Lebt die geliebte Tochter und Schwester noch? Wenn ja, wo, was ist mit ihr passiert, warum meldet sie sich nicht? Ihr Bruder Brad meint an einer Stelle in der Serie, ihm sei es lieber so, weil es dadurch noch Hoffnung gibt.

Bemerkenswerte Resilienz Andere würden an der Ungewissheit vermutlich zugrunde gehen oder die Sache für sich abschließen. Doch die Bradleys zeigen bemerkenswerte eine Stärke. Sie geben nicht auf, obwohl manche ihr Schicksal auf grausame Weise ausnutzen: 1999 wurden sie sogar Opfer eines Betrügers, der behauptete, er könnte Amy befreien. Insgesamt erschlich sich der Mann so 200.000 Dollar, später wurde er gefasst und verurteilt.

"Vielleicht morgen …" Der Vorfall wird zwar in der Dokumentation nicht erwähnt, illustriert aber die Resillienz der Familie. Besonders bewegend ist es, wenn Amys Mutter Iva schildert, dass sie und ihr Mann Ron jeden Abend mit den Worten "Vielleicht finden wir sie morgen" ins Bett gehen. Und jeden Morgen mit den Worten "Vielleicht heute …" aufstehen.

Amy mit ihrem Bruder Brad, kurz vor ihrem mysteriösem Verschwinden
Amy mit ihrem Bruder Brad, kurz vor ihrem mysteriösem Verschwinden
Courtesy of Netflix

Achtung, Spoiler! Ab hier nur weiterlesen, wenn Sie die Serie schon gesehen haben

Was ist der aktuelle Stand der Ermittlungen? Zum einen wurde Amy Bradley 2010 für tot erklärt. Zum anderen gilt der Fall aber immer noch als "offen" und es gibt weiterhin eine ausgesetzte Belohnung für Tipps und Hinweise. Die Familie Bradley sowie alte Freundinnen oder die Ex-Partnerin von Amy glauben weiterhin daran, dass sie am Leben ist. Es besteht wohl die Hoffnung, dass durch die Netflix-Doku auch Menschen, die bisher nichts davon wussten, mit dem Fall vertraut werden und sich mit Hinweisen melden.

Warum ist die Suche so schwierig? Zum einen natürlich, weil das Verschwinden von Amy Bradley nun bereits 27 Jahre her ist. Mögliche Spuren sind längst zerstört, mögliche Zeugen verschwunden oder tot. Ein weiterer Faktor war von Beginn an die komplizierte juristische Zuständigkeit: Bradley verschwand auf hoher See, also in internationalen Gewässern.

Kompetenzen-Dschungel Curaçao ist eine ehemalige niederländische Kolonie mit eigenen, nicht zwingend gut ausgestatteten Behörden. Bradley ist US-Amerikanerin, weshalb auch das FBI zuständig ist. Die US-Behörden können aber nicht einfach in anderen Staaten ermitteln oder Verdächtige verhören. Oft scheiterte es in der Vergangenheit an diesem Zuständigkeits-Wirrwarr.

Was ist die wahrscheinlichste Theorie? Gerade die zahlreichen Augenzeugenberichte klingen äußerst glaubwürdig. Und das Foto von der Escort-Website wurde von FBI-Experten analysiert, die Frau darauf als Amy Bradley identifiziert. Das Foto wurde um 2005 gemacht. So scheint es nicht unwahrscheinlich, dass Bradley noch am Leben ist. Schwer zu erklären ist allerdings, weshalb sie sich in all den Jahren nie gemeldet hat. Wurde bzw. wird sie mit Gewalt festgehalten?  Oder hat sie ihr altes Leben bewusst hinter sich gelassen?

Sucht seit 27 Jahren nach ihrem Kind: Mutter Iva Bradley in der Netflix-Doku "Amy Bradley ist spurlos verschwunden",
Sucht seit 27 Jahren nach ihrem Kind: Mutter Iva Bradley in der Netflix-Doku "Amy Bradley ist spurlos verschwunden",
Courtesy of Netflix

Fazit "Amy Bradley ist spurlos verschwunden" überzeugt als Mischung aus packendem True Crime-Puzzle und sensiblem Porträt von Familie und Freunden der Verschwundenen, die auch Jahrzehnte später sie Hoffnung nicht aufgegeben haben. Die Doku-Serie setzt weniger auf Sensationsgier, sondern stellt die menschlichen Schicksale in den Fokus. Man kann am Ende gar nicht anders, als den Bradleys doch noch ein Happy End zu wünschen.

"Amy Bradley ist spurlos verschwunden", True-Crime, Dokumentation. USA 2025, 3 Episoden à ca. 40-50 Minuten, Netflix

Christian Klosz
Akt. 22.07.2025 02:26 Uhr