Autokrise

VW-Vorstand gegen Betriebsrat: Frontalcrash ohne Airbag

Im Finanzplan von Europas größtem Autobauer fehlen bis zu fünf Milliarden Euro. Nun sollen eine Werk und eine Fabrik schließen, Kündigung stehen im Raum. Der Betriebsrat kündigt "erbitterten Widerstand" an. Auch Österreich ist betroffen. Die Hintergründe.

Bei einer Betriebsversammlung Mittwochvormittag erläuterte der VW-Vorstand (im Bild links) tausenden Mitarbeitern die Notwendigkeit der Sparpläne. Dabei kam es zu lautstarken Protesten
Bei einer Betriebsversammlung Mittwochvormittag erläuterte der VW-Vorstand (im Bild links) tausenden Mitarbeitern die Notwendigkeit der Sparpläne. Dabei kam es zu lautstarken Protesten
Moritz Frankenberg / dpa / picturedesk.com
Newsflix Redaktion
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Da soll noch einmal einer sagen, Print sei tot. Wenn der Betriebsrat des Autobauers Volkswagen seinen Mitgliedern etwas mitzuteilen hat, dann nutzt er dafür immer noch gerne das gedruckte hausinterne Gewerkschaftsblatt "Mitbestimmen! extra". Vergangenen Montag, den 2. September, war es wieder soweit. Der Betriebsrat rief zum Widerstand gegen massive Sparpläne des VW-Managements auf.

Am darauffolgenden Mittwoch dann eine erste Machtdemonstration der VW-Belegschaft. Bei einer Betriebsversammlung erläuterte der versammelte Vorstand seine Einsparungspläne und weshalb diese aus seiner Sicht notwendig seien. 25.000 Mitarbeiter versammelten sich dafür, sie gingen längst nicht alle in die riesige Halle 11 auf dem Werksgelände in Wolfsburg, also wurde auf eine Videowall im Freien übertragen. Mit Plakaten, Sprechchören und minutenlangen Pfiffen gegen das Management machten die Mitarbeiter ihrem Ärger – und wohl auch ihrer Sorge – Luft. Denn dem Unternehmen fehlen Milliarden. Wie VW aus der Spur kam, Gründe und Hintergründe:

25.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kamen am Mittwochvormittag zusammen, um den Einsparungsplänen der Konzernspitze mit Sprechchören und Pfiffen eine Absage zu erteilen
25.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kamen am Mittwochvormittag zusammen, um den Einsparungsplänen der Konzernspitze mit Sprechchören und Pfiffen eine Absage zu erteilen
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Wie groß ist der Volkswagen-Konzern?
Die Volkswagen Group mit Sitz in Wolfsburg, Deutschland, ist der größte Autobauer Europas. Zum Konzern gehören zehn Marken: Volkswagen, Volkswagen Nutzfahrzeuge, Škoda, Seat, Cupra, Audi, Lamborghini, Bentley, Porsche und Ducati. Das Unternehmen hat weltweit 684.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, machte im Vorjahr 322,2 Milliarden Euro Umsatz und lieferte ein Ergebnis von knapp 18 Milliarden Euro ab, um gut 2 Milliarden mehr als im Jahr davor. Der Konzern betreibt insgesamt 114 Produktionsstätten weltweit und lieferte 2023 über 9 Millionen Fahrzeuge aus.

Wem gehört Volkswagen?
Es handelt sich um eine Aktiengesellschaft, die Erstemission fand 1961 statt. Die Vorzugs- und Stammaktien werden an Wertpapierbörsen in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hannover, Hamburg, München und Stuttgart gehandelt.

Das sind die Volkswagen-Eigentümer

  • Porsche Automobil Holding SE 31,9 Prozent
  • Ausländische institutionelle Anleger 20 Prozent
  • Land Niedersachsen 11,8 Prozent
  • Qatar Holding LLC 10 Prozent
  • Private Shareholder 24,1 Prozent
  • Deutsche institutionelle Anleger 2,2 Prozent
Nach der Betriebsversammlung informierten die VW-Betriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo und Thorsten Gröger von der Gewerkschaft IG Metall über die Pläne des Vorstandes und kündigten "erbitterten Widerstand" an
Nach der Betriebsversammlung informierten die VW-Betriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo und Thorsten Gröger von der Gewerkschaft IG Metall über die Pläne des Vorstandes und kündigten "erbitterten Widerstand" an
Moritz Frankenberg / dpa / picturedesk.com

Was ist das Besondere an der Eigentümer-Struktur?
53,3 Prozent der Stimmrechte übt die Porsche Automobil Holding SE, Stuttgart aus, dahinter stehen die Eigentümerfamilien Porsche und Piëch. 20 Prozent aber liegen in der Hand des Landes Niedersachsen. Die öffentliche Hand spricht also bei Volkswagen massiv mit. Im Aufsichtsrat sitzen Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Vize-Ministerpräsidentin Julia Willie Hamburg (Grüne).

Was ist nun am Montag geschehen?
Der Betriebsrat informierte die Belegschaft in seinem Blatt "Mitbestimmen! extra" über geplante Sparmaßnahmen im Konzern, der "Spiegel" berichtete als Erster darüber. In einem Treffen der Führungskräfte hatte Thomas Schäfer, Chef von Volkswagen, ein düsteres Bild der Geschäftsentwicklung gezeichnet, es seien milliardenschwere Einsparungen nötig.

Von wie viel Geld ist die Rede?
Laut "Spiegel" klafft im Finanzplan der Marken Volkswagen und VW Nutzfahrzeuge aktuell eine Lücke von vier bis fünf Milliarden Euro.

Die Volkswagen-Fabrik in Wolfsburg ist eine Stadt in der Stadt
Die Volkswagen-Fabrik in Wolfsburg ist eine Stadt in der Stadt
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Was soll nun passieren?
Die Volkswagen AG will ein umfassendes Restrukturierungs-Programm starten und es dürfte laut Gewerkschaftsblatt "Mitbestimmen! extra" massiv ausfallen. Kernpunkte: "Werkschließungen von fahrzeugproduzierenden und Komponenten-Standorten können nicht mehr ausgeschlossen werden". Der Plan, über Altersteilzeit und Abfindungen gegenzusteuern, reiche laut Vorstand nicht mehr aus. "Feste Produkt- sowie Investitionszusagen" wackeln. Heißt: Es soll auch zu Kündigungen kommen. Bei der Betriebsversammlung am Mittwoch bestätigte dann der Vorstand die kolportierten Einsparungspläne und erläuterte, weshalb diese aus seiner Sicht alternativlos seien.

Weshalb sind die Einsparungspläne aus Managementsicht notwendig?
Weil die Absatzzahlen seit Jahren zurückgingen. "Die Kernmarke VW gibt seit geraumer Zeit mehr Geld aus, als wir einnehmen", sagte Finanzchef Arno Antlitz am Mittwoch. Das sei auf Dauer nicht haltbar. VW fehlten die Verkäufe von rund 500.000 Autos und damit die Kapazitäten von zwei Werken. Diese stehen nun deshalb auf der Kippe.

Warum ist das bei Volkswagen besonders heikel?
Weil es eine "Beschäftigungssicherung" im Konzern gibt, die bis 2029 gilt. Der Vorstand hat der Belegschaft also zugesichert, dass in den nächsten fünf Jahren niemand vor die Tür gesetzt wird. Nun soll die Vereinbarung aufgekündigt werden. Dann sind auch betriebsbedingte Kündigungen möglich. Die "Beschäftigungssicherung" gibt es bereits seit 1994 und sie wurde seither immer wieder im beiderseitigen Einvernehmen für einen bestimmten Zeitraum erneuert.

Wie viele Jobs könnten wegfallen?
Das ist momentan noch nicht klar. Deutsche Medien spekulierten am Montag über 20.000 bedrohte Arbeitsplätze, wenn tatsächlich zwei Werke zugesperrt werden.

Was sind die Gründe für die Krise?
Es handelt sich wohl um eine Mischung aus vielen Problemen. Gestiegene Materialkosten, Kunden, die bei den Sonderausstattungen sparen, ein schwächelnder Verkauf in den USA, der in die roten Zahlen geführt hat, und die niedrigen Gewinnmargen von Elektroautos.

Der Fußballklub VFL Wolfsburg mit Österreichs Trainer Ralph Hasenhüttl lebt vom VW-Sponsorgeld
Der Fußballklub VFL Wolfsburg mit Österreichs Trainer Ralph Hasenhüttl lebt vom VW-Sponsorgeld
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Soll es tatsächlich zu Werkschließungen kommen?
Ja, der Vorstand denkt darüber nach. Ein größeres Werk, in dem Fahrzeuge hergestellt werden, sowie eine Komponentenfabrik in Deutschland seien laut dem Magazin "Spiegel" "überflüssig".

Hat Volkswagen schon jemals ein Werk in Deutschland zugesperrt?
Nein.

Wie viele Werke betreibt Volkswagen in Deutschland?
Betrieben werden 13 "zentrale Standorte" in Berlin, Braunschweig, Chemnitz, Dreieich, Dresden, Emden, Hannover, Kassel, München, Osnabrück, Salzgitter und Zwickau. Dazu gibt es den Hauptstandort in Wolfsburg, hier liefen im Vorjahr 480.000 Fahrzeuge vom Band. Das Werksgelände hat eine Fläche von 6,5 Quadratkilometern und ist damit doppelt so groß wie die Wiener City, über 60.000 Menschen arbeiten vor Ort.

Warum ist die aktuelle Situation auch politisch brisant?
Weil bei der Volkswagen AG, wie erwähnt, das Land Niedersachsen als Miteigentümer mitredet. Kommt es nun zu Entlassungen, dann wird sich die Debatte tief in die Politik hineinziehen. Nach dem Desaster der etablierten Parteien bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen der nächste Brennpunkt.

Stephan Weil (Mitte, mit Bundeskanzler Olaf Scholz, rechts), SPD-Ministerpräsident von Niedersachsen, sitzt im Aufsichtsrat von VW
Stephan Weil (Mitte, mit Bundeskanzler Olaf Scholz, rechts), SPD-Ministerpräsident von Niedersachsen, sitzt im Aufsichtsrat von VW
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Wie wehrt sich der Betriebsrat?
Der ist bei Volkswagen traditionell stark. Betriebsratschefin Daniela Cavallo hielt noch am Montag eine Brandrede vor dem Werkstor in Wolfsburg: "Die Arbeitnehmerseite wird massiven Widerstand an den Tag legen", sagte sie dabei. "Mit mir wird es keine Standortschließungen geben." Im Anschluss an die Betriebsversammlung am Mittwoch legte die Betriebsratsvorsitzende dann im Beisein von Thorsten Gröger von der Gewerkschaft IG Metall nochmals nach. Die geplante Aufkündigung der Beschäftigungssicherung bezeichnete sie als "großen Tabubruch" und kündigte "erbitterten Widerstand" gegen die Konzernpläne an, sollte sich der Vorstand nicht mit der Gewerkschaft an den Verhandlungstisch setzen. Die Betriebsratschefin erklärte, dass die Belegschaft geschlossen hinter ihrer Vertretung stehe und diese unterstützen werde, wenn sie gerufen wird. Gewerkschaftsvertreter Gröger schloss Streiks nicht aus.

Wie verhält sich die Politik?
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat nach Angaben seines Sprechers bereits Gespräche mit dem VW-Management und dem Betriebsrat geführt. Und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kündigte an, die Politik werder dem kriselnden Konzern politisch unter die Arme greifen. Die Bundesregierung werde Impulse für Elektromobilität setzen, sagte der Politiker, denn: "Deutschland muss ein starkes Autoland bleiben." Ds ist insofern kurios, weil die Bundesregierung erst vor einem Jahr sämtliche finanziellen Unterstützungen zur Stärkung der Elektromobilität quasi im Handstreich gekappt hat und dadurch die aktuelle Absatzkrise bei E-Autos mit verschuldet hat.

Warum Volkswagen nicht irgendein Unternehmen ist?
Dazu muss man sich einmal nur das Engagement im Sport anschauen (das nun wohl ebenfalls hinterfragt wird). Volkswagen sponsert den Fußballklub VFL Wolfsburg (Trainer ist der Österreicher Ralf Hasenhüttl) und den DFB, engagiert sich im Nachwuchsbereich des FC Bayern und gemeinsam mit Porsche bei RB Leipzig. Direkt oder indirekt unterstützt man die Braunschweiger Eintracht, Dynamo Dresden, den VfL Osnabrück, den FSV Zwickau, den Chemnitzer FC  und einige unterklassigere Vereine.

Hat die VW-Krise Auswirkungen auf Österreich?
Und ob! Österreich gilt als klassisches Zulieferland der deutschen Autoindustrie. 193.000 Jobs hängen laut Wirtschftskammer direkt oder indirekt von diesem Markt ab.  Es geht um einen Produktionswert von 24,4 Milliarden Euro und eine geschätzte Wertschöpung von rund 7,4 Milliarden. Vor allem: Experten sind sich einig, dass Volkswagen nur der Auftakt war. In der Autoindustrie droht ein Gemetzel.

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