Drei Tote, 62 Geiseln und ein blamierter Innenminister: Vor 50 Jahren schüttelte Österreich dem internationalen Terrorismus die Hand. Der OPEC-Überfall schockte das Land. Im Mittelpunkt: Eine skrupellose Terroristin, die nie zur Verantwortung gezogen wurde.

Ich hatte mir für die Weihnachtsfeiertage freigenommen. Meine Mutter und mein Großvater lebten in Kärnten, und genau dorthin war ich an diesem 21. Dezember 1975 unterwegs.
Mein Arbeitsplatz war der ORF in Wien, ich berichtete vorwiegend über Innenpolitik. Dass zu diesem Zeitpunkt ein Terrorakt verübt wurde, erfuhr ich erst am Abend in der Zeit im Bild und am nächsten Tag aus den Zeitungen.
Die OPEC-Zentrale, schräg gegenüber der Universität, war von einem international gesuchten venezolanischen Terroristen namens Illich Ramirez Sanchez, besser bekannt unter seinem Kampfnamen Carlos, und fünf weiteren Kommandomitgliedern überfallen worden. Die Sicherheitsmaßnahmen waren mehr als lax: der Polizist, der den Eingang bewachte, ließ die Gruppe, die in ihren Sporttaschen Sprengstoff, Gewehre und Pistolen mit sich trugen, ungehindert passieren.
Zwei Kriminalbeamte waren im ersten Stock im Einsatz, Josef Janda und Anton Tichler, er stand kurz vor seiner Pensionierung. Beide waren unbewaffnet, das Gebäude war als exterritoriales Gebiet definiert.

Drei Menschen wurden schon in der Anfangsphase des Überfalls erschossen, der Terrorakt weitete sich danach zu einer Geiselnahme aus. Die Todesopfer waren der Leibwächter des irakischen Erdölministers, Ala Saces al Khafazi, das libysche Delegationsmitglied Jussuf Izmirli und der Österreicher Anton Tichler.
Er soll die englisch gestellte Frage einer Frau, ob er Polizist sei, bejaht haben. Daraufhin wurde er mit einem Schuss in den Nacken getötet.
Insgesamt wurden 62 Personen als Geiseln genommen, elf Minister der OPEC-Staaten sowie weitere Delegationsmitglieder und OPEC-Mitarbeiter. Der damalige Bundeskanzler Bruno Kreisky traf erst am Abend in Wien ein, er musste erst aus Lech, seinem Urlaubsort, anreisen.
Hektische Verhandlungen führten schließlich dazu, dass den Terroristen samt ihren Geiseln für den nächsten Tag die Ausreise mit einem AUA-Flugzeug aus Wien Schwechat zugesagt wurde. Am Flughafen kam es zum denkwürdigen Handschlag zwischen Innenminister Otto Rösch und dem Terroristen Carlos.
Rösch, der sich damit rechtfertigte, die Hand "im Reflex" entgegen genommen zu haben, bekam das Stigma nie mehr los.

Dieser Tage stieß ich auf eine Ausgabe des deutschen Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL aus dem Februar 1983. Ein ausführlicher Artikel befasste sich, siebeneinhalb Jahre nach dem Attentat, nochmals mit dem Überfall auf die OPEC-Zentrale. Laut SPIEGEL klärte kein österreichisches Gericht diesen Überfall je völlig auf.
Eine der mutmaßlichen Mittäterinnen war das deutsche RAF-Mitglied Gabriele Kröcher-Tiedemann. Sie soll den Polizisten Anton Tichler erschossen haben. Kröcher-Tiedemann war – so das österreichische Justizministerium – "eindeutig der deutschen Terroristenszene zugerechnet worden."
Sie war erstmals im Juli 1973 in Bochum polizeilich aufgefallen, es war zu einem Schusswechsel mit einem Polizisten gekommen, er wurde schwer verletzt. Kröcher-Tiedemann wurde gefasst und zu acht Jahren Gefängnisstrafe verurteilt.
Aus den acht Jahren wurden jedoch nur zwei: Die Terroristin wurde nach der Entführung des deutschen CDU-Politikers Peter Lorenz freigepresst. Rechtzeitig, um nur wenige Monate später am OPEC-Überfall teilzunehmen.

Sie wusste allerdings nicht, dass ihr ein Foto, das im Zusammenhang mit der Lorenz-Entführung gemacht wurde, zum Verhängnis werden würde. Mithilfe dieser Aufnahme, so berichtet der SPIEGEL, hätten sie viele Zeugen als eine der Mittäterinnen des Anschlags in Wien identifiziert.
Laut dem saudischen Erdölminister Ahmed el Jamani soll sie damals, an Carlos gerichtet, gesagt haben: "Ich habe zwei umgebracht!"
Zwei Jahre später tauchte Kröcher-Tiedemann wieder in Österreich auf. Nicht als Touristin, sondern wieder als Terroristin. Sie soll an der Entführung von Walter Michael Palmers am 9. November 1977 beteiligt gewesen sein. Palmers wurde nach der Zahlung von viereinhalb Millionen Mark vier Tage später freigelassen.
Alle Täter entkamen, österreichische Mithelfer, vorwiegend Studenten, kamen mit mehrjährigen Freiheitsstrafen davon. Auch Kröcher-Tiedemann landete im Gefängnis.
Allerdings weder wegen des OPEC-Überfalls, noch wegen der Palmers-Entführung. Sie war nach einer Schießerei in der Schweiz, bei der sie zwei Polizisten schwer verletzt hatte, verhaftet worden. In ihrem Gepäck fanden die Schweizer Behörden markiertes Lösegeld aus der Palmers-Entführung.

Rund zwei Drittel der fünfzehnjährigen Haft verbrachte Kröcher-Tiedemann in einem eigens für sie errichteten Sondertrakt des Frauengefängnisses von Hindelbank. Im Dezember 1987 wurde sie nach Deutschland überstellt, wo ihr der Prozess wegen des Überfalls und der Morde in der OPEC-Zentrale gemacht wurde.
Die österreichischen Behörden waren dabei nicht sehr hilfreich. Obwohl klar war, dass die Terroristen keine Handschuhe getragen hatten, wurden im Gebäude keine Fingerabdrücke genommen, auch die Zeugenaussagen waren nicht verwertbar. So wurde Kröcher-Tiedemann für diesen Tatvorwurf freigesprochen.
1991 – sie hatte sich inzwischen vom Terrorismus distanziert – wurde sie entlassen. Im darauffolgenden Jahr erkrankte sie an Krebs und starb im Oktober 1995 im Alter von 44 Jahren. Die Morde in Wien blieben ungesühnt.
Eugen Freund war Moderator der ZiB 1, lebte von 1979 bis 1984 in New York und war von 1995 bis 2001 in Washington als ORF-Korrespondent tätig. Er war Teil der SPÖ-Delegation im Europa-Parlament und ebendort Mitglied der USA-Delegation (2014-2019)