"Babygirl" Im Kino

Warum Kidmans heißer Sex mit Praktikanten viele kalt lässt

Als sexuell frustrierte Powerfrau, die sich einem jungen Angestellten hingibt, feierte Nicole Kidman bei den Filmfestspielen von Venedig 2024 einen Triumph. Jetzt startet "Babygirl" in den heimischen Kinos – und hinterlässt eher einen faden Nachgeschmack.

"Hast du die Milch bestellt?" Nicole Kidman lässt sich in "Babygirl" auf das Spiel von Macht und Hinhabe ein
"Hast du die Milch bestellt?" Nicole Kidman lässt sich in "Babygirl" auf das Spiel von Macht und Hinhabe ein
2024 Constantin Film / Niko Tavernise
Christian Klosz
Uhr
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In den 1980ern und 1990ern hatten "Erotik-Thriller" Hochkonjunktur, die nicht selten von Männern in Machtpositionen handelten, die sich auf Affären mit verführerischen Frauen einließen.

"Eine verhängnisvolle Affäre" mit Michael Douglas und Glenn Close (1987) war das Paradebeispiel, "Ein unmoralisches Angebot" mit Robert Redford, Demi Moore und Woody Harrelson (1993) erweiterte das Setting auf eine Dreiecksbeziehung, "9 1/2 Wochen" mit Mickey Rourke und Kim Basinger (1986) fügte einen Sadomaso-Aspekt hinzu und "Basic Instinct" mit Michael Douglas und Sharon Stone (1992) war eine moderne Variation der Femme Fatale-Erzählung.

Zeigt keinerlei Respekt vor Romys (Nicole Kidman) Machtposition: Praktikant Samuel (Harris Dickinson)
Zeigt keinerlei Respekt vor Romys (Nicole Kidman) Machtposition: Praktikant Samuel (Harris Dickinson)
2024 Constantin Film / Niko Tavernise

Umgekehrte Vorzeichen In den letzten paar Jahren – insbesondere seit #MeToo – erschienen vermehrt Filme unter umgekehrten Vorzeichen, meist von Regisseurinnen, die das Genre unter feministischen Vorzeichen umdeuteten. Vor diesem Hintergrund muss man auch "Babygirl" betrachten, den neuen Film der niederländischen Autorin-Regisseurin Halina Reijn.

Das perfekte Leben? Der handelt von Romy Mathis (Nicole Kidman bekam für ihre Darstellung den Goldenen Löwen in Venedig), die Gründerin und CEO eines erfolgreichen Robotikunternehmens in New York ist. Sie hat alles: Macht, Geld, Einfluss und obendrein eine nach außen hin perfekte Familie, 2 Kinder und einen Mann (Antonio Banderas), der sie liebt und in allem unterstützt. Sie gilt als feministisches Vorbild, als eine Frau, die es "ganz nach oben" geschafft hat und andere inspiriert. Alles wunderbar, könnte man meinen.

Verführerischer Praktikant Doch was Romy nicht hat: Sexuelle Erfüllung. Sie habe nie einen Orgasmus mit ihrem Mann gehabt, sagt sie, nach fast 20 Jahren Ehe, der Beischlaf endet nicht selten mit Masturbation zu Pornos auf ihrem Laptop (damit beginnt auch der Film). Daher ist Romy mehr als anfällig für die verqueren Avancen des neuen Praktikanten Samuel (Harris Dickinson), der so gar keinen Respekt vor der Machtposition Romys zu haben scheint.

Verkehrte Machtverhältnisse Erst sind es kleine Gesten, beiläufig fallen gelassene Bemerkungen seitens des Praktikanten, die Romys Interesse wecken. Sie flüchtet sich in Fantasien, masturbiert mit seiner Krawatte, die er in der Firma bei einer Feier vergessen hat. Bei einem Meeting der beiden kommt es zum ersten Kuss, der der Beginn einer Affäre ist, in der Samuel den dominanten Part einnimmt und Romy den submissiven - eine Umkehrung der tatsächlichen Machtverhältnisse zwischen den beiden.

Aus anfänglicher Faszination für das Unbekannte wird rasch eine wilde, leidenschaftliche Affäre zwischen Chefin und Mitarbeiter
Aus anfänglicher Faszination für das Unbekannte wird rasch eine wilde, leidenschaftliche Affäre zwischen Chefin und Mitarbeiter
2024 Constantin Film / Niko Tavernise

Existenz vor dem Kollaps Romys Aufwand, die Affäre geheim zu halten, vor ihren Mitarbeitern, dem Konzern und vor allem vor ihrer Familie, wird immer größer. Sie ist hin- und hergerissen zwischen Sehnsucht nach sexueller Erfüllung und Treue zu ihren Liebsten. Doch aus einem einmaligen "Ausrutscher" werden regelmäßige und immer exzessivere Treffen mit Samuel, meist in Hotels, mitten in der Nacht. Als Romy dem wilden Treiben schließlich ein Ende setzen will, droht sie alles zu verlieren.

Erster Post-#MeToo-Film? Weil zuvor von #MeToo-Filmen die Rede war, die Erotik-Thriller in feministische Emanzipationsgeschichten umdeuteten: Genau das ist "Babygirl" nicht, den man vielmehr als ersten "Post-#MeToo-Film" bezeichnen kann. Er nimmt zwar eine "weibliche Perspektive" ein, die der Protagonistin. Erzählt aber keine Geschichte von männlicher Macht und Unterdrückung, sondern eine von weiblicher Verzweiflung, von unerfüllten und dunklen Sehnsüchten. Romy ist selbst diejenige in einer Machtposition, sie ist die Ältere, Samuel viel jünger, diese Fragen werden auch immer wieder reflektiert.

Romy (Nicole Kidman) ist sexuell frustriert, aber Samuel (Harris Dickinson) weiß die richtigen Töne zu treffen
Romy (Nicole Kidman) ist sexuell frustriert, aber Samuel (Harris Dickinson) weiß die richtigen Töne zu treffen
2024 Constantin Film / Niko Tavernise

Erregung durch Zerstörung Aber auf andere Weise als in den klassisch feministischen Filmen der letzten Jahre: Samuel droht, dass sie "alles verlieren könne", wenn er dem Konzern von der Affäre erzählen würde. Was Romy seltsamerweise auch noch erregt. In gewisser Weise kommt Romy nur durch ihre berufliche Position in die Lage, mit Samuel, dem Praktikanten, eine Affäre zu beginnen. Und die Themen "Macht" und "Unter-/Überordnung" spielen in der sexuellen Affäre eine zentrale Rolle.

Homme Fatale Es ist aber eben genau nicht so, dass Romy ihre Macht vorsätzlich einsetzt, um den jungen Praktikanten "rumzukriegen". Vielmehr geht das Ganze von ihm aus, man könnte sagen: Er verführt sie (auch dieses Motiv kennt man, allerdings meist unter umgekehrten Vorzeichen). Er ist der Homme Fatale, spielt ein schwer zu durchschauendes Spiel, auf das sich Romy aufgrund ihrer (sexuellen) Frustration einlässt.

Ist vertraut und gibt Sicherheit, aber sonst? Romys Ehemann Jacob (Antonio Banderas)
Ist vertraut und gibt Sicherheit, aber sonst? Romys Ehemann Jacob (Antonio Banderas)
2024 Constantin Film Verleih

Sehnsucht nach Kontrollverlust Dass sie in der Beziehung die Submissive ist, die kontrollierte Machtfrau, die in ihrem beruflichen und privaten Leben stets alle Zügel in der Hand hat, kann man auch als interessanten Take über die "Schattenseiten der Macht" lesen. Über die Unfähigkeit von Menschen in Machtpositionen, Kontrolle abzugeben, egal ob Mann oder Frau – und eine Sehnsucht genau danach.

Wiederholungen Nun macht "Babygirl" all das recht gut, setzt sich bewusst und selbstbewusst mitten in diese gesellschaftlichen Diskurse. Aber wird dabei mit Fortlauf der Geschichte immer schwammiger, repetitiver und auch langweiliger. Regisseurin Reijn ist sich wohl bewusst, welche Implikationen ihr Film hat, welche Fragen er tangiert. Sie verweigert aber Antworten, was allerdings noch nicht per se ein Problem wäre.

"Ein Wort von mir, und du verlierst alles", sagt Samuel zu seiner Geliebten. Die findet das eher prickelnd als beängstigend
"Ein Wort von mir, und du verlierst alles", sagt Samuel zu seiner Geliebten. Die findet das eher prickelnd als beängstigend
2024 Constantin Film Verleih

Provokation als Selbstzweck Das Problem des Films ist vielmehr, dass er hauptsächlich auf Provokation als Stilmittel setzt. Aber diese Provokation ist nicht Mittel zum Zweck der Subversion, sondern Selbstzweck. Und so wirkt "Babygirl" mit seinen fast 2 Stunden Laufzeit irgendwie "hohl" und gerade am Ende vorhersehbar. Man möchte die "Auflösung" nicht zwingend "konservativ" nennen, aber schon etwas bieder.

Female Gaze In Anknüpfung an die Diskussion über den unterstellten "male gaze", den männlichen Blick auf Sexualität, könnte man von einem "female gaze" sprechen, einem masochistischen Sex-Fiebertraum aus weiblicher Perspektive. Das ist auch völlig in Ordnung. Aber in seiner Selbstzufriedenheit und -genügsamkeit doch ziemlich ermüdend.

Hot Stuff: Samuel (Harris Dickinson) hat der doppelt so alten Romy manches zu bieten
Hot Stuff: Samuel (Harris Dickinson) hat der doppelt so alten Romy manches zu bieten
2024 Constantin Film / Niko Tavernise

Fazit "Babygirl" hat fraglos seine Momente und fügt der Diskussion um "Sex-Politiken", Geschlechterrollen und Macht(missbrauch) interessante Aspekte hinzu. Auch die filmtechnische Umsetzung überzeugt. Doch Provokation als gestalterischer Selbstzweck, gepaart mit einem inhaltlich dünnen Drehbuch und recht unsympathischen Hauptfiguren, ist zu wenig für einen ambitionierten 2-Stunden-Film.

"Babygirl", USA 2024, 114 Minuten, ab sofort im Kino

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