Podcast
Was sagt uns Ostern, Frau Pfarrerin? – "Das Leben hat das letzte Wort"
Maria Katharina Moser, Direktorin der Diakonie Österreich und evangelische Pfarrerin, über Glauben, Zweifel, Sinn. Und warum sie eine Heilige werden wollte.
Sei 2018 ist Maria Katharina Moser Direktorin der Diakonie Österreich, Chefin also über 10.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In der vergangenen Woche wurde sie für weitere sechs Jahre im Amt bestätigt. Moser wurde in Wien geboren, wuchs in Eferding in Oberösterreich auf, war schon als Kind beseelt von einem starken Glauben. Sie studierte katholische Theologie in Wien und in Manila, promovierte, trat später dann zum evangelischen Glauben über, studierte evangelische Theologie und wurde Pfarrerin.
Die evangelische Kirche hat in Österreich 270.000 Mitglieder, Ostern spielt in dieser Glaubensgemeinschaft eine noch größere Rolle als im Katholizismus. Wie Moser zur Kirche fand, wann sie Zweifel hatte, ob Glauben heute noch zeitgemäß ist – die wichtigsten Passagen aus dem Podcast mit Christian Nusser. Maria Katharina Moser über:
Was die Diakonie ist
Ganz kurz gesagt: die Sozial- und Hilfsorganisation der evangelischen Kirchen.
Warum man sich das nicht als kleinen Betrieb vorstellen darf
Die Diakonie hat 10.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an ungefähr 620 Standorten in ganz Österreich, in verschiedenen Feldern: der sozialen Arbeit, Pflege, Inklusion von Menschen mit Behinderungen, Kinder und Jugendliche, Familienhilfe und natürlich auch der Bereich Flucht und Asyl und die Auslandshilfe.
Ob sie immer schon geglaubt hat
Interessanterweise ja, ich war recht ein frommes Kind. Vielleicht ist mir das geschenkt worden als Kind.
Ob sie deshalb in ein katholisches Privatgymnasium gegangen ist
Die Entscheidung haben ja die Eltern getroffen und es war tatsächlich ausschlaggebend, dass das Gymnasium mit dem Bus am besten erreichbar war.
Wie sie die Schulzeit erlebt hat
Wilhering war ursprünglich ein Knabengymnasium, zu dem später auch Mädchen zugelassen wurden. Ich war in den 80er-Jahren in der Schule, habe 1992 maturiert. Die Zuwendung zu den einzelnen Schülerinnen und Schülern war groß. Der Gemeinschaftsgeist war wichtig.
Ob das Elternhaus katholisch geprägt war
Sie waren der Kirche durchaus verbunden, aber nicht so ganz eng dabei. Für mich als Kind aber war das Teilnehmern an Gottesdiensten total schön.
Warum sie eine Heilige werden wollte
Ja, tatsächlich, ich wollte eine Heilige werden und das kam so: Ich habe ein Buch bekommen von großen und kleinen Heiligen und da war die Geschichte der Gründerin des Sacré-Cœur-Ordens drinnen. Sie hat ihren Schülerinnen ihre Lebensgeschichte erzählt und ihnen erklärt, dass sie gar nicht immer brav war als Kind, aber sie hat immer getan, was Gott von ihr wollte. Da habe ich mir gedacht, super, man muss nicht brav sein, man muss tun, was Gott von einem will, das ist super, das mache ich auch.
Ob sie deshalb katholische Theologie studiert hat
Ich war damals schon sehr verwurzelt in der Pfarrgemeinde. Es war eine Zeit, wo Jugendliche sich in katholischen Pfarrgemeinden recht viel engagieren konnten. Und gleichzeitig ist mir damals schon aufgefallen in der katholischen Kirche, dass da was nicht stimmt mit den Frauen. Ich habe nie verstanden, warum Frauen nicht Priesterinnen werden können und wollte das genauer wissen. Ich wusste auch schon, dass es sowas gibt wie feministische Theologie. Da wollte ich mich damit beschäftigen und das war ursprünglich der Grund, warum ich Theologie studiert habe.
Warum sie zur evangelischen Kirche übertrat
Das war für mich ein längerer Prozess. Ich habe eine große Liebe zum Wort, daher auch eine große Liebe zum Wort Gottes in der Bibel. Ich nehme den Umgang mit Worten in den evangelischen Gottesdiensten sehr genau wahr, also nicht einfach irgendwas dahin plappern. Das kommt manchmal auch vor, aber so grundsätzlich ist ein großer Respekt dem Wort gegenüber da und das war mir persönlich näher als die stärker ritualisierte Ausführung in katholischen Messen. Auch wenn das vielleicht das sinnlichere oder buntere ist. Sinnlich, muss man sagen, sind evangelische Gottesdienste ja auch, weil die Kirchenmusik ganz wichtig ist.
Was Sinnlichkeit im Gottesdienst heißt
Ich glaube, man verbindet meistens damit das Katholische, es gibt da mehr Rituale, der Weihrauch ist zu riechen. Es werden mehr Sinne angesprochen, evangelische Gottesdienste sind eher nüchtern.
Ihre sieben Jahre als Redakteurin für Religion im ORF
Das ist kein Kirchenfunk und insofern bin ich nicht als katholische Kirchenfunkerin hinein und als evangelische Kirchenfunkerin herausgegangen, sondern ja, das war wirklich Religionsjournalismus.
Ob es ein Erweckungserlebnis gab
Man muss sich irgendwo ein Limit setzen und sagen: Es ist jetzt soweit, jetzt mache ich das. Das habe ich mir ein bisschen mit meinem Kalender ausgemacht. Also ich wusste schon, dass ich konvertieren möchte, aber man muss ja irgendwie aufs Amt gehen und zuerst einmal aus der katholischen Kirche austreten.
Wie der Austritt aus der katholischen Kirche war
Ein bisschen absurd, muss ich sagen. Ich bin aufs Amt in Wien-Alsergrund und habe beim Automaten ein Markerl fürs Anstellen gezogen. Die gleiche Stelle war zuständig für Kirchenaustritte und fürs Parkpickerl.
Ob der evangelische Glaube eine Art "Katholizismus light" ist
Nein, nein! Die Tradition ist anders. Wir haben über Heilige gesprochen, die gibt es in der evangelischen Tradition nicht. Die haben in der katholischen Tradition so ein bisschen so eine Mittlerrolle, auch die Priester. Im Evangelischen ist die Gottesbeziehung sehr unmittelbar. Es ist vielleicht auch kein Zufall, dass die Reformation zusammenfällt mit dem Beginn der Neuzeit, wo das Individuum sozusagen ins Bewusstsein tritt.
Wie das Umfeld auf den Umstieg reagiert hat
Mein Papa war total süß. Er hat gesagt, okay, wenn wir dann Goldene Hochzeit haben, deine Mutter und ich, dann feiern wir einen ökumenischen Gottesdienst. Das haben wir dann auch gemacht. Meine Freundinnen aus der katholischen Tradition waren ein bisschen traurig, weil sie eine Mitkämpferin für Veränderungen in der katholischen Kirche in Bezug auf Frauenfragen verloren haben.
Warum sie sich als Feministin definiert
Für mich heißt Feministin zu sein zum einen, für Gleichberechtigung einzutreten und zum anderen sehr genau hinzuschauen, was Frauen zugeschrieben wird. Da gehört zum Beispiel die Sorgearbeit dazu, die sogenannte Care-Arbeit, die ganze Reproduktion des Versorgens, die Pflege, die Kinderarbeit, im Vergleich zur Produktionsarbeit. Tätigkeiten, die traditionell Frauen zugeschrieben werden, als gesellschaftlich absolut notwendig zu erkennen und neu zu bewerten. Das ist für mich ein wesentliches feministisches Anliegen. Passt auch ganz gut zur Diakonie.
Feminismus in der evangelischen Kirche
Wir haben in der evangelischen Kirche volle Gleichberechtigung. In der Praxis haben wir, glaube ich, noch Luft von oben.
Ob sie für Frauenquoten ist
Ich glaube nicht, dass die Quote alles lösen kann, aber tendenziell ja.
Wie sie die aktuelle Asyldebatte wahrnimmt
Mich ärgert, dass da immer so ein großes Ding draus gemacht wird. Wenn wir uns die Zahlen realistisch anschauen, wie viele Menschen in der sogenannten Grundversorgung sind, dann sind das immer ziemlich konstant 20.000 Menschen. Das ist, finde ich, nicht so wahnsinnig viel für so ein großes Land wie Österreich. Und wenn wir es vergleichen mit dem Thema Pflege, da sind eineinhalb Millionen Menschen in Österreich davon betroffen. Manchmal denke ich, das ist irgendwie so eine Ablenkungsdebatte.
Wozu jemand glauben sollte
Für mich heißt Glauben Hoffnung. Für mich heißt Glauben auch, dass mir mein Leben geschenkt ist. Wir denken immer, wir müssen alles selber schaffen und alles, was wir schaffen, ist auch unsere eigene Leistung. Wir brauchen niemanden. Und dann ist noch ein Thema ganz wichtig für mich persönlich, aber auch gesellschaftlich: Wir haben nicht alles in der Hand und unter Kontrolle. Das haben wir bei Corona ganz deutlich gesehen, das verdrängen wir gerne.
Wie oft sie am Glauben zweifelt
Mir ist ein solider Glaube geschenkt. Ich zweifle nicht sehr oft. Einen Moment des Zweifels hatte ich während meiner Pfarrerinnen-Ausbildung 2015. Als die vielen Menschen auf der Flucht in Österreich angekommen sind, hatte ich gerade Prediger-Seminar und es ist mir so blöd vorgekommen. So sinnlos. Da habe ich mir gedacht, super, jetzt hast dich entschieden, Pfarrerinnen zu werden und jetzt schlitterst du in eine Sinnkrise und in eine Glaubenskrise.
Wie sie zurückgefunden hat
Ich habe in der Methodistenkirche in der Sechshauser Straße Nachtdienst gemacht, da war ein Notquartier für Menschen auf der Durchreise, Menschen auf der Flucht. Und irgendwie konkret tätig zu sein, das hat dann den Glauben wieder gestärkt.
Ob sie Menschen versteht, die sich fragen, was ihnen der Glaube bringen soll
Ja, das verstehe ich gut. Aber das Wichtige am Glauben ist, nicht so ein naives "Alles wird gut"-Verständnis zu haben, sondern Hoffnung. Teuerung, die Nachwirkungen der Corona-Krise, Pflegebedarf, was auch immer: Angesichts einer belastenden Gegenwart, der Zukunft nicht mit Verzweiflung zu begegnen, sondern mit Hoffnung, das ist eine Kraft, die der Glaube schenken kann. Und ja, es ist ein Geschenk, das ich allen wünsche. Aber ich kann gut verstehen, wenn Menschen diese tragende Kraft nicht spüren können.
Ob Glauben noch zeitgemäß ist
Da spielt jetzt wieder der Individualismus rein – ich brauche keine Kirche oder keine Gemeinschaft zum Glauben. Und da, glaube ich, liegt ein großes Problem. Glaube ohne Gemeinschaft beginnt zu verdunsten. Mir tut das ein bisschen weh, wenn das so verloren geht. Wir müssen uns als Kirche fragen, ob wir diese tragende Kraft der Gemeinschaft und auch die tragende Kraft des Glaubens gut vermitteln. Ob wir offen sind, ob wir einladend sind.
Was an Ostern historisches Faktum ist, was Dichtung
Die Osterereignisse kennen wir aus der Bibel und die Bibel ist immer erzählte Erfahrung. Es ist ein theologischer Text, also es ist kein Tatsachenbericht in einem historischen Sinn, sondern es sind Geschichten, die uns etwas zu verstehen geben wollen. Und die Ostergeschichten wollen uns eigentlich Hoffnung zu verstehen geben. Das kommt alles vor, was man braucht, um hoffen zu können.
Was am Osterfest Hoffnung geben soll
Gemeinschaft am Gründonnerstag, das letzte Abendmahl als Erlebnis in der Gemeinschaft. Das Hinschauen auf das Leiden in dieser Welt, das ist der Karfreitag, was wir nicht gern tun in unserer Gesellschaft. Von daher, glaube ich, hat der Karfreitag eine hohe gesellschaftliche Bedeutung. Und dann der Ostersonntag mit der Auferstehung, also dieser Blick in die Zukunft, der hoffnungsvoll ist und sagt, diese Todesmächte, die haben nicht das letzte Wort, sondern das Leben, die Kraft des Lebens hat das letzte Wort.
Wie sie Ostern begeht
Ich bin als Pfarrerin in der Diakonie und in meiner früheren Pfarrgemeinde als einfaches Gemeindemitglied und nicht mehr als Gemeindepfarrerin. Am Karfreitag besuche ich den Gemeindegottesdienst, dann die Osternachtfeier, das mag ich immer sehr, so im Dunkeln, wenn das Osterfeuer entzündet wird, die leere Kirche, die dann langsam erhellt wird. Der Schmuck, der am Karfreitag weggeräumt worden war, kehrt auf den Altar zurück. Dann die Auferstehungsfeier und die Osterjause. Meistens wird es dann ein bisschen spät und dann schaue ich nach, ob ich am Ostersonntag noch einmal um 10 Uhr in den Gottesdienst gehe.