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Wie der Kanzler zu einem 300-Kilo-Schreibtisch kam

Jetzt mit Podcast: Karl Nehammer gab einem Möbelstück ein Stück Würde zurück, der stückweise Abschied eines Würdenträgers und ein Stück, das den U-Ausschuss unwürdig macht.

Bundeskanzler Nehammer an seinem neuen Schreibtisch im Kanzleramt
Bundeskanzler Nehammer an seinem neuen Schreibtisch im Kanzleramt
Helmut Graf
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Florian Tursky ist weg. Über Nacht. Vielleicht gibt es Länder auf der Erde, die Bilder mit mehr Symbolkraft zustande bringen, aber wir stehen in dieser noch nicht erstellten Rangliste sicherlich ganz weit oben. Auf dem Stockerl, wie die Sportreporter sagen würden. Und deshalb fiel, als der Digital-Staatssekretär am Freitag sein digitales Amt räumte und das digital übertragen werden sollte, die Digital-Übertragung aus. Auf Facebook und am Livestream des Kanzleramts. Man könnte auch so sagen: Österreich verbarg sich wieder einmal hinter einem Paravent. Diesmal war dieser Paravent digital, oder eben nicht.

Tursky war am 11. Mai 2022* in kleine Fußstapfen getreten. An diesem Tag nahm er die Herausforderung an, Margarete Schramböck nachzufolgen. Die digitalen Agenden des Landes wurden von der Ebene einer Ministerin auf das Plateau eines Staatssekretärs nivelliert. Im Kaufhaus Österreich wurde die Produktgruppe Digital von der Abteilung gehobene Damenoberbekleidung auf Wühlkiste umsortiert. Das muss nicht immer schlecht sein, es war auch nicht mehr viel Lift nach unten.

Margarete Schramböck, die Grete Schickedanz der österreichischen Warenhausszene, bringt nun den Scheichs in Saudi-Arabien richtiges Geschäftsgebaren bei. Ihr Nachfolger sieht seine Zukunft eher bei Österreichs Scheichs, in Tirol also. Wie anders könnte die Sichtweise auf ein Land ausfallen, das René Benko steuerlich behandelt hat wie einen der drei Weisen aus dem Morgenland. Die wurden schließlich auch nicht gefragt, ob auf die Myrrhe alle Abgaben korrekt entrichtet worden waren und der Weihrauch zur illegalen Benebelung bestimmter Amtsträger gedacht sei.

Bundeskanzler Karl Nehammer verabschiedete am 9. März 2024 Digitalstaatssekretär Florian Tursky, sein Amt übernimmt Claudia Plakolm
Bundeskanzler Karl Nehammer verabschiedete am 9. März 2024 Digitalstaatssekretär Florian Tursky, sein Amt übernimmt Claudia Plakolm
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Am Freitag stand der Kanzler da und blickte auf den schmächtigen Mann an seiner Seite, so als wäre ihm sein Name entfallen. Mit "einem lachenden und einem weinenden Auge" würde er ihn nach Innsbruck ziehen lassen, sagte Karl Nehammer, dann wurde viel über die erzielten Erfolge von Florian Tursky gesprochen, die über jeden Zweifel erhaben scheinen, die andererseits aber auch nicht überbordend groß gewesen sein dürften. Denn es gibt keine direkte Nachfolge, das Amt wird als überflüssig eingespart. Claudia Plakolm, Staatssekretärin für alles, das niemand anderer wollte, soll das neben ihren Blasmusikkonzerten mitschupfen. Ob ebenfalls mit "einem lachenden und einem weinenden Auge" blieb an diesem Vormittag ausgespart.

So einfach ist das aber nicht mit der Übergabe, ich habe hier ein paar Zeilen darüber verloren. Oder gewonnen. Denn erst muss das Bundesministeriengesetz geändert und in Kraft getreten sein, erst dann ist Plakolm digitalisiert, Freunde der Blasmusik. Florian Tursky schreibt jetzt einmal eine Depesche an den Bundespräsidenten, um ihn nachträglich in seine beruflichen Zukunftspläne einzuweihen. Alexander Van der Bellen wird ihm mit einer Depesche antworten und ihn so des Amtes entheben. Irgendwann im April wird Plakolm zu Jugend und Zivildienst auch noch Österreichs Digitalisierung zu schultern haben. Bestenfalls fünf Monate lang. Ich bin neugierig, was schneller aufsperrt: Benkos Lamarr auf der Mariahilfer Straße oder das Kaufhaus Österreich.

Die Republik, die nichts zu verbergen hat, verbarg sich diese Woche hinter einem Paravent. Im Parlament begannen die U-Ausschüsse, die am Ende keiner mehr so richtig wollte, aber da sie schon einmal da waren, wurden sie wenigstens zu Zwecken der Unterhaltung mitbenutzt. Das neue Ausschusslokal im Parlament ist ein eleganter Raum mit Vitrasesseln, heller Holztäfelung und zwei sich überlappenden Worten an der Wand, Parlament und Demokratie, man weiß nie, was vorne steht und was hinten, das ist mutmaßlich das Ziel. Diese Eleganz schien so unerträglich, so fern dem Alltag vieler Österreicher, dass beschlossen wurde, den Raum gleich am ersten Tag umzudekorieren. Mehr so in Richtung Caorle, nur die Handtücher zum Reservieren fehlten.

Im U-Ausschusslokal im Parlament werden die Journalisten mit einem Paravent von den Politikern abgetrennt…
Im U-Ausschusslokal im Parlament werden die Journalisten mit einem Paravent von den Politikern abgetrennt…
Helmut Graf
… sie sollen nicht von hinten auf die Monitore der SPÖ-Abgeordneten schauen dürfen
… sie sollen nicht von hinten auf die Monitore der SPÖ-Abgeordneten schauen dürfen
Helmut Graf

Ein Schreibtisch wird später in dieser Kolumne noch eine gewisse Rolle spielen, aber auch im U-Ausschuss saß zu Beginn noch nicht alles richtig. Man kennt das aus der Schulzeit. Am ersten Tag nach den Ferien wird in der Klasse immer darum gerangelt, wer wo seinen Platz findet. Das wird im Alter nicht besser und deshalb stritten die Parlamentsparteien diese Woche über ihre eigene Niederkunft. Wie in der Schule fand sich bis zuletzt keine Lösung für ein Problem, das gar nicht existieren sollte, und wie in der Schule musste der Klassenvorstand einschreiten, reinkarniert in diesem Fall in Wolfgang Sobotka. Der Parlamentspräsident verfügte, dass die Sitzordnung ein Spiegelbild des Nationalrates sein sollte, und damit hatte die SPÖ ein Problem an der Backe. Und diese Backe saß nicht im Gesicht.

Schräg hinter den Plätzen, an denen die Roten reinkarnierten, befinden sich nämlich die Arbeitsplätze der Journalistinnen und Journalisten. Das war ursprünglich anders geplant, es sollte eine Art Tribüne geben, aber die wurde vermutlich für ein Fußballstadion gebraucht, ich mutmaße für Rapid, damit die gesperrten Kicker auch einen Sitzplatz haben. Also saßen die Medienvertreter eben so wie sie saßen und hatten, zumindest theoretisch, einen ganz guten Blick auf die Monitore der SPÖ-Riege. Wenn also Kai Jan Krainer, was er natürlich nie tun würde, zwischendurch eine Runde "Minecraft" einschiebt, dann könnte ihm ein Journalist zurufen, dass er langsam von der Oberwelt in den Nether wechseln sollte.

Also Paravent. Ohne Handtücher.

Die Parlamentsdirektion ließ einen Paravent aus dem Putzkammerl kommen, erfuhr ich im "Falter". Er, also der Paravent, nicht der "Falter", schirmt in seinem bürgerlichen Leben sonst auf Festveranstaltungen das Gastro-Team von den Gästen ab. Nun sorgt er dafür, dass die Journalisten zwar live im Erwin-Schrödinger-Lokal des Parlaments sitzen und live zuhören können, was vor sich geht, aber original live nichts sehen. Sie können natürlich auch auf den Monitor blicken, der extra aufgestellt wurde und auf dem übertragen wird, was sie live hören, aber nicht live sehen können, aber das scheint eine unbefriedigende Lösung zu sein, live hin oder her.

Ehe die U-Ausschüsse die Hürde nehmen und live im Fernsehen übertragen werden können, scheitert die Politik an der Hürde, etwas live dort zu zeigen, wo es live stattfindet. Nehammer wird sich wieder einmal fragen müssen, ob er auf diese Republik eher mit einem lachenden oder einem weinenden Auge blicken soll.

Der neue, historische Schreibtisch von Kanzler Karl Nehammer im Figlzimmer des Kanzleramts
Der neue, historische Schreibtisch von Kanzler Karl Nehammer im Figlzimmer des Kanzleramts
Helmut Graf

Der Kanzler hat jetzt einen neuen Schreibtisch. Also der Schreibtisch ist nicht tatsächlich neu, er wurde nur neu in sein Büro gestellt, ins Kreiskyzimmer, das korrekt eigentlich Figlzimmer heißt, aber das ist wieder eine andere Geschichte. Wie der Kanzler das Möbelstück rettete, hat diese Woche mein Herz erwärmt und zumindest gelegentliche Leserinnen und Leser dieser Kolumne wissen, wenn etwas mein Herz erwärmt, dann geht es über. 

Die Inneneinrichtung des Kreiskyzimmers, also des Figlzimmers, wurde zwischen 1947 und 1948 von Oswald Haerdtl neu gestaltet. Auch ein neuer Schreibtisch wurde aufgestellt, ein ziemliches Trumm, er besteht überwiegend auf Vollholz, hat an der Vorderseite Metallapplikationen, in der Mitte wurde als Intarsie eine Darstellung des österreichischen Bundeswappens ausgeführt. Das harmoniert wunderbar mit dem Bundesadler in der Holztäfelung dahinter. Damit das edle Stück nicht beim ersten Wind aus dem Raum geweht wird, wurde es mit einer gewissen Robustheit gezimmert. Am Ende landete man bei 300 Kilo.

In der Welt von Kurz konnte es nie genug Kurz geben
Ex-Kanzler unlimited

Der erste Wind kam, als Sebastian Kurz ins Kreiskyzimmer, also ins Figlzimmer, einzog. Am 18. Dezember 2017 wurde Kurz angelobt. Er ließ sein Kanzlerbüro ins Kreiskyzimmer, also ins Figlzimmer, übersiedeln, angesichts der Porträts der beiden Kanzler an der Mauer fühlte er sich gut aufgehoben. 70 Quadratmeter, beste Lage, aber der Schreibtisch behagte ihm nicht. Also ließ er ihn entfernen. Da er wegen des Gewichts von 300 Kilogramm nicht wie vorgesehen auf den Dachboden übersiedelt werden konnte, wurde er, also der Schreibtisch, nicht Kurz, eher achtlos in einen Raum gebracht, in dem Medienmitarbeiter des Kanzleramts saßen.

Im Büro von Kurz nahm ein schmuckloser, schwarzer Stehtisch Aufstellung, der auf Besucher eher leer, also unbenutzt wirkte, aber eine Besonderheit aufwies: Einen türkisen Buttonautomaten, der auf Hebelzug Anstecker ausspuckte, die man sich etwa auf Sakko, Bluse oder Pulli heften konnte. In der Welt von Kurz konnte es nie genug Kurz geben.

Der 300-Kilo-Schreibtisch aber verkümmerte. Er stand, unbeachtet und unangemessen betreut, im Medienbüro, aber nicht nur das. Die Beschwerden über ihn häuften sich, weil er so unglücklich platziert worden war, dass sich immer wieder Leute an ihm stießen. Bei Vollholz tut das richtig weh. Das "Haus der Geschichte", museales Schmuckstück in der Hofburg, erfuhr von der bemitleidenswerten Biographie und startete eine Rettungsaktion. Am 21. Februar 2018, also nur rund zwei Monate nach der Inthronisierung von Kurz, gelang die Befreiung. Der Schreibtisch wurde aus dem Kanzleramt geholt, ein "Übergabeprotokoll" unterschrieben, dann landete er in einem Lager am Rande von Wien.

Weltraum-Ministerin Leonore Gewessler besuchte im April 2022 die Weltraumelektronik-Produktion in einem Reinraum von Beyond Gravity Austria in Wien
Weltraum-Ministerin Leonore Gewessler besuchte im April 2022 die Weltraumelektronik-Produktion in einem Reinraum von Beyond Gravity Austria in Wien
BMK/Perwein / OTS

In der Vorstadt wurde das historische Stück gereinigt, konserviert, verpackt, sachgerecht deponiert und wartete dort auf neue Aufgaben. Das "Haus der Geschichte" wollte den Schreibtisch bei passender Gelegenheit in eine Ausstellung integrieren. Aber: Laut "Übergabeprotokoll" hatte das Museum den Tisch nur geliehen bekommen und nicht geschenkt. Das rächte sich.

Anfang des Jahres wurde beim Kanzler "umgemöbelt", wie das im Fachjargon heißt. Nehammer erinnerte sich an den historischen Schreibtisch mit dem österreichischen Bundeswappen in der Platte und wünschte ihn sich zurück. Am 20. Jänner 2024 wurde ein neues "Übernahmeprotokoll" verfasst und der Tisch dem Bundeskanzleramt zurückgegeben. Schauen wir einmal, wie lange seine Dienstzeit diesmal dauert.

Ich wünsche einen wunderbaren Sonntag. Danke für die vielen wohlmeinenden Zuschriften nach dem Start von Newsflix, unserem neuen, kleinen, feinen Portal für mehr mediale Lebensqualität. Das hat gut getan. Diese Woche wäre dann fast die ganze Arbeit für die Katz gewesen. Den wir wurden so gut wie beinahe von einem Kometen getroffen.

Ich habe mein Handy im Büro vergessen
Österreich, wenn der Komet kommt

Also, Batterieschrott von der ISS stürzte auf die Erde, nicht alles verglühte beim Eintritt in die Atmosphäre. Deutschland hyperventilierte im Vorfeld, jede Behörde, die sich zuständig fühlte – und das waren einige – warnte zumindest ein bisschen oder riet zumindest von Panik ab. Und Österreich? Stellte einen Paravent auf. Kein Wort, kein Ton aus dem "Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie" (BMK). Leonore Gewessler, das erfuhr ich bei dieser Gelegenheit, ist auch unsere Weltraumministerin.

Nun ließe sich argumentieren, dass am Ende ohnehin nichts passiert ist. Aber komplett abzutauchen in einer Phase, in der die Bevölkerung das Recht auf seriöse Informationen hat, ist auch so eine Sache, wo man nicht weiß, ob man ihr mit einem lachenden oder einem weinenden Auge begegnen sollte. Bis in den Abend hinein versuchte ich am Donnerstag, von irgendjemandem, von der Ministerin abwärts, Auskünfte zu erhalten. Paravent! Danach wurden mir die kuriosesten Ausreden fürs Schweigen hinterbracht, etwa: "Ich habe mein Handy im Büro vergessen". Zu später Stunde sagte mir dann doch jemand: Es ist eine Chance von 1 zu 10 Milliarden, es wird wohl nichts passieren.

Tat es dann auch nicht. Aber wenn wirklich einmal ein Komet kommt, dann hoffe ich, dass er langsam fliegt. Weil gach geht bei uns nix, nur gack zornig sind wir schnell.

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* ORF-Kollege Jürgen Klatzer weist mich zurecht darauf hin, dass auch Tursky sein Amt erst verspätet antreten konnte. Die Gesetzesänderung trat am 18. Juli 2022 in Kraft, der Bundesrat hatte die ursprüngliche Novelle beeinsprucht. Für die 68 Tage im Amt, ohne offiziell im Amt zu sein, dürfte Tursky bereits sein späteres Salär bezogen haben, geklärt wurde das nie.

Akt. Uhr
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