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Wie geht es unserer Wirtschaft wirklich, Herr Professor?
Harald Oberhofer ist Volkswirt an der WU Wien und Politologe. Im Interview spricht er über Österreichs Budgetkrise, ob Schulden schlimm sind, was er von den Wirtschafts-Wahlprogrammen hält, ob wir ein Sparpaket brauchen. Und über seine Hüte.
Er ist der Mann mit dem Hut. Harald Oberhofer, Professor für empirische Wirtschaftsforschung an der WU Wien, tritt regelmäßig als Experte im Fernsehen auf. Sein Markenzeichen dabei: die Kopfbedeckung. Oberhofer ist Univ. Prof. Mag. phil. Mag. Dr. rer.soc.oec., er hat Volkswirtschaft und Politikwissenschaft studiert. Der Ökonom im Newsflix-Podcast über:
Wie viele Hüte er in seiner Sammlung hat
Das variiert immer ein bisschen, aber das letzte Mal, als ich gezählt habe, waren es circa 40.
Wo die Hüte gelagert werden
Es gibt in der Wohnung einen Hutständer für Sommerhüte und einen Hutständer für Winterhüte.
Was der Unterschied ist
Sommerhüte sind leichter, durchlässiger, typischerweise strohartige. Die Winter- und Herbsthüte haben halt einen Stoff, der auch warm hält.
Warum er Hüte trägt
Das hat sich so ergeben, davor habe ich Mützen getragen. Mit 13 oder so, das war die Skateboard-Zeit mit weiten Hosen und irgendwelchen Kapperln oder Mützen. Ich hab mich für die Mützen entschieden.
Warum man seinen Tiroler Dialekt nicht hört
Ich durfte acht Jahre meines Lebens in einem Internat in Saalfelden in Salzburg verbringen und da passt man sich ein bisschen an.
Ob Österreichs Wirtschaft gerade den Bach runtergeht
Die aktuelle Situation ist natürlich jetzt keine rosige, wir haben de facto kein Wirtschaftswachstum. Die nächsten Prognosen von WIFO (Wirtschaftsforschungsinstitut, Anm.) und IHS (Institut für Höhere Studien, Anm.) kommen im Oktober, aber die Sommerprognosen waren knapp an der Nulllinie.
Was die Ursachen sind
Sehr viele auch externe Faktoren. Wir hatten sehr viele Angebots-Schocks in den letzten Jahren, eine Krise jagte die nächste und das ist ein bisschen das Ergebnis davon. Die internationalen Rahmenbedingungen sind nicht wahnsinnig gut, da gibt es überall Probleme und insofern stagnieren wir. Es ist jetzt nicht so, dass wir eine scharfe Rezession hätten, aber es ist auch nicht so, dass wir aktuell ein Wirtschaftswachstum sehen, dass irgendwie die Situation erleichtern würde.
Ob das einem Wirtschaftsexperten Sorgen macht
Also ich glaube, da muss man kurz und mittelfristig unterscheiden. Wenn das einmal kurzfristig so ist und man, wie zum Beispiel in der Pandemie, die Ursache gut kennt, die Wirtschaft vorher relativ stabil war und dann auch relativ schnell wieder angesprungen ist, dann ist das eine Sache. Wenn es aber dauerhaft kein Wachstum gibt und wir stagnieren und wir sehen, dass Arbeitsplätze verloren gehen, dann macht das schon Sorge. Für Wirtschaftsexperten ist es wiederum so: Je schlechter es der Wirtschaft geht, desto größer ist die Nachfrage nach uns.
Im ersten halben Jahr hatte Österreich ein Defizit von 13,8 Milliarden Euro, wesentlich mehr als im Vorjahr, sogar mehr als in der Corona-Zeit. Ob wir um ein Sparpaket herumkommen
Es schaut grundsätzlich so aus, dass wir auf der Budgetseite tatsächlich ein Problem haben. Nämlich dass die Einnahmen und die Ausgaben auseinander klaffen und dem muss sich die nächste Regierung jedenfalls widmen.
Ob wir selbst daran schuld sind oder externe Faktoren
Es ist multikausal. Man kann immer wieder darüber nachdenken, ob alle Maßnahmen, die eine Regierung trifft, immer gut gewählt sind. Da kann man auch seine Zweifel haben. Aber natürlich ist es so, dass wir zwei sehr massive Angebots-Schocks hatten, die Österreich besonders betroffen haben, die Corona-Pandemie und die Energiepreise in Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine. Das ist dann für ein Land, das sehr stark abhängig ist von Energieimporten aus Russland, ein Problem.
Warum das Österreich besonders getroffen hat
Wir sind eine kleine, offene Volkswirtschaft, unsere Import- und Exportquoten liegen, brutto berechnet, beide deutlich über 50 Prozent. Das heißt, die Wirtschaftsbeziehungen zu anderen Volkswirtschaften der Welt sind für uns besonders bedeutsam. Und wenn global etwas passiert, spüren wir das stärker als das andere Länder tun, weil wir nicht alles selber produzieren können und weil wir Produkte, die wir produzieren, gerne exportieren möchten.
Wie er den Zustand der Wirtschaft im Moment mit einem Wort beschreiben würde
Ich würde sagen, es ist durchaus bedenklich.
Österreich hat 381 Milliarden Euro Stadtschulden, pro Kopf sind das im Schnitt 51.000 Euro. Ob das zu viel ist oder wurscht
Das kann man so einfach nicht beantworten. Es ist dann nicht wurscht – und das ist auch eine Folge der hohen Inflationsraten – wenn die Zinsen für Schulden steigen. Der öffentliche Haushalt ist dann mit Zinszahlungen stärker belastet. Das bedeutet, der Spielraum für Politik ist geringer. Das andere ist die Frage, warum habe ich Schulden und was mache ich mit dem Geld, das ich mir ausgeborgt habe?
Ob Schulden grundsätzlich was Böses sind
Wenn ich das Geld nur in den kurzfristigen Konsum stecke, dann ist das vielleicht nicht so wahnsinnig hilfreich, weil die Wirtschaft und die Gesellschaft nicht langfristig was davon haben. Wenn das Geld genommen wird, um Investitionen zu tätigen, die Infrastruktur, das Bildungssystem etc. gut aufzubauen, dauerhaft abzusichern und strukturell gut aufzusetzen, dann ist es etwas, über das man reden kann.
Laut dem EU-Vertrag von Maastricht darf das gesamtstaatliche Defizit nicht mehr als 3 Prozent betragen. Schaffen wir das?
Das ist ein bisschen Glaskugel und hängt natürlich sehr stark davon ab, welche Maßnahmen die neue Regierung relativ schnell treffen wird. Oder eben nicht treffen wird. Wenn man nichts macht, werden wir die Grenze ziemlich sicher nicht einhalten.
Ob Erbschafts- und Vermögenssteuern was bringen
Jetzt ist es faktisch einmal so, dass Österreich kein Einnahmen-Problem hat. Wir haben eine relativ hohe Steuerbelastung. Ehe man über neue Steuern nachdenkt, wäre es sinnvoller zu überlegen, wo man Einnahmen reduziert, also Steuern oder Abgaben senkt, um in der Struktur was zu verändern. Das ist dieses auch ewig alte Thema, dass der Faktor Arbeit sehr hoch besteuert ist in diesem Land. Das andere ist die Frage, die man an die Politik stellen muss. Wie groß soll denn der Staat tatsächlich sein, welche Aufgaben sollen staatlich erbracht werden und welche überlässt man dem Markt?
Ob sich Fachleute aus dem Fenster stürzen, wenn sie den Wirtschaftsteil in den Wahlprogrammen der Parteien lesen
Also aus dem Fenster stürzen nicht, ich nicht. Man kann sie auch tatsächlich nicht einfach so öffnen, dass man das tun könnte, zumindest nicht in dem Gebäude, wo ich bin.
Was er von den Programmen hält
Wenn man ein gewisses Lebensalter erreicht hat, weiß man auch zu einem gewissen Grad, wie Wahlkampf funktioniert. Mein Eindruck ist: Das ist es in den letzten Jahrzehnten nicht wahnsinnig von der Qualität her besser geworden. Jetzt wird einmal gewählt und dann wird entscheidender sein, was bei Regierungsverhandlungen tatsächlich rauskommt. Da würde ich mir dann doch erhoffen, dass die Programme seriös und nachvollziehbarer sind.
Ob die Wirtschaftsbildung in den Schulen nicht ein Witz ist
Da würde ich Ihnen vollkommen recht geben. Das ist auch eine relativ lange gehegte Forderung, vor allem auch aus der Wirtschaftspädagogik, dass wir die Grundbildung in diesem Land verbessern müssen. Dass junge Menschen, die auf das eigenständige Erwachsenenleben vorbereitet werden, ein Verständnis von ökonomischen Grundzusammenhängen, von Grundkonzepten und aber auch von ökonomischen Entscheidungen haben. Das fehlt vielmals.
Wo das Manko zu bemerken war
Bei der Erhöhung der Zinsen. Der große Aufschrei war, dass bei variabel verzinsten Krediten die Zinsen steigen. Variabel, das sagt der Name schon.
Was er vom "Draghi-Bericht" hält (hier Details lesen), der anregt, dass sich Europa gemeinschaftlich mit bis zu 800 Milliarden Euro verschulden soll
Der Bericht ist ja viel breiter und fragt sich, wie kann die europäische Wirtschaft mittel- und langfristig global wettbewerbsfähig und vor allem gegenüber den USA und China wirtschaftlich bestehen bleiben kann. Und da gibt es sehr viele Maßnahmen, die gar nicht so viel Geld kosten würden, wie man immer wieder hört.
Zum Beispiel
Wir haben zu viel Bürokratie in Europa, wir belasten die Wirtschaft mit viel zu vielen Meldevorschriften. Dann geht es viel um die Frage, wie kann man Forschung und Entwicklung stärken, auch den Austausch zwischen Wissenschaft und der wirtschaftlichen Anwendung? Da braucht es vielleicht ein bisschen ein Geld. Die große Frage ist, und da haben wir institutionell ein strukturelles Thema in Europa: Wie können wir die Rahmenbedingungen bereitstellen. Da geht es vor allem um das Budget. Auf der anderen Seite muss man sagen, die USA und China geben mindestens so viel Geld aus. Wir sind in einer neuen Zeit, wo es wieder so etwas gibt wie einen Subventionswettbewerb.
Ob die VW-Krise symbolisch für Europas Entwicklung steht
Das ist natürlich ein Punkt. Die grundsätzliche Frage ist letztlich, und da war wahrscheinlich die europäische Automobilindustrie zu langsam: Was ist die Antriebstechnologie der Zukunft? Da haben die Unternehmen wahrscheinlich zu lange zu gemischte Signale aus der Politik bezüglich der Rahmenbedingungen bekommen.
Wenn wir in zwei Jahren wieder da sitzen. Wird es uns besser gehen oder schlechter?
Immer die Glaskugel. Ich glaube, dass der Zeitraum von zwei Jahren zu kurz ist, um das tatsächlich zu bewerten. Ich muss sie leider ein bisschen enttäuschen, weil wir reden hier tatsächlich über die Folgen von Angebots-Schocks und auf Angebots-Schocks muss man mit strukturpolitischen Maßnahmen reagieren. Bis die ihre Wirkung entfalten, auch wirtschaftlich, dauert das typischerweise länger.