Seit genau einem Jahr über 30 Prozent: Aber was ist eigentlich der Grund für den Aufstieg der FPÖ? Corona werden viele sagen. Stimmt aber nicht (ganz).
Vor 17 Monaten begann der Höhenflug von Herbert Kickl. Von da an legte er in Umfragen Monat für Monat zu. Vor genau einem Jahr kam er erstmals über 30 Prozent und verharrt seither stabil auf Platz 1. Im aktuellen Polit-Barometer von "Unique Research" für "Heute" liegt Kickl von allen Parteichefs am besten. Er sammelte zwar viele Negativstimmen ein, gleichzeitig fiel er 25 Prozent der Menschen im Land in den letzte 14 Tagen positiv auf – Spitzenwert unter den Parteivorsitzenden.
Am 29. September wählt Österreich einen neuen Nationalrat. Alle aktuellen Umfragen sehen die FPÖ auf Platz 1. Wie es dazu kam, ist nur mehr wenigen in Erinnerung – aber überraschend. Die Rekonstruktion:
Kickl kam, weil Hofer ging Das Duell, das es offiziell nie gab, dauerte nicht ganz zwei Jahre. Am 1. Juni 2021 hatte Norbert Hofer schließlich die Nase voll. Er war am 14. September 2019 am Parteitag in Graz zum Bundesparteiobmann gewählt worden. Zustimmung 98,3 Prozent, nur Strache lag einmal besser. Aber: Hofer galt in der FPÖ vielen als zu "weich", auch als nur bedingt erfolgreich, der Widerstand gegen ihn wuchs. Als er begann, lagen die Freiheitlichen bei 16 Prozent, als er abtrat, bei mageren 18 Prozent.
Nicht alle begeistert Gemäß Statuten übernahm Hofers Stellvertreter Harald Stefan interimistisch den Vorsitz, er war zu diesem Zeitpunkt der am längsten dienende FPÖ-Abgeordnete. Eine Woche später, am 7. Juni 2021, wurde Herbert Kickl zum Nachfolger von Hofer designiert. Ohne Gegenstimme, weil Oberösterreichs FPÖ-Chef Manfred Hainbuchner und Vorarlbergs FPÖ-Chef Christof Bitschi die Sitzung frühzeitig verließen. Sie stimmten nicht mit.
Gewählt mit 88,2 Prozent Keine drei Wochen später wurde Kickl (Innenminister von 18. Dezember 2017 bis zum 22. Mai 2019) in Wiener Neustadt zum neuen Parteivorsitzenden gekürt. Am 17. September 2022 bestätigte ihn der Bundesparteitag mit 91 Prozent der Stimmen. Ein guter Wert, aber Heinz Christian Strache lag (so wie Norbert Hofer) besser. Strache, der am 18. Mai 2019 zurücktrat.
Zunächst passierte unter dem neuen Parteivorsitzenden wenig. Strache war in der Zeit seiner Hochblüte 2017/2018 auf 26 Prozent gekommen, selbst bei seinem Abgang hatte er noch 22 Prozent. Kickl übernahm die Freiheitlichen mit 18 Prozent und dort verharrte die Partei fast ein Jahr lang. Der höchste Ausschlag nach oben waren 20 Prozent.
Dann kam das Ketchup Der Aufstieg begann im Juli 2022. Plötzlich legte Kickl zu, Monat für Monat ein Prozent mehr, zeigen die Umfragen von "Heute", "Profil" und "ATV", durchgeführt von "Unique Research":
Aber was passierte im August 2022? Das ist oft zu hören: Der chaotische Umgang der Regierung mit der Pandemie vor allem ab dem Jahresbeginn 2021 sei die Ursache für die Katapult-Entwicklung der FPÖ gewesen. Zeitlich spricht viel dagegen.
Der Aufstieg von Herbert Kickl wird oft mit dem wachsenden Zustrom zu den Corona-Demos gleichgesetzt. Das ist aber bestenfalls die halbe Wahrheit. Denn ehe die Umfragen nach oben gingen, verstrich mehr als ein halbes Jahr
Die Teuerung schoss Kickl nach oben. Corona bereitete "nur" das Feld auf, es machte Menschen wütend, aber erst die nächste Krise kanalisierte diese Wut. Am 24. Februar 2022 griff Russland die Ukraine an. Das "Vienna Center für Electoral Research" stellte später fest: Ab Februar 2022 gab es "in Österreich eine deutliche Verschlechterung der subjektiven Wahrnehmung des finanziellen Auskommens über alle Einkommensgruppen hinweg".
Neutralität war der Zuckerguss Die Zustimmung zur Neutralität ist in Österreich traditionell hoch. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine brachte die Diskussion darüber in Gang. Geredet wurde auch darüber, ob ein Beitritt zur NATO (wie durch Finnland und Schweden erfolgt) nicht die für uns sicherere Variante wäre. Aber: In einer "Market"-Umfrage für den "Standard" im Oktober 2023 sprachen sich 69 Prozent für eine Beibehaltung der Neutralität aus, fast derselbe Werte wie 20 Jahre davor. Und: 92 Prozent der FPÖ-Sympathisanten und 74 Prozent der ÖVP-Sympathisanten treten für die Neutralität ein, aber nur 43 Prozent der Grünen.
Corona ist für alle möglichen Entwicklung im Land verantwortlich, nicht aber für alle.