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Wien-Camp geräumt: Wer hinter den Uni-Protestcamps steckt

Sie zelten, sie rufen (auch antisemitische) Parolen gegen Israel. Die Uni-Protestwelle in den USA und nun auch in Österreich lässt Fragen auftauchen: Wer managt, wer trainiert die Demonstranten? Und wie unterwandert ist die Bewegung?

Seit Montag, 6. Mai, gibt es auch am Campus der Universität Wien ein Zeltlager gegen Israel
Seit Montag, 6. Mai, gibt es auch am Campus der Universität Wien ein Zeltlager gegen Israel
Sabine Hertel
Newsflix Redaktion
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Es kursieren eine ganze Reihe von Videos aus den USA, im Internet und in den sozialen Medien, die allesamt denselben Inhalt haben. Ein Reporter geht mit Mikro und Kamera auf die Reihen der Demonstranten zu und stellt simple Fragen: "Warum genau seid ihr hier?" Oder: "Was wisst ihr eigentlich über den Konflikt im Gazastreifen?" Oder: "Wer von euch kennt die Hamas?" Die Reaktionen der Befragten fallen auffallend ähnlich aus. Viele drehen sich weg, wollen nichts sagen, machen eine abwehrende Handbewegung oder verweisen auf eine "spokesperson", die alle Fragen beantworten werde. Was sie selten tut.

Wer spielt hier welches Spiel? Seit über einem Monat kennt jeder Amerikaner die Bilder aus den Zeitungen und den Abendnachrichten. Zu sehen sind junge Menschen vor Uni-Gebäuden oder in Zeltstädten am Campus. Sie tragen Palästinensertücher, dazu oft Plakate in der Hand, rufen Parolen, in denen sie Israel "Apartheid" und "Genozid" vorwerfen und das Existenzrecht des jüdischen Staates in Frage stellen: "From the River to the Sea, Palestine will be free". Der Konflikt im Gazastreifen, ausgelöst durch den barbarischen Überfall von Hamas-Terroristen am 7. Oktober 2023 auf ein Fest junger Menschen in Israel, hat die USA mit voller Wucht erfasst und viele stellen sich immer öfter die Frage: "Wer steckt da eigentlich dahinter?"

Zur Begrüßung gab es am Uni-Campus einen Regenguss und in der Nacht Sturmböen
Zur Begrüßung gab es am Uni-Campus einen Regenguss und in der Nacht Sturmböen
Sabine Hertel
Obligatorisch: Das Palästinensertuch, international mittlerweile mit "Pali-Tuch" abgekürzt
Obligatorisch: Das Palästinensertuch, international mittlerweile mit "Pali-Tuch" abgekürzt
Sabine Hertel

Ab Montag wurde auch in Österreich campiert Eine Gruppe von rund 100 Personen mit rund zehn Zelten besetzte ein Rasenstück auf dem Campus der Uni Wien. Gleichzeitig tauchten auf einem Instagram-Account der "Palestine Solidarity Encampment Vienna" mehrere Videos und Fotos auf. Sie zeigen eine kleine Zeltstadt, eine Aktivistin liest etwas holprig Forderungen in englischer Sprache von einem Folder ab. Dann sind Gejohle und Sprechchöre zu hören. Und natürlich "Free, Free. Free Palestine!"

Interviews wollte niemand geben, aber dem "Standard" wurden immerhin die Forderungen vorgelegt, nicht alle erklären sich sofort und von selbst: Die "Entmilitarisierung der Universität", die "Beendigung von Forschungspartnerschaften mit israelischen Unis", "keine Kooperation von Unis mit der Polizei". Eine Aktivistin mit Schutzmaske und Häkelmütze las dann, korrekt gegendert, von einem Zettel ab: "Wir fordern, dass österreichische Universitäten faschistische Taktiken wie das Verbot von Clubs, die Absagen von Vorlesungen, Zusammenarbeit mit der Polizei gegen die Studierendenschaft und die Einschüchterung von Fakultätsmitgliedern und Mitarbeiter:innen einstellen."

"Apartheid", "Besatzung" Eine weitere Aktivistin, ebenfalls mit Schutzmaske, dazu Kopftuch und Palästinensertuch über der Schulter, ergänzte: "Wir fordern, dass österreichische Universitäten öffentlich alle Investitionen in Unternehmen und Institutionen offenlegen, die Kriegsführung, Grenzmilitarisierung, Ressourcenausbeutung, Apartheid, Besatzung, Völkermord in Palästina unterstützen." Dann ist wieder die erste Aktivistin zu hören: "Wir fordern, dass die Universitäten aufhören, antikoloniale Diskurse zu zensieren."

Camp geräumt In der Nacht auf Donnerstag wurde die Veranstaltung von der Polizei aufgelöst. Beamte umstellten das Lager und forderten die rund 40 Aktivisten zum Verlassen des Camps auf. Ein Teil ging freiwillig, andere wurden – unter lautem Protest – weggetragen. WEGA, die Diensthundestaffel, die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), das Landesamt für Staatsschutz und Extremismusbekämpfung (LSE) und eine Polizeidrohne kamen zum Einsatz. Grund für die Räumung laut Polizei: In den Parolen sei es im Lager zu einer zunehmenden Radikalisierung gekommen.

Forschungsminister hatte Proteste verurteilt "In unserem Land gilt die Freiheit der Wissenschaft, jedoch lassen wir null Toleranz gegenüber jeglicher Form von extremistischen und anti-israelischen Haltungen walten", sagt Martin Polschek. Es sei klar, dass jeder Einzelfall von Antisemitismus und Extremismus inakzeptabel sei und mit voller Konsequenz verfolgt werden müsse.

"Wir verurteilen Antisemitismus" Auch die Universität Wien distanzierte sich von den Anliegen der Pro-Palästina-Proteste. "Antisemitismus und die Verharmlosung von Terror haben keinen Platz an der Universität Wien", heißt es in einer Stellungnahme gegenüber der Austria Presse Agentur. Und weiter: "Für sachliche Diskussionen auch zu kontroversiellen Themen bieten Universitäten ein kritisches Forum. Einseitige Darstellungen, Intoleranz, Rassismus und Antisemitismus dagegen verurteilen wir in aller Schärfe."

Seit Montag, 6. Mai, gibt es auch am Campus der Universität Wien ein Zeltlager gegen Israel
Seit Montag, 6. Mai, gibt es auch am Campus der Universität Wien ein Zeltlager gegen Israel
Sabine Hertel

Das sind keine Amateure Die USA sind da schon weiter. Hier gehen die Proteste in die sechste Woche und sie wirken sehr professionell gemacht, nicht einfach so aus dem Boden gestampft von ein paar losen Gruppen aus bewegten Studenten. Die Slogans auf den Plakaten, die Rufe, der Umgang mit Medien, die Platzierung der Demos am Campus, das steckt Know-how dahinter. Da weiß jemand, wie man Emotionen erzeugt, den Kameras die richtigen Bilder liefert und den Reportern die knackigen Schlagzeilen. Und es fällt auf, dass auf den Wiesen, die zu Campingplätzen umfunktioniert wurden, häufig dieselben Zelte zum Einsatz kommen, derselbe Typ, sogar dieselbe Farbe, meist grün.

Polizeichef warnt "Guten Abend, von New York City bis Chicago und ich bin sicher, auch für einige andere Städte", schrieb John M. Chell auf Twitter. Er ist Chief of Patrol des New Yorker Police Departments, der größten uniformierten Einheit der Stadt. "Wer finanziert das? Was geht da vor? Es gibt ein unbekannte Gruppe, die unsere vulnerablen Schüler radikalisiert. Sie nutzen ihren jungen Geist aus. Als Eltern und Amerikaner verlangen wir Antworten! Ich kann nicht für den Rest von Amerika sprechen, aber in New York City werden wir nicht ruhen, bis wir es herausfinden! Wir werden veröffentlichen, was wir sehen und finden. Wir werden die Macht unseres Geheimdienstes und unserer Bundespartner nutzen, um ganz einfach Punkte miteinander zu verbinden. Folge dem Geld!!!!!!"

Elite-Kundgebung Die Proteste begannen rund um den 1. April, erst an der Harvard University und der Indiana University, seither breiteten sie sich aus wie ein Flächenbrand, von New York über Texas bis nach Los Angeles. Erstaunlich viele Eliteunis sind inzwischen Feuer und Flamme. Unter dem Titel "Ivy League" wird die Crème de la Crème dieser Anstalten zusammengefasst, acht Spitzenunis mit brutalen Aufnahmetests und Jahresgebühren jenseits von Gut und Böse: Brown, Columbia, Cornell, Dartmouth, Harvard, Princeton, Pennsylvania und Yale bilden diesen exklusiven Zirkel. Ab 53.000 Dollar im Jahr ist man dabei.

Gemeinsames Gebet an der George Washington University
Gemeinsames Gebet an der George Washington University
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Terror ist gerechtfertigt Und dann das: Harvard (Studiengebühr 55.000 Dollar) mischte gleich zu Beginn mit, die Columbia University (61.000 Dollar pro Jahr) folgte noch in der ersten Woche, Yale stieg Mitte April ein. An der Brown University flammten Demos auf, gingen aber friedlich zu Ende. Das Protestcamp am Gelände der Dartmouth University wurde am 1. Mai aufgebaut und noch am selben Tag geräumt, nachdem Teilnehmer den Überfall vom 7. Oktober 2023 als "gerechtfertigt" bezeichnet hatten. 90 Personen kamen in Polizeigewahrsam, erstaunlich viele hatten mit der Uni abseits der Demos gar nichts zu tun. Auch das ist so ein Hagelkorn, das der Legende von den frei entstandenen Wut-Protesten die Fensterscheiben einschlägt.

Ist es Zufall, dass die Proteste an den nobelsten und teuersten Universitäten der USA am intensivsten sind? Sind die antisemitischen Kundgebungen gegen Israel eine Establishment-Angelegenheit, oder setzen Hintermänner (und Hinterfrauen) gerade da das Brecheisen an, weil ihnen öffentliche Aufmerksamkeit gewiss ist?

Medial funktioniert das Spiel Je lauter und wilder der Protest betrieben wird, desto mehr lohnt es sich. Am Montag sagte die Columbia University ihre große Abschlussfeier ab, der Höhepunkt jedes Studienjahres fällt heuer aus. Nun finden am 15. Mai stattdessen ein paar kleinere Veranstaltungen statt. Man wolle sich darauf konzentrieren, diese "sicher zu machen", sagt Columbia-Präsidentin Minouche Shafik. Die Entscheidung, die in Wahrheit eine Bankrotterklärung ist, sei gemeinsam mit den Studienvertretungen erzielt worden.

Auffallend viele Aktivisten verwenden dieselben Zelte (hier Vanderbilt University in Nashville, Tennessee)
Auffallend viele Aktivisten verwenden dieselben Zelte (hier Vanderbilt University in Nashville, Tennessee)
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Uni-Führung knickt ein Auch die University of Southern California in Los Angeles sagte eine Abschlussfeier am 10. Mai aus Sicherheitsgründen ab. An der University of Michigan wurde eine Zeremonie am vergangenen Samstag von Protesten überschattet. Aktivisten entrollten Palästinenserfahnen, buhten die Uni-Präsidentin aus und riefen: "Keine Finanzierung mehr für den Völkermord!" An der New Yorker Columbia waren in der vergangenen Woche über 100 Studierende festgenommen worden, nachdem sie ein Institutsgebäude besetzt hatten. Die Uni-Leitung drohte mit Suspendierungen, ein Studienabschluss ist dann nicht mehr möglich. Aber auch hier zeigte sich, dass viele Teilnehmer gar nicht als Studenten registriert waren.

"Monatelange Planung" "Die jüngste Welle von pro-palästinensischen Protesten kam plötzlich und schockierte die Menschen im ganzen Land", schrieb das "Wall Street Journal". "Aber die politische Taktik, die einigen der Demonstrationen zugrunde liegen, war das Ergebnis monatelanger Ausbildung, Planung und Ermutigung durch langjährige Aktivisten und linke Gruppen." Lange bevor die Demos begannen, hatten Studienvertreter Kontakt mit erfahrenen Aktivistengruppen wie "National Students for Justice in Palestine" oder den früheren "Black Panthers" aufgenommen.

Keine Zentrale, aber Netzwerk Die Studentenvertreter hätten über vergangene Proteste nachgelesen, um zu wissen, wie die Unis auf solche Vorfälle reagieren. Sie wären auf Aktivisten-Treffen aufgetaucht, hätten an einem "Teach-in" teilgenommen, das von mehreren ehemaligen "Black Panthers"-Mitgliedern durchgeführt wurde. Dabei wurde ihnen auch beigebracht, wie man interne Streitigkeiten innerhalb einer Bewegung bewältigt. Es gebe keine Zentrale, die alle Proteste auf allen Unis koordiniere, schreibt das "Wall Street Journal", sehr wohl existieren aber Verbindungen zwischen den Aktivisten und lange bestehenden linksextremen Gruppen. Die Vereinigung "National Students for Justice in Palestine" (NSJP) verfügt über 300 Ableger in den USA, einige davon haben bei der Organisation der Camps und bei der Erstürmung von Gebäuden geholfen.

An der University of Texas in Austin wurde über 100 Personen festgenommen
An der University of Texas in Austin wurde über 100 Personen festgenommen
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Polizisten sind Schweine "Die Studentenbewegung für die palästinensische Befreiung wird nicht zum Schweigen gebracht; wir werden eskalieren, bis unsere Forderungen erfüllt sind", schrieb NSJP am 25. April in den sozialen Medien. Am selben Tag veröffentlichte die Gruppe auf "X" (früher Twitter) Zeichnungen mit "freundlichen Ratschlägen" für protestierende Studenten. Sie sollten bequeme Kleidung und Laufschuhe tragen, ausreichend Wasser bei sich haben, einen Energieriegel und ein Bandana mitbringen, um sich unkenntlich zu machen. Polizisten wurden als "Schweine" bezeichnet. "Wenn jemand festgenommen wird, dann schaut, dass ihr rasch rauskommt, damit die Schweine unseren Marsch nicht stoppen können."

Schon im März fand an der Columbia University unter dem Titel "Resistance 101" ein Aktivistentraining statt, an dem Gastredner von "Samidoun" teilnahmen. Die Gruppe glorifiziert den 7. Oktober, hat Kontakte zur militanten, linksextremen "Volksfront zur Befreiung Palästinas", ist in Deutschland inzwischen verboten und steht auch Gruppierungen nahe, die hinter den Protesten rund um den Wiener Stephansdom stehen. Das Treffen in New York dauerte zwei Stunden. "Es ist nichts falsch daran, Mitglied der Hamas zu sein, ein Führer der Hamas zu sein, ein Kämpfer in der Hamas zu sein", sagte "Samidoun"-Koordinatorin Charlotte Kates. Alles Zufall?

Wenn, dann breitet sich dieser Zufall gerade über die gesamte Welt aus.

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