NEUE FORSCHUNG

"Wieso Wolken der Schlüssel für Klima-Vorhersagen sind"

Spitzenforscherin Yi-Ling Hwong klärt am ISTA in Klosterneuburg (NÖ), warum in die Luft zu schauen Leben retten kann – und Wolken ein Gedächtnis haben.

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Wie oft schauen Sie, liebe:r Leser:in, am Tag in die Wolken? Ich tue das oft, schon mein ganzes Leben lang - als Kind in Malaysia auf dem Heimweg von der Schule; heute mit den besten Computern der Welt.

Ein Nobelpreis für eine noble Sache

Aber Wolken sind nicht nur schön anzuschauen, sie sind untrennbar mit dem Klima und dem Klimawandel verbunden, dem wohl drängendsten Thema unserer Zeit. Das Nobelpreiskomitee hat dies klar erkannt, als es den Nobelpreis für Physik 2021 an Professor Syukuro Manabe und Professor Klaus Hasselmann verlieh – für ihre grundlegenden Arbeiten zum Verständnis des Erdklimas. Die Auszeichnung ist nicht nur deshalb von Bedeutung, weil zum ersten Mal in der Geschichte der Nobelpreise die Klimawissenschaft in den Vordergrund gerückt wurde. Sie ist es auch, weil sie die faszinierende und komplexe Welt der Klimamodellierung ins Scheinwerferlicht rückt.

Klimawissenschafterin Yi-Ling Hwong erforscht die Rolle von Wolken in Klima und Klimawandel
Klimawissenschafterin Yi-Ling Hwong erforscht die Rolle von Wolken in Klima und Klimawandel
Helmut Graf

Professor Manabe war der erste, der mit einem relativ einfachen Klimamodell nachweisen konnte, dass ein Anstieg der CO2-Konzentration zur Erderwärmung führt. Das war in den 1960er-Jahren. (In Anbetracht der Bedeutung ihrer Entdeckung kann man sagen, dass es eine ganze Weile gedauert hat, bis sie mit einem Nobelpreis belohnt wurden.) Aber andererseits werden diese Preise aus gutem Grund nicht so einfach vergeben. Seitdem haben Klimawissenschafter:innen diese Modelle immer wieder um Längen verbessert. Und doch gibt es direkt vor unseren Augen ein alltägliches Phänomen, das ein ungelöstes Rätsel in der Welt der Klimamodelle bleibt: die Wolken.

Sechs Milliarden Schwimmbecken

Zu jedem Zeitpunkt bedecken Wolken etwa zwei Drittel des Himmels. Sie führen rund 15 Billionen, also 15.000.000.000.000 Tonnen Wasser mit sich, die in ihnen zirkulieren. Das ist so, als würden etwa sechs Milliarden Schwimmbecken von olympischer Größe über unseren Köpfen schweben.

Eine Wolke besteht aus winzigen Wassertröpfchen, Eiskristallen oder anderen Partikeln. Sie bilden sich, wenn Wasser von der Erdoberfläche (z. B. aus den Ozeanen) verdunstet, in die Atmosphäre aufsteigt, sich abkühlt und kondensiert. Das heißt, wenn der Wasserdampf gesättigt ist oder wenn seine Feuchtigkeit hundert Prozent übersteigt. Das klingt alles ganz einfach. Warum also tun wir uns so schwer mit der Simulation von Wolken in Klimamodellen?

Wie funktionieren die Klimamodelle?

Um die Komplexität der Wolkenmodellierung zu begreifen, müssen wir zunächst verstehen, wie Klimamodelle funktionieren. Ein Modell ist wie eine vereinfachte Version von etwas Komplexem, zum Beispiel einem großen Flugzeug. Indem wir ein kleineres, handlicheres Exemplar bauen, können wir lernen, wie es funktioniert. Wir können es auseinandernehmen, sehen, wie die Teile zusammenwirken, und vorhersagen, wie es sich unter verschiedenen Bedingungen verhalten könnte.

Klimamodelle sind etwas Besonderes, denn sie bilden nicht nur das heutige Klima der Erde ab, sondern versuchen auch vorherzusagen, wie es sich in Zukunft verändern wird. Sie fungieren als zwei Werkzeuge in einem: ein Klimasimulator und ein Wahrsager für unseren Planeten.

Klimawissenschafterin Yi-Ling Hwong war am Compact Muon Solenoid Experiment des Large Hadron Collider am CERN
Klimawissenschafterin Yi-Ling Hwong war am Compact Muon Solenoid Experiment des Large Hadron Collider am CERN
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Äpfel fallen nicht nach oben

Klimamodelle beruhen auf bewährten physikalischen Grundgesetzen, die der Funktionsweise unseres Universums zugrunde liegen: Sie sprechen sozusagen die Sprache unseres Universums. Sie sind erprobt und getestet, daher sind ihre Ergebnisse solide und vertrauenswürdig. So wie Äpfel immer auf den Boden fallen und nicht nach oben, wird sich unser Planet weiter erwärmen, wenn die CO2-Konzentration in der Atmosphäre nicht sinkt.

Das wichtigste dieser Gesetze ist der erste Hauptsatz der Thermodynamik (auch bekannt als Energieerhaltungssatz). Er besagt, dass in einem geschlossenen System Energie weder erzeugt noch verloren gehen kann – sondern sich nur von einer Form in eine andere umwandeln lässt. Ein weiterer wichtiger Grundsatz ist das Stefan-Boltzmann-Gesetz, welches nachweist, dass die Oberflächentemperatur der Erde um etwa 33 °C wärmer ist, als sie es ohne den natürlichen Treibhauseffekt wäre.

Dann gibt es Gleichungen, die die dynamischen Prozesse innerhalb des Klimasystems erklären, wie z. B. die Clausius-Clapeyron-Gleichung, die den Zusammenhang zwischen der Lufttemperatur und ihrem maximalen Wasserdampfdruck beschreibt. Nicht zuletzt und von größter Bedeutung sind die Navier-Stokes-Gleichungen der Flüssigkeitsbewegung, die auf dem zweiten Newton'schen Bewegungsgesetz beruhen und beschreiben, wie sich Flüssigkeiten verhalten, wenn eine Kraft auf sie einwirkt.

Eine verpixelte Welt

Aufgrund der begrenzten Rechenleistung ist es für ein Modell unpraktisch, jeden einzelnen Prozess für jeden Kubikmeter des Klimasystems zu berechnen. Stattdessen unterteilen die Klimamodelle die Erde in eine Reihe von "Boxen" oder "Gitterzellen". Globale Klimamodelle haben eine horizontale Auflösung von etwa 25 bis 100 Kilometern – und einen Zeitschritt (Zeitintervall, in dem das Modell Veränderungen berechnet) von etwa 30 Minuten.

Die Gesamtrechenzeit ergibt sich dann aus der Rechenzeit für jede mathematische Operation × Anzahl der Rechenoperationen pro Gleichung × Anzahl der Gleichungen pro Gitteraufruf × Anzahl der Gitterzellen im Modell × Gesamtzeitschritte × Simulationsdauer. Für eine 100-Jahres-Simulation muss das Modell zum Beispiel rund 73 Billionen Berechnungen durchführen – das sind wieder sehr viele Nullen!

Wolken haben ein Gedächtnis, es gibt "Räuber" und "Beute"
Wolken haben ein Gedächtnis, es gibt "Räuber" und "Beute"
iStock

Eine Wolke der Unsicherheit

Und jetzt kommt der knifflige Teil mit den Wolken: Einzelne Wolken sind in der Regel kleiner als die Gittergrößen der Klimamodelle, und sie können innerhalb von Minuten entstehen und verschwinden. Das bedeutet, dass die räumliche und zeitliche Auflösung von Klimamodellen nicht ausreicht, um ihre Auswirkungen richtig zu erfassen. Stellen Sie sich vor, Sie versuchen, einen Schmetterling mit einem großen Pinsel in ein 1 cm × 1 cm großes Feld zu malen – die Pinselstriche sind einfach zu grob, um den nötigen Grad an Details zu erreichen.

Außerdem haben verschiedene Wolken unterschiedliche Auswirkungen auf die Temperatur der Erde: niedrige, helle Wolken haben eine kühlende Wirkung (sie reflektieren das Sonnenlicht), während hohe, dünne Wolken eine wärmende Wirkung haben (sie absorbieren die ausgehende Infrarotstrahlung). Wolken sind eng mit dem Wasser-Kreislauf der Erde verbunden, der lebenswichtige Prozesse wie Niederschläge, Gewitter und Überschwemmungen steuert. Wenn ihre Auswirkungen nicht erfasst werden, könnte dies schwerwiegende Folgen für die Vorhersage des künftigen Klimas haben, insbesondere für extreme Niederschlagsereignisse.

Was eine "konvektive Parametrisierung" ist

Um die Schwierigkeiten bei der Simulation von Wolken zu überwinden, verwenden Klimawissenschaftler eine Methode namens "konvektive Parametrisierung". Anstatt die wolkenbezogenen Prozesse mit Hilfe der physikalischen Grundgleichungen des Modells zu lösen, verwenden die Wissenschaftler vereinfachte Gleichungen, um ihre Auswirkungen zu simulieren.

Eine der einfachsten Methoden zur Parametrisierung von Wolken besteht darin, den Anteil einer Gitterzelle, der von Wolken bedeckt ist, als Differenz zwischen der durchschnittlichen relativen Luftfeuchtigkeit (RH) der Gitterzelle zu einem bestimmten Zeitpunkt und einem vordefinierten Schwellenwert für die RH (z.B. 75 Prozent) zu definieren. Angesichts ihrer inhärenten Mehrdeutigkeit (z.B. der Schwellenwert von 75 Prozent r.F.) ist die Parametrisierung von Konvektionswolken eine der wichtigsten Quellen für Unsicherheiten in Klimamodellen.

Klimamodelle das Rückgrat der weltweiten Entwicklung der Klimapolitik
Klimamodelle das Rückgrat der weltweiten Entwicklung der Klimapolitik
iStock

Wolken haben ein Gedächtnis

Die Herausforderung bei der Simulation von Wolken bedeutet auch, dass es sich um ein spannendes Forschungsgebiet handelt, das Potenzial für neue Entdeckungen birgt. Das beflügelt meine Leidenschaft für die Grundlagenforschung. Eines der Themen, die mich faszinieren, ist ein relativ neues Konzept namens "konvektives Gedächtnis". Wolken haben, gewissermaßen wie Menschen, ein Gedächtnis. Sie "erinnern" sich daran, wenn in der Vergangenheit Wolken in ihrer Nähe waren, und wenn sie dies erkennen, neigen sie dazu, schneller zu "wachsen".

Zusammen mit einigen Kolleg:innen habe ich kürzlich eine Arbeit veröffentlicht, die zeigt, dass dieser Gedächtnisprozess durch ein Räuber-Beute-Modell erfasst werden kann. Wenn die Atmosphäre mehr Wasserdampf enthält (Beute), bilden sich mehr Wolken (Räuber). Wenn die Wolken jedoch zu schwer (gesättigt) werden, fallen sie aus, wodurch die Atmosphäre austrocknet und die Verdunstung an der Oberfläche zunimmt. Und der Zyklus wiederholt sich.

Wolken und zukünftiges Klima

Seit der Veröffentlichung des ersten IPCC-Bewertungsberichts im Jahr 1990 bilden die Klimamodelle das Rückgrat der weltweiten Entwicklung der Klimapolitik. Es steht außer Frage, dass wir möglichst genaue Klimamodelle brauchen, um fundierte politische Entscheidungen treffen zu können. In diesem Sinne sind die Wolken der Schlüssel. Sie zu verstehen ist nicht nur ein interessantes intellektuelles Unterfangen, sondern auch unabdingbar für die Vorhersage der Zukunft unseres Planeten. Wenn Sie, liebe:r Leser:in, dies wissen, werden Sie die Wolken vielleicht anders betrachten, wenn Sie das nächste Mal in den Himmel schauen.

Klimawissenschafterin Yi-Ling Hwong ist Postdoc in der Muller Group am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) in Klosterneuburg. Schwerpunkt ihrer Forschung ist die Rolle von Wolken in Klima und Klimawandel. Sie wurde in Malaysia geboren und promovierte an der University of New South Wales in Sydney, Australien. Weiters absolvierte sie einen Master in Ingenieurswissenschaften in Karlsruhe und war eine der Ingenieur:innen, die am Compact Muon Solenoid Experiment des Large Hadron Collider am CERN beteiligt war.

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