Hunderte Touristen blockieren derzeit täglich eine Kreuzung in der Wiener City. Sie wollen Fotos mit einem Riesen-Mascherl machen, die Polizei verhängt Organstrafen. Für den Erfinder des Mascherls ist die Aufregung übertrieben: "Es ist bis jetzt noch nie etwas passiert."

London hat seine Royals, Paris hat vielleicht Emily. Aber Wien hat das Mascherl.
Riesig, fett und knallrot prangt es unübersehbar in der Innenstadt vis-á-vis der Staatsoper – und ist derzeit das beliebteste Fotomotiv der City. Keine Attraktion wird in der Vorweihnachtszeit öfter abgelichtet als das Mega-Mascherl. Tausende Fotos auf Social Media zeugen davon. Was früher der Stephansdom oder das Riesenrad war, ist jetzt das Mascherl: ein Must-knips.
Dafür riskieren viele Touristen alles. Todesmutig werfen sie sich bei Rot vor Laster und Taxis, um das schönste Bild zu ergattern. Hauptsache die Schleife ist gut drauf. Die Polizei bezieht mittlerweile regelmäßig Stellung unter dem Mascherl, um den gröbsten Selfie-Unfug zu verhindern und die Verkehrsstaus wegen der mit Touristen blockierten Straße in Grenzen zu halten.
Dabei hat das Mascherl einer erfunden, der sonst sehr schnell sehr fuchsig wird, wenn der Verkehr in der Innenstadt gestört wird: Rainer Trefelik, Bundeobmann der Sparte Handel in der Wirtschaftskammer und Chef der Nobelboutique Popp & Kretschmer. Ihr verpasste Trefelik seinerzeit das Mascherl – und spendierte Wien damit eine Sehenswürdigkeit, um die uns mittlerweile halb Europa beneidet.
Touristen-Hotspot, Social Media-Phänomen oder Verkehrshindernis – was es mit der roten Riesenschleife auf sich hat, was ihr Erfinder vom Hype um das Mascherl hält und weshalb die Polizei damit begonnen hat, Strafmandate an Touristen zu verteilen – hier alle Infos:

Worum geht es?
Um ein überdimensionales knallrotes Mascherl am Haus Kärntner Straße 51, dem Palais Todesco, in der Wiener Innenstadt. Es ist als Weihnachtsdekoration im ersten Stock des Hauses, direkt an der Ecke Kärntner Straße / Walfischgasse angebracht und lässt die dahinter liegende Luxusboutique Popp & Kretschmer wie ein riesiges Geschenkpackerl aussehen.
Wo liegt das Problem?
Die ab 15 Uhr mit hunderten Lampen festlich beleuchtete Schleife hat sich zu einem der meist besuchten Touristen-Hotspots in der Wiener City entwickelt. Nahezu rund um die Uhr kommen Menschen hierher, um ein Foto von sich unter dem Riesen-Mascherl machen zu lassen. Und dabei kommt es in letzter Zeit zunehmend zu gefährlichen Situationen mit Auto- und Radfahrern.
Warum?
Weil an besagter Ecke einer der meist frequentierten Schutzwege der Innenstadt liegt. Hier queren bei jeder Grünphase oft hundert und noch mehr Menschen die Straße. Heißt, man kann sich nicht in Ruhe für ein Foto in Pose werfen, weil es rund um einen vor Menschen nur so wurlt. Daher warten viele Besucher, bis die Fußgängerampel Rot zeigt, und treten dann für "ihr" Foto auf die Straße.
Geht das denn?
Eben nicht, hier herrscht auch relativ starker Autoverkehr, dazu kommen Fahrradwege teils gegen die Einbahn. Es ist ein, wenn auch kleiner, Verkehrsknotenpunkt. Entsprechend häufig kommt es mittlerweile zu gefährlichen Situationen und Konflikten.

Ist das Riesen-Mascherl neu?
Im Gegenteil es hängt seit 2009 fast jeden Advent hier. Aber erst seit kurzem flippen die Menschen deshalb aus. Jeder will "sein" Mascherl-Foto. Wer auf Instagram die Kommentare unter den hunderten Mascherl-Postings liest merkt, dass es für viele Wien-Besucher offenbar ein Spaß ist, sich möglichst oft mit dem Mascherl zu fotografieren.
Seit wann geht das so?
"Etwa seit zwei Jahren", sagt Rainer Trefelik, Chef der Nobelboutique Popp & Kretschmer und "Erfinder" des Mascherls. "Es hat damit begonnen, dass US-Reiseblogger das Mascherl thematisiert haben und dann ist der Hype auf einmal explodiert", so Trefelik.
Explodiert heißt was?
Wer auf Instagram oder Facebook Suchbegriffe wie "Mascherl", "Vienna Bow", "Christmas Bow" oder "Red Bow" eingibt, bekommt hunderte Bilder der Riesenschleife ausgeworfen. Die XXL-Deko hat mindestens so viele Einträge wie der Christkindlmarkt.

Hat ihr Erfinder eine Erklärung für den Hype?
Nicht wirklich – aber er hat einen Verdacht: "Es geht dabei nicht nur um die Masche alleine, sondern um das gesamte Setting", so Rainer Trefelik. "Wir haben das richtige Objekt an der richtigen Kreuzung im richtigen Gebäude mit dem richtigen Umfeld – alles ist sehr instagramable, ein Glücksfall", sagt der Geschäftsmann.
Sind denn die anderen Geschäftsleute nicht neidisch auf die Erfolgs-Masche?
"Wir investieren alle in die Weihnachtsbeleuchtung, um die Innenstadt möglichst attraktiv zu machen, davon hat jeder was", so Rainer Trefelik. "Wien steht in einem permanenten Wettbewerb mit anderen Städten um Gäste. Wenn eine besondere Weihnachtsbeleuchtung den Unterschied ausmacht, umso besser."
Weshalb kopiert dann keine andere Stadt die Masche mit der Masche?
Versuche diesbezüglich habe es jedenfalls bereits gegeben: "Bei mir wurde schon aus europäischen Ländern nachgefragt, wo ich die Masche habe machen lassen", so der Geschäftsmann. Verraten hat er es allerdings nicht – Geschäft ist schließlich Geschäft.
Apropos – profitiert seine Boutique umsatzmäßig vom Mascherl-Hype?
Nein, sagt Rainer Trefelik. "Die allerwenigsten Touristen, die unsere Masche fotografieren, kommen auch ins Geschäft." Vice versa würden seine lokalen Kunden kaum etwas vom Run auf Mascherl-Fotos mitbekommen: "Dadurch fühlt sich keiner unserer Kunden gestört, das spielt sich ja ohnedies alles auf der Straße ab."
Was hält der Mascherl-Erfinder von der Aufregung um Menschen, die für ihre Fotos bei Rot auf die Straße gehen?
Rainer Trefelik, neben seiner Geschäftstätigkeit gleichzeitig auch Obmann der Sparte Handel in der Bundeswirtschaftskammer, sieht das gelassen: "Das ist eine Hochfrequenzkreuzung, hier geht permanent jemand bei Rot über die Straße, ob er jetzt fotografiert oder nicht", hält er den Ball flach. Passiert sei wegen dem Mascherl jedenfalls bislang noch nie etwas.
Wurde er schon einmal von Polizei oder Bezirkspolitik gebeten, die Masche zu entfernen, etwa aus Sicherheitsgründen?
Nein, das sei noch nie geschehen – und weshalb auch? "Wir wollen ja haben, dass die Touristen zu uns kommen." Und einen Unfall habe es wegen der Masche auch noch nie auf der Kreuzung gegeben.

Ärgert es ihn, wenn ihm Kritiker vorwerfen, dass er als Wirtschaftskammerfunktionär gegen jede Störung des Verkehrs in der City auftritt – etwa durch Demos –, aber bei Verkehrsbehinderungen durch sein Mascherl mit anderem Maß misst?
Diese Situationen könne man überhaupt nicht vergleichen, so Trefelik. "Wenn drei Menschen bei Rot auf der Straße stehen, weil sie sich knipsen lassen, bricht nicht der Verkehr zusammen", so der Funktionär. Wenn aber in der Vorweihnachtszeit für eine Demonstration der Ring gesperrt und der öffentliche Verkehr eingestellt werde, würde das dem Grundrecht auf Erwerbsfreiheit widersprechen.
Und dass jetzt sogar die Polizei regelmäßig vor seinem Geschäft auftaucht und Strafmandate verteilt?
"Wir stehen mit der Polizei in gutem Kontakt", so Rainer Trefelik. Diese würde im Rahmen des Streifendienstes primär aufklärend auf die Touristen einwirken, die sich nicht an die Verkehrsregeln halten, um die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer zu gewährleisten.
Wie reagiert die Polizei?
Sie hat begonnen, erste Strafen für Uneinsichtige zu verhängen. Das Organmandat kostet 30 Euro.
Wie sieht Trefelik die Strafen?
Er sieht die Sache pragmatisch: "Wenn es wirklich dazu kommt, dass Touristen Strafe zahlen müssen, dann hätte unser Mascherl ja sogar noch etwas zur Staatskasse beigetragen."