Autobauer

30.000 Jobs wackeln: Droht VW nun der Totalschaden?

Europas größter Autobauer steckt offenbar noch tiefer in der Krise als angenommen. Nun ist von 10 Milliarden Euro Einsparungen und 30.000 Jobs, die wegfallen könnten, die Rede. Nächste Woche soll mit dem Betriebsrat verhandelt werden.

Bei einer Betriebsversammlung Anfang September erläuterte der VW-Vorstand (im Bild links) tausenden Mitarbeitern die Notwendigkeit der Sparpläne. Dabei kam es zu lautstarken Protesten
Bei einer Betriebsversammlung Anfang September erläuterte der VW-Vorstand (im Bild links) tausenden Mitarbeitern die Notwendigkeit der Sparpläne. Dabei kam es zu lautstarken Protesten
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Newsflix Redaktion
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Anfang September sickerten die ersten Sparpläne durch. Deutschlands größter Autobauer stehe das Wasser bis zum Hals, einschneidende Veränderungen wären unumgänglich, der Betriebsrat rief zum Widerstand auf. Zwei Tage später, am 4. September, legte der Vorstand von VW dann vor 25.000 Mitarbeitern in Wolfsburg seine Einsparungspläne dar und weshalb diese notwendig seien. Dem Unternehmen würden Milliarden fehlen, Kündigungen wurden nicht ausgeschlossen, konkret war aber noch nichts.

Nun verdichten sich die Hinweise, wohin die Reise gehen könnte – und die Aussichten sind alles andere als erbaulich. Laut dem deutschen "Manager-Magazin" könnten mittelfristig bis zu 30.000 Jobs am Standort Deutschland gestrichen werden, es seien Einsparungen von 10 Milliarden Euro notwendig, um VW wieder zukunftsfit zu bekommen.

Offizielle Bestätigungen von VW gab es dazu nicht, nächste Woche soll der Betriebsrat – der die kolportierte Kündigungszahl als "einfach nur Schwachsinn" bezeichnete – über die Pläne des Managements unterrichtet werden. Wie VW aus der Spur kam, Gründe und Hintergründe:

25.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kamen am Mittwochvormittag zusammen, um den Einsparungsplänen der Konzernspitze mit Sprechchören und Pfiffen eine Absage zu erteilen
25.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kamen am Mittwochvormittag zusammen, um den Einsparungsplänen der Konzernspitze mit Sprechchören und Pfiffen eine Absage zu erteilen
Moritz Frankenberg / dpa / picturedesk.com

Wie groß ist der Volkswagen-Konzern?
Die Volkswagen Group mit Sitz in Wolfsburg, Deutschland, ist der größte Autobauer Europas. Zum Konzern gehören zehn Marken: Volkswagen, Volkswagen Nutzfahrzeuge, Škoda, Seat, Cupra, Audi, Lamborghini, Bentley, Porsche und Ducati. Das Unternehmen hat weltweit 684.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, machte im Vorjahr 322,2 Milliarden Euro Umsatz und lieferte ein Ergebnis von knapp 18 Milliarden Euro ab, um gut 2 Milliarden mehr als im Jahr davor. Der Konzern betreibt insgesamt 114 Produktionsstätten weltweit und lieferte 2023 über 9 Millionen Fahrzeuge aus.

Wem gehört Volkswagen?
Es handelt sich um eine Aktiengesellschaft, die Erstemission fand 1961 statt. Die Vorzugs- und Stammaktien werden an Wertpapierbörsen in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hannover, Hamburg, München und Stuttgart gehandelt.

Das sind die Volkswagen-Eigentümer

  • Porsche Automobil Holding SE 31,9 Prozent
  • Ausländische institutionelle Anleger 20 Prozent
  • Land Niedersachsen 11,8 Prozent
  • Qatar Holding LLC 10 Prozent
  • Private Shareholder 24,1 Prozent
  • Deutsche institutionelle Anleger 2,2 Prozent
Nach der Betriebsversammlung informierten die VW-Betriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo und Thorsten Gröger von der Gewerkschaft IG Metall über die Pläne des Vorstandes und kündigten "erbitterten Widerstand" an
Nach der Betriebsversammlung informierten die VW-Betriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo und Thorsten Gröger von der Gewerkschaft IG Metall über die Pläne des Vorstandes und kündigten "erbitterten Widerstand" an
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Was ist das Besondere an der Eigentümer-Struktur?
53,3 Prozent der Stimmrechte übt die Porsche Automobil Holding SE, Stuttgart aus, dahinter stehen die Eigentümerfamilien Porsche und Piëch. 20 Prozent der Stimmrechte aber liegen in der Hand des Landes Niedersachsen. Die öffentliche Hand spricht also bei VW massiv mit. Im Aufsichtsrat sitzen Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Vize-Ministerpräsidentin Julia Willie Hamburg (Grüne).

Wie groß ist das Finanzloch bei VW?
Ende August hatte Thomas Schäfer, Chef von Volkswagen, in einem Treffen der Führungskräfte ein düsteres Bild der Geschäftsentwicklung gezeichnet, es seien milliardenschwere Einsparungen nötig. Im Magazin "Spiegel", das seinerzeit als erstes über die geplanten Kürzungen berichtete, war davon die Rede, dass im Finanzplan der Marken Volkswagen und VW Nutzfahrzeuge aktuell eine Lücke von vier bis fünf Milliarden Euro klaffen würde.

Die Volkswagen-Fabrik in Wolfsburg ist eine Stadt in der Stadt
Die Volkswagen-Fabrik in Wolfsburg ist eine Stadt in der Stadt
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Was weiß man über die Einsparungspläne?
Das "Manager-Magazin", das zum Spiegel-Verlag gehört, konkretisierte nun, dass offenbar von den insgesamt 130.000 Jobs bis zu 30.000 Stellen in den deutschen Werken von VW abgebaut werden könnten. Vor allem die Bereiche Forschung und Entwicklung könnten demnach besonders betroffen sein, hier könnten von 13.000 Beschäftigten zwischen 4.000 und 6.000 den Hut nehmen müssen. Altersteilzeit und Abfindungen würden demnach nicht mehr ausreichen, um das Ruder herumzureißen.

Wie viel soll eingespart werden?
Es stehen Werksschließungen im Raum, auch sollen die Investitionen in den kommenden Jahren reduziert werden. Zuletzt hatte es noch geheißen, zwischen 2025 und 2029 würden 170 Milliarden Euro investiert, nun ist von nur mehr 160 Milliarden Euro die Rede. Zu all diesen Zahlen hat sich das Unternehmen bislang nicht geäußert, es machte aber über eine Sprecherin klar, dass eine Kostenreduktion an den deutschen Standorten unausweichlich sei. Nur so könne die Marke ausreichend Geld für Zukunftsinvestitionen verdienen.

Weshalb sind die Einsparungspläne aus Managementsicht notwendig?
Weil die Absatzzahlen seit Jahren zurückgingen. "Die Kernmarke VW gibt seit geraumer Zeit mehr Geld aus, als wir einnehmen", sagte Finanzchef Arno Antlitz am Mittwoch. Das sei auf Dauer nicht haltbar. VW fehlten die Verkäufe von rund 500.000 Autos und damit die Kapazitäten von zwei Werken. Diese stehen nun deshalb auf der Kippe.

Warum ist das bei Volkswagen besonders heikel?
Weil es seit 30 Jahren eine "Beschäftigungssicherung" im Konzern gibt, die ursprünglich noch bis 2029 gegolten hätte. Die "Beschäftigungssicherung" gab es bereits seit 1994 und sie wurde seither immer wieder im beiderseitigen Einvernehmen für einen bestimmten Zeitraum erneuert. Der Vorstand hatte der Belegschaft darin zugesichert, dass niemand vor die Tür gesetzt wird. Diese Vereinbarung wurde vom Konzern vor wenigen Tagen aufgekündigt. Damit sind ab 2025 auch betriebsbedingte Kündigungen möglich.

Was sind die Gründe für die Krise?
Es handelt sich wohl um eine Mischung aus vielen Problemen. Gestiegene Materialkosten, Kunden, die bei den Sonderausstattungen sparen, ein schwächelnder Verkauf in den USA, der in die roten Zahlen geführt hat, und die niedrigen Gewinnmargen von Elektroautos.

Der Fußballklub VFL Wolfsburg mit Österreichs Trainer Ralph Hasenhüttl lebt vom VW-Sponsorgeld
Der Fußballklub VFL Wolfsburg mit Österreichs Trainer Ralph Hasenhüttl lebt vom VW-Sponsorgeld
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Soll es tatsächlich zu Werkschließungen kommen?
Ja, der Vorstand denkt darüber nach. Ein größeres Werk, in dem Fahrzeuge hergestellt werden, sowie eine Komponentenfabrik in Deutschland seien laut dem Magazin "Spiegel" "überflüssig".

Hat Volkswagen schon jemals ein Werk in Deutschland zugesperrt?
Nein.

Wie viele Werke betreibt Volkswagen in Deutschland?
Betrieben werden 13 "zentrale Standorte" in Berlin, Braunschweig, Chemnitz, Dreieich, Dresden, Emden, Hannover, Kassel, München, Osnabrück, Salzgitter und Zwickau. Dazu gibt es den Hauptstandort in Wolfsburg, hier liefen im Vorjahr 480.000 Fahrzeuge vom Band. Das Werksgelände hat eine Fläche von 6,5 Quadratkilometern und ist damit doppelt so groß wie die Wiener City, über 60.000 Menschen arbeiten vor Ort.

Warum ist die aktuelle Situation auch politisch brisant?
Weil bei der Volkswagen AG, wie erwähnt, das Land Niedersachsen als Miteigentümer mitredet. Kommt es nun zu Entlassungen, dann wird sich die Debatte tief in die Politik hineinziehen. Nach dem Desaster der etablierten Parteien bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen der nächste Brennpunkt.

Stephan Weil (Mitte, mit Bundeskanzler Olaf Scholz, rechts), SPD-Ministerpräsident von Niedersachsen, sitzt im Aufsichtsrat von VW
Stephan Weil (Mitte, mit Bundeskanzler Olaf Scholz, rechts), SPD-Ministerpräsident von Niedersachsen, sitzt im Aufsichtsrat von VW
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Wie wehrt sich der Betriebsrat?
Der ist bei Volkswagen traditionell stark. Betriebsratschefin Daniela Cavallo hielt gleich nach Bekanntwerden der Sparpläne eine Brandrede vor dem Werkstor in Wolfsburg: "Die Arbeitnehmerseite wird massiven Widerstand an den Tag legen", sagte sie dabei. "Mit mir wird es keine Standortschließungen geben." Im Anschluss an die Mitarbeiterversammlung Anfang September legte die Betriebsratsvorsitzende dann im Beisein von Thorsten Gröger von der Gewerkschaft IG Metall nochmals nach. Die da erst noch geplante Aufkündigung der Beschäftigungssicherung bezeichnete sie als "großen Tabubruch" und kündigte "erbitterten Widerstand" gegen die Konzernpläne an, sollte sich der Vorstand nicht mit der Gewerkschaft an den Verhandlungstisch setzen.

Wann wird konkret gesprochen?
Mittlerweile ist bekannt, dass am 25. September VW und IG Metall erstmals zusammensitzen werden. Metaller-Gewerkschafter Thorsten Gröger stellt bereits massiven Widerstand in den Raum: "Als Erstes muss der Vorstand seine Pläne am Verhandlungstisch konkret präsentieren. Wenn Volkswagen die Axt an die Belegschaft anlegen will, werden die Beschäftigten die passende Antwort geben."

2026 will VW ein E-Auto – Arbeitstitel momentan "ID.2all" – für unter 25.000 Euro auf den Markt bringen
2026 will VW ein E-Auto – Arbeitstitel momentan "ID.2all" – für unter 25.000 Euro auf den Markt bringen
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Wie verhält sich die Politik?
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat nach Angaben seines Sprechers bereits Gespräche mit dem VW-Management und dem Betriebsrat geführt. Und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kündigte an, die Politik werder dem kriselnden Konzern politisch unter die Arme greifen. Die Bundesregierung werde Impulse für Elektromobilität setzen, sagte der Politiker, denn: "Deutschland muss ein starkes Autoland bleiben." Ds ist insofern kurios, weil die Bundesregierung erst vor einem Jahr sämtliche finanziellen Unterstützungen zur Stärkung der Elektromobilität quasi im Handstreich gekappt hat und dadurch die aktuelle Absatzkrise bei E-Autos mit verschuldet hat.

Warum Volkswagen nicht irgendein Unternehmen ist?
Dazu muss man sich einmal nur das Engagement im Sport anschauen (das nun wohl ebenfalls hinterfragt wird). Volkswagen sponsert den Fußballklub VFL Wolfsburg (Trainer ist der Österreicher Ralf Hasenhüttl) und den DFB, engagiert sich im Nachwuchsbereich des FC Bayern und gemeinsam mit Porsche bei RB Leipzig. Direkt oder indirekt unterstützt man die Braunschweiger Eintracht, Dynamo Dresden, den VfL Osnabrück, den FSV Zwickau, den Chemnitzer FC  und einige unterklassigere Vereine.

Hat die VW-Krise Auswirkungen auf Österreich?
Und ob! Österreich gilt als klassisches Zulieferland der deutschen Autoindustrie. 193.000 Jobs hängen laut Wirtschftskammer direkt oder indirekt von diesem Markt ab.  Es geht um einen Produktionswert von 24,4 Milliarden Euro und eine geschätzte Wertschöpung von rund 7,4 Milliarden. Vor allem: Experten sind sich einig, dass Volkswagen nur der Auftakt war. In der Autoindustrie droht ein Gemetzel.

Zuletzt aktualisiert am 19. 9. um 22 Uhr

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