Update

Attentat auf Premier: Krankenakte aus Spital geschmuggelt

Von vier Schüssen getroffen: Der Zustand des slowakischen Premierministers Robert Fico hat sich stabilisiert. Aber seine medizinischen Unterlagen sickerten durch.

Der mutmaßliche Attentäter, der fünf Schüsse auf den slowakischen Premier Robert Fico abgegeben hat, wurde Samstag ins Gefängnis überstellt
Der mutmaßliche Attentäter, der fünf Schüsse auf den slowakischen Premier Robert Fico abgegeben hat, wurde Samstag ins Gefängnis überstellt
Picturedesk
Christian Nusser
Akt. Uhr
Anhören
Teilen

Wo lag das Leck? Am Wochende tauchten im Internet plötzlich vertrauliche Dokumente auf. Es handelte sich um die Aufzeichnung der Krankenakte von Robert Fico aus dem Krankenhaus, außerdem war das Foto des Personalausweises des Angreifers Juraj C. zu sehen. Für das Spital ist das hochnotpeinlich, eine Untersuchung wurde eingeleitet. Was es sonst über das Attentat und die Folgen zu berichten gibt:

Womit Impfgegner für Aufregung sorgten
In den sozialen Netzwerken kursierten ab Freitag Aufrufe, man möge für den Premierminister Blut der Gruppe 0 mit Rhesusfaktor negativ spenden. Das Krankenhaus in Banska Bystrica, in dem Fico liegt, dementierte die Informationen offiziell. Es gäbe keinen Blutmangel, doch die Falschmeldung verbreitet sich danach noch massiver. Es wurde noch wilder. Denn auch die Falschinformation, es würden nur Blutspenden von Menschen angenommen, die sich nicht gegen COVID-19 impfen haben lassen,  begann zu zirkulieren. "Absoluter Unsinn", versicherte das Spital.

Wie geht es Fico aktuell? 
Der Zustand des slowakisches Premierministers blieb auch am Montag stabil. Er schwebt nicht mehr in Lebensgefahr. Am Freitag war er ein zweites Mal operiert werden, um "nekrotisches Gewebe von der Schusswunde zu entfernen. "Ein Routinevorgang, zunächst war ein CT gemacht worden", sagte die Leiterin des Roosevelt-Krankenhauses, Miriam Lapunikova.. Der Patient sei bei Bewusstsein, stabil, aber "sein Zustand ist wirklich ernst". Die Ärzte entscheiden voraussichtlich am Montag über das weitere Vorgehen, etwa eine Verlegung nach Bratislava.

Der Papst schrieb Zuzana Caputova , Präsidentin der Slowakei, einen Brief
Der Papst schrieb Zuzana Caputova , Präsidentin der Slowakei, einen Brief
Picturedesk

Was ist die weitere Prognose?
Robert Kaliňák, stellvertretender Ministerpräsident und Verteidigungsminister, konnte Fico am Freitagvormittag besuchen. Er habe einen kleinen Schritt in Richtung einer positiven Prognose“ gemacht, sagte Kaliňák. "Es bleibt jedoch so, dass die nächsten zwei bis drei Tage für die Genesung von Robert Fico entscheidend sein werden."

Was schrieb der Papst in seinem Brief?
Papst Franziskus wandte sich an Präsidentin Zuzana Čaputová. Er habe die traurige Nachricht über die Attentat mit Schmerz aufgenommen, schreibt der Heilige Vater. "Ich verurteile diesen feigen Akt der Gewalt und versichere Sie meiner Gebete zum Herrn für die baldige Genesung und Genesung des Premierministers. Ich möchte der slowakischen Nation in diesem Moment der Prüfung auch meine Nähe und Solidarität zum Ausdruck bringen."

In der Wohnung des mutmaßlichen Attentäter in Levice fand am Freitag eine Hausdurchsuchung statt
In der Wohnung des mutmaßlichen Attentäter in Levice fand am Freitag eine Hausdurchsuchung statt
Picturedesk

Haben die Leibwächter einen schlechten Job gemacht?
Diese Frage bewegt die Öffentlichkeit noch immer. Die slowakischen Behörden prüfen, ob die Personenschützer Fico nicht ausreichend geschützt haben. Profis widersprechen. "Der Fico zugewiesene Leibwächter war sehr schnell und ich denke, seine Reaktion war gut",  sagte Zdeněk Charvát, Experte für Sicherheit und Schutz, in einem Interview mit dem TV-Sender ta3. "Ich verstehe nicht, wie Laien den Einsatz bequem von zu Hause aus bewerten können", sagte der Innenminister Šutaj Eštokin ta3. Die Leibwächter hätten dem Premierminister das Leben gerettet.

Was passiert mit dem Tatverdächtigen?
Die Polizei begann am frühen Freitagmorgen mit der Durchsuchung seiner Wohnung. Er lebt mit seiner Frau, einer gebürtigen Ukrainerin, in einem Häuserblock in Levice. Ein Spezialkommando brachte den Attentäter zu seiner Wohnung. "Ermittler führten eine Hausdurchsuchung durch und Kriminaltechniker sicherten Spuren", berichtet TV Markíza. Später wurde auch eine Hütte in Jabloňovce durchsucht, die dem Paar gehören soll. Über den Attentäter wurde am Nachmittag die U-Haft verhängt.

Der mutmaßliche Attentäter wurde am Tatort festgenommen
Der mutmaßliche Attentäter wurde am Tatort festgenommen
Picturedesk

Was ist am Mittwoch passiert?
Robert Fico hielt in Handlová eine Kabinettssitzung ab. Als er aus dem "Haus der Kultur" trat, warteten ein paar dutzend Menschen hinter Sperrgittern auf ihn. Videos zeigen, wie Fico begleitet von drei Leibwächtern auf die Leute zugeht, um ihnen die Hände zu schütteln. Dann soll ein Mann laut Augenzeugen "Robo, komm her" gerufen haben. Unmmittelbar danach werden aus der Menge heraus aus kurzer Entfernung fünf Schüsse abgegeben. Die Leibwächter greifen ein, zerren den Politiker 20 Meter weiter in einen schwarzen Audi, rasen weg. Die Polizei hat den Täter unmittelbar danach überwältigt. Er hatte laut Augenzeugen längere Zeit auf Fico gewartet.

Wo hat sich das Attentat ereignet?
Handlová liegt rund 150 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Bratislava in der Mitte der Slowakei. Die Stadt hat rund 18.000 Einwohner.

Wie viele Schüsse wurde abgegeben?
Augenzeugen hatten zunächst von drei oder vier gesprochen. Verteidigungsminister Robert Kaliňák bestätigte dann die insgesamt fünf Schüsse, vier davon trafen. Fico habe ein Polytrauma erlitten, also mehrere Verletzungen. Er wurde mehrere Stunden operiert.

Wo wurde Fico getroffen?
Inzwischen weiß man, dass der Attentäter insgesamt fünf Schüsse abgegeben hat, drei davon trafen den Politiker. Zwei am Arm, einer in den Bauch.

Robert Fico being wurde in das 30 Kilometer entfernte Spital in Banska Bystrica geflogen
Robert Fico being wurde in das 30 Kilometer entfernte Spital in Banska Bystrica geflogen
Picturedesk

Wohin wurde der Premierminister gebracht?
Zunächst in die Abteilung für Gefäßchirurgie des Krankenhauses von Handlová. Dann per Hubschrauber in das F.D. Roosevelt Krankenhaus in Banská Bystrica, ein Flug in die Hauptstadt Bratislava hätte zu lange gedauert. Das Krankenhaus gehört zu den wichtigsten Klinikzentren der Slowakei, verfügt über 1.100 Betten. Das Spital verhängte eine Nachrichtensperre, laut ORF mussten die Mitarbeiter sogar ihre Handys abgeben.

Hat Fico eine Erinnerung an das Attentat?
Ja, er habe in keinem Moment das Bewusstsein verloren und erinnere sich an alles, so der erst im vergangenen April gewählte Staatspräsident Peter Pellegrini nach seinem Besuch am Krankenbett von Fico am Donnerstag.

Weshalb gibt es Kritik an den Leibwächtern?
Diese hätten unprofessionell agiert, den Politiker nicht den Vorschriften entsprechend geschützt und nach dem Attentat hätte Chaos geherrscht. Konkret geht es um die Platzierung der Leibwächter zu dem Zeitpunkt, als der Ministerpräsident zu den wartenden Menschen – drunter der Attentäter – gegangen war. Anstatt sich zwischen den Politiker und die Wartenden zu stellen, wären alle Bodyguards hinter oder neben Fico gestanden. Als dieser dann getroffen wurde, seien alle Leibwächter auf den Schützen losgesprungen, niemand hätte den stürzenden Politiker aufgefangen. Auch sei die Grundregel, immer mindestens einen Meter Abstand zu Menschenmengen zu halten, nicht eingehalten worden.

Dramatische Sekunden: Der Attentäter hebt die Waffe an …
Dramatische Sekunden: Der Attentäter hebt die Waffe an …
via REUTERS
… und zielt direkt auf den Körper des nur wenige Zentimeter vor ihm stehenden Premierministers Robert Fico, …
… und zielt direkt auf den Körper des nur wenige Zentimeter vor ihm stehenden Premierministers Robert Fico, …
via REUTERS
… ehe sich Ficos Leibwächter auf den Attentäter stürzen und ihn überwältigen. Der Premierminister stürzt währenddessen, von drei Kugeln getroffen, zu Boden (im Bild ganz links)
… ehe sich Ficos Leibwächter auf den Attentäter stürzen und ihn überwältigen. Der Premierminister stürzt währenddessen, von drei Kugeln getroffen, zu Boden (im Bild ganz links)
via REUTERS

Wer ist Robert Fico?
Hochumstritten, ein klassischer Rabiatpolitiker, der nach Meinungsumfragen regiert. Jedenfalls ein politisches Chamäleon. 59, Jurist, Vorsitzender der von ihm gegründeten Partei Smer (Slowakische Sozialdemokratie). Er war ursprünglich Kommunist, jetzt ist er eine Art linker Rechtspopulist. Im Oktober suspendierten Europas Sozialdemokraten die Smer. Fico wurde 2006 erstmals Ministerpräsident, nach dem Wahlen am 30. September 2023 trat er seine vierte Amtszeit an.

Wofür steht Fico?
Für einen harten Migrationskurs, er stellt sich (wie Ungarn) häufig gegen die EU, die Wahlen gewann er auch mit prorussischen Ansagen. In der EU wird seine Annäherung an Putin mit Argwohn gesehen. Die Slowakei (5,4 Millionen Einwohner) ist nicht nur Mitglied der EU, sondern seit 2004 auch der NATO. Nach dem Wahlsieg Ficos änderte das Land seine Ukrainepolitik, lieferte keine Waffen mehr und empfahl Gebietsabtretungen an Russland.

Der slowakische Premierminister Robert Fico am EU-Gipfel am 22. März 2024 in Brüssel
Der slowakische Premierminister Robert Fico am EU-Gipfel am 22. März 2024 in Brüssel
Picturedesk

Was weiß man über den Schützen?
Er wurde unmittelbar nach dem Attentat festgenommen, es handelt sich um den 71-Jährigen Juraj C. aus der Stadt Levice (80 Kilometer vom Tatort entfernt) handelt. Er arbeitete bei einem Sicherheitsdienst eines Einkaufszentrums in Levice und soll dort  2016 von einem Mann unter Drogen attackiert worden sein. Deshalb besaß er legal eine Waffe, laut der slowakischen Zeitung "Novy Cas" eine 9-Millimeter-Pistole des tschechischen Herstellers CZ.

Ist der mutmaßliche Täter amtsbekannt?
Laut einem Bericht des slowakischen Nachrichtenportals "aktuality.sk" wird Juraj C. in einem Akt des ehemaligen tschechoslowakischen Staatssicherheitsdienstes ŠtB aus dem Jahr 1989 erwähnt. In dem Akt würde berichtet, dass der Mann ein "Rebell" sei und gegen die Kommunisten agitiere. Dieser Akt sei mittlerweile im Zuge der Aufarbeitung der kommunistischen Ära online einsehbar.

Stimmt es, dass der Attentäter Schriftsteller ist?
Zumindest Amateur-Schriftsteller. Innenminister Matus Sutaj Estok sagte dazu am Abend: "Ich denke, ich kann das bestätigen, ja." Der Sender ta3 schreibt, dass Juraj C. drei Gedichtbände geschrieben habe und Mitbegründer des Rainbow Literary Club sei. Er ist auch Mitglied der Slowakischen Schriftstellervereinigung SSS.

Was weiß man über die Hintergründe?
Innenminister Matúš Šutaj Eštok sagte am Donnerstag, es handle sich bei dem Mann um einen "einsamen Wolf, der sich selbst radikalisiert habe. "Ich kann bestätigen, dass der Verdächtige kein Mitglied einer radikalisierten politischen Gruppierung ist, weder einer rechten noch einer linken", so der Innenminister. Ermittelt wird wegen versuchten Mordes. Nach dem Attentat tauchte ein Handyvideo auf. Es zeigt den mutmaßlichen Täter auf der Polizeistation, seine Hände sind auf den Rücken gefesselt. Er sei "gegen die Regierung", sagt er darin. Das Video nimmt die Regierungskoalition zum Anlass, die Opposition für den Anschlag verantwortlich zu machen.

Matus Sutaj Estok, Innenminister der Slowakei (l.) auf einer Pressekonferenz mit Verteidigungsminister Robert Kalinak im F. D. Roosevelt University Hospital
Matus Sutaj Estok, Innenminister der Slowakei (l.) auf einer Pressekonferenz mit Verteidigungsminister Robert Kalinak im F. D. Roosevelt University Hospital
Picturedesk

Wer führt derzeit die Amtsgeschäfte von Robert Fico?
Am Donnerstag wurde festgelegt, dass der Verteidigungsminister und stellvertretende Premier Robert Kaliňák die Amtsgschäfte des schwer verletzten Robert Fico bis zu dessen Genesung übernehmen wird.

Warum sprach der Innenminister von einem drohenden Bürgerkrieg?
Die Stimmung in der Slowakei ist seit Monaten aufgeheizt, das Verhältnis zwischen Regierung und Medien vergiftet. Aus dem, was gesät worden sei, sei ein Gewitter geworden, sagte Innenminister Matúš Šutaj Eštok. "Wir stehen vor einem Bürgerkrieg."

Wieso gibt die Regierung den Medien die Schuld?
Sie fühlt sich durch die Berichterstattung verfolgt. Mehrere Minister machten am Mittwoch die Presse für das Attentat (mit-)verantwortlich. Andrej Danko, Vorsitzender der ultrarechten Slowakischen Nationalpartei (SNS), die der Regierungskoalition des Linkspopulisten Fico angehört, sagte an die Adresse von Journalisten: "Sind Sie jetzt zufrieden? Sind Sie?" Für seine Partei beginne ein "politischer Krieg". Für die Medien werde es Veränderungen geben.

Worin liegen die Wurzeln des Konflikts?
2018 musste Premier Fico zurücktreten, nachdem im Februar der Journalist Ján Kuciak und seine Verlobte ermordet worden waren. In einem Artikel, der nach seinem Tod veröffentlicht wurde, deckte Kuciak Verbindungen zwischen der italienischen Mafia und der Fico-Regierung auf. Das Verbrechen löste in der Slowakei eine Protestwelle gegen die Regierung aus. Die Gräben, die damals aufgerissen wurden, stehen heute noch offen.

Hatte Fico eine Vorahnung?
Anfang April prangerte Fico auf Facebook die politische Stimmung im Land und die Spaltung an. "Auf der Straße werden Regierungspolitiker grob beleidigt, und ich warte nur darauf, dass dieser Frust zu einem Mord an einem der führenden Regierungspolitiker führt", postete er. "Und ich übertreibe keinen Millimeter."

Akt. Uhr
#News
Newsletter
Werden Sie ein BesserWisser!
Wissen, was ist: Der Newsletter von Newsflix mit allen relevanten Themen des Tages und den Hintergründen dazu.