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"pfizer-gate"

Corona-Impfung: EU-Chefin soll Phantom-SMS herausrücken

2021 schloss Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für die EU einen Impf-Deal mit Pfizer ab. Via SMS, die angeblich weg sind. Jetzt ordnete das Gericht der Europäischen Union (EuG) die Herausgabe an. Die Hintergründe, was nun passiert.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen besucht eine Produktionsstätte von Pfizer-BioNtech
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen besucht eine Produktionsstätte von Pfizer-BioNtechPicturedesk
Christian Nusser
Akt. 14.05.2025 22:40 Uhr

Es war ein sensibler Zeitpunkt. Am 19. Februar 2024 gab Ursula von der Leyen bekannt, dass sie eine zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin anstrebt. Zur ersten war sie auf eher unrühmliche Weise gekommen. Sie kandidierte nicht als Spitzenkandidatin, sie war überhaupt erst gar nicht angetreten bei der Europawahl und hatte auch nie geäußert, Lust auf den Job zu haben.

Die damalige deutsche Verteidigungsministerin wurde erst aus dem Hut gezaubert, als man sich auf niemand anderen einigen konnte – und weil das die Franzosen gut fanden. Viele Wählerinnen und Wähler fühlten sich dagegen hintergangen.

Nu wollte sie den Job, den sie erst nicht wollte, noch einmal für fünf Jahre haben und es klappte. Von der Leyen wurde von der Europäische Volkspartei (EVP) aufgestellt und nach der EU-Wahl am 9. Juni erneut Kommissionspräsidentin.

Albert Bourla, Vorstandsvorsitzender von Pfizer, bei einer Diskussion am World Economic Forum (WEF) in Davos
Albert Bourla, Vorstandsvorsitzender von Pfizer, bei einer Diskussion am World Economic Forum (WEF) in Davos
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Im Frühjahr 2024 allerdings waren Gewitterwolken aufgezogen und sie holten die deutsche Politikerin jetzt ein. Ihr geheimer Impfdeal mit Pfizer soll nicht länger geheim bleiben. Am Dienstag entschied das Gericht der Europäischen Union (EuG) nun – nicht rechtskräftig –, dass von der Leyen ihren SMS-Kommunikation mit dem Pharma-Unternehmen öffentlich machen muss. Was es über die Affäre zu wissen gibt:

Worum geht es eigentlich?
Am 20. Mai 2021 schloss die EU ihren bisher größten Vertrag mit einem Privatunternehmen ab, er hatte ein Volumen von 35 Milliarden Euro. Die Kommission bestellte bei Pfizer und BioNTech 1,8 Milliarden Impfdosen "Comirnaty", sie sollten in zwei Etappen von je 900 Millionen Stück geliefert werden.

Was war der Hintergrund?
Die Pandemie bog zu diesem Zeitpunkt ins zweite Jahr ein, mehrere Unternehmen hatten Impfstoffe entwickelt, es herrschte ein weltweiter Wettkampf um die Dosen. Die EU, deren Mitgliedsstaaten bis dahin in gewohnter Manier weitgehend auf eigene Faust agiert hatten, einigte sich auf ein gemeinsames Vorgehen, aber das warf schon bald danach viele Fragen auf.

Welche denn?
Es gab eine Vorgeschichte. Teams der Kommission, in denen sich auch Vertreter der Mitgliedsstaaten befanden, hatten mit Pfizer bereits zwei Lieferverträge ausgehandelt. Sie wurden am 17. Februar 2021 (200 Millionen Dosen) und am 19. April 2021 (100 Millionen Dosen) fixiert. Dann aber nahm Ursula von der Leyen das Heft selbst in die Hand.

Warum?
Darüber gibt es nur Spekulationen. Fakt ist: Der Kommissionspräsidentin war in der Krise Tatenlosigkeit vorgeworfen worden, nun wollte sie ofenbar Stärke vermitteln. Sie begann den dritten Vertrag auf eigene Faust und nur im kleinen Team zu verhandeln – ohne dafür von der EU autorisiert worden zu sein. Es ging wie gesagt immerhin um über 1,8 Milliarden Impfdosen.

2021 liefert sich die EU einen Wettlauf im Impfstoffe
2021 liefert sich die EU einen Wettlauf im Impfstoffe
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Wie nahm die Affäre ihren Lauf?
Es lief anfangs vermeintlich nicht schlecht, aber dann prahlte von der Leyen mit ihren guten Beziehungen zu Albert Bourla, dem Pfizer-Vorstandsvorsitzenden, und das nicht nur intern.

Sondern?
Am 28. April 2021 erschien ein Artikel in der "New York Times", er war mit einem wunderhübschen Foto der Kommissionschefin versehen, aufgenommen an einem Sonntag im Abendlicht im Berlaymont-Gebäude in Brüssel, verriet der Bildtext. In der "New York Times" war zu lesen, dass von der Leyen und Bourla schon seit Jänner in intensivem Kontakt standen, aber nicht nur das.

Stolperte die EU-Chefin über ihre Eitelkeit?
Könnte gut sein. Der Pfizer-Boss war jedenfalls voll des Lobes über sie. Er habe eine Bindung zu ihr entwickelt, sagte er der Zeitung. "Mehrere Führungspersönlichkeiten der Welt würden sich an mich wenden, von Präsidenten oder Premierministern und Königen bis hin zu Generalsekretären von Organisationen", aber er und Frau von der Leyen hätten "ein tiefes Vertrauen aufgebaut, weil wir in intensive Diskussionen verwickelt waren".

Warum wurde die Schwärmerei zum Problem?
Von der Leyen und Bourla kommunizierten via Telefon, vor allem aber via SMS miteinander. Die "New York Times" wollte schließlich wissen, worum es dabei genau ging, ob es absprachen gab und verlangte Einsicht in den Schriftverkehr. Die Kommission lehnte das an.

Mit welcher Begründung?
Die Verträge und alles Drumherum würden der Geheimhaltung unterliegen, auch einigen Regierungen und Privatpersonen stieß das sauer auf. Selbst die EU-Ombudsfrau Emily O'Reilly und der Europäische Rechnungshof erkundigten sich, was in den Textnachrichten stand. Sie wurden abgeschasselt. Es seien keine Dokumente vorhanden, die in ihren Geltungsbereich fallen würden, wurde ihnen beschieden.

Gibt Impfstoffe in der EU frei: Das Hauptquartier der European Medicines Agency (EMA) in Amsterdam
Gibt Impfstoffe in der EU frei: Das Hauptquartier der European Medicines Agency (EMA) in Amsterdam
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Was passierte danach?
Das Nachrichtenportal "Politico" berichtete, dass Ermittler der Europäischen Staatsanwaltschaft (EPPO) den Fall übernommen hätten. Zuvor hatten sich bereits belgische Staatsanwälte um die Affäre bemüht. Der belgische Lobbyist Frédéric Baldan brachte Anfang 2023 in Lüttich eine Strafanzeige gegen von der Leyen ein, die ungarische Regierung schloss sich an.

Was machte die "New York Times"?
Sie brachte am 25. Jänner 2023 eine Klage gegen die Kommission auf den Weg, nachdem ihr der Einblick in die Pfizer-Dokumente verwehrt worden war. Auch die deutsche "Bild" klagte und bekam daraufhin ein paar Dokumente ausgehändigt, die wenig zur Erhellung beitrugen.

Was war jetzt mit den SMS?
Die waren offenbar unauffindbar, die Kommission wollte zunächst nicht einmal ihre Existenz bestätigen. Bei der Untersuchung von EU-Ombudsfrau Emily O'Reilly stellte sich heraus, das die Kommission das Büro von der Leyens nicht einmal aufgefordert hatte, danach zu suchen. Die damalige EU-Kommissarin für Werte und Transparenz, Věra Jourová, räumte ein, dass die Textnachrichten aufgrund ihrer "kurzlebigen, vergänglichen Natur" gelöscht worden sein könnten.

Warum hat von der Leyen Erklärungsbedarf
Etwa weil ungeklärt ist, wieso der Preis für Pfizer-Impfungen im dritten Vertrag um 25 Prozent in die Höhe schoss, obwohl von der Leyen doch so gute Drähte zum Vorstandschef hatte? Ob zu viel bestellt wurde? 2023 mussten Dosen um vier Milliarden Euro vernichtet werden, schreibt die "NZZ".

Wirkt heute fast wie aus einer anderen Welt: ein Corona-Impfpass
Wirkt heute fast wie aus einer anderen Welt: ein Corona-Impfpass
Jürgen Schott / ChromOrange / picturedesk.com

Was passierte nun am Mittwoch?
Das Gericht der Europäischen Union (EuG) in Luxemburg entschied, dass Von der Leyen die Textnachrichten herausrücken muss. Konkret, dass die Anfrage der Journalistin von der "Times" nicht hätte ablehnen werden dürfen.

Gibt es die SMS noch?
Das ist unklar. Sie könnten noch existieren, aber auch dauerhaft gelöscht worden sein. Paolo Stancanelli, ein Anwalt, der die Kommission vertritt, sagte während einer Anhörung im November : "Ich kann Ihnen nicht sagen, seit wann sie existierten oder ob sie noch existieren."

Was sagt das Gericht?
"Die Kommission kann nicht einfach behaupten, dass sie die angeforderten Dokumente nicht besitzt, sondern muss glaubwürdige Erklärungen liefern, die es der Öffentlichkeit und dem Gericht ermöglichen zu verstehen, warum diese Dokumente nicht gefunden werden können", hieß es in einer Pressemitteilung.

Und es wurde noch eindeutiger, oder?
Ja. Die Kommission habe es außerdem "versäumt, plausibel zu erklären", warum sie der Ansicht sei, dass die zu einem so wichtigen Thema – der Beschaffung von Impfstoffen für eine öffentliche Gesundheitskrise – ausgetauschten Nachrichten keine wichtigen Informationen enthielten, fügte das Gericht hinzu.

Muss von der Leyen die SMS nun fix herausrücken?
Nein, die Kommission kann gegen die Entscheidung Berufung einlegen. Dann entscheidet der Europäischen Gerichtshof (EuGH) als nächsthöherer Instanz.

Hat sie die EU schon geäußert?
Nein, es gab nur eine Erklärung, dass eine "ausführlichere Erklärung" folgen werde.

Christian Nusser
Akt. 14.05.2025 22:40 Uhr