Newsflix.at Logo
"Blaues Wunder"

Das Buch für einen Urlaub am Meer über einen Urlaub am Meer

Anne Freytag schreibt Jugendbücher, Liebesromane und Thriller. Und ab und zu auch große Literatur. Ihr neues Buch "Blaues Wunder" erzählt die Geschichte eines außergewöhnlichen Jacht-Urlaubs dreier Paare strikt aus Frauensicht. Angela Szivatz hat es gelesen.

Sieben Menschen sechs Tage an Bord einen Luxusjacht – darum geht es in "Blaues Wunder"
Sieben Menschen sechs Tage an Bord einen Luxusjacht – darum geht es in "Blaues Wunder"Getty Images
Angela Szivatz
Akt. 18.07.2025 02:22 Uhr

Urlaub auf einer Luxusjacht vor den Philippinen, nur sieben Personen und Personal, das sich um alles kümmert. Blauer Himmel, blaues Meer, ein paar Inseln mit Palmen drauf, jede Suite mit eigener Sonnenterasse und Jacuzzi, ein großzügiger Fitnessraum, Cocktails vor dem Abendessen. Bei der Vorstellung wird man schon neidisch. Doch bereits auf den ersten Seiten fängt der Zweifel an zu nagen …

Wem gehört die Jacht?
Walter Bronstein, dem superreichen Inhaber und Direktor des großen Schweizer Bankhauses Bronstein & Söhne. Gemeinsam mit seiner Frau Rachel hat er seine beiden Top-Mitarbeiter Ferdinand Mattern und Kilian Danneberg samt ihren Ehefrauen zu einem Sommer auf dem Meer an Bord seiner Jacht "Predator" (sic!)  eingeladen. Mit an Bord ist auch noch David, Anfang 20, der Sohn der Bronsteins.

Klingt doch verlockend, so ein Urlaub …
Ja, wenn da nicht das große Unausgesprochene wäre. Hinter all dem schönen Schein lauern Geheimnisse und Misstrauen. Das wird mit jedem der kurzen Kapitel deutlicher, die ausschließlich aus Sicht der drei Ehefrauen erzählt werden.

Wie klingt das?
Nora Mattern eröffnet die Reihe und gibt Einblick, erläutert, dass ihr Mann immer schon mehr mit seiner Arbeit als mit ihr verheiratet war. Wenige kurze, teure Urlaube, eher der gemeinsamen Tochter zuliebe, wenig Sex und der durchschnittlich. Und dass er nun, vor Zeugen, den zärtlichen, erotischen Ehemann nur so lange gibt, bis sie wieder allein in ihrer Kajüte sind.

Angela Szivatz ist Autorin, Moderatorin und Literatur-Kritikerin für Newsflix
Angela Szivatz ist Autorin, Moderatorin und Literatur-Kritikerin für Newsflix
Helmut Graf

Wieso spielt Nora dabei mit?
Diese Frage stellt sie sich auch schon bald. Sie liebt das teure, luxuriöse Leben an seiner Seite. Hat ihren Teil der Vereinbarung eingehalten, in dem sie sich schlank, jugendlich und sexy gehalten hat, um Ferdinand damit zu schmücken. Sie ist sogar mit aufs Boot gekommen, obwohl sie Angst vor dem Meer hat. Nun langweilt sie sich, sehnt sich nach ihrer pubertären Tochter. Nora spielt alle Spielchen ihres Mannes für den Gastgeber mit, auch wenn noch niemand weiß, worum es in dem großen Spiel geht.

Und die zweite Ehefrau, Franziska?
Sie gesteht sich gleich zu Beginn ein, wie stark ihre Aggressionen gegen ihren Mann Kilian sind. Sie haben Zwillinge, ihr Mann hat Karriere gemacht, sie wurde Ehefrau. Sie fühlt sich so, wie sie aussieht, mittelalt und mürrisch. Seit sie Kilians Geheimnis entdeckt hat, ist sie wütend auf ihn, fantasiert, ihren Mann zu töten. Und ist trotzdem bei ihm geblieben. Dafür hasst sie inzwischen auch sich selbst. Trotzdem kämpft sie weiter, um dem "Team Danneberg" einen Vorteil zu verschaffen, auch wenn nicht klar ist, welcher das sein wird.

Wie ticken ihre Männer?
Ferdinand Mattern kann man ruhigen Gewissens als Kriecher bezeichnen. Er ist bereit, fast alles zu tun, um der Nachfolger von Walter Bronstein zu werden. Obwohl aus gut situiertem Haus, war es ein Haus des Schweigens. Ferdinand hat das mit Charme und Galanterie ausgeglichen, vor allem aber mit verbissenem Ehrgeiz: "Ferdinand verschwendet keine Worte, er platziert sie." Mit Erfolg, denn nun ist er dem Zentrum der Macht ganz nahe. Unwillkürlich tauchen Assoziationen zu einem erst kürzlich inhaftierten Ex-Politiker auf …

Wie ist sein Konkurrent Kilian?
Kilian ist kein übler Kerl, auch wenn er von seiner Frau Franziska zu Beginn so dargestellt wird. Später erinnert sie sich daran, dass es auch glückliche Jahre zwischen ihnen gab. Kilian ist ebenfalls sehr wohlhabend, ein Mann zum Angeben, aber auch einer, der zu seiner Frau sagt: "Ich werde dich nie verlassen" – und das auch ehrlich meint.  Sympathisch, humorvoll und menschlich, vielleicht gerade wegen seines Geheimnisses: Kilian ist schwul, was niemand wissen darf. Das würde ihn nicht nur den Job kosten. Seine Frau weiß es, leidet, genießt aber auch die Macht, die sie dadurch über ihn bekommen hat. Mit einem Satz könnte sie seine Karriere vernichten.

"Blaues Wunder" von Anne Freytag, Roman, 254 Seiten, 2025 Kampa Verlag, € 25,50
"Blaues Wunder" von Anne Freytag, Roman, 254 Seiten, 2025 Kampa Verlag, € 25,50
Kampa Verlag

Worum kämpfen die beiden?
Sie hoffen auf die Nachfolge von Walter Bronstein im Bankhaus. Der Direktor ist sterbenskrank, auf der Reise will er seinen Nachfolger küren. Walter ist ein herrischer, harter, gefühlskalter Mensch mit einer sadistischen Ader. So nötigt er Nora, schwimmen zu gehen, obwohl sie Angst davor hat, weil ihre Schwester ertrunken ist. Nach dem Dinner quält er seine Gäste gern mit erniedrigenden Spielen.

Hat er auch ein Geheimnis?
Ja, wie fast alle im Buch. Er hat sogar mehrere. Erstens schlägt er seine Frau Rachel. Als Entschuldigung kauft er ihr teuren Schmuck. Zweitens lädt er alle, die es bis ins Top-Management geschafft haben, auf "Incentives" ein, Reisen, bei denen es Geld zum Verspielen, Kokain, Ecstasy und andere Drogen sowie Prostituierte gibt. Das größte Geheimnis aber kennen nur er und seine Frau: Die wahre Erbin der Bank wäre sie gewesen, sie wurde aber vom eigenen Vater übergangen. Walter hat ihren Namen angenommen, um Bronstein & Söhne leiten zu können.

Wieso hat sich Rachel das bieten lassen?
Diese Frage beschäftigt sie seit Jahrzehnten. Ihr jähzorniger Vater hatte sie nie wie einen Menschen behandelt, weil sie kein Sohn war. Mit Walter hingegen hatte er sich besser verstanden als mit irgendjemandem sonst. Also zwang er seine Tochter, einen Ehevertrag zu unterschreiben, der ihr alles nahm und sie zu Stillschweigen verpflichtete, andernfalls würde sie alles verlieren. Sie sucht sich Ventile wie bezahlte Sexpartner oder heimliche Affären und bleibt trotz der Ehe mit einem Tyrannen warmherzig und großzügig – bis zum Schluss.

Ist nicht auch ihr Sohn mit an Bord?
Ja, David, Anfang 20, der eher unwillig mitgekommen ist. Ein gutaussehender, lässiger Bursche, der seine Empathie und Sanftheit hinter trotzigem Schweigen und demonstrativem Rauchen versteckt. Walter ist ständig ungehalten und genervt von ihm. David beginnt mit der 20 Jahre älteren Nora zu flirten. Sie steigt drauf ein, gibt sich sexuellen Phantasien hin und es entsteht mehr als nur Knistern.

Was passiert noch?
Die Handlung dieses abgründigen Kammerspiels nachzuerzählen, würde den Lese-Genuss sehr schmälern. Besser, den Fokus auf die großartig gezeichneten Charaktere und scharfsinnigen, teils bissigen Beobachtungen der drei Erzählerinnen zu legen. Zunächst wird noch elaboriert geplaudert, gelacht und gescherzt. Doch die Fassaden in der Welt von Reich und Schön bekommen rasch Risse, bröckeln teilweise auch auseinander. Jede der Frauen macht eine Entwicklung durch und geht, auf unterschiedliche Art und ihren Wünschen näher als zuvor, nach sechs Tagen gestärkt und unabhängiger von Bord.

Wer ist die Autorin Anne Freytag?
Sie wurde 1982 in München geboren, studierte Internationales Management und hat sich dann aus Jobmangel zur Grafikdesignerin umschulen lassen. Nach unerquicklichen Erfahrungen in diversen Agenturen ist sie ihrem Traum nachgegangen: dem Schreiben. Die Vielschreiberin, die auch unter den Pseudonymen Anne Sonntag und Ally Taylor Jugendromane, sowie Romance, Krimis und Thriller publiziert, legt mit "Blaues Wunder" ihren zweiten literarischen Roman vor. 2024 erschien von ihr "Lügen, die wir uns erzählen".

Hat sie schon Preise gewonnen?
Anne Freytag führte seit 2016 mehrfach Bestenlisten an. Sie wurde für einen ganze Reihe von Literaturpreisen nominiert und auch mit einigen ausgezeichnet – unter anderem dem Bayerischen Kunstförderpreis.

Während des Studiums begonnen zu Schreiben und nie wieder damit aufgehört: die Autorin Anne Freytag alias Ally Taylor
Während des Studiums begonnen zu Schreiben und nie wieder damit aufgehört: die Autorin Anne Freytag alias Ally Taylor
Jens Kalaene / dpa Picture Alliance / picturedesk.com

Was sagt die Autorin selbst über ihr Schreiben?
"Damit angefangen habe ich während des Studiums – wieso, kann ich nicht sagen. Ich hatte diese drei Stimmen im Kopf, die nicht zu mir gehörten und die zu mir gekommen waren, die Stimmen meiner ersten Protagonistinnen. Ich hatte keine Ahnung, was ich tat, aber am Ende war es ein Roman – ohne Struktur, ohne Spannungsbogen, keine drei Akte, viele Längen, viele Seiten. Seitdem habe ich nie mit dem Schreiben aufgehört und zahlreiche Romane geschrieben – mit mehr Struktur, Spannungsbögen, weniger Längen und weniger Seiten."

Ist "Blaues Wunder" empfehlenswert?
Ein ganz klares JA! Die sprachliche Genauigkeit, die schonungslose auch Selbst-Betrachtung der drei Erzählerinnen als "Nur-Ehefrauen", die Demontage der männlichen Egos, die schwebende Drohung über der Fahrt auf der Luxusjacht, das alles stellt Freytag packend und sehr nachvollziehbar dar. Kaum hat man das Buch zu lesen begonnen, kann man sich seinem Sog nicht mehr entziehen, möchte man wissen, wie alles ausgeht. Perfekte Unterhaltung auf hohem Niveau!

"Blaues Wunder" von Anne Freytag, Roman, 254 Seiten, 2025 Kampa Verlag, € 25,50

Angela Szivatz ist Autorin, Moderatorin und Bloggerin ("Oma aus dem Kirschbaum"). Für Newsflix schreibt sie über aktuelle Literatur. Sie lebt in Wien. Ihr erster Krimi "Tödliches Gspusi" ist eben erschienen.

Angela Szivatz
Akt. 18.07.2025 02:22 Uhr