Die Feministin und Geschlechterforscherin Beatrice Frasl entzaubert die Romantik. Die große Liebe schade vor allem den Frauen, erläutert die Autorin in ihrem neuen Buch "Entromantisiert euch! – Ein Weckruf". Angela Szivatz hat es gelesen.
"Sie werden mich hassen für dieses Buch über die Liebe."
Gleich der erste Satz sitzt. Die Feministin Beatrice Frasl gibt in ihrem neuen Buch die romantische Liebe zum Abschuss frei. "Entromantisiert euch! Ein Weckruf" seziert romantische Liebesbeziehungen bis aufs Skelett. Das Ergebnis dieser Autopsie: Die sogenannte "romantische Liebe" schadet vor allem den Frauen, die sich darauf einlassen.
Wie die Autorin zu diesem Schluss kommt, welchen alternativen Partnerschafts-Formen sie den Vorzug gibt und ob romantische Beziehungen überhaupt für etwas gut sind – was man über Beatrice Frasl und ihr neue Buch wissen muss:
Wer ist Beatrice Frasl?
Die 1987 in Hollabrunn geborene Autorin, Podcasterin, Kolumnistin, Kulturwissenschafterin und Feministin studierte Anglistik, Amerikanistik und Gender Studies an der Universität Wien und in Großbritannien. Sie schreibt und hält Vorträge und Workshops in den Bereichen Feminismus, Geschlechterforschung und Queer Studies.
Womit wurde die Publizistin bekannt?
Ihr Podcast "Große Töchter – der feministische Podcast für Österreich", den sie 2018 startete, bespricht Beatrice Frasl gesellschaftliche und feministische Themen mit Gästen wie den Politikerinnen Heide Schmidt, Maria Rauch-Kallat, Gabriele Heinisch-Hosek oder Sigrid Maurer. Auch Natascha Kampusch war bei ihr bereits zu hören.
Ist "Entromantisiert euch!" das erste Buch von Beatrice Frasl?
Nein, bereits 2022 erschien "Patriarchale Belastungsstörung", in dem sie herausarbeitet, was das Patriarchat mit der Diagnose von Krankheiten zu tun hat und wie sehr Medizin und Forschung immer noch am Mann orientiert sind.
Worum geht es in ihrem neuen Buch?
Die Autorin formulierte mit "Entromantisiert euch!" eine Kampfschrift gegen heterosexuelle romantische Beziehungen und das Patriarchat. Sie spannt dabei den Bogen von der "großen Liebe", die sie als Lüge entlarvt, über die negativen Folgen heterosexueller Paarbeziehungen bis zur immer stärker wahrnehmbaren Tendenz zur Verweigerung, vor allem unter jüngeren Frauen.
Was ist so schlecht an der "großen Liebe"?
Vieles, beinahe alles, sagt Feministin Frasl.
Aber weshalb?
Weil sie als "die einzig wahre Liebe" gilt und unsere Sprache und Vorstellungen so dominiert, dass sie andere innige, liebevolle Beziehungen, etwa Freundschaften oder innerhalb der Familie, in den Schatten stellt. Und weil Singles als vereinsamt gelten, auch wenn sie oft lebenslange erfüllte Beziehungen mit Geschwistern, Eltern oder Freunden haben, so die Autorin.
Wenn man aber dennoch in einer romantischen Liebe lebt, ist alles gut?
Eher nein. Heterosexuelle Paarbeziehungen seien ideologisch stark aufgeladen und dienten vor allem den patriarchalen Verhältnissen in unserer Gesellschaft, analysiert Beatrice Frasl.
Was ist damit gemeint?
Heterosexuelle Ehen oder Partnerschaften würden vor allem für Frauen mit viel (Selbst-)Ausbeutung einhergehen: Kinder kriegen und aufziehen, der Großteil der Haus- und Care-Arbeit, oft auch für alternde Angehörige des Partners. Um das erträglich zu machen, wurde und wird für Frauen die Romantik quasi als Droge bemüht – verabreicht etwa in Form von Filmen und Serien.
Aber war das denn nicht immer so?
Ganz und gar nicht. Wissenschaftlich ist belegt, wie jung das Ideal der bürgerlichen Kleinfamilie – die Kernzelle romantischer Liebe – ist: etwa 300 Jahre. Davor lebte man in Großfamilien mit mehreren Generationen.
Wann hat sich das geändert?
Mit der Industrialisierung und den sich daraus ergebenden Entwicklungen im Arbeitsleben, wurden auch die Zuschreibungen an "männliche" und "weibliche" Aufgaben in einer Partnerschaft andere. Und die Romantik wurde mehr und mehr zum Werkzeug der Unterdrückung der Frauen durch Patriarchat und Kapitalismus, so Frasl.
Was ist an Romantik und Verliebtheit schlecht?
Beatrice Frasls Analyse zu diesem Thema liest sich sehr unterhaltsam: Jeder kennt diesen außerordentlichen Zustand aus eigener Erfahrung, den auch Experten und Ärzte so beschreiben: Als wäre man plötzlich übergeschnappt, high, verblödet, körperliche Symptome wie in einer Hochschaubahn.
Was ist dafür verantwortlich?
Serotonin, Oxytocin, jede Menge körpereigene opiumähnliche Botenstoffe jagen durch uns hindurch und gaukeln uns Seelenverwandtschaft und emotionale Erfüllung vor. Und schon sind wir gefangen. Dabei gehe es bei dieser emotionalen Hochschaubahnfahrt in erster Linie um Reproduktion, mit Liebe habe das gar nichts zu tun, meint die Autorin.
Ist das tatsächlich so?
Im Buch wie im Leben gibt die Wissenschaft Frasl recht. Im Schnitt dauert die (unterschiedlich intensive) romantische Phase einer Beziehung maximal vier Jahre. In der Zeit ziehen sich Frauen aus Freundschaften zurück und beginnen zu vereinsamen, Männer pflegen ohnehin nur wenige Freundschaften.
Und am Ende der vier Jahre "high"?
Dann trennt man sich entweder und bei vielen geht der Liebes-Reigen von vorne los – oder man bleibt in einer Partnerschaft mit steigender Unzufriedenheit und Ungleichheit sowie einer um 50 Prozent höheren Aussicht auf Altersarmut für die Frauen.
Also kein "Bis dass der Tod uns scheidet"?
Dieses Gelöbnis hat für Frauen leider viel zu häufig eine fatale Bedeutung. Die Statistiken zum Thema "Männliche Gewalt in heterosexuellen Paarbeziehungen" sind erschütternd und die Zahlen steigen von Jahr zu Jahr. "In Österreich wurden 2023 42 Frauen ermordet. Außerdem haben 51 Männer oder Ex-Männer versucht, ihre Frauen oder Ex-Frauen zu ermorden", schreibt Beatrice Frasl.
Woran liegt das?
Vor allem daran, wie Männer und Frauen immer noch sozialisiert werden. Frauen sorgen für die Beziehungsarbeit und Kommunikation, sie holen sich eher Hilfe in Krisen oder schütten ihr Herz aus. Männer werden hingegen spätestens ab der Jugend darauf gepolt, keine Gefühle zu zeigen, sich an Macht und Besitz zu orientieren und sich – meist unbewusst - über Frauen stehend zu sehen.
Ändern sich hier die Verhältnisse nicht gerade?
Es sieht nicht danach aus. Bewegungen wie #metoo haben gezeigt, wie viele Gewalt- und Missbrauchsthemen gegenüber Frauen wieder und wieder unter den Teppich gekehrt wurden und werden.
Gleichzeitig scheint die Sehnsucht nach Romantik ungebrochen, oder?
Naja. Einerseits boomt das Geschäft rund um die Romantik: Valentinstags-Hype, bombastische Hochzeitsplanungen, Dating- und Hochzeits-Shows auf allen Sendern. Und um sich am "Dating-Markt möglichst attraktiv zu zeigen, werden oft Unsummen investiert.
Aber?
Dieser Boom, so Buchautorin Frasl, habe mittlerweile bereits zu einer Ent-Romantisierung geführt, weil vielen zunehmend bewusst wird, dass man sich auf den diversen Plattformen inzwischen selbst feil bietet wie früher auf dem Heiratsmarkt.
Wie äußert sich das?
Dinge haben immer weniger Bestand. Dazu kommen Tendenzen, die im früheren analogen Leben undenkbar waren, etwa das "Ghosten", also ein plötzlicher Kommunikationsabbruch. Vor allem Frauen haben auf solche Spielchen immer weniger Lust und ziehen sich zurück.
Gibt es dafür Belege?
Dating-Plattformen verzeichneten in den letzten beiden Jahren deshalb starke Umsatzeinbußen. Die Plattform Bumble etwa hat sich durch eine als Reaktion darauf gestartete "Anti-Zölibatskampagne" einen Mega-Shitstorm eingehandelt.
Und eine Abkehr von Romantik ist eine Lösung des Problems?
Darauf geht die Autorin im dritten Teil ihres Buches ein, wo sie neue gesellschaftliche Entwicklungen beschreibt: Aktuell würden vor allem weibliche Celebrities immer wieder mit einer Absage an die "hetero-romantische Paarbeziehung" für Aufsehen sorgen, so Frasl.
Wer zum Beispiel?
Beatrice Frasl führt etwa die Schauspielerinnen Julia Fox ("Der Schwarze Diamant"), Kim Cattrall ("Sex and the City"), Whoopi Goldberg ("Sister Act") oder Ex-Supermodel Linda Evangelista an. Viele Frauen würden Männerbeziehungen heute nur noch "ambulant" führen.
Lässt sich das auch gesamtgesellschaftlich beobachten?
Offensichtlich. Vor allem unter jüngeren Frauen gibt es immer mehr (radikal)-feministische Entwicklungen wie die "4B"- bzw. "4 Nos"-Bewegung". Damit ist gemeint: kein Sex mit Männern, keine Kinder, kein Dating, keine Heirat. Und auf Social Media steigt der Content zum Schlagwort "boy sober" rasant – damit wird eine "Männer-abstinente" Lebensweise beschrieben.
Geht es der Autorin um die Abschaffung der Liebe?
Nein, und das betont sie auch explizit. Aber sie ist gegen deren "dominanteste und unheilvollste Form – damit Platz entsteht, um unser Verständnis von Liebe, von Beziehung, von Verbindung, von Familie neu zu sortieren."
Da geht es aber vor allem um den höchstpersönlichen Zugang zum Thema, oder?
Auch in rechtlicher Hinsicht wäre es wichtig, den Begriff Familie anders und weiter zu definieren, so Frasl. Zum Beispiel, um als Angehörige der besten Freundin im Krankenhaus ärztliche Auskunft zu bekommen, oder auch, um vertreten oder vererben zu dürfen.
Was hat das jetzt mit romantischer Liebe zu tun?
Aus Sicht der Autorin sehr viel. Sie möchte generell "mehr Liebe", so Beatrice Frasl. Und sie ist gleichzeitig davon überzeugt, dass "die romantische Liebe dieser Liebe im Weg ist".
Lohnt es sich, das Buch zu lesen?
Ein klares Ja. Wer bei der Lektüre in sich hinein horcht, profitiert davon. Auch wenn Frasl gelegentlich vage bleibt, der Großteil ihrer Arbeit ist wissenschaftlich gut fundiert, ihre Erläuterungen sind gut hergeleitet. Dabei liest sich das Buch trotzdem leicht und witzig.
Gibt es noch einen weiteren Bonus für Leser?
Frasl untermauert im Anhang ihre Argumente mit Playlists von "Entromantisierungsliedern", eine charmante Idee. Und ihr Plädoyer, Freundschaften und weitere Beziehungsformen in den Vordergrund zu holen, ist wichtig für die gesellschaftliche Entwicklung.
"Entromantisiert euch! Ein Weckruf" von Beatrice Frasl, 279 Seiten, 2025 Haymon Verlag, Hardcover, € 25,50
Angela Szivatz ist Autorin, Moderatorin und Bloggerin ("Oma aus dem Kirschbaum"). Für Newsflix schreibt sie über aktuelle Literatur. Sie lebt in Wien. Ihr erster Krimi "Tödliches Gspusi" ist eben erschienen.