"Horror-König" Stephen King hat seinen neuen Roman vorgelegt, er erscheint wenige Tage nach dem Amoklauf in Graz. "Kein Zurück" beschreibt die kriminelle Energie eines Serienkillers und eines religiösen Fanatikers in Trumps USA. Angela Szivatz hat den Krimi gelesen.
Was man sagen kann: Der Mann ist vom Fach. Stephen King hat der Welt Lesestoff für die Ewigkeit geschenkt. Von "Shining" über den "Friedhof der Kuscheltiere" bis zu "The Green Mile", seine Bücher sorgen seit Jahrzehnten für Grusel. Nicht weniger als 74 wurden verfilmt.
Dieser Tage erschien der neue Roman. "Kein Zurück" ist eingebettet in die aktuelle Situation der USA unter Donald Trump. King nimmt die Debatten über Abtreibung und Feminismus auf. Was sie über Autor und Buch wissen müssen:
Muss man Stephen King noch vorstellen?
Eher nicht, aber vielleicht ein bisschen. Geboren 1947 in Portland, Maine. Der Mann schreibt gefühlt praktisch schon sein ganzes Leben lang und wurde mit Preisen überhäuft. Seine ersten Storys verkaufte er in den Sommerferien an Mitschüler oder veröffentlichte sie in der Schülerzeitung seines Bruders Dave. Schon mit 14 schickte er etliche Texte an Magazine. Mit satirischen Schulgeschichten handelte er sich als 16-jähriger Ärger, aber auch einen Job als Sportreporter bei einer Lokalzeitung ein.
Wie begann die Karriere?
In der Highschool verkaufte Stephen King seine ersten Geschichten für 60 Dollar. Als ihm für eine Story 100 Dollar angeboten wurden, fühlte er sich reich. Er studierte, arbeitete in der Bibliothek, heiratete, wurde Vater. Neben zwei Jobs und der Familie schrieb er in den Mittagspausen und nach der Arbeit, um das karge Einkommen aufzubessern. Sie wurden zwischen 1970 und 1973/74 in Männermagazinen wie Dude, Cavalier, Adam und Swank veröffentlicht. Eine längere Geschichte, "Sometimes they come back", wurde sogar mit 500 Dollar honoriert.
Wie wurde er zum Megaseller und Superstar?
Kings Ziel waren Horror-Geschichten und Drehbücher, woran er kontinuierlich weiterarbeitete, auch als er Lehrer wurde. Seinen späteren Bestseller "Carrie" warf er kurz nach Beginn in den Papierkorb. Dort fischte seine Frau Tabitha die Zettel heraus, las sie und ermunterte ihn, dranzubleiben.
Das hat sich ausgezahlt, oder?
Ja. Er sandte das Manuskript an einen befreundeten Lektor des Verlags Doubleday. Nach einem Vorschuss von 2.500 Dollar wurden die Taschenbuchrechte für 400.000 Dollar verkauft. Ebenso viel hatte Mario Puzo damals für "Der Pate" bekommen.
Ging es so weiter?
Auch "The Shining", 1977 erschienen und 1980 verfilmt von Stanley Kubrick mit Jack Nicholson, und der 1978 darauffolgende Roman "The Stand" (Deutsch – "Das letzte Gefecht") wurden Bestseller. Vor allem seine Horrorromane machten Stephen King zu einem der meistgelesenen und kommerziell erfolgreichsten Autoren der Gegenwart. Seine Bücher wurden über 400 Millionen Mal verkauft und in über 40 Sprachen übersetzt.
Kann er ausschließlich Horror?
Nein, King veröffentlichte unter dem Pseudonym Richard Bachman sieben höchst erfolgreiche Romane, unter anderem "Menschenjagd", der mit Arnold Schwarzenegger unter dem Originaltitel "Running Man" verfilmt wurde.
Warum ist dieses Buch gerade jetzt relevant?
Es geht darin um eine "Gameshow", in der jeweilige Kandidaten gejagt und möglichst medienwirksam getötet werden sollen. Der Roman wurde 1982 veröffentlicht und spielt in der nahen Zukunft. Diese "nahe Zukunft" ist das Jahr 2025.
Wie schaute die nahe Vergangenheit aus?
Stephen King hat drei Kinder, seine Tochter ist Pfarrerin, seine beiden Söhne sind ebenfalls Autoren. Mit Owen veröffentlichte er 2017 den Roman " Sleeping Beauties". Owen King war 2025 Gast auf der Leipziger Buchmesse.
Sein Leben hatte aber nicht nur Sonnenseiten, oder?
Nein, King wurde früh alkoholsüchtig, nahm später Drogen, Aufputschmittel und Kokain. 1987 machte er einen Entzug, er nimmt an Treffen der Anonymen Alkoholiker teil.
Worum geht es in seinem neuen Buch "Kein Zurück"?
Stephen Kings eben erschienener Roman ist ein gekonnter Psycho-Thriller mit zwei Handlungssträngen. Im ersten begleiten wir die psychopathischen Fantasien des Serienkillers Trig. Er will Rache an Geschworenen nehmen, die seiner Meinung nach einen Unschuldigen verurteilt hatten, der deshalb sein Leben verlor.
Im zweiten Strang geht es um gesellschaftspolitische hochaktuelle Auseinandersetzungen zu den Themen Feminismus, Klerikalismus und Abtreibung in den USA. Die Autorin und Frauenaktivistin Kate McKay tourt durchs Land, spricht sich für das Recht zur Abtreibung, für das Empowerment von Frauen und deren Befreiung von bevormundenden Männern aus. Sie wird beschimpft und mit Mord bedroht.
Das klingt politisch hochaktuell?
Ja, King widmet sich in den USA derzeit politisch hochaktuellen Themen.
Wie beginnt der Roman?
Trig ist ein weißer, unauffälliger Mann in mittleren Jahren, seit Jahren bei den Anonymen Alkoholikern. Schon im Prolog kündigt er seine Taten an. Er wird durch zwei Themen angestachelt: Von der Stimme seines toten Vaters, die er immer öfter in sich hört. Und von der Überzeugung, dass er Unschuldige töten muss, um die Schuldigen, also die Geschworenen, an ihrem schlechten Gewissen maximal leiden zu lassen.
Ab wann gibt es "Kein Zurück" mehr?
Schon nach dem ersten Mord warnt ihn seine eigene innere Stimme: "Wenn du das tust, gibt es kein Zurück mehr." (Zitat) Dennoch entscheidet er sich, zu handeln. Eine Anspielung auf die Politik Donald Trumps?
Was genau plant Trig?
Ein Rachefeldzug, den er mit einem Brief an die Polizei von Buckeye County ankündigt: Für den unschuldig verurteilten und im Gefängnis ermordeten Allen Duffrey sollen 12 Unschuldige sterben und ein besonders Schuldiger. Den Brief unterschreibt er mit dem Pseudonym "Bill Wilson", dem Namen des Gründers der Anonymen Alkoholiker (AA) 1935.
Folgen den Worten Taten?
Ja, Trig bewaffnet sich, schießt auf einem Wanderweg eine zufällig Vorbeikommende nieder und drückt ihr einen Namenszettel aus der Duffrey-Geschworenenliste in die Hand.
Wer ermittelt in dem Fall?
Die Kriminalpolizistin Izzy Jaynes, in den Dreißigern, sportlich und apart. Sie vertraut sich umgehend ihre Freundin Holly Gibney an, einer Privatermittlerin, die Stephen King-Fans schon aus der "Bill Hodges"-Trilogie und dem Roman "Holly" aus 2024 bekannt ist.
Sagt sie gleich zu?
Holly, die sich oft mit den einfachen Versicherungs-Fällen oder Betrugsgeschichten ihrer Privatdetektei "Finders Keepers" langweilt, fängt sofort Feuer. Obwohl sie ihrer Freundin verspricht, nicht auf eigene Faust zu ermitteln, beginnt sie sofort damit.
Was ist Holly für ein Typ?
Sie ist die weibliche Hauptfigur und klare Sympathieträgerin des Romans, man spürt, wie sehr King sie mag. Mit ihren widersprüchlichen Charaktereigenschaften – mutig, clever, lässig und ihrem Instinkt folgend, gleichzeitig mangelt es ihr an Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen – eignet sie sich sehr als Identitätsfigur bei Lesern.
Und der zweite Handlungsstrang?
Der dreht sich um Christopher/Chrissy Stewart. Sein Vater war religiöser Fanatiker in der "Real Christ Holy Church". Christopher entwickelt eine schizophrene Persönlichkeit. Aufgehetzt von den Führern der Kirche, verfolgt er die Autorin und Frauenaktivistin Kate McKay quer durch alle Bundesstaaten. Zur Warnung sendet er ihr Bibelsprüche.
Wie reagiert Kate McKay?
Nach außen hin ungerührt, aber nach einem Säure- und einem Milzbrand-Anschlag engagiert sie Holly als Bodyguard für sich und ihre junge Assistentin Corrie Anderson. Hier verbinden sich die beiden Handlungsstränge. Holly nimmt an, merkt aber bald, dass sie den Job nicht mag. Denn Kate denkt nicht daran, vorsichtig zu sein.
Was ist die politische Botschaft von Stephen King?
Diese Anlehnung an die zunehmenden extremen, rechten, auch religiös motivierten Gruppierungen in den USA der Ära Trump ist kein Zufall. In die Danksagungen von "Kein Zurück" stellt King eine "traurigerweise unvollständige Liste von Leuten, die das Entscheidungsrecht von Frauen unterstützt haben und ermordet wurden, weil sie ihre Pflicht taten".
Wie geht es weiter?
Trig setzt seine Mordserie seelenruhig fort und drückt jeder Leiche den nächsten Namen in die Hand. Erstaunt stellt er fest, dass ihm das Töten eine Art Befriedigung gibt, allmählich kann er es kaum mehr erwarten, mit einem seiner zwei Revolver weitere Menschen zu erschießen.
Gibt es Parallelen in den Handlungssträngen?
Ganz klare. Trig und Christopher leben beide ein Doppelleben, der eine als Anonymer Alkoholiker und gewissenloser Mörder, der andere als Transgenderperson mit Tötungsabsicht aus Rache an Abtreibungsbefürwortern. Beiden geht es um Bestrafung.
Auch zwischen Holly und Trig gibt es Parallelen. Beide werden im Inneren von den Stimmen ihrer toten Eltern geplagt. Hollys Mutter, eine perfektionistische Besserwisserin, nagt am Selbstwertgefühl ihrer Tochter. Trigs Vater beschämt, quält und verhöhnt seinen Sohn, wie er es schon in der Kindheit und Jugend im echten Leben mit ihm gemacht hat.
Gibt es Ähnlichkeiten zum Grazer Amoklauf?
Das wäre übertrieben, aber das Buch bietet Einblicke in die Psyche und Seelenstruktur von Extremtätern. Sie wirken im Alltag oft unauffällig, ihre Umgebung hätte ihnen die Verbrechen nicht zugetraut.
Wer kommt im Buch auf die richtige Fährte?
Holly und ihre Freunde entlarven allmählich die reale Identität des Serienkillers Trig und die des christlich-fanatischen Verfolgers von Kate McKay, Christopher/Chrissy. Die Polizei spielt in diesem Roman eher eine Nebenrolle. Nach 500 Seiten liegen fast alle Karten auf dem Tisch und es beginnt ein im Aufbau spannendes, wenn auch erahnbares Finale.
Was der Autor über seinen Roman sagt
Er ist selbst nicht vollkommen glücklich damit, wie er auch im Nachwort von "Kein Zurück" (Originaltitel: "Never Flinch") schreibt. Er gibt zu, dass er mehrere Fassungen überarbeiten musste und letztlich mit dem Ergebnis "zufrieden genug" war. Der Grund dafür ist eine Hüftoperation, die er im Herbst 2023 hatte, sie beeinträchtigte ihn, zeitweise konnte er nur mit der Hand schreiben.
Lohnt es sich, das Buch zu lesen?
Kommt darauf an. Für echte Fans von Stephen King stellt sich die Frage vermutlich gar nicht. King-Neulinge bekommen hier sicher nicht das Beste in die Hand. "Kein Zurück" zeigt Handlungen und Motivlage von Extremtätern sehr trocken. Die Ermittlungswege wirken etwas zerfledert. Auch in der Erzählstruktur kommt das Buch sehr ausgebreitet daher. Doch jugendlich, wie der 77-jährige wirkt, legt er vermutlich schon bald wieder etwas in der gewohnten Qualität nach.
"Kein Zurück" von Stephen King, Roman, 639 Seiten, Übersetzung aus dem Amerikanischen: Bernhard Kleinschmidt. Mai 2025, Heyne Verlag, € 29,50
Angela Szivatz ist Autorin, Moderatorin und Bloggerin ("Oma aus dem Kirschbaum"). Für Newsflix schreibt sie über aktuelle Literatur. Sie lebt in Wien. Ihr erster Krimi "Tödliches Gspusi" ist eben erschienen.