Eugen Freund lebte lange Jahre in den USA. Als viele noch woanders hinschauten, sagte er den Abgang von Joe Biden voraus. Nun hat der frühere Reporter und Politiker ein Buch über Donald Trump geschrieben. Es seziert den US-Präsidenten und das scheibchenweise.

Man ist nicht zwingend immer verrückt, wenn einem die anderen für verrückt halten. Im Oktober 2023 wagte sich Eugen Freund auf dünnes Eis, aber eine tiefe Überzeugung trug ihn. Er sagte voraus, dass Joe Biden seine Kandidatur zurückziehen werde. Da lag die US-Präsidentschaftswahl noch 13 Monate entfernt und Biden galt als probates Trump-Stoppschild.
Auf NewsFlix, wo Freund zum Expertise-Team gehört, wiederholte er am 22. März 2024 seine These. Da hatten die Demokraten schon entschieden, Biden erneut ins Rennen zu schicken. Er lehne sich erneut weit aus dem Fenster, schrieb Freund, aber "in den nächsten sechs Monaten wird der US-Präsident seine Kandidatur wieder rückgängig machen."
Er lag richtig, verschätzte sich nur um zwei Monate. Nach einem desaströsen TV-Auftritt legte der 81-jährige Biden, vom Alter schwer gezeichnet, seine Kandidatur tatsächlich zurück. Kamala Harris übernahm, aufhalten konnte sie Donald Trump nicht. Über dessen ersten Monate im Amt hat Eugen Freund Tagebuch geführt. Das müssen Sie zum Buch wissen:
Von welchem Buch ist die Rede?
Es trägt den Titel "Das Spiel mit dem Dritten Weltkrieg" und die Unterzeile "Wie Europa und die USA auseinanderdriften". Das Sachbuch von Eugen Freud ist vor Kurzem im Wieser Verlag erschienen, hat 396 Seiten und kostet 22 Euro.
Worum geht es konkret?
Freund hat, nach einer längeren Einleitung, ein Trump-Tagebuch gestaltet. Es beginnt mit dem 20. Jänner, als der damals noch 78-Jährige den Amtseid ablegte, und endet mit dem 20. Juli, exakt sechs Monate später. Gesamt handelt es sich um 275 Tagebuch-Einträge, an manchen Tagen gibt es mehrere, an anderen keinen.
Was bietet das Buch?
Es erinnert daran, dass die Erinnerung Streiche spielt. Vieles, was passiert ist, haben die meisten schon vergessen. Das Buch holt alles ins Gedächtnis zurück. Es ist eine Verdichtung der Geschehnisse und das macht es richtig stark.
Was war die größte Schwierigkeit beim Schreiben?
Es waren eigentlich zwei. Die riesige Menge an Trump-Aussagen, Auftritten, Postings, Tätigkeiten zu bewältigen, ohne das Buch über Tausend Seiten dick zu machen. Das zweite Problem: Sich an den Abgabetermin des Manuskripts zu halten, denn Trump ist nie fertig. Zweimal mussten nachträglich Ergänzungen vorgenommen werden. Es war schon wieder was passiert.
Wer ist Eugen Freund?
Er ist 1951 in Wien geboren, aber am Kärntner Klopeiner See aufgewachsen. Noch heute pendelt er häufig zwischen den beiden Welten. "Das Spiel mit dem Dritten Weltkrieg" ist sein siebentes Fachbuch.

Wodurch wurde er bekannt?
Freund arbeitete 30 Jahre im ORF. Er lebte von 1979 bis 1984 in New York und war von 1995 bis 2001 in Washington als ORF-Korrespondent tätig. Von 2014 bis 2019 war er Abgeordneter im Europäischen Parlament und ebendort Mitglied der USA-Delegation.
Warum der martialische Titel?
Freund geht selbst zu Beginn darauf ein. "Kann man mit einem Weltkrieg überhaupt spielen?", fragt er sich selbst rhetorisch. Seine Antwort: Der Begriff sei "heuer so oft wie schon lange nicht mehr in Erinnerung gerufen worden", direkt und indirekt. "Am Anfang ist es immer das Wort, dann folgen die Taten", zitiert er den polnischen Außenminister Radoslaw Sikorski.
Was hat das mit Trump zu tun?
Am 28. Februar rief er dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu; "You are gambling with World War Three!" ("Sie spielen mit dem Dritten Weltkrieg"). Es war eine Täter-Opfer-Umkehr, vor allem aber machte die Wortwahl den Angstbegriff "Dritter Weltkrieg" salonfähig.
Wie funktioniert Trump?
Als disruptiv, zerstörerisch beschreibt ihn Freund. Er fährt Menschen mit dem Stellwagen ins Gesicht. "They come to kiss my ass", sagte er schon im Wahlkampf und als Präsident führte er das aus. Er ließ die Staatschefs vieler Länder, vor allem der befreunden, antanzen, damit sie ihm den Hintern küssen. Das Mittel: Zölle. Das Ziel: ein Deal.

Wie spielt Trump mit den Medien?
Er ist wie sein Vorbild Ronald Reagan jemand, der weiß, wie Bilder, vor allem bewegte, funktionieren, wie man sie für sich nutzen kann. Einen "großartigen Medienmanipulator" nennt ihn Freund. Er unterschreibt Dekrete vor Kameras, setzt bei Statements auf dramatische Hintergründe, er spielt mit der Öffentlichkeit.
Wo war das am besten zu sehen?
Bei einem aufsehenerregenden Moment. Am 13. Juli 2024 streifte auf einer Wahlkampfveranstaltung eine Kugel das rechte Ohr von Trump. Die Bilder des blutenden Präsidentschafts-Kandidaten mit der himmelwärts gestreckten Faust gingen um die Welt. Sie vermittelten indirekt auch eine zweite Botschaft: Trump ist in jeder Lebenslage Medienmensch. Er ist ein Polit-Entertainer.
Was ist der Plan?
Trump wirkt in seiner zweitem Amtszeit bestens vorbereitet. Das liegt auch an einem Papier des streng konservativen Thinktanks "Heritage Foundation". Trump behauptet, das Konzept habe nichts mit ihm und seiner Präsidentschaft zu tun, aber die Realität belegt das Gegenteil.
Was legt diese Roadmap fest?
"Mithilfe von 100 weiteren Organisationen aus dem weit rechten Spektrum wurde eine mehrere Millionen teure Broschüre erarbeitet, die – so nennen es zumindest seine Gegner – eine antidemokratische, autokratische, staatsfeindliche Administration vorzeichnet", schreibt Freund. Das Papier wurde Trumps Regierungsprogramm für sich selbst.

Was hält Trump von Europa im aktuellen Zustand?
Nicht viel, dass wurde auf einer Veranstaltung deutlich, an der Trump gar nicht teilnahm. Am 14. Februar hielt Vizepräsident JD Vance bei der Sicherheitskonferenz in München eine Rede im Trump-Stellwagen-Style. Er rechnete in Anwesenheit der europäischen Führungsspitze mit Europa ab.
Wie?
Vance sah und sieht die Meinungsfreiheit in Europa in Gefahr. Was aus Europa zu hören ist, sei "für amerikanische Ohren schockierend". Er bereitete die EU auch schonunglos auf die neuen Zeiten vor. "In Washington gibt es einen neuen Sheriff", sagte der US-Vize und er verwendete den Berufstitel bewusst.
Wie ist das gemeint?
In den bisher zehn Monaten Amtszeit spielte Trump den lokalen Sheriff und den Weltsheriff. Wieder lebt die Sichtweise von der Verdichtung des Buches. Nur Auszüge: Trump schickt Musk auf die Beamten los und die Militärpolizei in US-Städte, verhängt erratisch Zölle und zieht sie zurück, greift nach Grönland, lobt und tadelt Putin, lobt und tadelt China, streicht der Ukraine die Militärhilfe und ermuntert sie zum Widerstand.
Macht sich Freund selbst ein Bild?
Ja, er schildert eine Reise vom 17. März bis zum 1. April in die USA. Er trifft viele Wegbegleiter von früher. "Man weiß heute nicht, was morgen kommt", sagt einer, "und oft weiß man sogar nicht, was in zwei Stunden passieren wird."

Was hat sich in Gedächtnis gefressen?
Vermutlich am ehesten das Treffen zwischen Selenskyi und Trump im Weißen Haus am 28. Februar. Der Ukraine-Präsident wird gedemütigt, gefragt, warum er keinen Anzug trägt und wieso er sich noch nie bei Trump bedankt habe. Es entstehen Bilder, die um die Welt gehen. Der US-Präsident sitzt da wie der Gastgeber einer Talkshow. Er ist sich der Wirkung voll bewusst, auch seiner. Er wollte es so haben.
Was nun?
Der Trump-Plan hat einen Waffenstillstand zwischen Israel und der Terrorgruppe Hamas ermöglicht, ob sich der Vorgang in der Ukraine wiederholt, ist unklar. Das könnte Trump seinem letzten Lebensziel näher bringen – dem Friedensnobelpreis.
Wie endet das Buch?
Trotz allem versöhnlich. Die Welt ist anders geworden. "Dennoch", schreibt Freund, "gilt auch in diesem Zusammenhang: Die Hoffnung stirbt zuletzt."