Alfred Hitchcocks Horror-Klassiker "Psycho" basiert auf der Lebensgeschichte und den grauenvollen Taten des Amerikaners Ed Gein. In der dritten Staffel der Netflix-Anthologieserie "Monster" wird nun das wahre Leben des "Vaters aller Serienkiller" nachgezeichnet.
Die schönsten Geschichten schreibt das Leben, heißt es. Doch auch das Gegenteil ist richtig: Wer die Abgründe unserer Existenz ergründen will, braucht keinen Fantasy- und Horrorgeschichten zu lauschen, an keine Fabelwesen und Monster zu glauben. Das böseste Böse bringt seit jeher der Mensch selbst hervor.
Wahre Alpträume Und oft sind es die schlimmsten Alpträume, die die populärsten (fiktiven) Schauergeschichten inspirier(t)en: Jeder kennt Hitchcocks Klassiker "Psycho" und seinen gestörten Protagonisten Norman Bates, gespielt von Anthony Perkins. Den Horror-Klassiker "Texas Chainsaw Massacre" (bei uns als "Blutgericht in Texas" veröffentlicht) mit seinem Protagonisten "Leatherface". Oder den Oscar-prämierten Thriller "Das Schweigen der Lämmer". Allesamt haben sie sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt.
Grausiges Vorbild Was all diese Film-Meisterwerke verbindet? Sie wurden vom Fall Ed Gein inspiriert. Und so ist es nur folgerichtig, dass Ryan Murphy, Serien-Mastermind und filmischer Chronist amerikanischer Horror-Storys aller Art, und Ian Brennan, sein "Partner in (True) Crime", Ed Gein die dritte Staffel ihrer Anthologieserie "Monster" widmen, die ab sofort auf Netflix zu sehen ist.
Faszination des Bösen Achtung, ein kleiner Spoiler: In Episode 2 von "Monster: Die Geschichte von Ed Gein" sieht man Meister-Regisseur Alfred Hitchcock (Tom Hollander) mit Robert Bloch, dem Autor des Buches "Psycho", diskutieren. "Psycho" basiert auf Ed Geins Leben und Hitchcock überlegt, es zu verfilmen. Und während Bloch erzählt und Hitchcocks Ehefrau Alma Reville schon bald angeekelt den Tisch verlässt, ist der Meister fasziniert von der Geschichte, die Bloch ihm da auftischt.
Menschliche Abgründe Im Verlauf des Gesprächs mit Bloch verweist Hitchcock auch darauf, dass sich das Publikum nach der Erfahrung der NS-Gräuel und des Holocausts, die nur ein paar Jahre zurückliegen, vor erfundenen Horrorgeschichten nicht mehr so richtig fürchtet. Denn das wahre Böse, so Hitchcock, sei direkt unter uns, es ist menschlich.
Evil sells Wie auch bereits die beiden Vorgänger-Staffeln über Jeffrey Dahmer und die Brüder Menendez, thematisiert "Monster: Die Geschichte von Ed Gein" auf einer Meta-Ebene die (massen-)mediale Faszination, die "das Böse" ausübt. Hitchcock ist übrigens nicht die einzige Hollywoodgröße, die in fiktionalisierter Form ihren Auftritt bekommt: Auch Norman Bates-Darsteller Anthony Perkins (Joey Pollari), der in "Psycho" eine fiktionalisierte Version von Ed Gein spielte, hat in der Serie eine nicht unbedeutende Nebenrolle.
Woher kommt das Böse? Die Frage, die bleibt, ist: Woher kommt das (menschliche) Böse? Nature oder nurture – ist es Schicksal und Veranlagung, oder wird es durch die Umwelt gemacht? Darum soll dann auch der Rest der Serie kreisen.
Der Ursprung des Bösen liegt in Wisconsin Die Geschichte Ed Geins beginnt in der tiefsten Provin Wisconsins in einem alten, heruntergekommenen Bauernhaus, das er zusammen mit seiner Mutter bewohnt. Der Vater ist weg, Eds Bruder hat inzwischen das Weite gesucht, Ed ist tagaus, tagein alleine mit Augusta Gein (Laurie Metcalf, u. a. Sheldons Mutter aus "The Big Bang Theory"), einer deutschen Auswanderin, die wie manisch Bibelverse zitiert, um ihren Sohn gefügig zu machen.
Weibliche Unterdrückung Ed Gein wird von Charlie Hunnam ("Sons of Anarchy") gespielt, und das überragend: Er ist an sich ein schüchterner junger Mann mit gepresster, leiser Stimme und leicht verzogener Miene – in jede seiner Bewegungen ist der Horror der Unterdrückung eingeschrieben, die von seiner Mutter ausgeht. Sie bestimmt jeden Aspekt seines Seins, verbietet ihm Interaktion mit anderen Frauen, was sich in frühen sexuellen Perversionen äußert (er trägt heimlich ihre Unterwäsche, während er masturbiert …)
Kranke Fantasien Als sie schließlich stirbt, ist das aber keine Befreiung für Ed: Zu sehr hatte er sich an ihre Präsenz gewöhnt, zu schwach ist er, ohne sie weiterzuleben. Und so existiert ihre Stimme in seinem Kopf weiter, was auch der Beginn des wirklichen Wahnsinns ist, der Geschichte schreiben sollte: Gein begann, Gräber auszuheben und ersetzte seine Mutter durch die Leiche einer anderen Frau, die er mit nach Hause nahm. Er bezog Möbel mit Menschenhaut und trug die abgeschnittenen Gesichter Toter als Masken.
Die menschliche Seite des Monsters Die Serie bemüht sich gleichzeitig, Gein auch eine menschliche Seite zu geben. Zum einen durch den Blick auf seine Familiengeschichte, die Rolle seiner Mutter, deren Verhalten ihn (mit) zu dem machte, was er wurde. Zum anderen durch seine Romanze mit der jungen Adeline (Suzanna Son), eine junge Frau aus dem Dorf, die Geins Faszination für Morbides teilt – wenngleich nicht auf die selbe geisteskranke Art, wie er. Dass die Beziehung zum Scheitern verurteilt ist, ist von vornherein klar.
Starker Tobak "Monster: Die Geschichte von Ed Gein" ist durch und durch starker Tobak, der sich kaum zum gemütlichen "Nebenbeischauen" eignet. Wer reinzappt muss wissen, worauf er sich einlässt. Doch es lohnt sich: Besonders spannend sind die psychologischen Aspekte, die Art und Weise, wie Geins Weg in den Wahn nachgezeichnet wird.
Meta-Ebene Beeindruckend ist aber auch, wie die Serie verschiedenste Ansätze und Themen verwebt: Sie spannt den Bogen von abgeschotteten ländlichen Gemeinschaften, die durch radikalen (christlichen) Glauben geprägt sind, über die Erfahrung des Holocaust bis hin zu Freud'schen Fragen nach dem Einfluss der Erziehung auf die Entwicklung psychischer Krankheiten und Abnormitäten.
Fazit Staffel 3 von "Monster" ist im Kern zwar ein Psychogramm eines der bekanntesten Serienkiller überhaupt, aber darüber hinaus auch eine Geschichte des Grauens des 20. Jahrhunderts, die über ihr eigentliches Sujet und eine banale Schockwirkung weit hinausgeht, auch filmisch überzeugend umgesetzt und toll gespielt ist – und sich so positiv von anderen Werken mit dieser Thematik abhebt.
"Monster: Die Geschichte von Ed Gein", True Crime. USA 2025, 8 Episoden à ca. 45-65 Minuten, Netflix