Kamala Harris wollte Trump stoppen, am Ende stand sie mit leeren Händen da. Nun bringt sie mit ihren Memoiren die eigene Partei gegen sich auf. Was sie in "107 Tage" über Biden, "Freunde", Trump und sich selbst schreibt. Und über ihre mögliche Wiederkandidatur.
Die Episode dauerte 107 Tage, 321 Tage später wird sie nun aufgearbeitet. Am 5. November 2024 verlor Kamala Harris die US-Präsidentschaftswahl gegen Donald Trump und das krachend. Über die Zeit des Wahlkampfes (und ein bisschen darüber hinaus) hat sie ein Buch geschrieben. Es überrascht mehrfach und regt auf.
"Selbstgefällig, Klatsch, der interessanteste Bericht über ein totales Versagen, den Sie jemals lesen werden", urteilte der britische Telegraph über das Werk. Klingt hart, hat aber einen wahren Kern.
Seit 23. September sind die Memoiren von Kamala Harris am Markt. "107 Days" ist keine Abrechnung. Es werden Begebenheiten aus sehr subjektiver Perspektive geschildert, ein paar Ohrfeigen ausgeteilt, auch Joe Biden bekommt Rempler ab. So weit, so erwartbar. Aber das Buch kann noch mehr. Vor allem politische Mitstreiter auf die Palme bringen.
"107 Days" hat 320 Seiten, ist bei Simon & Schuster erschienen und kostet in Österreich 22,99 Euro. Harris (60) hat es in Zusammenarbeit mit Geraldine Brooks geschrieben. Die Reporterin und Autorin hat textlich zwei Leben. Sie ist als Romanautorin erfolgreich, für March gewann sie 2005 den Pulitzer-Preis für Belletristik. Als Auslandskorrespondentin des Wall Street Journal war Brooks aber auch in Afrika, auf dem Balkan und im Nahen Osten im Einsatz.
Die heute 70-Jährige wurde in Sydney, Australien geboren. Ihr Vater, ein US-Sänger, war dort hängengeblieben, weil der Manager mit dem Geld der Band durchgebrannt war. Brooks kann also Geschichten erzählen und das kam Kamala Harris und ihrem Buch zugute. Denn hier wird nicht Zeitgeschichte eingeordnet, es ist eher ein Blick hinter Tapetentüren, gepaart mit etwas Wundversorgung.
Zunächst gab es im "The Atlantic" Kostproben des Textes, nun erschienen in mehreren US-Medien Auszüge. Das muss man über "107 Days" wissen:
Warum sind einige Parteifreunde nun sauer auf Harris?
Weil sie ziemlich unverblümt über Treffen im Wahlkampf spricht und auch Details aus Vieraugen-Gesprächen ausplaudert. Inzwischen haben sich mehrere Betroffene öffentlich dazu geäußert und gesagt: so stimmt das nicht.
Warum ist das Buch überhaupt brisant?
Das erschließt sich erst auf den zweiten Blick. Harris hat die Wahl verloren, ihr aktuelles politisches Gewicht lässt sich eher mit der Federwaage messen. Aber: „It's not over till it's over". Es gibt einige Indizien dafür, dass sie 2028 noch einmal antreten möchte.
Warum ist auch das Buch ein Beleg dafür?
Weil sie einige Personen aus der Partei in unvorteilhaftem Licht erscheinen lässt. Anders ausgedrückt: Sie versucht potentielle Mitbewerber für eine Kandidatur aus dem Feld zu räumen.
Wen zum Beispiel?
Den Gouverneur von Pennsylvania, Josh Shapiro, und den ehemalige US-Verkehrsminister Pete Buttigieg. Beide gelten als mögliche Präsidentschafts-Kandidaten der Demokraten, beide meldeten sich inzwischen zum Buch zu Wort und dementierten Passagen.
Die Demokraten trifft das am falschen Fuß, oder?
Ja, sind werden momentan von Donald Trump überrollt, bringen im Senat und im Repräsentantenhaus politisch keinen Fuß in die Tür, sind aus der Wahrnehmung der Öffentlichkeit weitgehend verschwunden. Es ist unklar, wer die Partei überhaupt führt. Und nun kommt Harris und löst einen neuen Riss aus. Nicht alle nehmen das sportlich.
Spricht Harris im Buch die Wiederkandidatur an?
Ja gegen Ende hin, aber ohne Inhalt. Heißt: Sie sagt nichts an, aber schließt sie auch nicht aus.
Was ist nun das Problem?
Harris beschreibt ausführlich, wie sie ihren Kandidaten für die Vizepräsidentschaft auswählte. Den Job bekam schließlich Tim Walz, Gouverneur von Minnesota. Acht Kandidaten standen zur Disposition, so die Washington Post, die Auszüge aus dem Buch publizierte.
Und?
Statt darüber zu schweigen, erzählt Harris im Buch warum und woran sie die anderen Kandidaten scheitern ließ. Eine "Rücksichtslosigkeit" nannte das Josh Shapiro, einer der Betroffenen, nun in einem Podcast-Interview.
Was sagt Harris über ihn?
Er sei übermäßig ehrgeizig und selbstbewusst. Intern galt er als Favorit für den Job, als Gouverneur von Pennsylvania hätte er einen Swing State eingebracht. Harris beschreibt ihn als überheblichen Schnösel. "Einfach lächerlich" nannte ein Sprecher von Shapiro die Zuschreibung.
Was steht im Buch über Shapiro?
Harris hatte ihn zum Gespräch in ihre Residenz als Vizepräsidentin geladen. Shapiro habe sich vorab beim Hausverwalter erkundigt, wie viele Schlafzimmer das Gebäude hat und wie man es mit Kunstwerken bestücken könnte. Er vermaß quasi seinen künftigen Amtssitz.
Wie lief das Gespräch?
Mittelprächtig, beschreibt Harris. Er sagte, dass er als Vizepräsident "bei jeder Entscheidung dabei sein wolle". Sie antwortete, dass dies unrealistisch sei, "ein Vizepräsident ist kein Co-Präsident". Harris machte sich Sorgen über seine Loyalität. Sie werde als Präsidentin, "neunundneunzig Probleme haben", der Vizepräsident könne nicht eines davon sein.
Woran scheiterte Pete Buttigieg?
Der ehemalige US-Verkehrsminister wäre ihre erste Wahl gewesen, schreibt Harris. Vielsprachig, ehemaliger Geheimdienstoffizier der Marine, ehemaliger Bürgermeister – und schwul, verheiratet mit einem Mann.
Das war ein Killer-Kriterium?
"Ich liebe Pete", so Harris. "Ich liebe es, mit Pete zu arbeiten. Er und sein Mann Chasten sind Freunde."
Aber?
Wäre Harris ein "heterosexueller weißer Mann", wäre Buttigieg "der ideale Partner" gewesen, schreibt sie. "Wir haben von Amerika schon viel verlangt: eine Frau zu akzeptieren, eine schwarze Frau, eine schwarze Frau, die mit einem jüdischen Mann verheiratet ist. Das Risiko war zu groß."
Wie reagierte Buttigieg?
Indigniert. Er sei "überrascht" gewesen, die Passage im Buch zu lesen, sagte er zu Politico. "Meine Erfahrung in der Politik zeigt, dass man das Vertrauen der Wähler hauptsächlich auf der Grundlage dessen gewinnt, was man ihrer Meinung nach für ihr Leben tun wird, und nicht auf der Grundlage von Kategorien".
Kriegen noch andere ihr Fett ab?
Ja, sogar der geplante Vize Tim Waltz. Während dessen TV-Debatte mit JD Vance habe sie den Fernseher angeschrien, schreibt Harris. „Du bist nicht dort, um dich mit dem Kerl anzufreunden." Den kalifornischen Gouverneur Gavin Newsom, ebenfalls eine Demokraten-Zukunftshoffnung, stellt sie als Feigling dar. Sie habe versucht, ihn nach dem Biden-Ausstieg zu kontaktieren, er antwortete: "Bin wandern. Rufe zurück." Das passierte nie.
Ihr Verhältnis nach Trump?
Nach dem zweiten Attentat auf ihn habe sie Trump angerufen, schildert sie. Er sei nett gewesen, habe gesagt, seine Tochter Ivanka sei ein großer Fan von ihr. Als das Telefonat beendet war, staunte Harris über Trumps Charme. "Er ist ein Hochstapler, aber er ist wirklich gut darin."
Wie hart geht Harris mit sich selbst ins Gericht?
Beschränkt brutal. Nicht jede Botschaft hätte gesessen, nicht jedes Interview sei geglückt, urteilt sie. In der ABC-Sendung "The View" sei sie gefragt worden, ob sie irgendetwas anders gemacht hätte als Biden. Ihre Antwort: "Mir fällt nichts ein". Ein Fehler, sagt sie heute. "Ich hatte keine Ahnung, dass ich gerade den Stift einer Handgranate gezogen hatte“.
Was sieht sie als größtes Manko ihres Wahlkampfs?
Sie fühlt sich verfolgt, von den Medien, Bidens Team, der First Lady. Das größte Problem aber sei die Zeit gewesen. 107 Tage seien bei weitem nicht genug. „Es war der kürzeste Wahlkampf der modernen Präsidentschaftsgeschichte."
Was war da mit der First Lady?
Harris erinnert sich an einen Wortwechsel zwischen ihrem Mann Doug Emhoff und Jill Biden. Das Gespräch habe ihn wütend gemacht. Die First Lady soll die Loyalität von Harris und ihrem Ehemann in Frage gestellt haben.
Was schreibt sie im Original dazu?
Doug habe getobt: "Sie verstecken dich vier Jahre lang, geben dir unmögliche Scheißjobs, korrigieren die Aussagen nicht, wenn diese Aufgaben falsch dargestellt werden, wehren sich nie, wenn du angegriffen wirst, loben nie deine Leistungen, und jetzt wollen sie dich endlich da draußen auf dem Balkon neben sich stehen sehen. Jetzt wissen sie endlich, dass du eine Bereicherung bist, und sie brauchen dich, um das amerikanische Volk zu beruhigen. Und trotzdem müssen sie fragen, ob wir loyal sind?"
Wie viel Schuld gibt sie Joe Biden?
Da hat sie Ladehemmung. Zwar bezeichnet Harris seine Entscheidung für eine zweite Amtszeit zu kandidieren, als "Rücksichtslosigkeit" und führt sie auf sein "Ego" und seinen "Ehrgeiz" zurück. Anderseits hegt sie immer noch viel Sympathie für Biden. "Er war an seinem schlimmsten Tag sachkundiger, urteilsfähiger und weitaus mitfühlender als Donald Trump an seinen besten Tagen."
Also keine Bad Feelings?
Nichts Grobes. Geärgert habe sie ein Telefonat mit Biden unmittelbar vor ihrer TV-Debatte mit Donald Trump. Sein Bruder habe ihm mitgeteilt, dass Harris schlecht über ihn rede, habe er gesagt und das in diesem Moment. "Ich konnte einfach nicht verstehen, warum er mich gerade jetzt anrief", schreibt sie.
Wie sieht sie das Altersproblem?
Mit 81 wurde Joe müde“, schreibt Harris. "Da zeigte sich sein Alter in körperlichen und verbalen Aussetzern." Das Team hätte merken müssen, dass er nicht mehr erneut amtsfähig sei. Sich selbst spricht sie frei. "Wenn ich das geglaubt hätte, dann hätte ich es gesagt."
Wen macht sie also verantwortlich?
Das Umfeld von Biden. Seine Ehefrau etwa, die den Präsident eher zum Verzicht bewegen hätte müssen, Harris nimmt sie in die Pflicht. "Es war Joes und Jills Entscheidung", schreibt sie. "Wir alle haben das wie ein Mantra gesagt, als wären wir alle hypnotisiert. War es Gnade oder Leichtsinn? Rückblickend denke ich, es war Leichtsinn".
Wie greift sich das Biden-Team an?
Es hätte sie oft im Regen stehen lassen. Wenn Geschichten über sie "unfair oder ungenau waren, schien der innere Kreis des Präsidenten damit kein Problem zu haben". Und: "Ihre Denkweise war ein Nullsummenspiel: Wenn sie glänzt, ist er im Hintergrund. Keiner von ihnen hat begriffen, dass es ihm gut geht, wenn ich es gut mache."
Sehen das andere auch so?
Sie sehen bei Harris eine Mitschuld am Biden-Debakel. "Sie wird beantworten müssen, warum sie stets mit im Raum war und dennoch nie etwas gesagt hat - zumindest nicht öffentlich", giftet Josh Shapiro, ausgebooteter Kandidat für die Vizepräsidentschaft. Er habe seine Bedenken gegenüber Biden privat und gegenüber seinem Team sehr deutlich geäußert.
Wie erlebte Harris die Momente der Niederlage?
Die Wahlnacht wird ausführlich beschrieben, sie sei felsenfest von einem Sieg überzeugt gewesen. Auf Cupcakes war schon die Glasur "Madam President" aufgebracht worden, sie wurde abgekratzt. "Wir hatten anscheinend für alles vorgesorgt, außer für das tatsächliche Ergebnis“, schreibt sie.
Ihre Reaktion?
Ein Schock, traumatisierend. Als ihr die Wahlkampfmanagerin die Nachricht überbrachte, habe sie immer wieder einen Satz wiederholt: "Mein Gott, was wird aus unserem Land?"
Und? Was wurde aus dem Land?
"Ich habe das alles vorhergesagt. Ich habe davor gewarnt", sagt sie. Was ich nicht vorhergesehen habe: die Kapitulation. Die Milliardäre stehen Schlange, um zu kriechen. Die großen Medienunternehmen, die Universitäten und so viele große Anwaltskanzleien, alle beugen sich der Erpressung und den unverschämten Forderungen."