Steirerkrimi

Kopfnüsse: Ist die SPÖ eigentlich noch zu retten?

Die Sozialdemokratie definiert ihre Blauäugigkeit neu. Um in der Steiermark an der Macht zu bleiben, bietet sie sich der FPÖ an. Das Runterlassen der Hosen kann dazu führen, dass sie am Ende ganz nackt dasteht. Am Land und im Bund.

Fassungslos! FPÖ-Chef Mario Kunasek kann nun seinen Partner frei wählen – und die SPÖ in ein Dilemma stürzen
Fassungslos! FPÖ-Chef Mario Kunasek kann nun seinen Partner frei wählen – und die SPÖ in ein Dilemma stürzen
Picturedesk
Newsflix Kopfnüsse
Akt. Uhr
Teilen

Um 17.30 Uhr machte der Polizist vor dem Kanzleramt einen Schritt auf die Straße. Er hob den grellrot leuchtenden Signalaufsatz seiner Taschenlampe in die Höhe und sperrte so den Verkehr. Im nächsten Augenblick rollte eine schwarze Limousine aus dem Gebäude und fuhr Richtung Burgtheater davon.

Mit KI-Stimme: Ist die SPÖ eigentlich noch zu retten?

Das Gespräch der drei Parteichefs, die sich zu einer Koalition noch unbekannten Namens zusammenraufen wollen, war zu Ende. Zumindest für diesen Tag.

Rund zwei Stunden waren Karl Nehammer, Andreas Babler und Beate Meinl-Reisinger am Mittwoch von 15.30 Uhr an zusammengesessen. Von einem Krisentreffen wollte danach keiner reden. Planmäßig fand der Termin aber auch nicht statt. Im Gegenteil, er war zwei Tage vorverlegt worden. Es handelte sich um eine Krisensitzung, sie durfte nur nicht so heißen.

Babler, Nehammer, Meinl-Reisinger: Zwei Stunden Krisengipfel, der nicht Krisengipfel genannt wurde
Babler, Nehammer, Meinl-Reisinger: Zwei Stunden Krisengipfel, der nicht Krisengipfel genannt wurde
Picturedesk

Es ist momentan sowieso etwas unübersichtlich in Österreich. Wir haben zwei Regierungen, eine, die fast nicht mehr im Amt ist. Und eine, die noch nicht im Amt ist, oder vielleicht auch dort nie hinkommt. Die Regierung, die fast nicht mehr im Amt ist, hat die Erhöhung der Beamtengehälter beschlossen, was die NEOS, die noch nicht im Amt sind, empörte.

Wer lenkt derzeit eigentlich das Land? Wir haben offenbar eine Regierung aus vier Parteien, zwei waren bisher schon tätig, zwei greifen nun unterstützend ein, eine davon über den Umweg der Empörung.

Drei der vier Parteien verhandeln im Augenblick über die nächste Koalition, das passt aber auch nicht immer. Die NEOS stört, dass in der Mediengruppe zwei Stiftungsräte des ORF mitreden, die SPÖ hatte sie nominiert. Vielleicht gibt es bis Weihnachten kein Regierungs-Programm. Aber es wäre schön, wenn bis dahin zumindest geklärt wäre, wer mit wem verhandeln will. Und wer nicht.

Suppe versalzen: Hotelier und NEOS-Verhandler Sepp Schellhorn empörte sich über den Beamtenabschluss
Suppe versalzen: Hotelier und NEOS-Verhandler Sepp Schellhorn empörte sich über den Beamtenabschluss
Picturedesk

Die politische Landschaft Österreichs ordnet sich derzeit überall neu. Sie tut dies auf der einen Seite sehr geräuschvoll, auf der anderen Seite mit einer erstaunlichen Lautlosigkeit.

In Wien trugen in den letzten Tagen mehrere Regierungs-Verhandler ihren Grant über die zähen Debatten mit den beiden anderen am Tisch nach außen. Ungewöhnlich früh, die Gespräche haben gerade erst begonnen. In der Steiermark tut die SPÖ so, als hätte es nie eine Brandmauer gegen die FPÖ gegeben. Oder, als wäre sie aus Zuckerwatte gewesen.

Vielleicht wird man auf diese Tage später einmal als Wendepunkt zurückschauen. In der Steiermark, wird sich dann eventuell bilanzieren lassen, da hat es begonnen. Da gab die Sozialdemokratie ihren jahrelang offen zur Schau getragenen Widerstand gegen die Freiheitlichen auf. Die SPÖ kapitulierte zu ihrem eigenen Vorteil. Der Nutzen könnte sich als kurzfristig erweisen.

War einmal ein Bumerang;
War ein Weniges zu lang.
Bumerang flog ein Stück,
aber kam nicht mehr zurück.
Publikum - noch stundenlang -
wartete auf Bumerang.

Bundesland Nr. 5 für die FPÖ in Österreich: Steiermarks Landeshauptmann Christopher Drexler stünde als Partner parat
Bundesland Nr. 5 für die FPÖ in Österreich: Steiermarks Landeshauptmann Christopher Drexler stünde als Partner parat
Picturedesk

Schon im Wahlkampf hatte sich der steirische SPÖ-Spitzenkandidat Anton Lang offen für eine Partnerschaft mit den Blauen gezeigt. Seine Worte gingen unter, kaum jemand maß ihnen viel Gewicht bei. Die Fortsetzung von Türkis-Rot als Regierung galt als gesetzt. Es war allen Beteiligten klar, dass die FPÖ bei der Wahl Erster sein wird. Aber jeder dachte, sie wird sich in ihrem Sieg verlieren.

Dann kam der Wahlabend und zwischen den Blauen und dem Rest tat sich plötzlich ein Spalt auf, breit wie die Mur-Mürz-Furche. Statt sich weiter gegenseitig den Nacken kraulen zu können, fanden sich ÖVP und SPÖ in neuen Rollen wieder. Ihnen gegenüber stand keine gewinnende Verliererin mehr, sondern eine bullige Buhlschaft, die es nun zu erobern galt.

Hurtig begannen beide Parteien, der Buhlschaft Avancen zu machen. Für die ÖVP stellte das keine Besonderheit dar, sie regiert bereits in vier Bundesländern mit den Freiheitlichen. Die SPÖ aber musste einen Kostümwechsel vollziehen. Er ging mit einer bewundernswerten Geschmeidigkeit vonstatten, die ihr nur wenige zugetraut hätten.

So sehen Sieger aus! Sehen so Sieger aus? SPÖ-Spitzenkandidat Anton Lang feiert genau was?
So sehen Sieger aus! Sehen so Sieger aus? SPÖ-Spitzenkandidat Anton Lang feiert genau was?
Picturedesk

In der SPÖ hat es eine gewisse Tradition, Rucksäcke mit sich herumzuschleppen. Als es das Thema Migration noch nicht in dieser Heftigkeit gab, wurde die Partei fortlaufend nach ihrem Verhältnis zur FPÖ gelöchert. Wer immer Parteivorsitzender war, stets hatte die Beantwortung einer Frage oberste Priorität: "Wie hältst du es mit den Blauen?"

1986 beendete Kanzler Franz Vranitzky die bis heute letzte SPÖ-Koalition mit der FPÖ im Bund und schloss für die Partei in Hinkunft eine Zusammenarbeit aus. Die "Vranitzky-Doktrin" wurde einmal weicher, einmal härter interpretiert, aber sie gilt bis heute, wenn auch nicht mehr für die Bundesländer. 2004 schloss die Kärntner SPÖ mit Jörg Haider die "Chianti-Koalition", bis 2020 regierte die SPÖ im Burgenland mit den Blauen.

Davor hatte es Christian Kern mit einer paradoxen Intervention versucht, einer Verunmöglichung durch Ermöglichung. Der SPÖ-Kanzler ließ einen Kriterienkatalog erstellen, der eine Zusammenarbeit mit der FPÖ zulässig machte. Allerdings nur, wenn sie davor bis auf Name und Parteifarbe mehr oder weniger alles aufgibt.

Danach galt es in der SPÖ als Kapitalverbrechen, auch nur mit den Hühneraugen Richtung FPÖ zu schielen. Mit der Abgrenzung nach rechts wurde Identität gestiftet. Wer die Freiheitlichen nicht mit schneidigen Worten als Partner ausschloss, galt als nicht länger satisfaktionsfähig. In Wien wurden alle Landtagswahlen der jüngeren Geschichte mit dem Argument gewonnen, nur Rot könne Blau und damit alles Unheil von der Stadt abhalten.

Öffentlich geheim: Wahlsieger Mario Kunasek begann gestern mit den Sondierungen
Öffentlich geheim: Wahlsieger Mario Kunasek begann gestern mit den Sondierungen
Picturedesk

Und jetzt? Sind so gut wie alle Bürgermeister in der Steiermark plötzlich ganz gamsig auf eine Zusammenarbeit. Die Freiheitlichen, das seien gar keine so schlechten Kerle, schon gar nicht am Land, ist zu hören. Ihr roter Spitzenmann, der Lang Toni, wurde ermuntert, flugs mit Mario Kunasek in Verhandlungen über eine Regierung einzutreten. Bedingungen egal. In ist, wer drin ist.

Das Runterlassen der Hosen passiert ungebremst. Das umstrittene Leitspital in Stainach, das zum Synonym für den blauen Wahlerfolg wurde, ist der SPÖ nicht mehr wichtig. Es kann gebaut werden, oder auch nicht. Als "essenziell und alternativlos" hatte Lang das neue Krankenhaus im Wahlkampf noch bezeichnet. Jetzt ist es für ihn "nicht mehr in Stein gemeißelt".

Es sind solche Kehrtschwenks, die sich in die Köpfe der Wählerschaft einbrennen. Sie lernt: Wenn die Alternative Machtverlust heißt, dann wollen Politiker nicht alternativ naiv sein.

Flankerl im Auge? SPÖ-Spitzenkandidat Anton Lang am Wahlabend in der Alten Universität in Graz
Flankerl im Auge? SPÖ-Spitzenkandidat Anton Lang am Wahlabend in der Alten Universität in Graz
Picturedesk

Die steirische SPÖ spielt mit dem Feuer, sie könnte darin untergehen. Was, wenn die FPÖ sie abblitzen lässt? Natürlich, für die Freiheitlichen ist die Situation verführerisch. Ein Fingerzeig, vor allem nach Wien: Schaut her, bis jetzt waren wir für euch Linken die Schmuddelkinder, jetzt sind wir plötzlich salonfähig.

Und wenn Mario Kunasek anders entscheidet? Dann hat sich die SPÖ umsonst angebiedert. Doppeltes Pech. Die Haltung über Bord gekippt und trotzdem segelt das Schiff ohne SPÖ an Deck in den Abendhimmel.

Widerstand kommt vorerst nur von den Jugendorganisationen der Partei, aber mit jungen Parteimitgliedern lassen sich in der SPÖ nur ganz kleine Stadien füllen.

Erstaunlich eigentlich, denn 2025 wählt Wien. Mit einer Zuckerwatte-Brandmauer zur FPÖ wird man höchstens Fliegen anlocken.

Wohin des Weges? In ihrem Zustand zur FPÖ scheint Parteichef Andreas Babler orientierungslos
Wohin des Weges? In ihrem Zustand zur FPÖ scheint Parteichef Andreas Babler orientierungslos
Helmut Graf

Auch der Kaiser in Wien steht momentan ohne Kleider da. Im Wahlkampf nannte Andreas Babler die FPÖ eine "Gefährdung der Demokratie" und überhaupt "zum Speibn". Jetzt zeigte er sich zwar "nicht glücklich" über einen möglichen Pakt seiner SPÖ mit den Freiheitlichen in der Steiermark, sagte er der "Krone".  Aber er habe auf Landesebene "kein Durchgriffsrecht", will daher nicht intervenieren und die "politische Willensbildung" zur Kenntnis nehmen. Kismet!

Babler ist wieder nur Passagier. Wie beim Rücktritt des Linzer Bürgermeisters Klaus Luger, bei den Abgängen der SPÖ-Landeschefs in Oberösterreich und Salzburg, beim Seitwärtstritt von Georg "The Schorsch" Dornauer in Tirol. Er kann die Vorgänge zur Kenntnis nehmen, mitzureden oder mitzubestimmen hat er nichts.

Zur Erinnerung: Babler ist Bundesparteichef, gewählt auf einem Bundesparteitag. Die Mur-Mürz-Furche gibt es auch in der SPÖ. Sie trennt in diesem Fall die Löwelstraße vom Rest der Partei.

Für Babler wird das Erreichen eines Regierungspakts somit zur politischen Überlebensfrage. Scheitert er, dann wird es rund um ihn herum einsam in der Partei. Das Risiko, vor die Tür gesetzt zu werden, teilt er mit Karl Nehammer und Beate Meinl-Reisinger. Vielleicht übten sich die drei nach dem Krisentreffen im Kanzleramt, das nicht Krisentreffen genannt wurde, deshalb in verbindlichen Worten.

Ja, "konstruktiv" kam wieder vor.

Ich wünsche einen konstruktiven Donnerstag. Bis in einer kleinen Weile!

Akt. Uhr
#Kopfnüsse
Newsletter
Werden Sie ein BesserWisser!
Wissen, was ist: Der Newsletter von Newsflix mit allen relevanten Themen des Tages und den Hintergründen dazu.