Christian Nusser

Kopfnüsse, nun plus Podcast: Die verlorene Ehre der Lena S.

Über Elefanten, die sich benehmen wie im Porzellanladen, Mücken, die zu Elefanten gemacht werden und allerlei Porzellan, das im Moment zerschlagen wird.

Neue Wahlplakate, alte Sorgen: Lena Schilling, Spitzenkandidatin der Grünen für die EU Wahl
Neue Wahlplakate, alte Sorgen: Lena Schilling, Spitzenkandidatin der Grünen für die EU Wahl
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Newsflix Kopfnüsse
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Der "Standard" versorgt uns derzeit mit allerlei Enthüllungen, die meisten legen den Bereich des Zwischenmenschlichen bloß. Insofern traf es viele wohl nicht vollkommen überraschend, dass uns die Schilling-Hochburg am Montag wie folgt in die neue Woche hineinbegleitete. "Ohrenwackeln und Urinieren: Begrüßungen von Elefanten ähneln jenen von Menschen", las ich in aller Herrgottsfrüh auf der Wissenschaftsseite und in aller Unmittelbarkeit tat sich mir ein Universum von Fragen auf. Und das ganz ohne Ohrenwackeln.

Es ist jetzt schon eine Zeitlang her, dass uns von der Regierung Babyelefanten zur Bemessung eines schicklichen Abstands voneinander zur Verfügung gestellt wurden. Mir ist unklar, was aus den Tieren nach dem offiziell ausgerufenen Ende der Pandemie geworden ist. Aber vielleicht hat sich Sebastian Kurz einen nach Hause mitgenommen und reitet jetzt auf dem Rücken von Dumbo am Strand von Abu Dhabi in die Abendsonne hinein. Ich weiß, es sind Bilder, die sie zu Pfingsten nicht mehr so leicht aus dem Kopf bekommen werden.

Ich habe das zwar noch nie gesehen, aber vielleicht ist es ja tatsächlich so, dass sich Menschen mit Ohrenwackeln begrüßen. Zu Zeiten von Corona ist uns allerlei Blödsinn eingefallen, wie wir uns willkommen heißen könnten. Wir haben uns aus zwei Metern Entfernung zugewunken, als ginge es mit dem Zug vier Wochen zur Kur auf den Semmering. Wir haben uns verbeugt, mit dem Ellenbogen oder mit den Füßen berührt, was ab einem gewissen Alter als Erreichen der Olympiaqualifikation anerkannt werden sollte. Bankmanager, kurz vor der Pension und in feinstem Zwirn, haben sich mit der Ghettofaust begrüßt und für einen Moment gefühlt wie Harlem Globetrotters.

Aber urinieren? Kennen Sie Menschen, die sich bei der Begrüßung anpinkeln wie angeblich Elefanten? Sich selbst? Oder andere? Ich nicht und nicht nur der Herrgott hat einen großen Tiergarten. Vielleicht müsste man im Anlassfall auch vorher fragen, ob das den anderen auch recht ist, nicht jeder mag es, eingenässt zu werden, zumindest nicht zu jeder Stunde des Tages. Der Einleitungstext im "Standard" hilft diesbezüglich auch nicht recht weiter. "Der Blickkontakt ist entscheidend", steht da. Ich weiß, Blicke können eventuell töten, aber tröten können sie nicht.

Elefanten begrüßen sich etwas eigentümlich, wenn man das so sagen darf
Elefanten begrüßen sich etwas eigentümlich, wenn man das so sagen darf
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Eine Forschungsgruppe der Universität Wien habe über einen Monat lang im Jafuta-Reservat in Simbabwe neun Afrikanische Elefanten beobachtet und das Ergebnis dieser Nabelschau in der Fachpublikation "Communications Biology" veröffentlicht, schreiben die Lenanisten aus der Vorderen Zollamtsstraße. Dieses "Beobachten" stelle ich mir gar nicht so einfach vor, denn wie lässt sich erkennen, ob sich zwei Elefanten begrüßen oder einfach so begegnet sind? Die rülpsen sich ja nicht an. Oder doch? "Die rund 90 dokumentierten Begrüßungen bestanden aus Trompeten, Brüllen und sogenannten Rumble-Lauten" registrierten die Wissenschafter. Letzteres sei "ein tiefes Grollen". Doch Rülpsen also, aber auf akademischem Niveau.

Das aktuelle Leben hat nicht auf alle Fragen eine Antwort, aber in diesem Fall schon. Damit sich die Tiere spontan begegnen konnten, wurden sie spontan voneinander getrennt, also so weit auseinander geführt, dass sie sich nicht mehr sehen konnten, und dann wieder vereint, las ich. Die Elefanten werden sich vielleicht ein bisschen gewundert haben, was die Wiener von ihnen wollen, aber jemand, der sich bei der Begrüßung anuriniert, ist da mutmaßlich nicht weiter heikel.

Tatsächlich pinkeln sich die Elefanten nicht wirklich an, der "Standard" hat das ein bisschen zugespitzt, der Boulevard fordert eben seinen täglichen Tribut. Irgendwie verteilen sie mit dem Schwanz und mit den Ohren "Gerüche von Pheromonen", woraus der Reporter schlussfolgerte: "Dank der Berücksichtigung des Zusammenspiels dieser verschiedenen Signale wissen wir nun, dass Elefanten bis zu einem gewissen Grad ähnlich bewusst kommunizieren wie Menschen oder Affen." Das ist "bis zu einem gewissen Grad" nicht das, was die Betitelung des Artikels versprochen hatte, aber wir haben inzwischen "bis zu einem gewissen Grad" diesbezüglich eine gewisse Leidensfähigkeit entwickelt.

Spontan eingelernte Begeisterung: Russland Präsident Wladimir Putin auf Besuch bei Chinas Staatscehf Xi Jinping
Spontan eingelernte Begeisterung: Russland Präsident Wladimir Putin auf Besuch bei Chinas Staatscehf Xi Jinping
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Es ist angesichts dieser Umstände nicht ganz einfach, auf ein anderes Thema überzuleiten, aber ich wollte Sie kurz ins Tierreich entführen, in dem es zuweilen sehr menschlich zugeht, während es unter den Menschen immer weniger menschelt. Das war in der vergangenen Woche zu merken, als die Affäre um Lena Schilling endgültig eine Größenordnung annahm, die sie auf Augenhöhe mit den Elefanten brachte und nur mehr für Dickhäuter erträglich schien.

In den vergangenen fünf Tagen wurden mehrere Prozesse eingeleitet, die das Potential haben, die Welt neu zu kalibrieren, in Österreich bekam man davon wenig mit. China positionierte sich endgültig als einzige relevante Weltmacht abseits der USA. Der Besuch von Russlands Präsident Wladimir Putin bei seinem chinesischen Amtskollegen Xi Jinping führte das neue Kräfteverhältnis deutlich vor Augen. Es war eine von überschießender Herzlichkeit geprägte Demütigung, bei der viel gelächelt, handgeschüttelt, umarmt wurde, in aller Brüderlichkeit wies Xi dem Besucher seinen neuen Platz im Weltgeschehen zu und der liegt am Katzentisch.

Schnappschuss vo US-Präsident Joe Biden am Korrespondenten-Dinner
Schnappschuss vo US-Präsident Joe Biden am Korrespondenten-Dinner
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US-Präsident Joe Biden verhängte am vergangenen Dienstag hohe Sonderzölle auf Importe aus China. Solarzellen, Halbleiter, Hafenkräne, Stahl, Aluminium, Batterien, Schutzmasken sollen in Zukunft den amerikanischen Markt nicht mehr so billig fluten können. Auf E-Autos wird nun ein Zoll von 100 Prozent eingehoben. Biden schützt den eigenen Markt und das bringt die EU unter Druck. Soll sie auch Strafzölle verhängen? China ist der weltgrößte Auto-Exporteur und drauf und dran, die Erde mit hochsubventionierten E-Autos zu überschwemmen.

Österreich ist hier nicht, wie in so vielen anderen Fällen, interessierter Beobachter, denn im Land hängen bis zu 400.000 Arbeitsplätze direkt oder indirekt an der (deutschen) Automobilindustrie. Vor allem in der Steiermark und in Oberösterreich gibt es viele Erzeuger oder Zulieferbetriebe. Strafzölle also? Schwierig, denn für viele europäische Autobauer ist China nicht nur ein entscheidender Absatzmarkt, sondern sie lassen dort auch Fahrzeuge für den europäischen Markt herstellen. Belegt man also nun die eigenen Autos mit Pönalen?

Weltpolitisch eine Etage tiefer ist es dem Rechtspopulisten Geert Wilders in den Niederlanden gelungen, eine Regierung zu bilden. Das ist für die gegenwärtige EU keine gute Nachricht, denn nach Rebellenländern wie Ungarn, der Slowakei und teils Polen hat sie nun ein weiteres störrisches Mitglied im Familienverbund (hier habe ich ein paar Hintergründe dazu aufgeschrieben). Kommt bei der EU-Wahl der erwartete Rechtsruck, dann wird auch Europa neu kalibriert.

Der Rechtspopulist Geert Wilders schaffte es in den Niederlanden, eine Regierung zu bilden, Premier wird er nicht
Der Rechtspopulist Geert Wilders schaffte es in den Niederlanden, eine Regierung zu bilden, Premier wird er nicht
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In all diese Gemengelange hinein erscheint der Blick auf das aktuelle Österreich einigermaßen verstörend. Ich kann mich täuschen, aber wenn wir in fünf Jahren auf das Jetzt zurückblicken, dann werden wir uns vielleicht Fragen stellen wie: "Was haben wir getan, um die EU zusammenzuhalten?" Oder: "Wie haben wir die europäische Autoindustrie zukunftssicher gemacht?" Oder: "Was haben wir unternommen, um Europa im Konzert mit den USA und China eine Stimme zu verschaffen?" Was wir uns mutmaßlich nicht fragen werden: "Hat Lena Schilling einen festen Charakter oder lügt sie wie gedruckt?"

Die Beantwortung der Schillingfrage scheint derzeit aber der Dreh- und Angelpunkt des regionalen Weltgeschehens zu sein. Wunderlich! In drei Wochen ist EU-Wahl und noch nie zuvor wurde in Österreich im Vorfeld mit so großer Intensität, Taktung und Leidenschaft über einen europäischen Wahlgang geredet. Aber halt nicht darüber, wie wir in Zukunft leben und wo wir Arbeit finden werden, sondern ob die Person A an die Person B über die Person C etwas Garstiges geschrieben hat, was der Person D unbehaglich sein könnte. Das ist, mit Verlaub, ein Kindergarten und ich schreibe das als jemand, der zumindest gelegentlich auch am Bällebad teilnimmt.

Der Lärmpegel in diesem Kindergarten wuchs in den vergangenen Tagen so stark an, dass inzwischen sogar die Bälle im Bällebad einen Tinnitus haben. Es gab eine allumfassende Berichterstattung auf allen Kanälen, als Bericht, Reportage, Insidertratsch, als Talkshow, Diskussionssendung, Podcast, Newsletter, Interview, Hintergrundbericht, das alles erweckte im Gesamtbild den Eindruck, das Schicksal Europas hänge am seidenen Faden einiger sorgsam gesponnener Lügen österreichischer Provenienz.

Weil' um die eigene Zukunft geht: Grünen-Chef Vizekanzler Werner Kogler mit EU-Spitzenkandidatin Lena Schilling
Weil' um die eigene Zukunft geht: Grünen-Chef Vizekanzler Werner Kogler mit EU-Spitzenkandidatin Lena Schilling
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In diesem Kindergarten wusste jeder alles und das schon seit Wochen. Nachdem dem geheimen Wissen der Rang des Geheimnisses abhanden gekommen war, konnte endlich jeder ungeniert sein nun nicht mehr geheimes Geheimwissen zu Markte tragen, immer mit dem Verweis, bisher aus moralischen Gründen darüber geschwiegen zu haben. Etwas nicht – oder gar gar nichts – gewusst zu haben, wurde zum groben Makel, zum Wettbewerbsnachteil. Diese Blöße wollte sich niemand geben, die Wissenden nicht und die Unwissenden erst recht nicht. Es entstand eine Debatte unter lauter Allwissenden, die über etwas redeten, über das sie vorher nobel geschwiegen hatten.

Der mögliche Einbruch in die angeblich heilige Privatsphäre wurde besprochen, indem man sich neu an der Privatsphäre versündigte, selbstverständlich unter Einhaltung aller ethischen Kriterien, die es vielleicht gibt oder die zumindest jetzt zügig entwickelt werden. Die ins Lesen investierte Zeit erbrachte einen immer geringeren Ertrag. Je mehr ich über die Sachlage erfuhr, desto weniger wusste ich Bescheid. Ob Lena Schilling selten, gelegentlich oder immer lügt, werde ich vielleicht nie erfahren. Sollte sich das jemals klären, bitte die Nachricht auf meinem Grab hinterlegen. Ich ziehe sie mir dann irgendwann runter.

Das Ehepaar, das angeblich alles unter der Tuchent behalten wollte, schüttelte das Bett so heftig aus wie Frau Holle vor der Klimakrise. Es schneite Interviews in dicken Flocken, die betroffene Kandidatin ließ als Antwort Rechtfertigungs-Videos regnen. Die Begrifflichkeiten entglitten, der Bundespräsident trat ohne Not in Erscheinung und wurde prompt "Sugar-Daddy" und "Homo" genannt, was aber nicht als Schimpfwort gemeint war, wurde treuherzig versichert, sondern nur das lateinische Wort für Mensch darstellen sollte. Es menschelt ja doch in der Politik.

Die Grünen stolpern weiter durch die Kommunikation wie Pinguine, die sich nach New York verirrt haben. Statt für Klarheit zu sorgen, verrennen sie sich immer tiefer im Central Park. Die Kandidatin, bei der keine Rolle spielen sollte, dass sie die einzige Frau ist und erst 23, wird immer öfter mit dem Argument verteidigt, dass sie die einzige Frau ist und erst 23. Sie tritt nun mit geänderten Plakatslogans im Wahlkampf auf, das Herz ist weg. Werner Kogler ist noch da. Jetzt, wo das Gefurze endgültig zum Gefurze verkommen war, entschuldigte er sich dafür.

Die Erzählungen über Lena Schilling haben in der Buchstabensuppe der Medien einen Tsunami ausgelöst
Die Erzählungen über Lena Schilling haben in der Buchstabensuppe der Medien einen Tsunami ausgelöst
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Weil es an neuem Stoff mangelte, begannen Journalisten psychologische Gutachten zu erstellen, die Grundlage für die Hobby-Diagnosen erarbeiteten sie sich mittels Ohrauflegen. Lena Schilling wurden allerlei Krankheitsbilder unterstellt, weil die Reporter schon dabei waren, zückten sie auch gleich den Rezeptblock und empfahlen Therapien. Die besten Heilungschancen versprach ein sofortiger Rücktritt. Der könnte tatsächlich passieren, nicht unmittelbar, aber am Wahltag, wenn die Grünen schlimm abstürzen und Schilling die Nerven schmeißt.*

Bis dahin wird das Melodram die Quoten und die Zahl der Internet-Klicks wohl weiter ungebremst in die Höhe schießen lassen. Die Buchstabensuppe erscheint wie von einem Tsunami erfasst. Es fehlt nur mehr der Film, als Titel böte sich "Lena und Mena" an. Eine Seifenoper, perfekt für den Vorabend, ein "Bergdoktor", aber in der Stadt und mit Journalisten als Medizinmänner. Das würde die Zuschauerzahlen endgültig explodieren lassen.

In alle dem Trubel wird unterschätzt, dass Medien längst nicht mehr einzeln wahrgenommen werden, sondern in ihrer Gesamtheit. Vielleicht ist das der größte Unterschied zu früher, er ist vermutlich den wenigsten Journalistinnen und Journalisten bewusst. Um sie zu besänftigen, wird Lena Schilling einen Hund brauchen, einen Welpen bestenfalls, einen mit ehrlichen Augen. Die Bachblüten von der Mama aus dem Muttertagsinterview der "Kronen Zeitung" werden die Magenverstimmung allein nicht heilen.

Oder aber jemand findet die Stopptaste, drückt kräftig drauf und beendet das Gefurze. Es wäre ein Pfingstwunder, aber wozu ist der Heilige Geist sonst heilig?

Auftritt durch Papierwand: Monika Henninger-Erber, Madeleine Petrovic und Nora Summer (v.l.) auf der der Pressekonferenz zur Parteigründung
Auftritt durch Papierwand: Monika Henninger-Erber, Madeleine Petrovic und Nora Summer (v.l.) auf der der Pressekonferenz zur Parteigründung
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Ich wünsche ein wunderbares Pfingstwochenende. Als hätten die Grünen nicht schon genug Ärger mit sich und wir mit ihnen, gibt es sie nun auch noch doppelt. Madeleine Petrovic, von 1994 bis 1996 Bundessprecherin, will mit einer eigenen Liste bei der Nationalratswahl antreten, im linken Lager wird das Gedränge mittlerweile beklemmend. Wirklich links ist Petrovic freilich nicht, sie gehört dem esoterischen Flügel der Grünen an, ist Impfgegnerin, unterstützte den selbsternannten Krebs-Wunderheiler Ryke Geerd Hamer, sieht sich als Pazifistin, Feministin, hat ihr Leben den Tieren gewidmet.

Bei ihrer Vorstellung durchstieß Petrovic eine Papierwand, auf der das Grünen-Logo aufgebracht war. Vielleicht wäre das auch eine hübsche Idee für Lena Schilling. Falls sie auf die Schnelle keinen Hund findet. Oder einen Elefanten.

* In der ursprünglichen Version des Textes stand hier, dass dann Leonore Gewessler übernehmen könnte. Das geht nicht, danke für die Hinweise. Die EU-Wahl ist eine Kompetenz der Mitgliedsstaaten, "das Nachrücken (von der Liste, analog zum Nationalrat) ist in § 77 Abs. 9 und § 81 der österreichischen EUWO geregelt", schreibt mir Thomas Weber vom Verbindungsbüro des EU-Parlaments in Wien. Man muss also auf der Wahlliste stehen, um nachrücken zu können. Leonore Gewessler tut das nicht. Verzeihung!

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