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Mehr Schein als sein

Wie die EU die Tür zum Schein-Klimaschutz aufstößt

Die EU definiert ihre Klimaziele neu. Länder können sich "freikaufen". In Österreich besteht dagegen Hoffnung. Die Regierung will noch vorm Sommer ein Klimaschutzgesetz vorlegen. Katharina Rogenhofer erklärt, warum wir mehr Norwegen wagen sollten.

Hände zusammen beim EU-Gipfel in Brüssel: Polens Ministerpräsident Donald Tusk, der Präsident des EU-Rates Antonio Costa und Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen
Hände zusammen beim EU-Gipfel in Brüssel: Polens Ministerpräsident Donald Tusk, der Präsident des EU-Rates Antonio Costa und Kommissions-Präsidentin Ursula von der LeyenReuters
Katharina Rogenhofer
Akt. 30.06.2025 22:05 Uhr

Klimaziele sind kein Selbstzweck, sondern die Voraussetzung für notwendige Maßnahmen zur Ökologisierung. In der EU drohen hier große Rückschläge. In Österreich könnte sich das Blatt demnächst wenden.

Nichts ist abgedroschener als zur Beschreibung von funktionierender Politik Beispiele aus Skandinavien anzuführen. Aber an dieser Stelle mache ich es dennoch, weil die Lehren sehr eindrücklich sind. Deshalb beginnt dieser Text mit E-Autos in Norwegen.

In Norwegen lag der Anteil der E-Autos an den gesamten PKW-Neuzulassungen im Jahr 2012 bei 2,8 Prozent und damit nicht wesentlich höher als jener in Österreich (ein Prozent). 2024 lag dieser Wert in Norwegen bei 89,3 Prozent und damit um einiges höher als die 17,6 Prozent in Österreich.

Möglich wurde dieser rasche Sprung, weil die norwegische Regierung im Jahr 2017 das Ziel festlegte, mit 2025 nur mehr E-Autos zulassen zu wollen. Aber was dann geschah, könnte die eine oder den anderen Beteiligten in der österreichischen und europäischen Klimapolitik durchaus verblüffen: Die Politik – egal, wer in Regierungsverantwortung war – hat sich einfach an dieses Ziel gehalten und alle Maßnahmen umgesetzt, die nötig waren, um das Ziel zu erreichen.

Verblüffen mag das in Österreich und der EU deswegen, weil wir es hierzulande mittlerweile gewohnt sind, dass klimapolitische Ziele zwar gerne ausgerufen, dann aber sehr unterschiedlich ernst genommen werden, zur Not an ihnen gerüttelt wird oder sie gänzlich zu Makulatur verkommen.

Katharina Rogenhofer, Sprecherin und Vorständin, KONTEXT Institut für Klimafragen
Katharina Rogenhofer, Sprecherin und Vorständin, KONTEXT Institut für Klimafragen
Denise Hertel

Neuer Rückschritt bei EU-Klimazielen

In Österreich gibt es mit der Klimaneutralität 2040 zwar ein Klimaziel, zu dem sich bereits zwei Regierungen hintereinander bekennen konnten. Allerdings bisher nur in Form einer Absichtsbekundung und ohne gesetzliche Verbindlichkeit. Ein Klimaschutzgesetz ist seit 2020 ausständig.

Zudem lässt sich nicht erkennen, dass die aktuelle Politik dem Ziel mit großer Entschlossenheit folgt. Zwar sinken die Emissionen seit einigen Jahren. 2023 lag Österreich laut Umweltbundesamt aber weiterhin 23 Prozent über dem Reduktionspfad, der uns bis 2040 auf null führen soll.

Selbst das weniger ambitionierte EU-Klimaziel für 2030 ist laut EU-Kommission nur mit einigen zusätzlichen Maßnahmen zu erreichen. Der politische Trend geht aktuell jedoch in die genau entgegengesetzte Richtung.

Auf EU-Ebene gibt es zwar gesetzlich verbindliche Ziele, allerdings lässt auch hier der politische Wille, sie zu erreichen, spürbar nach. Im vorauseilenden Gehorsam gegenüber den zunehmend bremsenden Mitgliedsländern schwächt die EU-Kommission mittlerweile laufend wichtige Gesetze und Zwischenziele des Green Deals ab. Politico beschrieb dieses Vorgehen in einem martialischen Bild: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen amputiert den Green Deal, um ihn noch am Leben zu halten.

Der nächste Einschnitt betrifft nun die Klimaziele selbst und steht unmittelbar bevor. Am Mittwoch den 2. Juli präsentiert die Kommission zwar mit einer Emissionsreduktion von 90 Prozent bis 2040 ein auf den ersten Blick ambitioniertes Ziel. Allerdings entsprechen die 90 Prozent dem unteren Ende dessen, was der wissenschaftliche Klimabeirat der EU für notwendig erachtet.

Kommission-Präsidentin Ursula von der Leyen am Rande des NATO-Gipfels mit der niederländischen Königsfamilie
Kommission-Präsidentin Ursula von der Leyen am Rande des NATO-Gipfels mit der niederländischen Königsfamilie
Reuters

Zudem sollen die Mitgliedsländer künftig die Möglichkeit haben, sich in einem gewissen Maß internationale Kompensationsprojekte gutschreiben zu lassen. Vielen Regierungen stehen damit möglicherweise künftig vor der Alternative: gegen vermeintlichen Widerstand die notwendige Wärmewende vorantreiben (und damit Mehrwert vor Ort schaffen) oder doch lieber nur schnell ein gesundes Stück Wald im Amazonas kaufen?

Die Kommission nimmt die Mitgliedsländer damit zunehmend aus der Verantwortung und öffnet eine Tür für Scheinklimaschutz, die der populistische politische Wind bald ganz aufdrücken könnte.

Ein Klimaschutzgesetz für Österreich

Vielversprechenderes kommt gleichzeitig aus Österreich. Klimaminister Nobert Totschnig hat angekündigt, noch vor dem Sommer ein Klimaschutzgesetz vorzulegen. Dieses Gesetz bietet die Chance für eine Trendumkehr in der bislang eher kontraproduktiven Klimapolitik der aktuellen Regierung.

Zum einen würde es die Klimaneutralität 2040 endlich gesetzlich festzuzurren und damit etwas schaffen, was der schwarz-grünen Vorgängerregierung nicht gelungen war. Zum anderen könnte es klare Zuständigkeiten und Prozesse festsetzen.

Gerade im österreichischen Föderalismus ist die Gefahr (oder die Versuchung) groß, dass wichtige Maßnahmen im Verantwortungsdschungel verloren gehen und nicht umgesetzt werden.

Spätestens seit das Klimaschutzministerium zerschlagen und die emissionsintensiven Sektoren in drei verschiedene Ministerien aufgeteilt wurden, ist ein Klimaschutzgesetz die dringend notwendige Voraussetzung für eine wirkungsvolle Klimapolitik in diesem Land.

Ein Klimaschutzgesetz sollte für alle Sektoren verbindliche Pfade bis zur Klimaneutralität 2040 festschreiben, Zuständigkeiten definieren und einen Prozess schaffen, in dem die Zieleinhaltung jedes Jahr wissenschaftlich geprüft wird und Sofortmaßnahmen ergriffen werden, wenn sich eine Lücke auftut.

Der frühere Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) mit dem aktuellen Klimaminister Norbert Totschnig (ÖVP)
Der frühere Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) mit dem aktuellen Klimaminister Norbert Totschnig (ÖVP)
Helmut Graf

Entschlossene Politik macht den Unterschied

Klimaziele und die Prozesse, um sie zu erreichen, sind kein Selbstzweck. Sie sind die Voraussetzung für effektiven Klimaschutz auf politischer Ebene. Aber nicht nur: Sie geben den Menschen und Unternehmen klare Perspektiven für ihre Konsum- oder Investitionsentscheidungen.

Wenn ich als Hausbesitzerin weiß, dass ich 2040 nicht mehr mit Öl oder Gas heizen darf, werde ich beim nächsten Heizungswechsel, der irgendwann ohnehin nötig sein wird, auf eine saubere Alternative wechseln und damit einen Beitrag zur Emissionsreduktion leisten.

Und wenn ich als Unternehmerin weiß, dass ich und all meine Konkurrent:innen die Emissionen unserer Produktion bis zum Zeitpunkt x unten den Wert y bringen müssen, habe ich einen langen Vorlauf, um mich den Vorgaben anzupassen und mir mit klugen Entscheidungen möglicherweise einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen.

Eine Politik, die im Fünfjahrestakt Gesetze beschließt und wieder zurücknimmt, ist dagegen Gift für jegliche Planungssicherheit.

In Norwegen hatten im Vorjahr 89,3 Prozent aller neu zugelassenen Autos einen E-Motor
In Norwegen hatten im Vorjahr 89,3 Prozent aller neu zugelassenen Autos einen E-Motor
Reuters

Für den Umstieg auf E-Autos musste die Regierung in Norwegen nur einige das Ziel ausgeben und einige wirkungsvolle Maßnahmen erlassen: weniger Steuern, Maut und Parkgebühren für E-Autos.

Aber bevor wir uns weiter skandinavischen Best-Practice-Beispielen hingeben: Die Lehre aus Norwegen ist nicht, dass die politischen Mühlen in Oslo besser mahlen als in Brüssel oder Wien. Die Lehre ist vielmehr, dass eine entschlossene Politik mit klaren Zielen und entschlossener Umsetzung in kurzer Zeit einen sehr großen Unterschied machen kann.

Katharina Rogenhofer studierte Zoologie in Wien und "Biodiversity, Conservation and Management" an der Universität Oxford. Sie ist Initiatorin von FridaysForFuture Österreich, Autorin, war Sprecherin des Klimavolksbegehrens. Aktuell ist sie Vorständin des KONTEXT Institut für Klimafragen

Katharina Rogenhofer
Akt. 30.06.2025 22:05 Uhr