Nach Todesschuss
"Rust": Hätte dieser Western nie ins Kino kommen dürfen?
Bei den Dreharbeiten starb eine Kamerafrau – ein Filmrevolver hatte irrtümlich scharfe Munition geladen. Der Prozess gegen Alec Baldwin beschäftigte jahrelang die Welt. Nun startet "Rust – Legende des Westens" in Österreichs Kinos. Und wirft Fragen auf.

Der Todesschuss fällt am 21. Oktober 2021. Auf der Bonanza Creek Ranch bei Santa Fe in New Mexico wird zu diesem Zeitpunkt der Actionfilm "Rust" gedreht. Hauptdarsteller und gewichtigster Produzent ist Alec Baldwin. Aber die historische Waffe, die er in einer Szene benutzen soll, hat irrtümlich scharfe Munition geladen. Eine Kugel trifft Kamerafrau Halyna Hutchins, sie stirbt später im Spital, Regisseur Joel Souza wird schwer verletzt.
Alec Baldwin sieht zu Beginn wie ein Opfer der Umstände aus, aber es finden sich immer mehr Zweifel. Ein Chef-Beleuchter und eine Skript-Aufseherin belasten den Schauspieler schwer. Im Jänner 2023 kündigt die Staatsanwaltschaft dann an, Klage gegen Baldwin erheben zu wollen. Das Vorhaben wird drei Monate später abgeblasen. Es ist der Beginn einer wilden Reise.
Am 1. Mai startet "Rust – Legende des Westens" nun auch in Österreichs Kinos. Weniger der Film wird für Debatten sorgen als die Frage: Hätten die Dreharbeiten nach den Todesfällen nicht abgebrochen werden müssen? Und: Ist es richtig, den Film überhaupt in den Kinos zu? Das müssen Sie über den Thriller wissen.
Worum geht es eigentlich in "Rust"?
Kansas in den 1880er-Jahren: Harland Rust (Alec Baldwin), ein alternder Outlaw, erfährt, dass sein 13-jähriger Enkel Lucas (Patrick Scott McDermott) wegen eines vermeintlichen Mordes zum Tode verurteilt wurde. Entschlossen, den Buben vor dem Galgen zu bewahren, macht sich Rust auf den Weg. Auf der gemeinsamen Flucht vor Kopfgeldjägern und dem Gesetz erteilt Rust seinem Enkel Lektionen über das Leben und das Über-leben im Wilden Westen.
Und? Taugt der Streifen was?
Darüber scheiden sich die Geister. Ein Meisterstück ist es wohl nicht. Newsflix-Filmkritiker Christian Klosz urteilt nach Besichtigung: "Ein grundsolider Western, der Themen wie Schuld, Familie und den Umgang mit dem Gesetz behandelt und sich von vielen B-Movies mit alternden Stars positiv abhebt. Die Tragödie bleibt 'Rust' trotzdem ins Gesicht geschrieben, im Fall von Alec Baldwin sogar wortwörtlich."

Wie war das jetzt mit den Gerichtsverfahren?
Ein ewiges Hin und Her. Anklage, dann doch keine, dann doch wieder eine. Prozess. Freispruch.
Das Baldwin-Verfahren im Zeitraffer
- 21. Oktober 2021 Der Todessschuss fällt
- 31. Jänner 2023 Staatsanwalt klagt Baldwin an
- 20. April 2023 Anklage wird fallen gelassen
- 19. Jänner 2024 Doch Anklage wegen fahrlässiger Tötung
- 7. März 2024 Schuldspruch gegen Waffenmeisterin Hannah Gutierrez-Reed, 18 Monate Haft
- 10. Juli 2024 Prozess gegen Baldwin beginnt
- 12. Juli 2024 Prozess wird wegen Verfahrensfehler eingestellt
- 10. Jänner 2025 Baldwin klagt Justiz und Polizei wegen Rufschädigung
Warum wurde die Anklage erst fallen gelassen und dann wieder aufgenommen?
Weil zwei Waffenexperten ausgesagt hatten, dass Baldwin den Abzug des Revolvers gedrückt haben muss, der 66-Jährige bestreitet das bis heute. Er fühlt sich "nicht schuldig".

Was passierte vor dem Prozess?
Baldwins beschäftigte insgesamt acht Anwälte damit, den Prozess am 10. Juli 2024 im letzten Moment abzuwenden. Im Februar reichten sie entsprechende Dokumente bei Gericht in Santa Fe ein. Die Staatsanwaltschaft konterte, und die 36 Seiten, die öffentlich gemacht wurden, haben es in sich.
Welche Rolle spiele Baldwin bei "Rust"?
Es war sein Projekt, sagt die Staatsanwaltschaft. Er beauftragte Joel Souza mit dem Schreiben des Drehbuchs. Er verkaufte die Rechte an die "Rust Productions". Er war der Hauptproduzent. Er war der Hauptdarsteller. "Rust" war Baldwin, alle Interviews mit Crewmitgliedern würden das belegen.
Welche Rolle spielte die Waffenmeisterin?
Laut Staatsanwaltschaft war sie eine komplette Fehlbesetzung. "Rust Productions" engagierte mit Hannah Gutierrez eine erst 24-jährige Waffenmeisterin ohne viel Erfahrung. Sie sollte sämtliche Waffen am Set dieses von Waffen strotzenden Films managen und daneben noch als Assistentin in der Requisite arbeiten.
Welche Vorwürfe gab es noch?
Die Staatsanwaltschaft unterstellte Vetternwirtschaft. Gutierrez habe den Job nur bekommen, weil ihr Vater ein bekannter Waffenhändler und Waffentrainer war. Ihre Inkompetenz sei am Set allen schnell klar geworden, sagt Strafverfolgerin Kari Morrissey, Gutierrez sei vor allem durch Faulheit und Prahlerei aufgefallen.

Aber in dem Projekt war grundsätzlich der Wurm drin, oder?
Ja. Am 21. Oktober 2021, dem Tag der Todesschüsse, legten sieben Mitglieder des Filmstabes die Arbeit nieder und das mitten während der Filmarbeiten, an Tag 12 von 21 Drehtagen. Ein Protest gegen die Arbeitsbedingungen. Sie wurden durch sieben Mitarbeiter ersetzt, die nicht Mitglied der Filmgewerkschaft sind.
Welche Probleme machte Baldwin?
Er erschien zu spät zu Dreharbeiten und traf erst am 12. Oktober 2021, eine Woche nach Drehbeginn, am Set von "Rust" ein. Das führte dazu, dass er das von Waffenmeisterin Hannah Gutierrez-Reed angesetzte erste Schusswaffen-Training für Schauspieler verpasste. Er musste eine separate Übungseinheit absolvieren, sei dabei aber "unaufmerksam" gewesen und habe mit seiner Familie telefoniert. Und: Er machte Videos von sich selbst für seine Familie, auf denen er zum Spaß mit der Waffe schießt.
Wie benahm er sich am Set?
Wie ein Ekel, sagten Beteiligte aus. Baldwin trieb das Team an, schneller zu arbeiten, das habe die Sicherheit gefährdet, so die Staatsanwaltschaft, "Rust" sei schließlich keine Komödie, sondern ein Actionfilm. Er habe häufig geflucht und herumgeschrien, entweder mit sich selbst, Mitgliedern des Filmteams oder mit niemandem konkret, und das ohne bestimmten Anlass.
Wie liest sich das in der Anklage?
Die Beteiligten seien Zeugen des Verhaltens eines Mannes geworden, der "absolut keine Kontrolle über seine eigenen Gefühle hat und den es nicht kümmert, welche Auswirkungen sein Verhalten auf seine Umgebung hat". Zeugen hätten ausgesagt, dass genau diese Art die Sicherheit am Set beeinträchtigt hätte.

Als der Schuss fiel, wurde gar nicht gedreht, oder?
Eine unerfahrene Waffenmeisterin, dazu ein verhaltensauffälliger Hauptdarsteller – diese Kombination sei laut Strafverfolgerin Kari Morrissey der Grund dafür gewesen, warum Kamerafrau Halyna Hutchins ihr Leben lassen musste. Der tragische Höhepunkt: Als Baldwin den alten Armeerevolver hob, die Waffe auf Hutchins richtete, den Hahn spannte und abdrückte wurde nicht einmal gedreht, es liefen keine Kameras.
Was richtete der Schuss an?
Die Kugel drang in der Nähe der rechten Achselhöhle von Halyna Hutchins in den Körper ein, durchschlug eine Rippe, durchbohrte die Lunge, verletzte die Wirbelsäule und trat über das linkes Schulterblatt aus dem Körper aus. Danach durchstieß sie die vordere Schulter von Regisseurs Joel Souza und blieb in seinem Rücken unter der Haut stecken.
War die Szene nicht anders geplant?
Ja, als die Todesschüsse fielen, sollte eigentlich für eine Filmszene geprobt werden – die war aber anders vorgesehen. Baldwin sollte lediglich den Revolver aus dem Holster ziehen und fertig. Er entschied anders, entgegen der Anweisungen von Regisseur Joel Souza, das kam offenbar häufig vor.
Was machte Baldwin nach dem Todesschuss?
Der medizinische Dienst war schnell vor Ort, Joel Souza wurde versorgt. Halyna Hutchins wurde in ein Trauma-Zentrum geflogen, sie starb noch am selben Tag. Baldwin habe, laut Staatsanwaltschaft, die Zeit vor allem damit verbracht, sich zu verteidigen.

Warum empörte viele der Mexiko-Urlaub?
Einige Zeit nach dem Todesschuss wurde Baldwin ins Sheriff-Departement gebracht und in einen Video-Verhörraum geführt. Ehe die Befragung begann, rief er seine Frau an, Halyna Hutchins kämpfte zu diesem Zeitpunkt noch um ihr Leben. Mit Ehefrau Hillaria, 26 Jahre jünger als er, besprach Baldwin einen geplanten Familienurlaub in Mexiko. Er wolle ihn nicht absagen. "Ich habe nichts zu arbeiten, wir können uns vergnügen", soll er gesagt haben, "außerdem werden sie uns das Geld nicht zurückgeben."
Warum war das erste Verhör später relevant?
Baldwin behauptete in dem Sheriff-Interview mehrfach, dass ihm Hannah Gutierrez die Waffe übergeben hätte und nicht Regieassistent David Halls. Zweimal sagt er, dass er die Waffe abgefeuert habe und Regisseur Souza ihm gesagt habe, wohin er zielen solle. Dass sich Halyna Hutchins zur Seite gedreht und er sie deshalb in die Achsel getroffen habe. Dass er denn Abzug nicht betätigt haben will, wie er später behaupten sollte, erwähnte er mit keinem Wort.
Er blieb aber nicht bei dieser Version, oder?
Nein, am 3. Dezember 2021 trat Baldwin im Fernsehen auf und erzählte eine komplett andere Geschichte. Nun gab er Hannah Gutierrez-Reed die Schuld. Sie habe ihm gesagt, wohin er die Waffe richten soll – auf die Achselhöhle von Halyna Hutchins. Deshalb sei sie da getroffen worden. Und: Erstmals behauptete er, den Abzug nicht gedrückt zu haben.
Aber auch dabei blieb es nicht, oder?
Am 8. Dezember wurde ein aufgezeichnetes Gespräch ausgestrahlt. Baldwin sagt nun, Regieassistent David Halls habe ihm die Waffe übergeben. Er behauptete einmal viel, dann wieder wenig Erfahrung mit Waffen zu haben, den Hahn habe er gespannt, aber nicht abgedrückt.

Was war mit den Gutachten?
Im August 2023 wurden die Gutachten von zwei Schusswaffen-Experten veröffentlicht und sie belasteten den Schauspieler neu. "Obwohl Alec Baldwin wiederholt bestritten hatte, den Abzug betätigt zu haben, musste der Abzug angesichts von Tests, Befunden und Beobachtungen ausreichend betätigt oder niedergedrückt werden, um den vollständig gespannten oder eingezogenen Hahn des Revolvers zu lösen", steht in den Expertisen.
Warum kam es trotzdem zum Freispruch für Baldwin?
Der Prozess dauerte nur zwei Tage und endete am 12. Juli 2024. Am Ende verließ Alec Baldwin das Gericht in Santa Fe (New Mexico) als freier Mann.
Aber warum?
Die Verteidigung von Baldwin hatte etwas erfahren und stellte überraschend den Antrag, das Verfahren einzustellen. Die Staatsanwälte hatten der Polizei scharfe Munition vom Set übergeben, die Verteidigung aber davon nicht informiert. Die Anklage argumentierte, die Munition sei für den Fall nicht relevant. Die Richterin sah das anders: Also Einstellung.
Wie reagierte Baldwin?
Er brach in Tränen aus. Nachdem er sich gesammelt hatte, brachte er am 10. Jänner 2025 eine Klagen auf Entschädigung in ungenannter Höhe ein. In einer 73-seitigen Zivilklage beschuldigt er die Sonderstaatsanwältin, eine Staatsanwältin, Hilfssheriffs und die Kommission des Santa Fe County, ihn diffamiert und ihn seiner Bürgerrechte beraubt zu haben. Das Verfahren läuft noch.